Gedichte
Den nächsten Tag schlief Mel fast ganz durch. Nur kurz wurde sie wach, als Elrond nach ihren Verletzungen sah, und ihre Verbände wechselte.
Gütig sah der Elb sie an. Mel ahnte, dass dieser Mann ihr helfen wollte. Sie betrachtete ihn neugierig. Elronds Gesicht war zeitlos, weder alt noch jung. Lange, braune Haare fielen ihm auf die Schultern, doch einige Strähnen waren geflochten, und um seinen Kopf hatte er einen silbernen Reif, der schön verziert war. Seine grauen Augen blickten sie aufmerksam an, und sie hatte das Gefühl, das er in ihren Augen lesen konnte. Milde lächelte er sie an, und schwach erwiderte sie das Lächeln.
Sie
hatte immer noch hohes Fieber, und Elrond legte besorgt seine Stirn
in Falten. Er überlegte, wie er ihr helfen könnte, doch ihm
wollte nichts einfallen. Bei diesem Fieber, welches aus ihrem Herzen
kam, war seine Heilkunst an die Grenzen gestoßen.
Er flößte
ihr noch etwas von dem Kräutertrunk ein, und schaffte es, dass
sie ein paar Löffel einer starken Brühe zu sich nahm.
Sie wirkte verstört. Alles schien ihr fremd zu sein und der Elb spürte ihre Furcht. Tröstend sprach er auf sie ein, legte eine Hand auf ihre heiße Stirn, und ließ eine beruhigende Energie in ihren Körper fließen. Er sah ihr tief in die Augen. "Schlaft nun." flüsterte er, und erschöpft schlossen sich ihre Lider.
Er saß noch eine Weile an
ihrem Bett. Ratlos betrachtete er sie. Sie sah aus, wie eine
gewöhnliche Menschenfrau, doch er hatte das Gefühl, das sie
alles andere als gewöhnlich war. Warum, konnte jedoch nicht
sagen.
Ungewöhnlich war aber in jedem Fall ihre Augenfarbe.
Einen Moment hatte er in ihren Augen lesen können, doch dort
hatte er außer Furcht und Verwirrung leider nichts erkennen
können. Doch er war sich sicher, noch nie ein solch intensives
Grün gesehen zu haben. Sicherlich gab es Elben, Menschen und
Zwerge mit grünen Augen, was jedoch selten war. Aber dieses Grün
war etwas Besonderes.
Nachdenklich schüttelte er den
Kopf. Das Gefühl, ihr hilflos zusehen zu müssen, gefiel ihm
nicht, doch im Moment konnte auch er nichts anderes tun, als ihre
offensichtlichen Wunden zu versorgen, und zu versuchen, sie so gut
wie möglich wieder zu Kräften zu bringen.
Sie schlief
jetzt und ihr Atem ging ruhig.
Leise klopfte es an der Tür,
und Legolas trat lautlos herein.
"Wie geht es ihr?"
fragte er Elrond.
"Unverändert, fürchte ich."
sagte er. Dann stand er auf. "Ich werde noch einen Kräutertrunk
ansetzen, der hoffentlich das Fieber senken wird."
Aufmerksam
betrachtete der den jungen Elben. "Bleibe bei ihr. Wenn sie
aufwacht, ist es gut, wenn jemand bei ihr ist."
Legolas nickte. Dann warf er wieder einen besorgten Blick auf die Frau, und setzte sich an ihre Seite. "Ja, ich bleibe hier. Vielleicht kann ich hier ein wenig nachdenken." sagte er.
"Du solltest bald eine Entscheidung treffen, mellon nîn." sagte Elrond und legte ihm eine Hand auf die Schulter.
Legolas nickte. "Ich weiß, mein Freund. Nur sollte diese Entscheidung gut durchdacht sein, denn sie betrifft mein ganzes weiteres Leben." Elrond sah ihn einen Moment an. Dann nickte er, und verließ leise den Raum.
