Kapitel 8
Einfach nur Hermine
Severus hatte sie immer noch nicht geküßt. Da war ein Moment gewesen, wo Hermine sicher gewesen war, er würde es tun, aber Ron hatte an die Tür geklopft, und Severus war schneller zurückgewichen, als wenn sie einen Druckwellen-Fluch ausgesprochen hätte. Sie war dazu übergegangen, ihm einen Gutenachtkuß auf die Wange zu geben, bevor sie wie jeden Abend das Labor verließ, um ihn zu ermuntern. Wenn sie ihre Lippen so dicht an seine heranbrachte, dann würde er hoffentlich schließlich den Wink verstehen und sie küssen. Am dritten Abend erzielte sie endlich Ergebnisse.
„Gute Nacht", flüsterte sie, neigte ihren Kopf leicht nach oben und küßte ihn auf die Wange. Sie begann, sich von ihm abzuwenden, aber er packte ihre Arme und zog sie wieder an sich. Zögernd nahmen sie sich einen Augenblick Zeit, um ihre Nasen auszurichten, um sie nicht zu stoßen. Und dann waren seine Lippen auf ihren, ein sanfter Druck, ein langsamer Rhythmus.
„Gute Nacht", sagte er mit einem selbstzufriedenen Grinsen, als er sie losließ.
„Hab ich immer, wenn ich bei dir bin", wisperte sie ihm ins Ohr, in einem Tonfall, von dem sie hoffte, daß er verführerisch war. Er sah vorübergehend geschockt aus, und Hermine wußte, daß sie ihr Ziel erreicht hatte, aber er erholte sich schnell.
„Das ist nicht, was du letzte Woche gesagt hast", sagte er sarkastisch. Sie runzelte die Stirn.
„Ich weigere mich, noch länger mit dir über die Effizienz von Tollkirsche in Kräftigungstränken zu diskutieren."
„Weil du weißt, daß ich recht habe", sagte er, bevor er sie noch einmal küßte. Sie hatte gewollt, daß er sie küßte, aber nicht, wenn er plante, das als eine Taktik zu benutzen, um Auseinandersetzungen zu gewinnen. Sie gewann sowieso nie, und wenn das so weiterging, würde sie das auch nie.
„Das werde ich nie zugeben", hielt sie dagegen.
„Wenn du darauf bestehst, im Unrecht zu sein, schlage ich vor, du gehst ins Bett."
„Deins oder meins?"
„Ich muß diesen Trank fertigstellen", antwortete er. Er küßte sie leicht auf die Nasenspitze und schubste sie dann Richtung Tür, die, die auf den Flur und zu ihrem Zimmer führte, nicht die zu seinem Zimmer. Trotzdem legte sie den Weg zu ihrem Bett mit einem verträumten Lächeln zurück.
Das Lächeln blieb auf ihrem Gesicht kleben, als sie ihren Pyjama anzog, sich die Zähne putzte und ins Bett stieg. Es war sogar da, als sie morgens aufwachte, als sie sich anzog und als sie ihren Weg hinunter in die Küche zum Frühstück machte.
„Hermine, wir müssen mit dir reden", sagte Harry zu ihr, nachdem sie mit dem Essen fertig waren. Ron stand neben ihm, sah ernst aus und schüttelte zustimmend den Kopf. Sie nickte und folgte ihren zwei Freunden ins Wohnzimmer.
„Wir wissen von Snape", sagte Ron ohne Einleitung.
„Was wißt ihr von Snape?" fragte sie, in dem verzweifelten Versuch, ihre Überraschung zu verbergen. Ihr Lächeln war plötzlich verschwunden. Sie mußte sich immer noch daran gewöhnen, daß sie mit ihrem ehemaligen Zaubertränkelehrer knutschte, und sie war nicht sicher, ob sie dafür bereit war, diese Information mit irgend jemandem zu teilen, erst recht nicht mit Ron und Harry. Was, wenn es nicht funktionierte? Und um ehrlich zu sein, es ging hier um Professor Severus Snape, daher war die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, daß entweder sie ihn gründlich verfluchte für eine taktlose Bemerkung über ihre Haare, ihre Freunde oder ihre Zaubertränke, oder daß er ein paar Schweige-Zauber nach ihr schleuderte, weil sie zu viele Fragen stellte. Das waren nicht die Dinge, auf denen man eine erfolgreiche, gesunde, langandauernde Beziehung aufbaute.
„Lavender hat uns erzählt, daß ihr beide sie besucht habt", erklärte Harry.
„Und den Rest konnten wir uns denken", sagte Ron.
„Was genau konntet ihr euch denken?" fragte sie.
„Na ja, du hast dich in letzter Zeit merkwürdig benommen", fing Harry an.
