Thranduil

Schon vor Stunden fing Legolas an unruhig auf seinem Pferd herum zurutschen. Er wurde zusehends nervöser, je näher sie dem hauptsächlich unterirdischen Palast seines Vaters kamen. Trotzdem nahm er den kürzesten Weg dorthin, und führte die Männer von dem Weg runter über einige Schleichwege, die sich als enorme Abkürzungen herausstellten.

Die Sonne leuchtete auf den oberirdischen Teil des Palastes als sie dort ankamen. Er war prächtig und eindrucksvoll. Der König des Waldes legte auf den ersten Eindruck, den man von dem Palast, und damit auch von ihm bekommen sollte, sehr viel Wert.
Sie ritten auf den großen, schön bepflanzten Platz. Eine mächtige steinerne Treppe führte hinauf. An beiden Seiten von ihr wuchsen zwei eindrucksvoll große Bäume. Das eine war eine Eiche, das andere eine Buche. Ihre Äste in den hohen Kronen wuchsen ineinander, und ihre mächtigen Wurzeln hatten den Fuß der Breiten Treppe bereits eingenommen. Auf den ersten Blick konnte man meinen, es seien Wachen des Königs, die nicht allen Besuchern Einlass gewährten.

Das Banner des Königs, eine silberne Eiche, verflochten mit einer goldenen Buche auf grünem Grund, flatterte im lauen Wind.
Legolas saß ab, atmete tief durch und gab einem jungen Elben, der ihnen mit einer Verbeugung entgegenkam, sein Pferd. Ihre Ankunft war dem König angekündigt worden. Sie wurden erwartet.
Langsam ging er, mit Aragorn und Gimli im Gefolge, in die große Eingangshalle. Sie war reich verziert. Gemälde und Statuen blickten ihnen entgegen. Manche waren bestückt mit prächtigen Edelsteinen, für die der König eine große Schwäche hatte. Diese Schwäche hatte ihm schon sehr oft viel Ärger eingebracht, doch er vermochte nicht, auf sie zu verzichten.

Die Schritte der Gefährten hallten auf dem marmornen Boden. Staunend sah Gimli sich um. Selten hatte er einen solchen Reichtum und eine solche Pracht gesehen. Ein großer Kronleuchter hing von der Decke und sein fachmännischer Blick verriet ihm, dass dort reine und vollkommene Edelsteine funkelten, mit denen er verziert war.
Diese Halle hatte bei Gimli, der noch nie hier gewesen war, genau den Effekt, den sie erzielen sollte. Er war, wenn auch nur für einen kurzen Augenblick, eingeschüchtert von der Größe und der Pracht dieses Palastes.
Einen Moment standen die drei Gefährten in der Halle und warteten darauf, dass sie empfangen werden würden. Dann hallten ihnen Schritte entgegen, und ein Hochgewachsener schlanker Elb mit ebenso blonden Haaren und blauen Augen wie Legolas, kam auf sie zu. Die Ähnlichkeit war unbestritten.

"Mein Sohn und Thronerbe! Wie schön, dass du deinen alten Vater wieder besuchst. Ich habe schon gar nicht mehr daran geglaubt." Kritik und Ironie klangen in seinen Worten mit. Jedoch auch ein wenig Freude.

Legolas ging ihm entgegen. Zwei Meter vor ihm blieb er stehen und machte eine Verbeugung. Er fühlte sich unwohl unter den Augen seines strengen Vaters, zu dem er nichts anderes als Respekt empfinden konnte.
"Vater, wir kommen mit schlechten Nachrichten." Legolas kam gleich zum Punkt. Er wollte nicht länger um den heißen Brei herum reden, und unnötige und vor allem unehrliche Freundlichkeiten austauschen.

Auch Aragorn und Gimli verbeugten sich vor dem Elbenkönig. Dann ergriff Aragorn das Wort: "König Thranduil, es ist mir eine Freude Euch nach diesen vielen Jahren wieder zu sehen, und mein Herz ist glücklich Euer Reich so schön zu sehen, wie es einst war."

Die eisblauen Augen hafteten noch einen Moment auf Legolas. Dann wanderten sie von seinem Sohn auf Aragorn. "König Elessar. Auch mir ist es eine Ehre. Bei unseren letzten Treffen ward Ihr noch der Waldläufer. Aber es freut mich, wenn ich höre, dass Gondor unter Eurer Herrschaft zu neuem Leben aufgeblüht ist." Thranduil wandte sich wieder an seinen Sohn. "Was bringst du für schlechte Nachrichten, Legolas? Hat es etwas mit den Orks zu tun, die in letzter Zeit des Öfteren wieder in Eryn Lasgalen gesehen wurden?"