°°°°°
Legolas
verbrachte viel Zeit an dem Bett der jungen Frau, während sie
schlief. Er fühlte sich für sie verantwortlich. Schließlich
hatte er sie gefunden. Außerdem hatte er so viele Fragen. Sie
war so rätselhaft. Alles an ihr.
Während er an ihrem
Bett saß, nutzte er die Zeit, um seinen Gedanken nachzugehen.
Er wusste immer noch nicht, wie er weiter vorgehen sollte, wie seine
Zukunft aussehen würde. Sollte er in Mittelerde bleiben oder
seinen Sehnsüchten nachgeben - so oder so. Er musste bald mit
seinem Vater reden.
Er überlegte. Jahre hatte er ihn nicht gesehen, nur einmal, kurz nach dem Ende des Ringkrieges. Es war eine merkwürdige und befangene Begegnung mit seinem Vater gewesen, dem König des Waldelbenreiches. Nur kurz hatte er Stolz in seinen Augen sehen können. Stolz auf den Sohn, der einer der Gefährten gewesen ist, die geholfen haben den Ring zu zerstören und damit auch Sauron endgültig zu vernichten. Ansonsten war das Treffen sehr kühl gewesen. Lange hat Legolas es dort nicht ausgehalten. Er fühlte sich eingesperrt, konnte nicht so sein, wie er wirklich war, sondern spielte den Elben, den sein Vater gerne in ihm sehen wollte. Das war aber nicht er. Zu sehr schlug er nach seiner Mutter.
Seine Gedanken wanderten weiter in die Vergangenheit, kurz bevor der Ringkrieg mit seiner ganzen schrecklichen Macht zugeschlagen hatte. Er rief sich die Begegnung mit Gandalf dem Weißen zurück ins Gedächtnis. Gimli, Aragorn und er waren damals auf der Suche nach Merry und Pippin, den Hobbits, die von Sarumans Uruk-hais entführt worden waren. Kurz davor hatten sie Boromirs toten Körper dem Anduin überlassen. Sie waren zum Rande des Fangorn-Waldes gekommen, als sie auf die verbrannten und verkohlten Überreste der Orks gestoßen waren. Éomer und die Reiter der Rohirrim hatten sie erschlagen.
In Hoffnung die beiden Hobbits im Wald zu finden, gingen sie hinein. Damals schon war er fasziniert gewesen von dem Alter des Waldes und den Stimmen der Bäume. Dort trafen sie auf Gandalf, den sie für tot gehalten hatten, nachdem er in den Minen Morias durch den Balrog in den Schatten gestürzt war. Er hatte es überlebt, und war noch weiser und mächtiger als zuvor, als er noch der graue Pilger gewesen war. Gandalf hatte ihnen Botschaften aus Lórien mitgebracht, von Galadriel, der Herrin des Goldenen Waldes.
"Legolas Grünblatt, Ihr lebtet
bisher
Im Wald voller Freude. Meidet das Meer!
Habt Ihr einmal
das Schreien der Möwen gehört,
Ist der Friede der Bäume
für Euch zerstört."
Das war ihre Nachricht für
ihn gewesen. Damals wusste er noch nicht, wie sehr ihre Worte sich
bewahrheiten würden.
Aragorn, Gimli und er waren, nachdem sie
den Pfad der Toten verlassen hatten, ans Meer geeilt, um dort den
Schwarzen Schiffen der Corsaren aufzulauern. Dort hatte er sie
gehört, die Möwen. Und er hatte das wunderschöne Meer
gesehen, wie es glitzerte und funkelte in der Sonne. Von dem Tage an
zerfraß die Sehnsucht nach dem Meer sein Herz.
Schon von Anbeginn der Eldar, wie die ersten Elben genannt wurden, spielte das Meer eine wichtige Rolle in ihrem Leben. Denn das Herz eines jeden Elben sehnte sich nach Valinor. Und dieses wundervolle Land, in welchem jedes Lebewesen, ob Tier oder Pflanze, unsterblich war, lag westlich, weit über dem großen Ozean.
Wie schön es doch wäre, wenn er jemanden an seiner Seite hätte. Jemand der ihm in dieser Zeit beistehen könnte. Jemand mit dem ihm eine Entscheidung leichter fallen würde...
