Kapitel 6 – Die Aussprache
Es war Abendessenzeit, als Harry das Schloss betrat, weshalb die Eingangshalle menschenleer war. Die Große Halle dagegen war wie immer voller Leben, bereits von außen hörte Harry das Stimmengewirr der Kinder. Er blieb vor der Tür stehen und spähte hinein. Für einen Moment freute er sich aufrichtig, als er Severus am Tisch erblickte. Doch schon im nächsten Augenblick wich die Freude einem Gefühl der Machtlosigkeit, denn ihm war klar, dass es nur eine Frage von Stunden war, bis der schwarzhaarige Zauberer für immer aus seinem Leben verschwinden würde.
Deprimiert ging Harry von der Tür fort. Er hatte keine Lust in einer heiteren Gesellschaft den Ahnungslosen zu spielen. Außerdem hatte er noch etwas zu erledigen. Zielstrebig ging er Richtung Kerker.
„Alohomora!" Die Tür zu den Gemächern des Tränkemeisters öffnete sich geräuschlos und ließ den Zauberer hineingehen. Der junge Mann durchschritt den Raum und blieb vor dem Bücherschrank stehen. Aus seiner Robe holte er ein Buch mit einem goldenen Einband und stellte es auf das Regal, von dem er es vor einem Tag entwendet hatte.
Nun, da diese Arbeit erledigt war, machte Harry sich auf den Weg in seine eigenen Räume, um den Schlaf von letzter Nacht nachzuholen. Doch er hatte kaum die Kerker hinter sich gelassen, als er in einem der engen Gänge auf Severus traf.
Am liebsten hätte er sich unsichtbar gemacht, oder wenigstens umgekehrt, aber beides war unmöglich, den Professor Snape hatte ihn bereits gesehen und kam nun langsam auf ihn zu.
„Hast Du nach mir gesucht?", fragte der Tränkemeister mit einer Stimme, die keine Anspannung verriet und deutete mit dem Kopf auf den Gang hinter Harry, der in die unteren Geschosse des Schlosses führte.
„Nein.", antwortete der einstige Gryffindor wahrheitsgetreu.
„Ich aber nach Dir." Der ältere Mann klang noch immer entspannt.
„Wirklich? Weshalb denn?" Harry stellte enttäuscht fest, dass er seine Stimme nicht so gut kontrollieren konnte, wie Severus.
„Du hast mir angeboten die Wirkung des Tranken auszuprobieren. Er ist bereits seit heute Mittag fertig."
/Wie konnte ich nur so naiv sein? Was erwartete ich zu hören/ „In Ordnung, lass uns Deinen Zaubertrank testen." /Damit Du danach endlich verschwinden kannst., fügte er in Gedanken hinzu.
Beide Männer machten sich auf den vertrauten Weg zu Severus' Arbeitszimmer. Dort angekommen verlor Slytherins Hauslehrer keine Zeit und reichte seinem jungen Begleiter ein Fläschchen mit hellblauer Flüssigkeit. „Trink das."
Harry zögerte kurz, denn er hatte noch nicht gelernt, diesem Mann zu vertrauen. Auf der anderen Seite kannte er dessen intimen Gedanken der letzten 7 ein Halb Jahre. Schließlich trug er das Fläschchen zum Mund und leerte es in einem Zug.
Das
erste was er fühlte, war eine Kälte, die sich in seinem
Ganzen Körper ausbreitete und langsam seinem Geist umschloss.
Danach wurde sein Atem flacher und er merkte, wie sein Kopf wegen der
geringen Luftzufuhr zu schmerzen begann. Er fühlte sich gar
nicht gut.
"Was war da drin?", krächzte Harry schwach.
Nur verschwommen nahm er wahr, dass der andere Zauberer ihn zu einem
Sessel führe. Zitternd ließ er sich hinein fallen.
„VERITAS" Die Antwort des Tränkemeisters drang durch den Nebel in seinem Kopf durch und plötzlich war das Unwohlsein mit einem Schlag vorbei. Eine Art Wärme breitete sich nun in ihm aus und verdrängte die Kälte. Harry fühlte sich sehr wohl. Das klare Denken war noch nicht wieder vollkommen hergestellt, doch das würde wohl nur eine Frage der Zeit sein.
„Ich hoffe, dass war der unerfreuliche Teil des Tests. Wo ist der Anti-Veritas-Trank?" fragte Harry ungeduldig.
„Ich bringe ihn gleich. Ich wollte nur sicher gehen, dass es Dir gut geht."
