Kapitel 7
Severus und Hermine

Hermine wußte nicht, wann sie in ihrem Leben je so wütend gewesen wäre, oder verletzt oder enttäuscht oder verwirrt. Sie hatten Lavenders Haus in einem Durcheinander aus Feuer und Rauch verlassen, und Hermine hatte versucht, so zu tun, als kämen die Tränen, die in ihren Augen brannten, von der Asche und nicht von den Dolchen, die Snape bei Lavender nach ihr geworfen hatte.

'Ich dachte bisher, meine Zukunft würde ziemlich trostlos werden, aber dank Ihnen erscheint es mir jetzt fast attraktiv, von rachsüchtigen Todessern getötet zu werden.'

Warum hatte sie zugelassen, daß sie so an ihm hing, daß sie ihm so nahe gekommen war. Er war ein abscheulicher, widerlicher, erbärmlicher, gemeiner Mann, der sie offenbar verabscheute. Sie war vorsichtig gewesen, als Dumbledore angedeutet hatte, es sei klug, mehr als eine Person in der Nähe zu haben, die wußte, wie man den Wolfsbann-Trank braute, ebenso die anderen Tränke, die der Orden benötigte. Sie befürchtete, daß er - obwohl sie das Abschiedsessen besprochen hatten - einen Weg finden würde, ihr das Leben dafür zur Hölle zu machen, daß sie ihn „Sevie" genannt hatte. Aber das war nicht der Fall gewesen. Statt dessen hatte sie festgestellt, daß sie gerne mit ihm zusammenarbeitete. Manchmal lagen sie sich in den Haaren, aber selbst dann versuchte Hermine angestrengt, mit seinen beißenden Witz mitzuhalten. Bei solchen Gelegenheiten half es, an ihn nicht als „Professor Snape" zu denken oder auch als „Severus", sondern als „Sevie". Mit Sevie konnte sie streiten und dem Sieg nahe kommen. (Niemand gewann wirklich gegen ihn, außer man zählte einen finsteren Blick und gereiztes Schweigen als Sieg.) Sie konnte sich behutsam über Sevie lustig machen und mit ihm lachen. Und langsam stelle sie fest, daß sie Sevie anziehend finden konnte.

Aber der Mann, der sie heute nachmittag zu Lavender geschleift hatte, war ganz sicher nicht Sevie, und sie stellte wieder einmal fest, daß Professor Snape in der Lage war, sie zum Weinen zu bringen. Sie war am Ende in der Küche gelandet, wo sie unartikuliert geschluchzt hatte, während Molly ihr Tee gekocht und Kekse gebracht hatte. Als sie sich schließlich beruhigt hatte, hatte sie einen neuen Entschluß gefaßt. Er mochte sie nicht. Ich würde sie nie mögen. Und es würde ihr in Zukunft nichts mehr ausmachen.

Ihr Plan hatte funktioniert, genau so lange, bis er sie um Verzeihung gebeten hatte. Sie war ihm nicht einmal erlegen, als er sie geküßt hatte. (Nun ja, ein Teil von ihr schon, aber sie hatte versucht, ihre Verwunderung und Freude zu verbergen, indem sie auf Sarkasmus zurückgriff.) Sie drehte sich die ganze Nacht von einer Seite auf die andere und erwartete unruhig sein erscheinen am Frühstückstisch. Er hatte gesagt, daß er es am nächsten Morgen nicht bereuen würde, aber er war ziemlich betrunken gewesen, daher wußte sie nicht, was sie denken sollte. Ein Teil von ihr wußte, daß es gefährlich war, so zu denken, daß ihr ursprünglicher Plan tatsächlich der sicherste war, aber ihr Verstand verlor die Schlacht gegen ihr Herz. Eigentlich war es ironisch, daß ein Mädchen, das sich sein ganzes Leben lang von Logik hatte leiten lassen, die Logik plötzlich zum Fenster hinauswarf. Es beschämte sie ein wenig, daß sie wie Parvati oder Lavender geworden war.