Blicklos wanderten seine Augen durch das Krankenzimmer - und blieben an Mel hängen. Er lächelte. Sie sah so friedlich aus. So kindlich. Wie alt mochte sie sein? Sie war ein Mensch, so viel stand fest. Dann würde sie wahrscheinlich ungefähr zwanzig Jahre sein. Manchmal wünschte er sich auch als Mensch in Mittelerde zu leben, denn diese waren nicht unsterblich. Er würde altern - und sterben.
Zumindest würde er sich wünschen kein Königssohn zu sein. Ein einfacher Jäger hätte es doch auch getan. Er fühlte sich doch eigentlich gar nicht reif genug, um ein ganzes Volk zu leiten. Würde er es jemals sein? Diese Frage beschäftige ihn gerade, als die junge Frau im Bett wieder unruhig wurde. Ihre Stirn legte sich in Falten und ihr Atem beschleunigte sich, und kam keuchend aus ihrer Lunge. Sie hatte wieder einen Alptraum.
"Nein, ich will nicht! Warum machst du das?" Ihr Gesicht war verzerrt. Ihre Augen bewegten sich unter den geschlossenen Lidern hektisch.
"Mel, alles ist gut, ich bin bei Euch." flüsterte er ihr leise ins Ohr.
"Marc, nein... da, das Licht, nein!" Unruhig warf sie ihren Kopf hin und her.
Legolas rückte noch näher an sie, und nahm ihre kleine, kalte Hand. Mit der anderen strich er ihr sanft über das Gesicht und versuchte sie mit elbischen Wörtern zu beruhigen. Er dachte nicht darüber nach, was er sagte. Er sagte einfach das erste, was ihm in den Sinn kam:
"Ir ithil ammen Eruchín
menel-vîr
síla díriel
si loth a galadh lasto dîn
ar
Hîr Annûn Gilthoniel
le linnon im Tinúviel."
Während
er leise auf sie einredete, wurde sie ruhiger. Ihr Atem wurde
langsamer, ihre Lider flatterten, und schließlich schlug sie
die Augen auf.
Legolas lächelte sie an. Noch immer strich er
ihr beruhigend über das Gesicht. Er freute sich, dass sie wach
war. "Mae aur, ernilwen." (1) flüsterte
er.
"Was hast du gesagt?" fragend blickte sie ihn mit ihren großen grünen Augen an.
"Ich habe Euch einen guten Morgen gewünscht."
"Nein, was hast du... äh, entschuldigt." Sie schüttelte verwirrt ihren Kopf. "Was habt Ihr davor gesagt? Es klang wunderschön."
"Ir ithil ammen Eruchín
menel-vîr síla
díriel
si loth a galadh lasto dîn
ar Hîr
Annûn Gilthoniel
le linnon im Tinúviel."
wiederholte er leise.
"Was bedeutet das?" Fragend sah sie in seine blauen Augen.
"Es ist Lúthiens Lied und es bedeutet:
Wenn der Mond auf uns, die Kinder Erus,
scheint
ein himmlisches Juwel aus Silber, das über uns
wacht
dann lauschen Blume und Baum in Schweigen
Oh Herrin des
Westens, Sterne entzündend,
zu Dir singe ich, die
Nachtigall!"
Lange hat er an dieses Gedicht nicht mehr gedacht. Als er noch ein Kind war, keine zwanzig Jahre alt, hatte seine Mutter es ihm zum einschlafen öfters erzählt. Es war ihm ein Rätsel, warum er ausgerechnet jetzt darauf gekommen war.
"Das ist wunderschön!" Sie lächelte. Das war das erste richtige Lächeln von ihr. Und er fand es wunderhübsch.
"Wie geht es Euch heute? Ihr habt lange geschlafen." fragte Legolas.
"Ich... ich glaube ganz gut." Sie machte innerlich schnell eine kurze Inspektion ihres Körpers. Sie fuhr über ihren Verband am Kopf, und verzog schmerzhaft das Gesicht, als sie versuchte, ihren gebrochenen Arm zu heben. "Mein Arm tut weh. Und das Atmen auch. Aber ich bin nicht mehr so müde."
