Gefahr
Gimli und Legolas waren bereits zwei Wochen unterwegs. Sie kamen gut voran. Sie hatten schon die Pforte Rohans passiert und das Entwasser überschritten, aber es war noch ein gutes Stück bis nach Minas Tirith, der Weißen Stadt, der Hauptstadt Gondors.
Gimli
hatte eine Veränderung an seinem Freund bemerkt. Er war zwar
immer noch sehr nachdenklich und in sich gekehrt, jedoch ging eine
positivere Ausstrahlung von ihm aus. Die Schatten in seinen Augen
hatten sich fast verzogen. Ihm war nicht entgangen, wie sehr er das
Zusammensein mit dem verletzten Mädchen genossen hatte.
In
den zwölf Jahren, die sie sich nun kannten, hatte er seinen
Freund nie mit einer Frau gesehen. Er wusste, wie sehr Legolas sich
eine Familie wünschte, auch wenn er es niemals ausgesprochen
hatte. Doch er kannte den Elb inzwischen sehr gut. Ein Blick genügte,
wenn er mit dem Sohn Aragorns zusammen war.
Aber eben, weil er Legolas so gut kannte, wusste Gimli genau, dass dieser sein Herz nicht leichtfertig verschenken würde. Es hieß schließlich auch, dass Elben ihr Herz nur einmal verlieren würden, und dass, wenn sie liebten, dies für ihr ganzes unsterbliches Leben andauern würde.
Er hatte in den letzten Jahren einige Elben kennengelernt und, sofern diese gebunden waren, traf die Behauptung auch voll und ganz zu. Arwen war so ein Beispiel. Fast wäre sie damals an gebrochenem Herzen und um Sorge um Aragorn gestorben. Und ihm zuliebe hatte sie ihre Unsterblichkeit abgeschworen und hatte die Sterblichkeit gewählt. Sie war eine Halbelbin, wie ihr Vater, und sie hatte ihre Entscheidung getroffen das Schicksal der Menschen zu teilen. Reinblütigen Elben, wie Legolas einer war, war diese Wahl nicht gegeben.
Gimli grinste in seinen roten Bart. Er hoffte, dass nun auch sein elbischer Freund das Wunder der Liebe kennenlernen würde. Er ahnte, dass nur die Liebe ihn in Mittelerde halten würde. Wie auch immer, er genoss es wieder mit seinem Freund auf Reisen zu sein, denn er wusste nicht, wie oft sie noch gemeinsam unterwegs wären - egal wie er sich entscheiden würde.
Auch Legolas freute sich über die Reise. Aber oft dachte er an Imladris - und an Melima. In seinen Gedanken hatte er nur noch diesen Namen für sie. Er war sich nur noch nicht im Klaren darüber, wieso er so oft an sie denken musste. Er schob es darauf, dass er sich für sie verantwortlich hielt, da er sie schwer verletzt gefunden hatte. Dennoch fragte er sich, was ihn so an ihr faszinierte. Und warum er sie geküsst hatte...
Er dachte oft über diesen Kuss nach und jedes Mal bekamen seine Augen einen verträumten Glanz, und ein leichtes Kribbeln breitete sich in seiner Magengegend aus. Warum verwirrte ihn dieses junge Menschenmädchen nur so? Er konnte es sich einfach nicht erklären. Auf den ersten Blick war sie sehr unscheinbar und nicht wirklich schön im Vergleich zu den Frauen seines Volkes. Sie war hager und blass, doch ihre Augen hatten ihn von Anfang an fasziniert. Noch nie hatte er solch eine Augenfarbe gesehen. Außerdem hatte er das Gefühl, das sie etwas Besonderes war. Sie war anders als andere Frauen, die er bis jetzt kennengelernt hatte. Irgendetwas Geheimnisvolles umgab sie, doch er fand keine Erklärung dafür.
Sie war ein Mensch. Und im Vergleich zu den Elben waren Menschen in der Regel kurzlebig, schwach und unerfahren, auch wenn er während des Ringkrieges viele Menschen kennenlernen durfte, die ihm oft das Gegenteil bewiesen hatten. Trotzdem war sie die erste Menschenfrau, die ihn so beschäftigte. Er fragte sich jeden Tag, wie es ihr wohl gehen würde, ob ihre Verletzungen gut verheilten, und wie es wäre sie wieder zusehen.