"So ist es, Vater."

"Dann lasst uns einen Ort aufsuchen, an dem wir ungestört sind. Folgt mir."
Schweigend gingen sie ihm hinterher. Gimli grummelte ein wenig in seinen Bart. Er wusste zwar, dass Thranduil sein Volk verabscheute, was eine lange Geschichte war, in der es sich um Edelsteine drehte, aber dass er noch nicht einmal begrüßt wurde, war sehr unhöflich!

Sie gingen in die Bibliothek. Legolas atmete den Duft der alten Bücher ein und sah sich plötzlich, als noch kleiner Junge mit einem Buch in der Hand auf der Fensterbank sitzen. Hier hatte er sich am liebsten aufgehalten, wenn er nicht gerade in den Wäldern herumstrich. Es war der einzige Raum, der in diesem großen Palast noch Wärme ausstrahlte. Seine Mutter hatte ihn einst eingerichtet. Thranduil hatte ihn so gelassen wie er gewesen ist, als sie gestorben war. Die Wände hatten einen cremefarbenen Ton, der die Sonne, die durch die großen Fenster schien, reflektierte. Überall waren Pflanzen und trotz der vielen sehr alten Bücher roch die Luft frisch und rein.
Die alten Regale hatten schöne Verzierungen, welche Blätter, Blüten und tanzende Elben darstellten. Abends tauchten viele Kerzen und Lämpchen den Raum in ein warmes Licht.

Das schönste in diesem Raum, war aber das Gemälde, welches seine Mutter zeigte. Sie war so wunderschön gewesen. Ihre langen, braunen Haare umspielten ihr zart geschnittenes Gesicht. Das hellgrüne Kleid, welches sie auf diesem Bild trug, betonte ihre helle Haut. Ihre schlanken Hände ruhten aufeinander.
Ein Stich durchfuhr sein Herz, als er sich das Bild zum ersten Mal nach langen Jahren ansah. Ihre braunen Augen schienen ihn direkt anzublicken... Wieder einmal fühlte er sich unendlich einsam und verlassen und vermisste seine Mutter schmerzlich.

Legolas atmete tief ein und sah sich um. Er hatte wahrscheinlich jedes einzelne Buch gelesen, welches in dieser doch großen Bibliothek stand. Es hatte wohl daran gelegen, dass sein Vater damals keine Zeit für ihn hatte, und nachdem seine Mutter gestorben war, ihm auch jegliche Lust fehlte, etwas mit den wenigen anderen Elbenkindern in seinem Alter zu unternehmen. Hier hatte er sich seiner Mutter auch nach ihrem Tod noch immer verbunden gefühlt. Er war ein sehr zurückgezogenes Kind gewesen, welches schnell lernen musste, auf eigenen Beinen zu stehen.

Fragend sah der König des Waldes seinen Sohn an. "Nun, was hast du mir zu berichten?"

Ausführlich schilderten Legolas und Aragorn die ganze Geschichte. Auch, dass inzwischen wohl mehr als zehntausend Orks auf dem Weg nach Dol Guldur waren, wo die Festung auch schon wieder in den Händen von diesen Kreaturen zu sein schien.

Betroffen schüttelte der König den Kopf. "Nicht schon wieder!" sagte er. "Es ist noch nicht so lange her, da mussten wir schon mal diese Geschöpfe aus meinem Reich vertreiben." erzählte er nachdenklich. Es war eine große und grausame Schlacht gewesen im März des Jahres 3019 des Dritten Zeitalters. Sie war erfolgreich gewesen, doch sie hatte viele Opfer gekostet. "Du, mein Sohn warst gerade mit den Gefährten auf dem Weg nach Mordor." Er blickte Legolas an. "Sei froh, dass du nicht hier warst. So viele gute Elben mussten sterben." Seine Stimme sollte nicht so vorwurfsvoll klingen - sie tat es aber.

Legolas jedoch verzog keine Miene. "Auch ich habe viele gute Leute sterben sehen, Vater. Es war nicht so, das es ein fröhlicher Spaziergang nach Mordor war!" Seine Stimme war zwar beherrscht, und seine Mine verriet keine Gefühlsregung, dennoch hörten seine Freunde die Enttäuschung über das, was sein Vater gesagt hatte, aus seinen Worten heraus.

