„Sie wissen, Sie haben Glück, dass Sie nicht tot sind", sagt McKay, und greift dann schnell nach einem neuen großen Rindenstück, das er von einem sterbenden Baum gerissen hat, und hält es unter Kolyas Mund.

Der Genii antwortet nicht, wofür ihm McKay nicht wirklich böse sein kann- schließlich übergibt er sich gerade.

Als das größtenteils trockene Würgen endlich stoppt, lässt sich Kolya mit einem Stöhnen zurückfallen.

McKay reicht ihm einen Becher Wasser, und der Genii spült seinen Mund aus.

„Also... momentan fühle ich mich nicht so glücklich, Doktor", murmelt der Mann, und McKay verzieht mitfühlend das Gesicht.

Kolya hat eine Gehirnerschütterung, und natürlich haben beide keinerlei Wissen, was jetzt helfen könnte- abgesehen von dem ziemlich Offensichtlichen, nämlich dass Kolya keineswegs aufstehen sollte. Was der Kommandant auch gar nicht versucht hat.

„Ich meine, es hätte auch ein scharfer Splitter sein können", plappert McKay weiter. „Er hätte sich in ihr Gehirn bohren können und-"

Kolya streckt ruckartig eine Hand aus, um McKays Redefluss zu stoppen, doch die Bewegung ist zu schnell, und der Genii stöhnt wieder vor Schmerzen auf.

XXX

Das Messer zuckt durch die warme, unbewegte Luft, und fährt dann mit einem ploppenden Geräusch in die Rinde des Baumes.

McKay schluckt.

Kolya ist die auf die Idee gekommen, McKays Selbstverteidigungsfähigkeiten zu verbessern, was diesen ungemein ängstigt.

„Ich habe nicht vor, Sie zu erstechen, Doktor", sagt Kolya und seufzt. Er zieht das Messer aus der Rinde, und zeigt McKay, der zurückweichen möchte, als der andere Mann dicht bei ihm steht, wie man es hält.

„So"

Er verbessert McKays Stand ein wenig, und dann starten sie den wer weiß wievielten Versuch.

Obwohl, so muss sich McKay zu seiner Überraschung eingestehen, es klappt besser, als er gedacht hat. Okay, es ist nicht so, dass er bisher getroffen hat, aber Kolya scheint nicht unzufrieden zu sein.

Der Genii hat sich von seiner Verletzung erholt, heilte beinahe unnatürlich schnell, aber McKay sagt sich, dass das nur zu erwarten ist von einem Mann, der es überlebt hat, durchs Wurmloch geschossen zu werden.

Seit er wieder stehen und gehen kann, benimmt er sich irgendwie... anderes. Reden tut er immer noch nicht mehr als unbedingt notwendig, aber jetzt benimmt er sich öfter merkwürdig... distanziert, und McKay hat den Genii schon mindestens zwei Mal dabei ertappt, dass er ihn anstarrte. Weder wütend, noch... okay, daran möchte McKay lieber gar nicht denken- nein, einfach nur ernst und nachdenklich.

Was McKay natürlich nicht wenig beunruhigt.

Oder zum Beispiel diese Messer- Sache. McKay ist sich beinahe sicher, dass Kolya glaubt, er tue ihm, McKay, damit einen Gefallen- nun gut, wenn man genauer darüber nachdenkt, tut er das auch- aber es verwundert ihn doch nicht wenig, dass der Kommandant ihm einen Gefallen tun will.

Doktor"

Oh. Natürlich.

Er holt aus, und diesmal ist der Wurf perfekt.

Das Messer zittert in der Rinde, und als Kolya es rauszieht, sieht er beinahe vergnügt aus.

XXX

Die nächsten Tage sind ereignislos. McKay hat, als er die Pegasusgalaxie betreten hat, Ereignislosigkeit zu schätzen gelernt, doch hier lernt er sie lieben.

Es ist weder zu warm, noch zu kalt, sie müssen nicht hungern. Es könnte eigentlich sogar ganz nett sein, wenn er statt Kolya einen etwas sympathischeren Kameraden hätte.

