Kapitel 2

Dumbledores Informant

Es war dunkel.

Nur das bläulich wabernde Licht aus dem kleinen Steingefäß erleuchtete das Gesicht des Mannes, der sich auf den Inhalt des Gefäßes konzentrierte. Er fuhr mit zwei Fingern unter die halbmondförmigen Gläser seiner Brille und rieb sich die Augen.

Er saß nun schon eine Weile hier und besah sich Gedankenfetzen und Bilder längst vergangener Tage und jüngerer Ereignisse und wusste: die Antwort war hier zu finden. Aber er sah sie einfach noch nicht. Manchmal dauerte es nur Minuten, bis er eine Lösung fand, manchmal Wochen. Aber er war sich sicher, irgendwann würde er sie finden.

Er brauchte nur Geduld.

Doch in bösen Zeiten wie diesen war Geduld eine äußerst begrenzte Tugend und auch ihn verschonte der Zeitdruck nicht. Er atmete durch und wollte eben wieder in sein Denkarium schauen, als Fawkes zu ihm auf den Schreibtisch geflogen kam und ihn anstieß.

"Ja, du hast Recht, mein Freund. Etwas zur falschen Zeit erzwingen zu wollen, verdirbt meist alles."

Seufzend schob er das Denkarium beiseite und hatte freie Sicht auf einen kleinen, unscheinbaren Gegenstand dahinter. Es war eine kleine Phiole mit undefinierbarer Flüssigkeit darin, die meistens kristallklar war. Doch jetzt leuchtete sie Rubinrot. Dumbledore war sofort voll konzentriert.

Rot bedeutete nichts Gutes.

Er nahm einen merkwürdig schillernden Umhang von der Wand, griff sich seinen altmodischen, aber mit wunderschönen Schnitzereien versehenen Besen von der Wand, öffnete das Fenster. Er warf sich im starten den Umhang über und war gleich darauf verschwunden. Unsichtbar flog er durch die kühle Nachtluft, nur begleitet von Fawkes, der hoch über ihm seine Runden flog und jegliche Gefahr sofort melden würde. Bald würde er den vereinbarten Treffpunkt erreicht haben.

Den Punkt, an dem sein Informant mit was auch immer für eiligen Nachrichten auf ihn wartete. Dort hinten war es, eine dunkle Häuserecke wie es sie in der Millionenstadt London ungezählt gab. Nur er und sein Informant wussten, welche Ecke es war. Er begann den Sinkflug und tatsächlich, dort im Halbdunkel erkannte er eine hagere Gestalt in unverkennbarer Haltung.

Severus Snape.

Auf äußerste angespannt hatte er auf das Eintreffen des älteren Mannes gewartet. Wie jedes Mal war es auch diesmal ein riskantes Unterfangen, sich mit Dumbledore zu treffen und Snape hatte alle Vorkehrungen getroffen und selbst angesichts dieser wichtigen Nachricht auf den passenden Zeitpunkt gewartet.

Und die fieberhafte Suche nach einem Abtrünnigen war ein perfekter Zeitpunkt. Die mordlüsternen Anhänger Voldemorts vermuteten auch ihn auf der Suche nach dem Verräter und so konnte er sich – in angemessenem Rahmen – frei bewegen. Erst Dumbledores Eintreffen veranlasste Snape, aus dem Halbdunkeln zu treten. Ohne große Vorrede und mit hellwachem, ständig umherschweifendem Blick kam er sofort zur Sache.

„Es gibt einen Verräter in Ihren Reihen Dumbledore," sagte er mit gesenkter Stimme. „Sie müssen sofort handeln." Snape war noch nie ein Mensch vieler Worte gewesen, aber aufgrund der Dringlichkeit der Angelegenheit beschränkte er sich auf das wesentlichste, ohne jedoch dabei respektlos zu werden.

"Wer?"

Dumbledore war aufs Äußerste alarmiert. Das Snape ihn nicht ohne Grund gerufen hatte, war ihm sofort klar, doch dass er ihm einen Verräter präsentieren würde, darauf war der Schulleiter nicht vorbereitet gewesen. Selbst wenn er die Vermutung schon lange hegte.

Zu viel war schief gegangen und zu viele gut vorbereitete Aktionen erfolglos gewesen. Zu viele ihrer Mitstreiter waren quasi ins offene Messer gelaufen, ohne ersichtlichen Grund.

Endlich nun sollte er erfahren, wer ihnen das angetan hatte. Er fasste Snape am Arm und sah ihn eindringlich an. "Wer, Severus? Sagen sie es mir." Der irritierte Blick seines Gegenübers veranlasste Dumbledore, Snape sofort loszulassen. Doch den Blick änderte er nicht.

Dass seine Information von äußerster Wichtigkeit war, war Snape klar gewesen. Dass Dumbledore interessiert reagieren würde auch. Aber die heftige Reaktion des älteren Mannes machte ihn etwas nervös. Vielleicht hatte er zu vorschnell gehandelt, vielleicht hätte er weitere Nachforschungen betreiben sollen. Schnell wurde jedoch die aufkommende Nervosität wieder abgelöst von seiner normalen, sachlichen Denkweise. Sicher, er hatte einen Verdacht, aber es gab mehrere Gründe, diesen nicht vor dem Schulleiter zu äußern. Nicht bevor es wirklich erwiesen war...