"Das freut
mich zu hören. Ihr habt allerdings immer noch Fieber."
Vorsichtig befühlte er ihre Stirn. Diese war immer noch sehr
heiß.
"Möchtet Ihr etwas trinken, Mel? Euer Name
war doch Mel?" fragte er, und schenkte aus einem tönernen
Krug Wasser in einen Becher.
"Ja, ich habe Durst. Und? ja, ich glaube das ist mein Name." Mit seiner Hilfe richtete sie sich unter einigen Schmerzen auf, und nahm dankbar den Becher an, den er ihr reichte.
"Ist Euch außer Eurem Namen noch irgendetwas eingefallen, Mel?" Fragend sah er sie an.
Sie überlegte einen Moment und schüttelte dann langsam den Kopf. "Nein, ich weiß gar nichts. Mein Kopf ist völlig leer." sagte sie und fuhr leise fort: "Und das macht mir Angst." Ein Schatten kam über ihre Augen.
Beruhigend strich er ihr über ihre Wange. "Die Erinnerung wird wiederkommen. Seit unbesorgt." Aufmunternd lächelte er sie an. Er zögerte einen Moment. Dann sagte er: "Ihr habt geträumt?" Legolas war sich nicht sicher, ob er ihr erzählen sollte, was sie im Schlaf gesagt hatte. Aber vielleicht half es bei der Erinnerung. "Und Ihr habt gesprochen im Schlaf."
"Was? Was habe ich geträumt? Was habe ich gesagt? Ich kann mich nicht erinnern." Fragend sah sie ihn an.
"Nun," er zögerte. "Ihr spracht von Lichtern, und sagtet einen Namen."
"Wie war dieser Name?" flehend blickte sie in seine Augen.
"Marc." sagte er. "Der Name war Marc."
Sie zuckte unmerklich zusammen. Sie bekam ein ungutes Gefühl. Ihr Herz klopfte um einiges schneller. Ja, sie kannte diesen Namen. Aber wer steckte dahinter?
"Ist Euch etwas eingefallen?" fragte er sie.
Wieder schüttelte sie den Kopf. "Nein, aber der Name kommt mir bekannt vor. Doch leider fehlt mir ein Gesicht oder eine Erinnerung dazu. Aber ich weiß, ich kenne ihn."
Legolas überlegte. "Mir ist ein solcher Name aus ganz Mittelerde unbekannt. Ich habe ihn noch nie gehört." Dann bemerkte er, dass Mel sich in sich zurückzog. Beruhigend nahm er wieder ihre Hand und drückte sie sanft. "Setzt Euch nicht so unter Druck. Das hat Zeit. Werdet erst mal wieder gesund. Das ist jetzt das Wichtigste." Merkwürdig nur, das er den leisen Verdacht hegte, das ihre Fieberanfälle mit ihrer Erinnerung zu tun hatten. Vielleicht war auch die Erinnerung der Schlüssel zu ihrer Genesung.
Sie begann zu zittern. Vorsichtig drückte
er sie wieder in die Kissen und deckte sie zu.
"Ihr solltet
schlafen. Ihr braucht noch viel Ruhe." sagte er, und machte
Anstalten das Zimmer zu verlassen. Merkwürdig. Irgendwie war er
enttäuscht. Er wäre eigentlich viel lieber noch ein wenig
bei ihr sitzen geblieben.
"Legolas!"
Er drehte sich zu ihr um, und sah sie fragend an. "Ja, Mel? Braucht Ihr noch etwas?"
"Bitte lasst mich nicht allein." Sie stockte. "Ich meine... wenn Ihr noch Zeit habt..." bat sie.
Er lächelte sie an, und griff erneut nach ihrer Hand. "Aber natürlich. Ich bleibe noch bei Euch, bis Ihr wieder eingeschlafen seid." Er setzte sich wieder zu ihr. Er wusste zwar nicht wieso, aber er war darüber erleichtert, dass er noch bleiben konnte. Er sah sie an. Sie war blass, nur die Wangen waren vom Fieber gerötet. Sie war fürchterlich dünn, und sah schrecklich verloren aus in dem großen Bett.