Sie blickte von ihrem Platz neben Ron auf, als er den Raum betrat. Dunkle Ringe umgaben seine Augen, und er war nicht rasiert. Sie fragte sich, ob er das Mittel gegen Kater genommen hatte, das sie ihm dagelassen hatte.

„Guten Morgen!" zwitscherte Molly und stellte eine Tasse Tee vor ihn hin, als er sich gegenüber von Hermine hinsetzte.

Sie war plötzlich sehr daran interessiert, ihren Toast zu buttern, und ihre Wangen färbten sich rot. Den ganzen Morgen hatte sie nichts mehr gewollt, als ihn zu sehen, aber jetzt wo er hier war, konnte sie sich nicht dazu bringen, ihn anzusehen. Was, wenn sie Bedauern oder Ablehnung sehen würde? War dies Professor Snape, der schreckliche, gemeine und strenge Lehrer, der sie beleidigte und zum Weinen brachte? War dies Severus, ihr Laborpartner? Oder war es Sevie, der Mann, der zuließ, daß sie ihn mit peinlichen Spitznamen ansprach und sie küßte?

„Ja, ist es", murmelte er. Sie blickte zu ihm auf. Er sprach morgens nie, er grunzte nur und sah finster aus, während Mrs Weasley ihn dazu zu bringen versuchte, mehr als ein paar Scheiben Toast zu essen. Er fing ihren Blick auf, und sie konnte Einverständnis sehen, wenn nicht sogar etwas Wärme. Es war keine Liebe oder auch nur Zuneigung, aber sie konnte erkennen, daß er zumindest mit dem Gedanken spielte, daß sie sein Happy-End sein könnte.

„Was macht ihr heute alle?" fragte Mrs Weasley heiter.

„Mehr Verteidigungssprüche heute morgen", antwortete Harry grimmig. Er war in letzter Zeit fast unerträglich gewesen. Hermine hatte zwar ihr Bestes getan, um ihn zu unterstützen, aber im Geheimen hätte sie lieber Snapes Murren ertragen als Harrys Gestöhne über sein Schicksal. Vielleicht sollte sie Harry zu Lavender schicken. Vielleicht würde er erkennen, daß das Schicksal mehr für ihn bereithielt als nur Voldemort und der Junge zu sein, der lebte. Seine Reaktion würde sicherlich besser sein, als Severus' gewesen war.

„Kopf hoch, Kumpel", sagte Ron, wobei er Toaststücke quer über den Tisch spuckte. „Morgen sehen wir sie Cannons."

„Das ist nicht heute, oder?" argumentierte Harry, als er vom Tisch aufstand. „Kommst du, Hermine?"

„Nein, ich... wir müssen heute Morgen an ein paar Tränken arbeiten", sagte sie. Sie blieb sitzen, ihre Augen noch immer auf Severus gerichtet. Er nickte, beinah unmerklich. Sie hatten nicht wirklich etwas zu tun, und bis gestern abend hatte sie vorgehabt, mit ihren Freunden Verteidigung zu trainieren, aber sie hatten Dinge zu besprechen. Sie sah wieder Harry an und lächelte. „Sehen wir uns später?"

„Ja", sagte er und sah sie seltsam an, ging aber ohne Kommentar. Ron folgte ihm hinaus, während er weiter über das bevorstehende Quidditchturnier plapperte. Hermine blickte zurück zu Severus, der gerade mit seinem Toast und Tee fertig war.

„Sollen wir dann hochgehen", sagte er und stand auf.

„Sicher", antwortete sie.

ooOOoo

Severus erwachte mit einer Axt in seinem Kopf, als hätte jemand versucht, ihn umzubringen, es aber irgendwie vermasselt. Stöhnend versuchte er, die Augen Stück für Stück zu öffnen, aber das Licht erwies sich als zu schmerzhaft, sogar in kleinen Dosen. Er setzte sich langsam auf, in der Hoffnung, es so schmerzlos wie möglich von dem Sessel bis zu seinem Bett im Nebenzimmer zu schaffen. Und dann sah er es. Auf dem Tisch neben ihm stand ein blauer Zaubertrank mit einer Nachricht dran.

