Kapitel 9
Einfach nur Severus
Severus hatte eine Menge über Hermine nachgedacht, seit er sie das zweite Mal geküßt hatte. Es schien plötzlich real zu sein, viel mehr als vorher, trotz ihrer „Diskussion", wie ihre Beziehung weitergehen sollte. Er glaubte fest daran, daß Taten mächtiger wirkten als Worte, und sie letzte Nacht zu küssen, war seine erste Handlung in Richtung des Unbekannten gewesen, zu dem Abgrund einer Beziehung, die zu vier Kindern in einer Hütte führen würde.
Es war schwer gewesen, sie nicht mehr als nervige Schülerin zu sehen, sondern als die junge Frau, die das Schicksal offensichtlich als seine Zukünftige vorgesehen hatte. Er konnte nicht Ms Granger küssen, eigentlich nicht mal Granger. Und obwohl sie den Übergang von „Professor" zu „Sevie" bewältigt hatte, ohne auch nur bei „Severus" Halt zu machen, hatte er im Gegensatz dazu mehr Probleme damit. Aber das bedeutete nicht, daß er sie nicht küssen wollte. Er wollte nur nicht, daß der Moment durch einen verräterischen Gedanken daran ruiniert wurde, daß sie seine Schülerin war (wenn auch nur eine ehemalige).
Also war er es langsam angegangen. Er hatte Gründe erfunden, weshalb sie mit ihm Labor sein sollte, anstatt mit ihren Freunden zum Verteidigungstraining zu gehen. (Er wußte, daß das für sie später einen Nachteil bedeuten konnte, aber er hoffte, daß sie durch ihre fortgesetzte Unerfahrenheit bei ihm bleiben würde, statt mit ihren kecken Freunden aufs Schlachtfeld zu ziehen.) Er streifte sie absichtlich im Labor und ließ seine Finger etwas länger verweilen, wenn er ihr ein Glas mit Zutaten reichte. Besonders genoß er es, über ihre Schulter zu sehen, während er prüfend in ihren Kessel blickte, und sie damit gewissermaßen an die Arbeitsplatte zu fesseln. Von diesem Aussichtspunkt konnte er den Duft ihrer Haare genießen, wie es seine Nase kitzelte, und die Art, wie sich ihre Atmung beschleunigte, wenn er ihr so nahe war. Als sie begonnen hatte, ihn am Abend, bevor sie das Labor verließ, auf die Wange zu küssen, hatte er gewußt, daß es nur eine Frage der Zeit sein würde, bis er nicht länger würde widerstehen können und sie an sich ziehen und angemessen küssen würde.
Er haßte es, das zuzugeben, aber er begann, sich für dieses Mädchen auf eine Weise zu interessieren, die ihm völlig fremd war. Zuerst hatten ihn ihre Wortgefechte unterhalten. Es hatte ihm Spaß gemacht, sie zu ärgern, nur um ihre Augen blitzen zu sehen und auf ihre geistreiche Antwort zu warten. Er fühlte sich wohl, wenn er mit ihr zusammenarbeitete, aber gleichzeitig blieb eine seltsame Spannung zwischen ihnen. Erschien nicht aufhören zu können, an sie zu denken. Und nach diesem Debakel mit Ms Brown hatte er die ersten Regungen von Lust verspürt. Sie hatten sogar ihren ersten wirklichen Streit überlebt, „wirklich" insofern als es einige angespannte Sekunden gegeben hatte, in denen sie sich beide gefragt hatten, ob sie dem Pfad, den das Schicksal für sie gewählt hatte, weiterhin folgen würden. Sie stritten sich an den meisten Tagen, aber dieser war gefährlich gewesen, der Ausgang unbekannt.
Wie auch immer, dieses idiotische Spiel hatte einmal mehr bewiesen, daß er sie nicht los wurde, ob er wollte oder nicht. Und genau das war sein Problem. Er wußte nicht, ob sie war, was er wollte. Es war lange her, daß er etwas für eine Frau empfunden hatte, er hatte monatelang in diesem fürchterlichen Haus festgesessen, und dieses geistlose Spiel... Das alles hatte viel zu dieser Beziehung beigetragen. Würde sie immer noch Zeit mit ihm verbringen wollen, wenn dieser Krieg vorbei war? Würde er Zeit mit ihr verbringen wollen, wenn schließlich aufgedeckt wurde, daß er kein Todesser sondern ein Held war? Es würde Auszeichnungen geben, Anerkennung, vielleicht ein wenig Geld, und hoffentlich etliche Frauen, die ihm die Tür einrannten, um ihn nach seinem langen Exil und Jahren der Mißhandlung zu trösten. Vielleicht diente diese Beziehung nur als ein Trost in harten Zeiten. Ein Trost, den er jetzt schwerlich aufgeben würde, aber in Zukunft...?
Er schnaubte. Die Vorstellung, daß Frauen ihm die Kleidung vom Leib reißen wollten, nur weil er den Dunklen Lord belogen hatte, war aberwitzig. Er war darin nicht mal besonders gut gewesen, immerhin war er erwischt worden. Das war überhaupt der Grund, weshalb er mit Hermine Zaubertränke herstellen mußte. Und man durfte auch nicht sein knabenhaft gutes Aussehen und seine gewinnende Persönlichkeit vergessen. Aber wenn er so darüber nachdachte, hatte er es gar nicht so schlecht. Er mochte vielleicht keine Legionen von Fans haben, die ihm wie einem Helden zujubelten, aber er hatte eine Person, die ihn für etwas Besonderes hielt. Wenigstens konnte er ihre Gegenwart für mehr als zehn Minuten ertragen, auch wenn er ihr täglich das Gegenteil erzählte.