„Du hast in die Luft gestarrt, albern gegrinst, und du hast eine Menge Zeit da oben in eurem improvisierten Labor verbracht", zählte Ron auf. „Wir dachten, du wärst vielleicht unter dem Imperius-Fluch."
„Aber Ginny hat gelacht und gemeint, du würdest dich benehmen, als wärst du verliebt", sagte Harry. „Und nach dem, was Lavender uns erzählt hat, haben wir logisch geschlußfolgert, daß es Snape sein muß."
„Okay, ihr habt recht", gab sie zu, amüsiert, ihre schockierten Gesichter zu sehen. Sie nahm an, daß die beiden trotz ihrer ganzen „Detektivarbeit" im Herzen gehofft hatten, daß sie falsch lagen.
„Hör zu, Hermine, dieses Spiel von Lavender ist ein Scherz. Wir haben sie das Spiel für uns beide machen lassen, und ich sollte Bellatrix Lestrange heiraten und mit achtzehn Kindern auf einem herrschaftlichen Anwesen leben", sagte Ron flehend.
„Und ich werde angeblich Professor McGonagall heiraten", sagte Harry mit einer Grimasse.
„Für achtzehn Kinder würdest du auch eine Villa brauchen", scherzte Hermine. Aber Ron lachte nicht.
„Der Punkt ist, daß du das nicht tun mußt", legte Ron dar. „Du verdienst jemand besseres als Snape."
„Ich hab mich nicht auf romantische Weise mit Snape eingelassen, weil mir irgendein dummer Trick aus dem Wahrsagesalon gesagt hat, daß ich das tun sollte. Zufällig genieße ich seine Gesellschaft."
„Mag er dich auch? Und wie könntest du jemals sicher sein?" fragte Harry. Es empörte sie, was er damit andeutete, und sie erwog, ihm ein paar Worte dazu zu sagen. Aber dann hatte sie einen Geistesblitz. Es gab eine Sache, die sie ihnen erzählen konnte, die die beiden überzeugen würde. Sie hoffte nur, sie würden den Mund halten.
„Ich weiß es, weil er sich von mir „Sevie" nennen läßt", sagte sie verschwörerisch.
„Was?" keuchten sie.
„Ja, genau", sagte sie. „Ich hab ihn beim Abschiedsessen zum Spaß so genannt. Er hat damals gedroht, mich ernsthaft zu verhexen, aber seit wir zusammen arbeiten, ist er etwas lockerer geworden, und hin und wieder komme ich damit davon, ihn so zu nennen."
„Ach du Scheiße, Hermine!" rief Ron. „Das muß Liebe sein." Sie erzählte ihm nicht, daß Severus sie „Hermi" nannte. Sie wollte die beiden nicht auf dumme Ideen bringen, denn sie war sicher, sie würden diesen grauenhaften Spitznamen benutzen, um sie zu foltern.
„Oder so was ähnliches", sagte sie mit einem Schulterzucken. Ihr Magen schlug Purzelbäume, wenn Severus sie ansah, und sie suchte nach Ausreden, mehr Zeit mit ihm zu verbringen, und sie fand ihn attraktiv, trotz der Hakennase und der schmierigen Haare, na wenn schon. Sie weigerte sich trotzdem, deswegen eine kichernde Gans zu werden. Liebe war vielleicht nicht logisch, hatte sie entschieden, aber sie würde sich nicht noch mehr an Parvatis und Lavenders bedauerliches Verhalten annähern.
Außerdem war es eine nette Abwechslung von ihren dauernden Sorgen. Die UTZs waren vorbei, und deshalb ging ihr andauernd der Kampf gegen Lord Voldemort und seine Todesser durch den Kopf. In den Monaten nach der Schule hatten sie Albträume geplagt. Diese romantische Beziehung, dieser Flirt mit Professor Snape, was immer es war, war eine willkommene Ablenkung. Sie wußte nicht, ob es halten würde, oder ob es überhaupt richtig war, so zu denken, aber sie hatte vor, es zu genießen, so lange es anhielt, denn im Augenblick war es der einzige Lichtblick in ihrer ansonsten schattenerfüllten Existenz. Obwohl sie sich kurz fragte, ob es noch so eine Verlockung sein würde, jetzt wo andere Leute davon wußten. Ein Teil des Reizes war die Heimlichkeit gewesen, die der Sache innewohnte. Nur die Zeit würde es zeigen.
ooOOoo
„Willst du mir vielleicht erklären, weshalb Potter und Weasley vor sich hin kichern, wenn ich an ihnen vorbeigehe?"
Hermine schnitt gerade Zuaten, und sie mußte sich große Mühe geben, nicht ihren Finger abzuschneiden, als Severus hereingestürmt kam und anfing, Fragen zu stellen.