Die Besorgnis des anderen war deutlich herauszuhören, doch Harry winkte nur ab. „Als ob Dich das wirklich interessiert."
„Wovon redest Du Harry? Ich fürchte, ich kann Dir nicht folgen."
„Stell Dich doch nicht so blöde an, ich weiß, dass du heute noch weggehen wirst. Und mein Befinden ist Dir vollkommen egal!" /Warum habe ich das gesagt? Weil ich Lust dazu hatte. Das ist total verrückt. Mit sich selbst zu reden ist es auch./
„Harry, nein, dass ist es nicht." Für einen Moment schwieg Severus und sah zu Boden, dann ging er vor Harry auf die Knie und sah fragend in dessen grüne Augen. „Du hast das Tagebuch, nicht wahr? Ich hatte mir eingeredet es nur verlegt zu haben."
„Ich habe es nicht mehr. Es befindet sich bereits wieder in Deinem Schrank." Harry sah auf seine Hände. „Es tut mir leid. Bitte glaube mir."
„Ich glaube Dir, weil Du noch immer unter dem Veritas-Zauber stehst."
„Natürlich!" mit der flachen Hand schlug Harry sich auf die Stirn. „Ich hätte Dir sonst nie erzählt, dass ich dein Büchlein hatte. Was willst Du noch wissen? Los, frag mich. Soll es eine Art Rache werden? Hast Du Dir gedacht, wenn ich soviel über Dich weiß, dann hast Du auch ein Recht auf meine wahren Gedanken? War es dass!"
„Nein. Bitte beruhige Dich. Ich habe darüber nachgedacht, es Dir zu verabreichen. Aber ich habe mich dagegen entschieden. Weil ich Dich nicht aushorchen wollte, sondern mit Dir reden. Glaubst Du es mir?"
„Ich weiß es nicht." Harrys Augen schienen an Severus festzukleben.
„Vielleicht solltest Du dann besser gehen. Ich halte Dich hier nicht fest."
Doch der 25jährige blieb reglos auf dem Sessel sitzen.
„Du willst nicht?" leise Hoffnung schwang in der Frage mit
„Nein." Die Antwort kam ohne Zögern.
„Warum nicht?"
„Weil ich Angst habe Dich nicht wieder zu sehen, wenn ich jetzt gehe."
„Du stehst ja noch immer unter dem Veritas-Zauber. Ich bringe Dir den Gegentrank." Der ältere Mann machte Anstallten aufzustehen, doch ein fester Griff am Arm hinderte ihn daran.
„Ich weiß nicht, ob ich ohne den Zauber mit Dir reden könnte. Es tut weh. Aber Du hast wirklich ein Recht auf meine Gedanken, weil ich deine… kenne... gestohlen habe."
„Bist Du Dir sicher, Harry?"
„Ja, frage, was immer Du willst."
„Wieso hast Du mein Tagebuch mitgenommen?"
„Ich las den letzten Absatz und wollte verstehen, warum Du wegen mir Hogwarts verlassen willst."
„Hast Du es verstanden?" Severus' Blick blieb an seinen Händen haften. Er schaffte es nicht Harry bei dieser Frage in die Augen zu sehen.
„Ich habe es verstanden. Ja." Auch Harrys Blick suchte sich ein neues Ziel und blieb auf einem Landschaftsbild ruhen. „Ich wünschte, Du würdest nicht weggehen."
„Ich kann nicht bleiben. Wie soll ich das hier täglich durchstehen?"
„Mit meiner Hilfe." Harry umschloss mit seinen Händen Severus' Hand und ihre Blicke trafen sich erneut.
„Du…, du kannst mir nicht helfen."
„Ich kann es versuchen.", flüsterte der Junge Mann.
Severus neigte sich ein wenig nach vorne, schloss die Augen und küsste den Mann, den er liebte leicht auf die Lippen.
Harry hatte nicht mal die Zeit es zu begreifen, geschweige den die Augen zu schließen. „Was war das?"
„Verzeih mir, ich wollte wissen wie Du schmeckst, bevor ich …"
Doch Harry wusste bereits, was sein ehemaliger Lehrer ihm sagen wollte „Du willst trotzdem nach Durmstrang?"
„Ja. Ich muss."
„Du willst, wolltest Du sagen."
„Begreife es doch endlich, ich kann nicht weiter so leben wie bisher."
„Ich weiß. Es würde dich zerstören, Tag für Tag in meiner Nähe zu sein. Doch nur, solange Du darauf hoffen würdest, dass ich mal mehr für Dich empfinden könnte als Freundschaft."