"Könnt Ihr noch so ein Gedicht in Eurer Sprache?" fragte sie schüchtern.
Er lächelte. "Ja, das kann ich." Er überlegte einen Moment. Dann fiel ihm ein passendes ein. "Es ist die Hymne an Elbereth." Leise begann seine Stimme:
"A
Elbereth! Gilthoniel!
Silivren penna míriel,
o menel
aglar elenath!
Na-chaered palan-díriel
o galdhremmin
ennorath;
fanuilos, le linnathon,
nef aear, sí nef
aearon!"
"Eure Sprache klingt so wunderschön. Was bedeutet es?" Müde aber ruhig sah sie ihn mit ihren grünen Augen an.
"Oh! Elbereth,
die du die Sterne
entzündest,
vom prächtig mit Sternen geschmückten
Himmel
fällt ein schimmerndes Weiß,
das glänzt
wie ein Juwel.
Von der baumbewachsenen Mittelerde
habe ich
entfernte Länder geschaut,
und nun will ich zu dir singen,
Fanuilos,
auf dieser Seite,
hier auf dieser Seite des Großen
Meeres."
Lächelnd beobachtete er, wie ihre Augen zufielen. "Wunder...schön." seufzte sie leise. Dann war sie wieder fest eingeschlafen.
Interessiert sah er sie an.
Vorsichtig glitten seine Finger über ihr Haar. Es war golden und
sehr weich. Sie seufzte im Schlaf, als er behutsam eine Strähne
zwischen seine Finger nahm.
Er sah ihr ins Gesicht und musste
unwillkürlich lächeln. Irgendwie mochte er dieses Mädchen,
obwohl er sie gar nicht kannte.
Er sah auf ihre Hände. Sie waren weich und hatten zierliche, feingliedrige Finger. Die Hand ihres gesunden Armes hielt die seine noch immer ganz fest. Er wollte sie nicht wieder wecken, wenn er ihr seine Hand entzog. Er konnte noch nicht gehen, doch das empfand er merkwürdigerweise als alles andere als Schlimm. Und so blieb einfach noch einige Zeit neben ihr sitzen und strich ihr sanft übers Gesicht.
"Man lû ce?" (2) fragte er leise.
°°°°°
Tage vergingen. Mel ging es langsam besser, aber das Fieber blieb, wenn es auch nicht mehr so hoch war. Doch so viel sie auch überlegte und grübelte, sie hatte immer noch keine Erinnerung. Nur wenn sie an diesen Namen dachte den sie im Schlaf gesprochen hatte, hatte sie ein ungutes Gefühl. Es war, als wenn kleine Nadeln in ihr Herz stächen. Aber warum, das wusste sie nicht.
Langsam gewöhnte sie sich an die Umgebung und den Tagesablauf. Alle waren sehr besorgt um sie. Oft saß Elrond an ihrem Bett, nachdem er nach ihren Verletzungen gesehen hatte. Er plauderte mit ihr über das Wetter oder über die wundervollen Blumen, die täglich frisch an ihr Bett gestellt wurden. Niemals fragte er etwas über sie, da sie ihm es hätte sowieso nicht beantworten können. Melanie vertraute diesem Mann. Er hatte so etwas Väterliches und Weises an sich.
°°°°°
Sie sah aus dem Fenster. Leicht bewegten sich die dünnen Vorhänge in dem lauen Wind. Herrliche Gerüche wehte er in ihr Zimmer. Sie roch Wald und blühende Blumen. Sie wünschte, sie könnte aufstehen, und sich draußen umsehen. Die Sonne schien so wundervoll in ihr Zimmer herein. Sie seufzte. Warum nur konnte sie sich an nichts erinnern? Was war nur mit ihr geschehen?
Es
klopfte leise an der Tür. Lächelnd kam Legolas herein. Oft
saß er an ihrem Bett, erzählte ihr elbische Gedichte, und
auch viel über die Elben selbst. Sie wusste anscheinend wirklich
nichts über sein Volk, wenn auch der Name ihr bekannt vorkam.
