Rätsel

Als es ein paar Stunden später bereits dämmerte, stand Legolas schon wieder auf den Beinen, versorgte die Pferde, sattelte und belud sie. Sie mussten sich beeilen. Der jungen Frau - wie sie wohl hieß? - ging es nicht gut. Sie hatte hohes Fieber. Sie brauchte dringend Elronds Hilfe.

Bestimmt rüttelte er Gimli aus seinen Träumen. "Mein Freund, es tut mir leid dich wecken zu müssen, aber wir müssen uns beeilen. Es geht ihr schlechter."

Leise grummelte dieser in seinen Bart, als er sich schwerfällig erhob. Legolas lächelte. Er kannte den Zwerg inzwischen so gut, dass er genau wusste, dass dieser nicht böse auf ihn war. Im Gegenteil. Auch er machte sich Sorgen um die junge Frau.

Schon wenige Minuten später, waren sie bereit. Legolas setzte das zierliche Mädchen wieder vor sich, und hielt sie behutsam, aber im festen Griff. Das Fieber stieg besorgniserregend an. Ihre Stirn glühte, und sie war nass von kaltem Schweiß. Zum Glück schlief sie oder war immer noch bewusstlos. Nur kurz flatterten ihre Lider auf, als Gimli sie vorsichtig in Legolas Arme legte, und sie vor sich auf Askar setzte. Legolas sah wieder diese ungewöhnliche Augenfarbe.

Freundlich lächelte er sie an, und sie versuchte zurückzulächeln, doch ihre Augen schlossen sich wieder erschöpft. Der Elb warf seinem Freund einen besorgten Blick zu. "Wir müssen uns beeilen." sagte er und der Zwerg nickte zustimmend. Dann trieb er sein weißes Elbenpferd an. "Noro lim! Noro lim, Askar!" (1)

Eilig ritten sie los. Askar merkte, welch empfindliche und verletzte Last er zu tragen hatte, und setzte seine Schritte vorsichtig.

°°°°°

Einige Stunden später erreichten sie endlich das Tal, welches von vielen wunderschönen Wasserfällen, Flüssen und vielen grünen Bäumen umsäumt war.

Schon oft waren Gimli und Legolas hier gewesen, doch jedes Mal wieder, hüpfte ihr Herz bei diesem Anblick ein Stückchen höher. Jeder, der Imladris besuchte, merkte, welch ein Ort des Friedens dies war. Die Zeit schien hier anders zu laufen, und die friedliche und heimische Stimmung, und die atemberaubende Schönheit dieses Tales besänftige fast jedes Gemüt.
Dies war der Zauber Vilyas, des Ringes der Luft, einer der drei mächtigen Elbenringe, die niemals von Saurons Hand berührt worden waren. Doch die Macht der Drei war mit der Zerstörung des Einen Ringes gebrochen worden. Alle Bewohner Bruchtals wussten, dass der Zauber, der diesen Ort umgab, nicht mehr lange anhalten würde.

Diesmal war keine Zeit, den wunderschönen Anblick zu genießen und um langsam zu dem prächtigen Haus zu reiten. Noch im vollen Galopp ritten sie auf das Anwesen Lord Elronds zu. Legolas stoppte Askar sanft, sprang leichtfüßig von ihm ab, und nahm die verletzte Frau behutsam in seine Arme. Ihr vom Fieber gerötetes Gesicht lehnte kraftlos an seiner Schulter. Ihre Augen waren fest geschlossen.

Schon kam Elrond, ein Elb mit langen braunen Haaren, und Herr über Bruchtal, ihnen entgegen. Seine scharfen Elbenaugen hatten seinen Besuch schon früh erkannt, und auch, dass sie ungewöhnlich schnell ritten, denn normalerweise genoss jeder seiner Besucher den Weg bis zu seinem Haus in einem langsamen Tempo.

"Legolas, man agorech?" (2) fragte der Hausherr.
"Ich weiß es nicht." antwortete dieser ihm. "Wir fanden sie schwer verletzt mitten im Wald."
"Bing sie herein. Gilwen, Merodeth, bringt mir warmes Wasser, Verbände und die Kräutersalben!" rief er an zwei junge Elben.

Die Frau im Arm, die leise stöhnte, folgte er Elrond in einen hellen Raum, und legte sie dort vorsichtig auf ein großes Bett. Sanft strich er ihr eine verschwitzte, blonde Strähne aus dem Gesicht und wandte sich dann an Elrond. "Kannst du ihr helfen?" "Ich werde mein Möglichstes versuchen. Du und Gimli solltet euch in der Zeit etwas ausruhen." sagte der Elb nach einem prüfenden Blick auf die beiden Gefährten. "Nehmt ein Bad und ruht euch aus. Im Moment könnt ihr nichts tun." Bestimmt zeigte Elrond auf die Tür, durch die gerade die beiden Elbenmädchen mit Wasser und Tüchern kamen.