„Nein", sagte sie kleinlaut, ohne von ihrem Messer aufzublicken. Würde sie den Blick heben, wäre sie tot. Er würde sofort wissen, daß sie log, wenn er es nicht ohnehin schon wußte.
„Du hast es ihnen erzählt, oder?"
„Ich könnte möglicherweise etwas gesagt haben", sagte sie so leise, daß es ein Wunder war, daß er sie überhaupt hörte. Aber er hatte jahrelang unterrichtet und seine Ohren darauf trainiert, auch den geringsten Hinweis auf unerlaubte Unterhaltungen im Klassenraum, die die Schüler von einem gefährlichen Trank ablenken könnten, mitzubekommen.
„Etwas?" bellte er.
„Wir haben uns nie darauf geeinigt, es geheim zu halten", erwiderte sie. Langsam wurde sie ungehalten.
„Nein, ich dachte, das wäre gesunder Menschenverstand.
„Wieso? Warum ist das gesunder Menschenverstand?" Sie bekam Angst. Schämte er sich für seine Verbindung zu ihr? Wollte er sie nur benutzen? Aber das ergab keinen Sinn. Wäre das der Fall, hätte er inzwischen irgendwas unternommen. Er hätte versucht, sie ins Bett zu kriegen, aber es hatte Ewigkeiten gedauert, bis er sie wieder geküßt hatte, und sogar jetzt nahm er sich nur gelegentlich Freiheiten ihr gegenüber heraus. Sie wünschte eher, er würde aufhören, so ein Gentleman zu sein. Wäre sie in der Kunst der Verführung das geringste bißchen erfahren gewesen, hätte sie es nicht ihm überlassen, aber sie war jung, und ihre Erfahrung beschränkte sich auf Zetteltausch im Unterricht und schnelle Knutschereien in verlassenen Fluren.
„Ist es dir nicht in den Sinn gekommen, daß diese Beziehung", er zeigte auf sie beide, „als unangebracht empfunden werden könnte? Daß es diejenigen geben könnte, die die Vorstellung von einem Lehrer mißbilligen, der seine ehemalige Schülerin verführt? Daß einige annehmen könnten, daß das angefangen hat, bevor du deinen Abschluß gemacht hast?"
Sie sah ihn verwundert an. Es war ihr ehrlich nicht in den Sinn gekommen. Sie hatte gedacht, die Leute würden sich eher daran stören, daß es Snape war, ein sarkastischer, oft grausamer Mann, der außerdem ein ehemaliger Todesser war. An die Unangebrachtheit eines Lehrer/Schüler-Verhältnisses hatte sie nie gedacht.
„Ich hab nicht gedacht..."
„Offensichtlich."
„Aber das ist nicht wahr!"
„Nein, ist es nicht. Aber wir befinden uns mitten in einem Krieg, falls es dir entgangen ist, und wir haben wenig Zeit für Ablenkungen wie diese."
„Ablenkungen insofern als es jemand herausfindet, oder meinst du die Beziehung als Ganze?" fragte sie, ihre Stimme zittriger, als sie es sich gewünscht hätte.
„Ich weiß es nicht." Das war alles, was er sagte.
„Also, was? Ist das das Ende? Was ist mit dem... dem Spiel?" fragte sie verzweifelt. Als sie darauf zurückgriff, das Spiel zu erwähnen, wußte sie, daß sie die Grenze erreicht hatte. Nein, nicht die Grenze, den Tiefpunkt. Sie war bereits verliebt, erkannte sie. Sie hatte eine tiefe Schlucht überbrückt, als sie sich das erste Mal gestattet hatte, ihn „Sevie" zu nennen. Es war ein Fehler gewesen. Sie war direkt von Förmlichkeit zu Intimität übergegangen. Sie hatte den Tiefpunkt erreicht, und er war nicht da, um sie aufzufangen.
„Du hast es selbst gesagt, es ist eine Farce", zischte er und wandte sich ab. Sie keuchte und ließ das Messer auf den Tisch fallen. Er hätte es genauso gut nehmen und sie damit erstechen können.
„Das hast du nicht geglaubt. Du hast es zwanzigmal gespielt. Gibst du zu, daß du falsch lagst und ich recht hatte?" Sie wußte, daß sie ins Schwarze getroffen hatte, als er sich wütend wieder zu ihr umdrehte.
„Na gut, laß uns nachsehen, was es jetzt zu sagen hat. Hol ein Stück Papier."
Sie starrte ihn ungläubig an. Er machte sicher Witze. Wollte er diesen Streit wirklich auf diese Art lösen, mit einem dämlichen Spiel? Aber sie wollte, daß er daran glaubte, selbst wenn sie es nicht tat. Wenn er es tat, würde er bleiben. Er würde seine Arme um sie legen und sie küssen, und sie würde sich sicher fühlen. Sie ging, um Papier zu suchen.