Erst als ihre idiotischen Freunde Potter und Weasley sie in dem törichten Versuch, „Spaß zu haben", aus dem Hauptquartier gezerrt hatten, begann er jedoch zu verstehen, was das wirklich bedeuten konnte.
Sie waren zurückgekehrt, nachdem sie ohne eine Aufsichtsperson rausgeschlichen waren, um nach Muggel-London zu gehen. Innerhalb von Minuten nachdem sie die Kneipe verlassen hatten, waren sie mit Todessern zusammengestoßen. Weasley war bewußtlos gewesen, Potter hatte blutige Schnittwunden an Rücken und Schultern, und Hermine hatte einen gebrochenen Arm, eine Gehirnerschütterung und unzählige blaue Flecken. Sie waren knapp mit dem Leben davongekommen, und er beabsichtigte, die drei seinen Zorn spüren zu lassen, vor allem Hermine. Sie hatte die Gefahren gekannt, war aber unfähig gewesen, die anderen beiden von ihrem Vorhaben abzubringen, und das Ergebnis war, daß sie im Bett lag, während Severus tobte und schimpfte.
„Von all den dummen, kindischen, schlecht durchdachten, lächerlichen...", brüllte er.
„Wenn du nicht aufhörst, könnte ich anfangen zu glauben, daß du mich nicht magst", sagte sie spielerisch mit kratziger Stimme.
„Ich mag dich nicht", sagte er verstimmt, verärgert über ihre Unterbrechung. Sie sollte sich eigentlich schuldig fühlen, reuig, vielleicht etwas zerknirscht, weil er sie dazu gebracht hatte, vor Besorgnis auf und ab zu laufen, als er festgestellt hatte, daß sie gegangen waren. Sie sollte sich reichlich entschuldigen, ihn um Verzeihung dafür anflehen, daß sie ihn solche Dinge fühlen ließ, dafür, daß er sich sorgte. Er hätte nicht mal etwas gegen ein paar Tränen einzuwenden gehabt, aber hier war sie und flirtete mit ihm!
Sie kaute auf ihrer Lippe und wandte den Blick verletzt von ihm ab. Er hielt inne und sah sie aufmerksam an. Mit diesem einen Blick hatte sie erreicht, daß er sich schuldig fühlte. Was machte sie mit ihm?
„Jedenfalls nicht in diesem Zustand", räumte er ein. Sie drehte sich wieder zu ihm um und sah ihn an.
„Wie magst du mich dann?"
„In einem Stück", sagte er und streckte eine Hand aus, um ihr das Haar aus dem Gesicht zu streichen. „Vorzugsweise sprachlos, obwohl ich sicher bin, daß das nur vorkommt, wenn du schläfst."
„Tja, das ist die einzige Zeit, in der du nicht fies und sarkastisch bist", gab sie mit einem Stirnrunzeln zurück.
„Du mußt dich ausruhen", sagte er grinsend. „Deine Fähigkeit, zusammenhängend zu diskutieren und, was noch wichtiger ist, wie eine Erwachsene, ist sowohl durch deine Verletzungen beeinträchtigt als auch durch dein Beharren, Zeit mit Schwachköpfen wie Potter und Weasley zu verbringen."
„Nenn sie nicht so", widersprach sie schwach.
„Wenn sie aufhören, sich wie Schwachköpfe zu benehmen, werde ich aufhören, sie Schwachköpfe zu nennen. Ihr Verhalten heute abend deutet darauf hin, daß dieser Tag noch in weiter Ferne liegt. Ich fürchte, er wird niemals kommen."
„Es tut mir leid."
„Was? Daß du deine Zeit mit zwei Dummköpfen verbringst, oder daß du mich fies und sarkastisch genannt hast?"
„Daß ich dir Angst gemacht habe", sagte sie.
„Ich hatte keine Angst", beharrte er, vielleicht etwas zu schnell. Er zögerte, sie sehen zu lassen, wieviel sie ihm bedeutete, sie könnte es eines Tages gegen ihn verwenden.
„Natürlich nicht", sagte sie und tätschelte seine Hand. Er riß seine Hand aus ihrem Griff, als sein Ärger mit voller Wucht zurückkehrte. Wie konnte sie es wagen, ihn so gönnerhaft zu behandeln? Was fiel ihr ein, seine Gefühle für sie als selbstverständlich hinzunehmen?
„Gut. Ich hatte Angst. Ist es das, was du hören willst?" sagte er scharf. „Daß ich Angst hatte, daß ich ein Loch in den Teppich gelaufen habe, weil ich so besorgt war, daß ich nicht ohne dich Zaubertränke brauen will, daß ich dich liebe..." Er stoppte. Sie starrte.
„Du liebst mich?" krächzte sie. Da kam er jetzt nicht mehr raus. Die Worte hingen schwer in der Luft.
„Natürlich tue ich das, du lästiger Trottel!" Sie lächelte ihn gelassen an.
„Weißt du, ich liebe dich auch", sagte sie, streckte die Hand aus und legte sie auf seine Wange. Der Knoten in seinem Magen löste sich, als sein Herz flatterte. Sie liebte ihn. Sie LIEBTE ihn. Sie liebte IHN. Er legte seine Hand über ihre, drehte den Kopf und küßte ihre Handfläche. Er würde das wahrscheinlich später bereuen, aber im Moment war ihm das egal.