Er vermisste die Gespräche mit ihr, ihr helles Lachen, wenn er etwas lustiges erzählte, dass Mitleid in ihren wunderschönen grünen Augen, wenn sie etwas traurig fand. In ihrer Gegenwart war alles so einfach gewesen. Da hatte er keinen Augenblick mit seinen Problemen vergeudet. Die düsteren Gedanken kamen immer erst, wenn er sie abends zu ihrem Gemach begleitet, und sich von ihr verabschiedet hatte. Und vor allem, wenn er alleine und wach des Nachts aus dem Fenster sah. Selbst für einen Elben schlief er wenig in den letzten Monaten. Vielleicht hatte er sich deshalb jeden Tag aufs Neue gefreut, sie zu treffen. Wenn er mit ihr zusammen gewesen war, ihr Geschichten über Mittelerde erzählt, und sie durch den wunderschönen Park Bruchtals geleitet hatte, hatten ihn seine Sorgen nicht gequält.
Leise seufzte Legolas. In Gedanken versunken saß er mit Gimli spät abends nach einem langen Ritt am Lagerfeuer. Der Zwerg beobachtete ihn aufmerksam, während er gemütlich an seiner langen Pfeife zog. Genüsslich blies er den Rauch aus seinen Lungen.
"Ich freue mich schon darauf Aragorn, Arwen und ihre Kinder wiederzusehen." sagte er. "Ich bin gespannt, nach wem ihre Tochter kommt."
"Na, ich hoffe doch, sie gleicht ihrer Mutter." lachte Legolas.
"Also ich habe nichts gegen bärtige Frauen!" grinste Gimli und nahm einen kräftigen Zug aus dem Wasserschlauch. "In meiner Heimat, Legolas, da gibt es Frauen! Wunderschöne Zwergenfrauen mit flauschigen Bärten und dicken Zöpfen. Das sind richtige Frauen! Die sind nicht so groß, dünn und glatt wie die elbischen oder menschlichen Damen."
"Also ich kann mich gut an eine große, dünne und glatte Dame erinnern, an der du dein Herz verloren hast." grinste Legolas und sah seinen Freund von der Seite an. "Und dazu war sie auch noch reinen elbischen Blutes."
Gimli hüstelte und kratzte sich verlegen am Kopf. "Nun ja, Frau Galadriel kann man einfach nur zu Füßen liegen. Aber sie ist auch eine Ausnahme."
"Das will ich hoffen, mellon nîn. Es soll doch schließlich noch mal einen Zwerg geben, der Gimlis Sohn heißt." lachte der Elb.
"Und was ist mit dir, mein Freund? Noch nie hast du mit schwärmerischen Worten von einer Frau gesprochen." Prüfend beobachtete Gimli ihn.
Einen Moment sah Legolas nachdenklich ins Feuer. "Das muss wohl daran liegen, dass noch keine Frau mein Herz berührt hat. Bis jetzt..."
"Was heißt bis jetzt´? Soll das etwa heißen..." Weiter kam der Zwerg nicht. Mit einer Handbewegung brachte Legolas ihn zum Schweigen. Er hatte ein Geräusch wahrgenommen. Seine empfindlichen Elbenohren hatte etwas gehört, was nicht hier hin gehörte. Diese Geräusche passten nicht in die Stimmen des Waldes. Lauschend setzte er sich auf. Da war es wieder. Ein Ächzen und Knartschen.
Leichtfüßig sprang er auf die
Beine, nahm seinen Bogen, seinen Köcher und steckte den weißen
Dolch in den Gürtel. Das war für Gimli das Zeichen. Schnell
holte dieser seine Axt und beobachtete weiter seinen Freund. Er war
auf dessen Gehör angewiesen, denn er hatte noch nichts
vernommen.