Ebenso wenig wusste sie allerdings auch über die Zwerge. Als
Gimli ihr einen Krankenbesuch abstattete, erschrak sie einen kurzen
Moment durch seinen dröhnenden Bass, und sah ihn dann fasziniert
an. Gimli grinste und fuhr sich über seinen roten Bart. Er
entschuldigte sich in aller Form für seine laute Stimme.
"Ihr seid ein Zwerg?" fragte sie interessiert.
"O ja, Herrin. Ich bin Gimli Gloins Sohn, Eurer Familie zu Diensten." Er verbeugte sich, und sah sie aufmerksam an. "Ihr könnt Euch auch an die Zwerge nicht erinnern? Dann steht es wahrlich schlecht um Euch." grinste er.
Mel lachte schüchtern. "Keine Angst, Herr Gimli. Euch werde ich gewiss nie wieder vergessen."
Verlegen kratzte sich Gimli am Kopf. "Das ist auch gut so, Herrin, denn ich vertrete hier in der Elbenwelt tapfer mein Volk. Hier in Bruchtal werdet Ihr keinen anderen meiner Art finden." grinste er.
"Dann bin ich froh, dass ich Euch kennenlernen darf, Herr Gimli." lächelte sie."Und ich hoffe, dass Ihr mir alles von Eurem Volk berichten werdet."
"Sehr gerne, Herrin. Bei Gelegenheit erzähle ich Euch etwas über die Zwerge. Sie sind ein stolzes und weises Volk. Doch unterbrecht mich, wenn Ihr müde seid, denn die Zungen der Zwerge stehen nicht still, wenn sie von ihren eigenen Werken berichtet, heißt es."
"Und sie erzählen gerne Geschichten über sich." grinste Legolas seinen Freund an.
"Nicht mehr oder weniger, als die Elben, Herr Elb." erwiderte Gimli grimmig.
Verblüfft sah Melanie die beiden an. "Ihr seid aber doch befreundet?" fragte sie vorsichtig.
"Wir sind die besten Freunde, Herrin." erklärte der Zwerg. "Auch wenn dies eine sehr ungewöhnliche Freundschaft ist."
"Das ist allerdings wahr. Ich weiß sonst von keinem Zwerg und einem Elben, die im Kampf Seite an Seite gestanden haben." nickte Legolas.
"Im Kampf?" fragte Melanie erschrocken.
Prüfend sah Legolas sie an. "Auch von dem Ringkrieg wisst Ihr nichts?" Melanie sah ihn mit ihren großen, grünen Augen an, und schüttelte den Kopf. Legolas lächelte. "Nun, das ist etwas, was ich auch gerne vergessen würde, Mel." Er drückte zart ihre Hand.
°°°°°
Nach
einer Woche Bettruhe, meinte Elrond, es wäre jetzt an der Zeit,
ein wenig frische Luft zu genießen. Er könnte außerdem
ihre Frage danach nicht mehr ertragen, fügte er noch mit einem
Lächeln hinzu.
Erleichtert zog sie sich mit Hilfe von Gilwen
und Merodeth, den jungen Elbenmädchen, einen Umhang über
ihr Nachthemd, und ging mit unsicherem Schritt auf die große
Terrasse.
Sie staunte über die Schönheit hier. Noch
nie hatte sie einen solchen Garten, ja einen Park gesehen, und erst
recht nicht so eine Landschaft, von der alles umzogen war. Die
Wasserfälle und Berge, Wälder und Wiesen... Der Anblick war
atemberaubend.
Überall auf dem marmornen Boden der Terrasse
standen große Weidenkörbe mit wundervollen Blumen in allen
nur erdenklichen Farben und Formen, die sie noch nie gesehen oder
gerochen hatte. Efeu wuchs in einem satten grün die Säulen
hinauf, und Vögel zwitscherten darin. Jeder Gegenstand, egal, ob
es eine Vase war oder ein eisernes Tor, war wundervoll verziert, und
alles war mit bunten Blumen oder mit Ranken von vollem Grün
bewachsen.