Der König des Waldes wandte den Blick von ihm ab. "Ich weiß, mein Sohn." Fast klang es nach einer Entschuldigung. Doch dann wurde sein Gesicht wieder zu der Maske eines Elben, die absolut keine Gefühle zeigte, und das beherrschte Thranduil hervorragend. "Und, was sollen wir jetzt Eurer Meinung nach tun, König Elessar?" richtete er sich an Aragorn.

Aragorn erzählte ihm, dass Truppen aus Gondor und Rohan auf dem Weg waren. "Wenn uns Eure treuen Elbenkrieger in die Schlacht folgen würden, würden wir sie sicher für uns siegreich entscheiden können."

Der König überlegte eine Weile und sah die Gefährten prüfend an. Er ging an das große Fenster und sah hinaus. Gedankenverloren strichen seine Finger über eine Skulptur, die einmal seine Frau getöpfert hatte. "Ich habe kein gutes Gefühl, wenn ich noch mehr meiner treuen Elben in eine weitere Schlacht schicken müsste..."

Legolas dachte einen Moment, er hätte sich verhört. "Vater!" rief er entsetzt. "Es geht schließlich um Eryn Lasgalen. Es trifft doch dein Volk in erster Linie." Eindringlich sah er seinen Vater an. "Viele Menschen und Zwerge haben in dem Ringkrieg ihr Leben gelassen. Nicht nur Elben. Du musst die Truppen aus Gondor und Rohan verstärken, damit das alles endlich ein Ende hat."

Der König sah ihn mit blitzenden Augen an. "Law! (1) Was geht mich der Teil des Waldes an. Sollen sich die Elben von Lórien darum kümmern!"

Fragend blickte der Sohn auf den Vater. "Amman, adar? Sa gwend iaur!" (2) sagte er beschwörend. "Diese Kreaturen werden auch wieder in dein Reich wandern, sobald sie sich im Süden verbreitet haben."

"Mein Sohn, wenn du erstmal König dieses Reiches bist, dann wirst du mich verstehen, dass man dem Volk nicht eine Schlacht nach der anderen zumuten kann." Wütend blitzten seine stahlblauen Augen auf. Sie waren eine Nuance heller als bei Legolas, und um sehr viel mehr Nuancen kälter.
Er wandte den Blick von Legolas ab und drehte ihm den Rücken zu. Seine Augen waren auf das Gemälde seiner Frau gerichtet. "Ihr habt wahrscheinlich Hunger, und seid müde von dem langen Ritt. Ich lasse Euch zu Euren Gemächern führen und bitte Euch dann zu Tisch." sagte er, blickte noch einmal auf seinen Sohn, und verließ den Raum.

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Wie vom Donner gerührt stand Legolas da. Er war geschockt. Hat sein Vater tatsächlich die Hilfe verweigert? Er konnte es nicht glauben. Er wollte hinter ihm herstürmen, doch Aragorn hielt ihn auf.

"Legolas. Lasto beth nîn! (3) Lass ihn. Wir sprechen später noch mal mit ihm. Es hat jetzt keinen Sinn, du bist zu aufgebracht." Bestimmt hielt er seinen Freund am Arm fest. "Das würde alles nur schlimmer machen." fuhr er behutsam fort.

Legolas schüttelte den Kopf. Ungläubig sah er auf die Tür, durch die Thranduil gerade gegangen war. Er schloss die Augen und atmete tief ein. Der Duft dieses Raumes beruhigte ihn. "Du hast Recht, Aragorn, aber das hätte ich von ihm nie erwartet! Wie kann er so reagieren? Im gruitheb na..."(4)
"Sag jetzt nichts, was dir später vielleicht leid tut." fiel er dem Elb ins Wort. "Falls er bei dieser Entscheidung bleiben sollte, wird er seine Gründe haben. Legolas." Eindringlich sah er seinem Freund in die Augen. "Wir versuchen es später noch einmal. Vielleicht muss er diese Situation erst einmal einschätzen können."

"Legolas, mein Prinz, wie schön, dass Ihr endlich wieder einmal hier seid!" Eine warme freundliche Stimme riss ihn aus seinen Gedanken.

Legolas blickte auf. Lächelnd ging er auf eine ältere Elbe zu. "Carmíl, es ist schön dich zu sehen. Wie ist es dir in all den Jahren ergangen?" Freudig begrüßte er die Hausdame, die er schon sein ganzes Leben kannte.