Legolas machte ihm Zeichen ihm zu folgen. Leise
schlichen sie durch ein Gebüsch und liefen gebückt einen
Hügel hoch. Zum Glück stand der Mond hell am wolkenlosen
Himmel, so dass sie gut sehen konnten. Und was sie dort am Rande des
Waldes sahen, jagte ihnen eine Gänsehaut über den
Rücken.
Orks! Hunderte von Orks! Sie waren gut
zweihundert Meter weit weg, doch jetzt konnte auch Gimli die
fürchterlichen Geräusche hören, die diese Truppe
machte.
Entsetzt sahen sich die beiden an. Natürlich
schlichen diese Kreaturen auch noch nach dem Ringkrieg durch
Mittelerde, doch nie mehr war eine solch große Gruppe gesehen
worden.
Legolas kniff seine Augen zusammen und versuchte trotz
der Dunkelheit möglichst viel zu erkennen. Er registrierte die
Ausrüstung dieser Kreaturen. Sie hatten Lederrüstungen und
Helme an, und waren mit Bögen, Schwertern und Keulen bewaffnet.
Schweigend beobachteten sie den Trupp. Sie gingen in nördliche
Richtung. Dort lag Eryn Lasgalen, der ehemalige
Düsterwald...
Leichte Panik stieg in Legolas auf. Was
wollten diese schrecklichen Geschöpfe? Sie mussten es
herausfinden!
Leise schlichen sie den Hügel wieder herunter.
Schnell gingen die beiden zurück, packten ihre Sachen, sattelten
die Pferde und löschten das Feuer. In genügendem Abstand
folgten sie den Orks.
°°°°°
Am
zweiten Tag der Verfolgung drehten die Orks ab in östliche
Richtung. Richtung Mordor.
Über ihre Pläne hatten sie
leider nicht erfahren können, aber allem Anschein nach sammelten
sie sich, denn öfter sahen sie kleinere Trupps, die sich dem
großen anschlossen.
Legolas und Gimli entschlossen, ihren
Ritt nach Minas Tirith fortzusetzen und dort Aragorn von ihren
Beobachtungen zu berichten. Sie ritten schnell, denn beide hatten ein
ungutes Gefühl...
°°°°°
Ein
paar Tage später kamen sie in der Weißen Stadt an.
Unter
Aragorns Herrschaft war das Land Gondor und die Stadt Minas Tirith
regelrecht aufgeblüht - ebenso wie der Weiße Baum.
Wohlstand und Zufriedenheit waren eingekehrt. Der König und
seine Königin Arwen, Elronds Tochter, wurden von ihrem Volk
geliebt, ebenso ihr Sohn und Thronerbe Eldarion und ihre kleine
Tochter Silwen.
So schnell sie auf den belebten Straßen
vorankamen, ritten sie hinauf zum Palast. Oft wurden sie freundlich
und herzlich begrüßt. Sie waren hier wohl bekannt. Jedes
Kind wusste, dass dies zwei der Gefährten waren, und zudem die
besten Freunde des Königs und der Königin. Lange waren sie
hier gewesen als der Krieg endlich vorbei war, und hatten Aragorn
geholfen diese Stadt, die zum Teil in Trümmern gelegen hatte,
wieder aufzubauen.
Gimli war damals mit einigen seiner Sippe
gekommen, und sie hatten die Stadt schöner und sicherer gemacht,
als sie jemals war. Die besten Steinmetze seines Volkes hatten die
Mauern wieder aufgebaut, die Tore gefertigt, die jetzt mit Mithril
verstärkt waren, und die Straßen mit großen weißen
Steinen gepflastert.
Legolas war mit einigen seiner Verwandten
und Freunde gekommen, und sie haben schöne Bäume gepflanzt,
die im Frühjahr und Sommer wundervolle Blüten trugen. Nun
war Minas Tirith nicht nur sicher, sondern auch grün und schön.
Trostlos und hoffnungslos war diese Stadt gewesen, als sie zum ersten
Mal hier waren. Jetzt war sie erblüht - in jeder nur
erdenklichen Weise. Sie hatten dazu beigetragen, das das Verhältnis
von den Menschen zu den Elben und den Zwergen wieder besser wurde,
das die Bündnisse erneuert wurden, die vor vielen Hunderten von
Jahren zerstört worden waren.