Einige Minuten später saßen sie an dem Schreibtisch, der in die Ecke geschoben war, und waren bereit zu beginnen.
„Wirst du mir diesmal Namen nennen, oder soll ich wieder „einsamer Mistkerl" schreiben?" fragte sie spitz.
„Du, McGonagall, Pomfrey, Pince, Hooch und Sprout."
Hermine verspürte einen unerwünschten, eifersüchtigen Stich. Sie hatte gedacht, ihm fiele niemand ein, den er länger als fünf Minuten ertragen konnte, geschweige denn heiraten. Diese Namen waren ihm entsetzlich schnell eingefallen.
„Und du redest über die Unangebrachtheit einer Beziehung mit einer früheren Schülerin, was ist mit Kolleginnen?"
Er ignorierte sie und ging gleich zur nächsten Kategorie über. „0, 1, 2, 3, 4, 5."
Sie sparte es sich, seine Unoriginalität zu kommentieren, sondern begann, seine „Zukunft" auszurechnen. Es dauerte nicht lange, bis sie ihr Dilemma erkannte. Nach dem hier, würde er McGonagall heiraten, zwei Kinder haben und in einem Haus leben. Sie hielt inne.
„Also, was ist es?" wollte er wissen. Sie sah ihn an. Sie mußte eine Entscheidung treffen. War dies eine lockere Affäre, um die einsamen Nächte dieses Krieges durchzustehen? Oder legte sie sich darauf fest, die Sache bis zu ihrem natürlichen Ausgang durchzuziehen - „Ich-Will"s, Kinder und ein gemeinsames Leben?
„Was willst du als Ergebnis?" fragte sie.
„Ich will, daß das rauskommt, was rauskommen sollte", knurrte er und erdolchte sie mit Blicken. Sie erkannte, daß er diese Frage nicht beantworten wollte, genau wie sie sie nicht beantworten wollte. Sie versuchten beide, ihr Herz zu schützen. Auf die Art würden sie nie weiterkommen, also ergriff sie die Chance. Entschlossen strich sie McGonagalls Namen durch und kreiste ihren eigenen ein. Außerdem hatte das Schicksal McGonagall für Harry vorgesehen. Es würde ihr nicht im Traum einfallen, seine Chancen auf Glück zu ruinieren, rechtfertigte sie sich. Und letzten Endes war es nur ein blödes Spiel. Sie reichte ihm das Pergament und wartete auf seine Reaktion.
„Das heißt nicht, daß wir nicht diskret sein müssen", brummte er und sah sie an.
„Ich werde mit Harry und Ron sprechen", sagte sie und streckte die Hand aus, um seine zu nehmen. Sie lächelte, als er sie ließ. „Ich denke, das Gekicher wird aufhören, wenn ich erwähne, daß du gedroht hast, ihren Nachmittagstee zu vergiften."
„Wehe nicht", sagte er, aber seine Lippen waren leicht nach oben verzogen.
„Also, sag schon, wie lange habt du und Sprout euch schon im Geheimen nach einander verzehrt?" fragte sie spielerisch, um das Thema und die Stimmung zu wechseln. Er ließ ihre Hand mit einem Stirnrunzeln Blick fallen.
„Ich habe Tränke, an denen ich arbeiten muß. Einige von uns haben einen Job, um den sie sich kümmern müssen", sagte er und umging die Frage damit. Sie stand auf und folgte ihm hinüber zur Arbeitsplatte. Er hob ihr Messer auf und machte dort weiter, wo sie aufgehört hatte.
„Wir haben uns schon immer gefragt, warum du nachts in den Fluren rumgelungert hast, aber jetzt ist mir klar, daß du auf dem Weg zu einem Stelldichein im Mondlicht warst", neckte sie. Er blickte von seinen Ingwerwurzeln auf und war ihr einen finsteren Blick zu.
„So klug, wie du bist, sollte man meinen, du wüßtest es besser, als einen Mann zu reizen, der ein Messer in der Hand hat."
„Weißt du, ich werde schrecklich eifersüchtig sein, wenn ich dich das nächste Mal mit ihr reden sehe."
„Raus", befahl er und deutete mit dem Messer auf die Tür. Sie kam näher, streckte sich etwas nach oben und küßte ihn leicht auf die Lippen.
„Ich seh dich später unten zum Tee."
„Ich werde sicherstellen, daß ich mein am schnellsten wirkendes Gift mitbringe. Ein langsameres mag schmerzhafter sein, aber wie ich Potter kenne, würde er nur irgendeinen Weg finden, nicht zu sterben, und er würde es mit Sicherheit melodramatisch machen", sagte er, bevor er sie noch einmal küßte.
„Du bist unverbesserlich", beschuldigte sie ihn und ging zur Tür.
„Du bist unerträglich", rief er ihr nach.