"Gut, mein Prinz, aber wie geht es Euch? Es muss schon ein Jahrzehnt sein, das Ihr hier ward." Warm lächelte ihn die Frau an und nahm seine Hände in die ihre.

"Du hast ein gutes Gedächtnis, Carmíl." lächelte Legolas.

"Der König... bestimmt hat er sich gefreut Euch zu sehen."

"Du kennst ihn, Carmíl." erwiderte Legolas traurig. "Ich ihn aber anscheinend aber nicht mehr." sagte er mehr zu sich selbst.

"Oh, doch Prinz. Er freut sich gewiss. Sie kennen Ihren Vater. Er kann seine Gefühle nicht zeigen. Aber Ihr seid schließlich sein einziger Sohn. Und er freut sich ganz gewiss." sagte sie und fügte mit einem Lächeln hinzu: "Glaubt mir ruhig, Herr, ich kenne ihn jetzt schon viele tausend Jahre."

Legolas blickte die alte Elbe an. Traurigkeit lag in seinen Augen.
Die Frau lächelte ihm aufmunternd zu. "Ich wurde geschickt, um Euch Eure Gemächer zu zeigen. Prinz, Ihr wisst doch hoffentlich noch wo Eures ist? Es wurde nichts verändert." sagte sie stolz. "Es wird immer Euer Gemach bleiben, und hat schon lange auf Euch gewartet."

"Natürlich finde ich den Weg noch." Er lächelte gequält. Er hätte lieber eines der Gästezimmer genommen als sein eigenes.

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Nachdem er ein paar Minuten unschlüssig vor der Tür gestanden hatte, ging er langsam in sein Zimmer.
Es war tatsächlich nichts verändert. Seine Bücher, seine Bilder, seine Gedichte, alles lag noch so da, als wenn er gestern erst gegangen wäre.

Das Fenster war geöffnet, und der Wind bewegte leicht die seidenen Vorhänge. Das Bett war frisch bezogen und überall standen Blumensträuße, die einen süßen Duft hinterließen. Er wusste, dass die Hausdame diese Blumen ausgesucht hatte. Es waren die Rosen, die einst seine Mutter nach ihren Vorstellungen gezüchtet hatte, bis sie perfekt war. Behutsam berührte er eine der Blüten. Ja, sie war perfekt. Sie hatte ein tiefes Rot, die Blütenblätter waren breit und zart und der Duft dieser Blume war betörend.
Er hielt seine Nase an die Blüte und atmete tief ein. Traurigkeit erfasste ihn. Er hob seinen Blick und sah sich erneut um. Plötzlich war er in die Vergangenheit zurückversetzt. Wie oft hatte er hier einsam gesessen und darauf gewartet, dass sein Vater nach ihm sieht? Wie oft wurde er enttäuscht!

Sein Blick wanderte herum und blieb an einem Bild hängen. Er hatte es gemalt, als er gerade 60 Jahre war. Es war ein düsteres Bild. Perfekt im Pinselstrich und Ausführung, von den Farben jedoch brachte es dem Betrachter in eine dunkle Stimmung. Lange hatte er es nicht gesehen, doch es machte ihn traurig. Er fühlte plötzlich wieder das, was er damals gefühlt hatte - Einsamkeit.

Er seufzte und ging zu dem Bücherregal. Seine Finger strichen vorsichtig über die vielen sehr alten Lederbände. An einem Buch blieb sein Blick hängen. Er nahm es behutsam heraus. Es war ein Band mit seinen Lieblingsgedichten. Daraus hatte ihm immer seine Mutter vorgelesen. Aus diesem Buch waren auch die Gedichte, die er Melima vorgetragen hatte.
Ein leises Lächeln bildete sich auf seinen Lippen. Melima - sie mochte diese Gedichte, wollte immer mehr hören. Vielleicht sollte er dieses Buch auf der Rückreise mitnehmen.

Gedankenverloren blätterte er durch den dicken Band. Plötzlich rutschte etwas zwischen zwei Seiten heraus, und flatterte leise auf den Boden.
Verwundert bückte er sich und sah es sich genauer an. Es war ein Stück Papier. Platt gedrückt von dem Jahrtausendlangen liegen in diesem Buch. Er faltete es vorsichtig auseinander. Er sah die schöne Handschrift seiner Mutter, die geschrieben hatte:

Oilima Markirya

Man kiluva kirya ninqe
oilima ailinello lúte
níve qímari ringa ambar
ve maiwin qaine?