Gimli sah Legolas an und zuckte mit seinen stämmigen Schultern. Ja, im Moment konnten sie wirklich nichts tun. Er wusste, sie war bei Elrond in den besten Händen und dieser konnte ihr auch helfen, dessen war er sich sicher.
Zögernd verließ er das Krankenzimmer, und ging mit Gimli zu ihren Gemächern, die Tür an Tür lagen. Ja, ein Bad wäre jetzt gut. Auch wenn Elben nicht wirklich schmutzig wurden, würde ein heißes Bad seine verspannten Muskeln ein wenig lockern. Und Gimli hatte ein reinigendes Bad wirklich dringend nötig!

Er betrat sein Gemach und atmete tief durch. Er sah sich um. Das Zimmer sah aus wie immer. Die Bücher, die er gelesen hatte lagen noch auf der Kommode, daneben stand ein frischer Strauß Blumen, so als wenn Elrond ihn heute erwartet hätte.

Er musste Lächeln. Der Elb, den er schon seit über zweitausend Jahren kannte musste gespürt haben, dass Gimli und er auf dem Weg nach Bruchtal waren.
Er ging ins Bad. Heißes Wasser dampfte bereits in dem Zuber, und es roch herrlich intensiv nach dem Badeöl, welches Elrond aus Blüten und Kräutern selbst herstellte.

Schnell entledigte er sich seiner Kleidung. Mit einem wohligen Seufzer lehnte er sich in dem warmen Wasser zurück. Seine Muskeln entspannten sich.
Wie immer fühlte er sich wohl in Imladris. Schon oft war er hier gewesen und es war fast, als wenn er nach Hause kommen würde - aber eben nur fast.

°°°°°

Elrond legte besorgt die Stirn in Falten. Das Mädchen war sehr schwer verletzt. Sie wurde von ihren merkwürdigen Gewändern befreit, und die Frauen wuschen sorgsam ihren geschundenen Körper.

Die große blaue Stelle an ihren Rippen sagt ihm, dass diese zumindest angebrochen sein müssten. Danach sah er sich den verletzten Arm an und lächelte. Legolas hatte ihn gut versorgt und verbunden. Auch die Kopfwunde war mit den richtigen Kräutern behandelt worden, die eine schnelle Heilung versprachen.

Sorgen machte er sich jedoch über das hohe Fieber. Er konnte nicht erkennen, warum sie es hatte. Ihre Verletzungen wiesen nicht auf eine schlimme Entzündung hin, die ein solches Fieber mit sich bringen würde.

Er sah sie einen Moment an. Dann schloss er die Augen, konzentrierte sich, und hielt seine Hände über ihren Körper. Er war ein Heiler und konnte Verletzungen und ihre Herde durch seine Hände spüren. Doch das, was er jetzt spürte, verwirrte ihn. Er fühlte einen leichten Schmerz an ihrem Kopf, wo die verbundene Wunde war. Außerdem in ihrem gebrochenen Arm und auch an den rechten Rippenbögen. Doch als seine Hände über ihr Herz fuhren, durchfuhr ihn ein heftiger Schmerz.

Er öffnete seine grauen Augen und musterte prüfend die schlafende Frau. Dort hatte sie keine offensichtliche Verletzung. Es war kein physischer Schmerz gewesen den er gefühlt hatte. Etwas Schlimmes, schlimmer noch als das, was ihren Körper verletzt hatte, musste der jungen Frau widerfahren sein. Kam daher das hohe Fieber? Elrond wusste in diesem Moment keine Antwort darauf. Er hatte zwar schon viele Elben, Zwerge und Menschen geheilt, doch etwas Vergleichbares hatte er noch nie gespürt.

Nach zwei Stunden, in denen er sich intensiv um die Versorgung und Heilung ihrer Wunden gekümmert hatte, traf er Legolas und Gimli in der Bibliothek an. Sie waren sauber und hatten frische Kleidung angezogen. Sie sahen ihn fragend an.

"Ihre Wunden werden heilen." sagte er und die beiden atmeten beruhigt aus. "Könnt ihr mir irgendetwas über sie sagen?"
Mit schüttelnden Köpfen verneinten sie diese Frage. Legolas erzählte ihm alles von ihrem Auffinden.

"Weißt du, was für Gewänder sie anhatte? Ich habe derartiges noch nie in Mittelerde gesehen." sagte der Zwerg.

Elrond schüttelte nachdenklich den Kopf. "Ich auch nicht, Gimli. Ich lasse diese Kleidung waschen und hebe sie für sie auf."

"Ich hoffe sie wird bald wach, und kann uns erzählen, was mit ihr geschehen ist." meinte Legolas. Gimli und Elrond nickten zustimmend.

Sie blieb ein Rätsel. Auch für Elrond, der sich genauso wenig einen Reim über sie machen konnte.

°°°°°

(1) Laufe schell! Laufe schnell, Askar
(2) Legolas, was ist geschehen?