Man konnte an jeder Ecke sehen, dass die Zeit der Truchsesse endgültig vorbei war, und dass in die Herzen der Menschen Gondors endlich wieder Mut und Lebensfreude eingezogen war. Aragorn war ein guter König und wurde von seinem Volk verehrt und geliebt. Er hörte sich jede auch noch so kleine Streitigkeit geduldig an und urteilte gerecht.
Auch wenn er vor dem Ringkrieg nur wenige Male in Minas
Tirith gewesen war, und dann unter anderen Namen, sahen ihn die
Menschen als einen der ihren an. Er war schließlich der letzte
Nachkomme der großen Könige der Vergangenheit, aus dem
Geschlecht der Númenor. Doch jetzt wurde die Linie
weitergeführt in Eldarion, dem Sohn eines Dúnedain und
einer Elbe. Das Erbe war gesichert und das Volk Gondors war glücklich
darüber.
Eilig ritten die beiden die letzten Meter hinauf zu
dem Weißen Baum, und saßen im Schatten seiner blühenden
Krone ab. Erfreut kam der König den beiden schon
entgegen.
"Gimli, Legolas! Meine Freunde. Endlich kommt ihr mich besuchen!" Lachend nahm er die beiden in die Arme. "Es tut gut euch zu sehen! Es ist lange her."
Erfreut sah er in ihre Gesichter. Doch dann merkte er, dass etwas nicht stimmte. Er sah es an ihren Augen. "Was ist passiert?" fragte er ernst.
"Lass uns hineingehen." sagte Legolas. Er wollte keine ungebetenen Zuhörer, wenn er Aragorn über die Orks berichtete.
Auf dem Weg in den Palast kam ihnen ein Junge von etwa vier Jahren entgegengelaufen. "Onkel Legolas, Onkel Gimli!" lachte der kleine Junge und rannte den beiden mit offenen Armen entgegen. Legolas fing in auf und wirbelte ihn durch die Luft.
"Eldarion, groß bist du geworden!" lachte er. Er schloss ihn in die Arme. Dann sah er ihn genauer an. Er hatte die Gesichtszüge seines Vaters. Aber die grauen Augen waren definitiv von Arwen. Braune, gelockte Haare fielen ihm ins Gesicht. Der Junge lachte fröhlich und dieses Kinderlachen erweichte Legolas Herz. Ob auch er irgendwann mal einen Sohn haben würde?
Der Junge riss ihn aus seinen Gedanken. "Ihr ward lange nicht hier." sagte er vorwurfsvoll. "Du hattest mir doch versprochen mir das Bogenschießen beizubringen." Fragend sah er Legolas ins Gesicht. "Ada (1) sagt, das könnte ich bei niemandem so gut wie bei dir."
"Natürlich zeige ich es dir. Schließlich wollen wir ja bald auf die Jagd gehen, und da musst du auch mit dem Bogen umgehen können!" Liebevoll wuschelte Legolas durch die braunen Locken. Das Gesicht erhellte sich. Kindliche Freude stand in ihm geschrieben.
"Hey, mein Junge, und was ist mit mir? Meinst du, du kannst meine Axt jetzt schon hochheben?" lachte der Zwerg.
"Das glaube ich schon, Onkel Gimli." nickte er Junge überzeugt als er sich groß vor den Zwerg stellte. Na ja, noch war der Zwerg größer. "Ich bin schon sehr stark!" erklärte das Kind selbstsicher.
"Eldarion. Gib deiner Mutter Bescheid: wir haben hohen Besuch. Sie soll Silwen mitbringen." Und an die beiden gerichtet. "Ihr habt meine Tochter ja noch gar nicht gesehen!"
"Nein, das ist leider wahr. Ist sie so schön wie ihre Mutter?" fragte Legolas.
Aragorn lachte. "Eigentlich ist es nicht möglich, aber mit ihren kindlichen Zügen ist sie sogar noch schöner!" Ein stolzer Vater!
Nun legte er jeweils einen Arm um seine
Freunde und führte sie hinein.