„Du hast mein Tagebuch aufmerksam gelesen." So viel Bitterkeit lag in diesen Worten.
"Was ist, wenn Du nicht mehr hoffen würdest?"
„Deine Freundschaft ist viel wert, doch…"
„Psss." Harry legte einen Zeigefinder auf die Lippen des Zauberers. „Davon rede ich nicht. Ich meine, was ist, wenn Du nicht mehr hoffen brauchst?" Langsam nahm Harry den Finger wieder weg, doch bevor Severus zu einer Antwort ansetzen konnte, schloss er die Lippen mit einem Kuss.
Es fühlte sich so anders an, als Frauen zu küssen. Aber trotzdem gut. Es war prickelnd. Und als Harry einige Sätze aus dem Tagebuch einfielen, intensivierte er ohne darüber nachzudenken die liebevolle Berührung. Zögernd begann Severus den Kuss zu erwidern. Ganz vorsichtig liebkosten seine Lippen die des anderen.
Es dauerte einige Minuten eher Harry die Augen öffnete und sich lächelnd zurück in den Sessel lehnte." Das war schön." Hauchte er.
„Spielst Du mit mir?" Slytherins Hauslehrer klang sehr ernst.
„Nein.", erwiderte der ehemalige Gryffindorschüler nicht weniger ernsthaft.
Severus sah den jungen Mann eine Weile wortlos an. Er schien über etwas nachzudenken.
„Veritas-Trank, weißt Du noch? Ich kann nicht lügen."
„Das habe ich nicht vergessen. Ich habe darüber nachgedacht, wie viel Du für mich tatsächlich empfinden kannst."
Harry lächelte nun schon wieder. „Frage mich doch einfach. Was hast Du schon zu verlieren."
Der ältere Professor schüttelte mit dem Kopf. „Ich kann nicht."
„Angst vor der Antwort, Snape?", der jüngere sah ihn herausfordern an.
„Ich habe vor nichts Angst, Potter." Prof. Snape lächelte nun auch. „OK, Du hast gewonnen." Er stand auf und schritt herüber zu seinem Kamin. Harry Potter erhob sich ebenfalls und folge ihm, blieb jedoch einige Schritte hinter dem Tränkemeister stehen. Seine Gedanken schienen immer noch von einem Schleier bedeckt, doch jedes Mal wenn eine Frage gestellt wurde, wurde sein Verstand klar und sein Mund sprach das aus, was sein Gehirn dachte. Was natürlich Dank dem Zauber immer die Wahrheit war. So war es auch dieses Mal, als Severus, der noch immer am Kamin mit dem Rücken zu ihm stand, die Frage aussprach: „Könntest Du Dir vorstellen, mehr für mich zu empfinden als Freundschaft?"
„Ja."
„Könntest Du mich vielleicht lieben?"
„Ja."
Nun drehte sich der Professor doch um. „Kannst Du mich lieben Harry?"
„Ja." Die Antworten kamen von alleine, Harry brauchte darüber nicht nachzudenken. Er betrachtete fasziniert die schwarzen Augen.
„Wieso bist Du Dir so sicher?" Severus verringerte den Abstand um einen Schritt.
„Weil ich bereits dabei bin mich in Dich zu verlieben." Der junge Mann ging ebenfalls einen Schritt dem anderen entgegen.
Der Tränkemeister griff in die Tasche seiner Robe und holte ein weiteres Fläschchen heraus. „Es wir Zeit für den Gegentrank."
„Du hattest es die ganze Zeit bei Dir?" ungläubig sah der 25jährige sich das kleine Gefäß an.
„Es war mir entfallen. Nun nimm es schon."
Unsicher trank Harry den Gegentrank. Das Gefühl des Rausches ließ etwas nach, aber ansonsten passierte gar nichts. „Frage mich etwas. Ich will wissen, ob es gewirkt hat."
„Hast Du Angst vor der Zukunft?"
„Nein." Nachdenklich schob Harry das Fläschchen in seine Robe „Es scheint tatsächlich zu funktionieren."
Severus schloss mit einem Schritt die restliche Entfernung zwischen Ihnen und legte seine Arme fest um den jungen Körper. „Ich habe auch Angst. Aber noch mehr vor einer Zukunft ohne Dich."
Unsicher doch genau so fest erwiderte Harry die Umarmung. „Bedeutet das, dass Du bleibst?", fragte er leise.
Statt einer Antwort bekam er einen leidenschaftlichen Kuss.
ENDE