"Ein Name ist nicht gefallen," sagte er daher und die Enttäuschung spiegelte sich in Dumbledores Augen wider. "Aber er muss in engem Kontakt mit Potter stehen."

"Sie müssen doch einen Verdacht haben, wer es ist, Severus."

Dumbledore konnte seine Enttäuschung nicht verbergen. Zu sehr hatte er gehofft, es würde endlich ein Ende haben.

Im engen Kontakt zu den Potters...

Da kamen einige in Frage. Dennoch… wirklich enge Kontakte hatten die Potters Momentan nur sehr wenige. Einfach deswegen, weil sie nicht mehr wussten, wem man trauen konnte. Sie und die Longbottoms hatten beschlossen, sich so gut wie möglich zurückzuziehen, schon um die beiden Jungen aus den Konflikten herauszuhalten. Denn beide Paare, sowohl James und Lily Potter als auch Frank und Alice Longbottom standen auf der Abschussliste ganz oben. Immerhin hatten es alle vier mehrfach geschafft, Voldemort und seinen Häschern nur knapp zu entkommen. Also wer konnte es sein, der den Potters immer noch nahe stand?

Snapes Blick löste sich von Dumbledore und wieder schien er die enge Gasse nach Zeichen von ungewollten Zuhörern abzusuchen.

"Sie wissen, wie ich zu Potter und seinen Freunden stehe, aber die Zeit drängt und durch diesen neuen Verbündeten sind die Potters in noch größere Gefahr gekommen. Sie... wir haben nur etwas Zeit bekommen, weil es auch auf unserer Seite einen Abtrünnigen gibt, auf dessen Suche sich nun alle begeben." Aus irgendeinem Grunde hatte Snape ein schlechtes Gefühl dabei, Dumbledore seinen Verdacht mitzuteilen. Zu sehr war der Konflikt zwischen ihm und dem betreffenden eskaliert und er konnte und wollte es nicht riskieren, dass Dumbledore ihm nicht mehr vertraute. Aber wenn er es geschickt anstellte, kam er vielleicht von selbst darauf.

"Es hat uns alle erstaunt, aber auch Regulus Black hat sich anders entschieden und will aussteigen..."

War es Zufall, dass dieser Name jetzt fiel?

Dumbledores Hirn arbeitete auf Hochtouren. Hatte Snape etwa Sirius in Verdacht, wegen seines Todesserbruders? Oder war gar ihr Verhältnis ein willkommener Anlass für eine solche Äußerung.

Dumbledore wischte den Gedanken beiseite. Er wollte nicht denen misstrauen, die ihm treu ergeben waren. Und Sirius WAR ihm treu zur Seite gestanden. Das ließ sich nicht leugnen. Aber vielmehr interessierte ihn die Tatsache, das Regulus den Todessern abgeschworen hatte.

Warum?

Was konnte geschehen sein? Und was würde noch geschehen?

"Wissen sie, was passiert ist Severus? Warum hat der junge Black die Todesser verlassen? Vielleicht gibt es einen Zusammenhang oder wir können daraus wertvolle Informationen für uns ableiten."

"Entgegen seiner Vorstellung liefen die Dinge bei den Todessern wohl etwas... anders ab." Für einen kurzen Moment schienen die dunklen Augen Snapes aufzublitzen.

"Er kam mit den Gepflogenheiten nicht mehr klar, wie es scheint. Allerdings war er nicht clever genug, sich nach Alternativen umzusehen, die sein Überleben sichern. Und nun suchen sie ihn. Warum die Suche allerdings plötzlich vorrangig geworden ist, weiß ich nicht." Er zuckte mit den Schultern. "Aber vielleicht haben Sie da ihren Zusammenhang."

Insgeheim bedauerte er, sich nicht weiter mit Regulus befasst zu haben, denn vielleicht wäre er wirklich ein wichtiger Informant gewesen. Vor allem, wenn sein Verdacht stimmte - woran Snape nicht einen Moment zweifelte.

"Ich denke, dass er für uns nützlich sein könnte, und da ich selbst an der Suche beteiligt bin..."

Dumbledore tat, als habe er Snapes Bemerkung überhört.

Dennoch begann der Gedanke in ihm zu nagen. Black. Aber sie hatten sich nie verstanden und Sirius hatte seiner ganzen Familie den Rücken gekehrt, als er alt genug war, diese Entscheidung zu treffen.

Nein, er konnte und wollte es nicht glauben. Dennoch verschwand der Gedanke nicht mehr aus seinem Kopf.

"Es wird Zeit, dass sie zurückgehen, Severus. Man wird sie sonst vielleicht vermissen und das können wir nicht riskieren." Ob Snape mehr wusste oder nicht, Dumbledore würde es hier und jetzt nicht erfahren. Das wusste er.

"Versuchen sie, herauszufinden, warum Regulus so wichtig ist. Und sollten sie einen Hinweis erhalten, wo er sich aufhält, geben sie uns eine Vorlaufzeit. Vielleicht ist der Junge der Schlüssel, nach dem wir so lange schon suchen."

Er bestieg seinen Besen, doch bevor er sich abstieß sah er Snape noch einmal mit seinen durchdringend blauen Augen an.

"Und Severus...seien sie vorsichtig."

Ohne eine Antwort abzuwarten erhob er sich in die Lüfte und ließ einen merkwürdig berührten Snape zurück

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