In der großen
Eingangshalle kam Arwen ihnen schon aufgeregt entgegen. Sie wurde mit
jedem Kind, welches sie gebar, noch schöner. Ihr Gesicht
leuchtete vor Freude und die langen, dunkelbraunen Haare wehten, als
sie ihnen entgegenlief. Sie übergab ihre Tochter ihrem Mann und
drückte Gimli und Legolas herzlich.
"Mae govannen, mellyn nîn (2) . Endlich seid ihr da!" Sie hielt Legolas fest in seine Armen. Schon lange kannten sie sich und sie verband eine tiefe Freundschaft. Sie sah ihm in die Augen, und las einen Augenblick in ihnen wie in einem Buch. Dann fragte sie ernst: "Man agorech , Legolas? (3) Etwas bedrückt dich."
Beruhigend
lächelte er sie an. "Wir reden später, Arwen. Zuerst
zeig mir erst mal deine Tochter."
Arwen sah ihn noch einen
Moment an. Dann lächelte sie, und nahm ihre Tochter aus den
Armen ihres Mannes. Zärtlich drückte sie Legolas das kleine
Bündel in die Arme.
Silwen war jetzt ein halbes Jahr alt und
schlief tief und fest. Behutsam strich der Elb dem Kind über das
zarte Gesicht und nahm ihre kleinen Finger in seine Hand. Im Schlaf
griff sie seinen Zeigefinger und hielt ihn fest. Dann schmatzte sie
lächelnd und kuschelte sich in seinen Arm.
Er lächelte. Was für ein wundervolles Geschöpf! Er würde alles dafür geben, wenn auch er eine Familie hätte. Es gab doch nichts Schöneres als Kinder. Und wenn es dann noch die eigenen waren...
"Dein Mann hat nicht gelogen, meine Freundin." lächelte Legolas. "Sie ist wunderschön."
"Und sie ist dir offensichtlich schon verfallen." lachte Arwen. "Nun kommt erst mal rein, ihr beiden. Setzt euch und ruht euch aus von der Reise. Ich lasse Tee bringen."
°°°°°
Sie wurden schnell ernst. Das Kindermädchen hatte die beiden Kleinen mit hinaus genommen. Das, was jetzt folgte, war nicht für Kinderohren bestimmt.
Legolas und Gimli berichteten dem König und seiner Frau ihre Beobachtungen. Auf Aragorns Stirn setzten sich Sorgenfalten ab. Er war besorgt. Hatten ihn die friedlichen Jahre unvorsichtig werden lassen? Hätte er doch weiterhin seine Männer durch das Land streifen lassen müssen? Doch nichts hatte die letzten Jahre darauf hingewiesen, das es erneut zu Gefahren durch dunkle Kreaturen kommen könnte. Was planten die Orks?
"Ich schicke meine besten Leute auf ihre Spuren. Ich will wissen, was sie vorhaben." sagte er entschlossen. "Schon lange gab es keine größeren Vorfälle mit Orks. Hier und da überfallen sie Reisende, aber es waren immer nur kleine Gruppen von zehn bis fünfzehn gewesen." erklärte er. Das sich aber jetzt hunderte sammeln sollten, gab ihm ein sehr ungutes Gefühl.
"Sie müssen irgendwie organisiert sein. Orks machen das nicht einfach so. Irgendjemand muss ihnen sagen, was sie zu tun haben. Sie müssen einen Anführer haben." grummelte Gimli.
Legolas,
Aragorn und Arwen nickten zustimmend. Nein, so intelligent waren
diese Kreaturen nicht, dass sie sich derart organisieren konnten. Da
musste mehr Hinterstecken.
Aragorn rief zwei seiner besten
Hauptmänner und Faramir, der Bruder ihres verstorbenen Gefährten
Boromirs, der inzwischen Truchsess von Emyn Arnen in Ithilien, und
glücklich verheiratet war mit Éowyn, der Schwester
Éomers, des Königs von Rohan, und schickte sie unter dem
Siegel der Verschwiegenheit zu der Stelle, an der Legolas und Gimli
die Truppen verlassen hatte.
"Und, Faramir," sagte er zu dem hochgewachsenen Mann. "sei vorsichtig! Ich möchte keinen Ärger mit Éowyn!"