Ich würde ja nicht wollen, daß Du morgen etwas bereust. -H.

Er schluckte rasch den Trank und spürte seine Kopfschmerzen abebben. Als der Schmerz nachließ, erinnerte ihn sein Magen recht lautstark daran, daß er seit dem Mittagessen gestern nichts mehr gegessen hatte. Er machte sich auf den Weg nach unten und folgte seiner Nase in die Küche. Er wählte einen Platz gegenüber von Hermine, und während Molly ihm Tee und Toast servierte, studierte er sie. Sie schien ziemlich in ihren Toast vertieft zu sein, was entweder bedeutete, daß der heute morgen sehr gut war - obwohl er das bezweifelte, es war immerhin nur Toast - oder daß sie Zweifel wegen letzter Nacht hatte. Aber wenn das der Fall war, weshalb hatte sie ihm die Notiz dagelassen? Vielleicht war sie besorgt, daß er seine Meinung geändert haben könnte. Ja, das mußte es sein. Und dann blickte sie auf und begegnete seinem Blick. Er sah Hoffnung und ein Versprechen dort, er sah eine Hütte mit zwei Kindern oder eine Wohnung mit acht, und das letzte, was er tun wollte, war, mit Potter und den Weasleys in der Küche zu sitzen. Er wollte oben im Labor sein, mit ihr reden, sie halten, sie küssen.

Sie standen auf und verließen gemeinsam die Küche. Sie gingen gerade nah genug beieinander, um den anderen gelegentlich zu streifen. Auf dem Weg die Treppe hinauf verwandelte sich allerdings das Bild davon, wie er Hermine küßte, in eins, in dem Hermine ihn anschrie, er solle den Müll rausbringen oder die Kinder baden. Er sah acht Kinder mit einer Mischung aus fettigen und buschigen Haaren, die kreischend durch eine winzige Hütte rannten, während er versuchte, sich davon abzuhalten, sie zu verhexen. Er sah „Onkel Harry" auf einen Besuch vorbeikommen.

Er konnte das nicht tun, es war zu viel Druck. Warum verspürten die Leute den Drang, einen Blick in die Zukunft zu werfen? Wurde es dadurch besser, daß man es wußte? War es eine Art Hoffnung, die Dinge ändern zu können? Wollte er die Dinge ändern?

Als sie den Raum betraten, befahl er ihr schroff, mit dem Brauen eines Aufputsch-Trankes anzufangen, während er sich in sein Zimmer zurückzog, um aufzuräumen und sich etwas mehr Zeit zu verschaffen, um über seinen nächsten Zug nachzudenken. Er ließ sich Zeit beim Anziehen und Rasieren.

Dieses Spiel war eine Farce, ob er es nun einmal oder hundertmal spielte, entschied er, als er sich eine neue Hose anzog. Aber bedeutete das, daß ihm die Vorstellung nicht gefiel, die es ihm präsentierte? Es mochte vielleicht nicht „die" Zukunft sein, aber sie könnte es sicherlich sein, wenn er sich so entschied. Das Mädchen hatte zweifellos einen Einfluß auf ihn, und es hatte ihm gefallen, sie gestern abend zu küssen. Wenn er noch einmal eine Chance dazu bekäme, glaubte er, könnte er eine bessere Reaktion aus ihr herausbekommen als „Du schmeckst auch nach Alkohol". Er war nicht bereit für Kinder, er sah genug während des Unterrichts, und er wußte nicht, ob er je für eine achtköpfige Familie bereit sein würde. Würde sie das wollen? Würde sie es erwarten?

Er war fertig mit dem Anziehen und stand da und starrte auf die Tür. Hermine wartete auf der anderen Seite auf ihn, und sie erwartete irgendeine Art von Diskussion zu dem Thema. Sie war heute morgen nicht hier hoch gekommen, um einen Aufputsch-Trank zu brauen, den sie eigentlich nicht brauchten. Er würde ihr irgend etwas sagen müssen. Konnte er all seine Zweifel in Worte fassen? Das zu tun, schien ihn sehr verletzlich zu machen - in einem unnötigen Ausmaß. Er wünschte sich nicht zum ersten Mal, er hätte nie von Ms Browns idiotischen Spiel gehört, obwohl ihm „Sevie" langsam zu gefallen begann.