Oh, Gott. Hat er gerade von dem Genii als einen Kameraden gedacht?

Er wirft Kolya, der an seiner Seite geht, einen raschen Blick zu. Der Mann ist wesentlich schlanker, als ihn McKay je gesehen hat. Seine Haare sind ein Stück zu lang und sehr ungekämmt, glatt rasiert ist kaum einer mal von ihnen. Auch McKay hat abgenommen, so stark, dass er einen Streifen der Decke abschneiden musste, und sich einen Gürtel daraus gemacht hat.

Er nimmt die Angel in die andere Hand.

Sie sind unterwegs zum Fluss, es ist früher Nachmittag, und der Himmel ist wolkenlos.

Die Katastrophe kommt aus dem Blauen.

Auch diesmal realisiert es McKay zuerst nicht, sieht die Büsche am gegenüberliegenden Flussufer wanken und schütteln, sieht, wie das Flusswasser in Strudeln tost, spürt dann, wie der Grund unter seinen Füßen zu tanzen beginnt-

Kolya ruft irgendwas, verliert den Halt, genau McKay.

Es grollt. Die Erde schüttelt sich, und McKay versucht aufzustehen, er will irgendwohin, egal wo, hauptsache weg, doch das Zittern wirft ihn zu Boden. Etwas splittert und kracht, und ein Teil von McKay schreit: Bleib auf der Wiese, bleib auf der offenen Wiese-

Es ist tausendmal schlimmer als das letzte Mal, es hört nicht auf, es wird nie aufhören, er wird sterben-

Fäulnisgeruch steigt auf. Die Erde windet sich immer noch in Zuckungen, das Grollen wird immer lauter, und ebbt dann langsam, langsam ab.

Der Grund zittert nur noch mäßig, das Beben schwindet.

McKay liegt zusammengekrümmt auf dem Boden, Hände auf den Ohren. Er wagt nicht, sich zu rühren. In seinen Ohren rauscht es, während sein Herz rast.

Oh Gott oh Gott oh Gott...

„McKay!"

Unbarmherzige Hände zerren seine Arme auseinander.

„Sind Sie in Ordnung?"

Sind Sie in Ordnung? Was war das denn für eine idiotische Frage!

„Sehe ich so aus?", ruft McKay, doch es kommt mehr wie ein Schluchzen heraus.

„Kommen Sie", sagt Kolya, und zieht McKay auf die Füße, der beinahe sofort wieder umkippt.

„Was zum-?"

Wasser umspült seine Schuhe. Das Flussbett ist genauso geschüttelt worden wie die Wiese, der vorher so flache und klare Strom ist nun ein Gewirr aus schlammigen Strudeln und Ästen.

McKay erkennt den Fluss, der seine Richtung verändert hat, nicht wieder.

Er sieht Kolya an, wartet, ohne es zu bemerken, auf etwas, irgendwas, eine Erklärung- doch der Genii ist genauso hilflos wie er.

„Wir müssen hier weg", wiederholt er, packt McKay am Arm, und zieht ihn mit sich fort.

XXX

Gehen ist schwierig. Gehen schmerzt. Der Boden ist so unregelmäßig, und sein einer Knöchel sticht bei jedem Schritt.

Gott, was ist mit der Wiese passiert?

Jede Sekunde lehnt sich McKay mehr auf Kolya. Er sieht nicht auf, und schließlich lässt ihn der andere Mann zu Boden sinken.

McKay hört Kolya etwas murmeln, und als er aufsieht, weicht alle Farbe aus seinem Gesicht. Er kämpft sich auf die Füße.

Was zum- ?"

Seine Stimme kommt nur noch als Quieken heraus. Kolya steht stumm da, Arme schlaff herab hängend.

Die Höhle ist verschwunden. Sie ist weg!

Wo einst ihr Nachtlager, ihr Schutz, ihr Zuhause war, ist jetzt nichts, außer abgesackter Wiese, und gurgelndem braunen Wasser.