Lächelnd legte Faramir ihm eine Hand auf die Schulter. "Ich auch nicht, mein Freund. Ich pass schon auf!" sagte er.
Jetzt hieß es erst mal abwarten. Es würde mindestens zwei Wochen dauern, bis sie Nachricht erhielten.
°°°°°
Als
es bereits dämmerte ging Legolas hinaus. Er brauchte frische
Luft. Sie hatten gemeinsam zu Abend gegessen, und nach einem
ausgiebigen Bad ging es ihm schon besser.
Er lehnte sich an die
Mauer und sah über die Landschaft. Von hier oben hatte man einen
atemberaubenden Blick über das Land.
Kurz schwirrten seine
Erinnerungen in die Zeit des Ringkrieges, als die Nazgul und die
Horden von Orks diese schöne Stadt zerstören wollten. Doch
dann richtete sich sein Blick wieder in die Zukunft.
Er war so in Gedanken versunken, dass er nicht hörte, wie Arwen lautlos zu ihm kam. Sie war jetzt zwar sterblich, dennoch hatte sie die Gaben aus ihrem Elbenleben nicht verloren. So erschrak er ein wenig, als sie sanft eine Hand auf seine Schulter legte.
"Man mathach, mellon nîn?" (4) fragte sie in Sindarin. "Es sind doch nicht nur die Orks, die dir Kummer machen."
Er lächelte sie traurig an. Es hatte keinen Sinn sie zu belügen. Sie kannte ihn zu gut. "Nein, du hast Recht, Arwen." Er atmete tief die frische Luft ein.
"Du hast die Möwen gehört, nicht wahr?" Prüfend sah sie ihn an. Sie hatte diese Sehnsucht schon einmal gespürt, bei ihrem Vater.
Er nickte und sah sie direkt an. "Ja. Aber ich kann nicht einfach gehen. Du kennst ihn."
Sie nickte. "Ja, dein Vater ist ein schwieriger Mann." Mitfühlend sah sie ihm in die Augen. "Aber ich kann seine Ängste auch verstehen. Jahrtausende hat er um den Düsterwald gekämpft, Sauron und die dunklen Geschöpfe von dort vertrieben, bis schließlich ein wunderschönes Eryn Lasgalen daraus wurde." Ihre Stimme war warm und mitfühlend. Freundschaftlich legte sie eine Hand auf seinen Arm. "Du bist nun mal sein einziger Sohn. Aber damit hast du auch eine schwere Last zu tragen."
Er senkte den Kopf und nickte. "Ja. Aber ich weiß nicht, ob ich bereit bin, diese Last auf mich zu nehmen. Und ich weiß nicht, ob ich fähig bin, ein ganzes Volk zu regieren." Er blickte sie an. "Und ich bin mir nicht sicher, ob ich es jemals sein werde - oder ob ich es jemals möchte."
Sie legte eine Hand auf seine Wange und sah ihm tief in die Augen. "Du bist ein großer Elb, Legolas. No veren! (5) Du wirst die richtige Entscheidung treffen. Lass dir noch ein wenig Zeit. Genieße die Wochen hier mit meiner Familie." Aufmunternd lächelte sie ihn an und sah ihm in die Augen. Sie schien darin zu lesen. Und da war etwas, was er noch nicht ausgesprochen hatte. Es war ein leichtes Leuchten. Sie spürte, dass dieses Leuchten nichts mit den unsterblichen Gefilden zu tun hatte.
"Hast du noch etwas auf dem Herzen, mein Freund?" Prüfend sah sie ihn an.
Ein wenig verstört schüttelte Legolas den Kopf. "Ich weiß es nicht, Arwen. Ich bin mir noch nicht darüber im Klaren."
Arwen nickte. Sie fühlte, dass die Zeit für dieses Gespräch noch nicht gekommen war, aber sie fühlte auch, dass, was es auch sein mochte, sehr wichtig für ihren Freund war.
°°°°°
(1)
Papa
(2) Willommen, meine Freunde
(3) Was ist geschehen?
(4)
Was bedrückt dich, mein Freund?
(5) Sei tapfer!