Er holte tief Luft und rauschte in den Raum, wo er Hermine bei der Arbeit vorfand, wie er sie angewiesen hatte. Sie blickte erwartungsvoll zu ihm auf, und er vergaß alles, was er zu sagen beabsichtigt hatte.

„Du solltest einen Zinnkessel der Größe Vier für diesen Trank benutzen", sagte er statt dessen scharf. Sie runzelte die Stirn.

„Alle Größe-Vier-Kessel sind für den Wolfsbann-Trank in Verwendung", sagte sie. Er stellte sich hinter sie und spähte über ihre Schulter in den Kessel. Alles schien in Ordnung zu sein, der Trank brodelte fröhlich, und die Farbe schien richtig zu sein. Sehr zögerlich legte er ihr eine Hand auf den Rücken. Er spürte, wie sie erstarrte und sich dann unter seiner Berührung entspannte.

„Dann ist das hier das Nächstbeste", sagte er.

„Das dachte ich auch." Sie nickte. Er wich zurück und begann, die übrigen Kessel kontrollieren. Sie arbeiteten den Rest des Vormittags in kameradschaftlichem Schweigen, und er war zuversichtlich, daß sie seine kleine Geste verstanden hatte.

ooOOoo

Die nächsten paar Wochen vergingen, und Severus' Verhalten Hermine gegenüber veränderte sich leicht. Seine Hand fand sich oft auf ihrer Schulter oder ihrem Rücken, während sie im Labor arbeiteten. Er zuckte nicht länger zusammen, wenn sich ihre Hände streiften. (Wenn überhaupt schien es häufiger denn je vorzukommen.) Und wenn er sie lesend im Wohnzimmer antraf, setzte er sich und diskutierte mit ihr über das, was sie gelesen hatte, anstatt zu gehen oder ihr zu befehlen, dies zu tun.

Es störte Hermine nicht, daß Severus es langsam angehen lassen wollte. Sie dachte nicht daran, zum Klang von Hochzeitsglocken vor den Altar zu treten, nur weil irgendein Pergament von Lavender ihnen gesagt hatte, daß sie das tun sollten. Aber sie wünschte, er würde das Ganze etwas beschleunigen, zu irgendeiner Entscheidung gelangen. Er war von dem sarkastischen Mistkerl, der zusammenzuckte, wenn er sie im Labor auch nur streifte, zu demselben sarkastischen Mistkerl geworden, der sie jetzt im Labor absichtlich streifte. Aber das war kaum etwas, worauf sie eine Beziehung gründen konnte, so wenig sie auch gegen eine Wiederholung jener Nacht einzuwenden gehabt hätte, ohne die Massen von Alkohol. Sie überlegte hin und her, ob sie die Sache selbst ansprechen sollte, als er eines Tages etwas sagte, während sie arbeiteten.

„Du bist zu jung. Ich entreiße dich der Wiege", sagte er abrupt. Er machte sich nicht einmal die Mühe, von den Wurzeln aufzublicken, die er gerade schnitt. Hermine brauchte einige Sekunden, um darauf zu kommen, was er meinte. Ah, ihre potentielle romantische Beziehung.

„Nun ja, du bist zu alt - mit einem Bein im Grab", erwiderte sie.

„Ich bin froh, daß wir darüber geredet haben", sagte er sarkastisch. Sie blickte auf, um seine Lippen in ein Beinahe-Lächeln zucken zu sehen. Sie wußte, er mochte es, wenn sie mit seinem Witz mithalten konnte.

„Was ist als nächstes auf der Liste?"

„Was werden Potter und Weasley denken?" fragte er mit einem finsteren Blick.

„Sie werden es hassen." Und das würden sie auch.

„Gut." Sie legte die Stirn in Falten. Er grinste als Antwort.