Unsicher ging sie ein paar Schritte, wurde dann jedoch von Gilwen sanft in einen Stuhl gedrückt. "Nichts überstürzen, Herrin." ermahnte diese sie. "Ihr seid noch nicht soweit hier herum zuspazieren. Ihr müsst erst einmal wieder zu Kräften kommen."
Mel gab sich geschlagen. Sie fühlte sich wirklich noch ganz schön schwach. Dankbar sah sie die Elbe an. "Bitte nennt mich Mel. Ich weiß zwar nicht, wer ich bin, aber eine Herrin bin ich sicher nicht."
"Nun gut, Mel." Freundlich lächelte Gilwen sie an. "Ich lasse Euch kurz alleine. Genießt die frische Luft. Ich komme gleich wieder." sagte diese und ging hinter Merodeth hinterher.
Mel nickte. Sie genoss es hier zu sitzen. Die Sonne breitete sich warm auf ihrem Gesicht aus. So tief sie konnte, mit der engen Bandage um ihren Brustkorb, holte sie Luft. Sie roch köstlich nach blühenden Blumen und Wald. Sie musste schmunzeln, denn dieser Duft erinnerte sie an Legolas. Immer wenn er bei ihr saß, hatte sie diesen Geruch wahrgenommen, aber erst nach Tagen hatte sie bemerkt, dass er wirklich von ihm ausging.
"Ihr seid auf, wie schön." Sie schreckte auf, als sie seine Stimme hörte. Unwillkürlich musste sie lächeln. Hatte sie nicht noch gerade an ihn gedacht? "Wie geht es Euch heute, Mel?" Interessiert sah er sie an.
"Danke, viel besser. Es tut gut, draußen zu sein. Es ist so wunderschön hier." sagte sie und blickte sich erneut um.
"Ja, das stimmt." stimmte Legolas ihr zu und ließ sein Augen ebenfalls schweifen. Er atmete tief ein. "Dies ist wohl einer der schönsten Orte in ganz Mittelerde, und ich muss es wissen, denn ich glaube, ich bin schon überall gewesen."
Neugierig sah Mel ihn an. "Könnt Ihr mir davon erzählen?"
Schmunzelnd sah er sie an. Ihre grünen Augen hatten ein erwartungsvolles Leuchten. "Aber gerne, Herrin. Trenarn o hedhil. (3) Wo fangen wir an? Vielleicht am besten in meiner Heimat?"
°°°°°
Lange
saßen sie dort draußen, und Legolas erzählte ihr von
vielen Orten, angefangen in Eryn Lasgalen, seiner Heimat.
Mel
stellte viele Fragen, war fasziniert von den Geschichten, die Legolas
ihr erzählte. Seine Stimme beschrieb die Orte und Personen so
gut, dass sie das Gefühl hatte, sie könnte alles vor sich
sehen.
Viele Dinge kamen ihr merkwürdig bekannt vor,
doch sie konnte sich einfach nicht erinnern. Und so lauschte sie
interessiert seinen Worten, die ihr alles genau erklärten.
Er
erzählte von grünen Wäldern, von prächtigen
Städten mit goldenen Hallen, von Menschen, Zwergen, Elben, und
einem Volk, welche sich Hobbits nannten. Er berichtete ihr von
Höhlen, Gebirgen, und wunderschönen
Sonnenuntergängen.
Auch Legolas hatte Freude daran, ihr
etwas über Mittelerde, und seine Erfahrungen und Eindrücke
zu erzählen. Er wünschte sich, er würde ihr das,
worüber er erzählte, alles zeigen können.
Immer
noch fragte er sich, wer sie war und wo sie herkam. Sie hatte zwar
ihr Gedächtnis verloren, doch er hatte das Gefühl, dass
auch ohne diesen Umstand, sie von vielen Dingen nichts wissen würde.
Sie war geheimnisvoll und sehr faszinierend...
°°°°°
(1)
Guten morgen, Prinzessin
(2) Wer bist du?
(3) Eine Erzählung
über Elben