Man tiruva kirya niqe
valkane wilwarindon
lúnelinqe vear
tinwelindon talalínen,
vae falastane,
falma pustane,
rámali tíne,
kalma histane?

Man tenuva súru laustane
taurelasselindon,
ondoli losse karkane
silda-ránar,
minga-ránar,
ve kaivo-kalma;
húro ulmula,
mandu túma?

Man kiluva lómi sangane,
telume lungane
tollalinta ruste,
vea qalume,
mandu yáme,
aira móre ala tinwi
lante no lanta-mindon ?

Man tiruva rusta kirya,
laiqa ondolissen
nu kafne vaiya,
úri nienaite híse
píke assari silde
óresse oilima?

Hui oilima man kuluva,
hui oilimaite?

°°°

Die letzte Arche

Wer wird ein weißes Schiff sehen, wie es den letzten Strand verlässt mit weißen Gestalten in seinem kalten Leib, die klagen wie die Möwen?

Wer wird ein weißes Schiff beachten, unbedeutend wie ein Schmetterling, in der bewegten See auf Flügeln wie Sternen; wenn die See schwankt, die Gischt umherweht, die Flügel glänzen und das Licht verlischt?

Wer wird den Wind brausen hören, wie die Blätter des Waldes die knirschenden weißen Felsen, wenn der Mond scheint, wenn der Mond schwindet und wenn der Mond vergeht, ein Leichenlicht den murmelnden Sturm und den sich öffnenden Abgrund?

Wer wird sehen wie die Wolken aufziehen, die Himmel sich biegen über zerfallenden Hügeln, die steigende See, den gähnenden Abgrund, die alte Dunkelheit jenseits der fallenden Sterne über gefällten Türmen?

Wer wird ein gestrandetes Schiff beachten, auf dem grünen Felsen unter roten Himmeln, eine blendende Sonne, die blickt auf glitzernde Knochen am letzten Morgen?

Wer wird den letzten Abend sehen, den allerletzten?

°°°

Die Worte hallten tief in seinem Herzen wider.
Es war ein Gedicht. Noch nie hatte er diesen Text gelesen. Es muss Schicksal gewesen sein, dieses Buch in die Hand zu nehmen, dieses Papier zu finden.

Behutsam strich er über die schon ein wenig verblassten Buchstaben. Fast 2500 Jahre musste es schon in dem Buch stecken, denn als seine Mutter gestorben war, hatte er es niemals wieder in die Hand genommen.
Er war sich plötzlich ganz sicher, dass seine Mutter ihm mit diesen Zeilen etwas sagen wollte, falls sie es nicht mehr konnte. Er wusste, dass er richtig entschieden hatte, jetzt noch nicht in den Westen zu segeln. Dieses Papier war ein Zeichen von ihr.

Plötzlich war sein Herz erwärmt und erfüllt mit Erinnerungen an seine Mutter. Ihr Lachen, ihre wunderschönen braunen Haare, mit denen er so gerne zwischen seinen Fingern gespielt hatte, ihr Duft nach Blumen, und ihre sanfte Stimme wenn sie ihm Gedichte vorgelesen oder gesungen hatte. Sie hatte so gerne gesungen. Und so gerne hatte er ihrer Stimme gelauscht. Fast schien es ihm, er könnte sie hören.
Er schloss die Augen und seufzte tief. "Danke naneth . Jetzt bin ich bereit mit ihm zu reden." sagte er leise, legte den Gedichtband und das Papier sorgsam auf sein Bett, strich noch einmal zärtlich darüber, und verließ dann sein Zimmer.

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Mit sicheren Schritten kam er bei den Räumen seines Vaters an. Kurz zögerte er, doch dann klopfte er laut.
"Herein." dröhnte die mächtige Stimme seines Vaters von innen. Er sah auf, als Legolas den Raum betrat. Verwundert sah er seinen Sohn an. "Legolas. Ich dachte wir sehen uns erst beim Abendmahl."

"Nein, ich habe etwas mit dir zu besprechen, was nicht warten kann, Vater." sagte dieser energisch.

Der König zögerte ein wenig. Es war ungewohnt, dass man seinen Anweisungen nicht nachkam. "Nun gut, was hast du so wichtiges zu sagen. Geht es wieder um die Orks?"

"Nicht nur." Legolas zögerte einen Moment und suchte nach den richtigen Worten. "Vater, ich weiß, du hast dir immer einen anderen, in deinen Augen besseren oder geeigneteren Sohn als mich gewünscht. Es tut mir leid, dass ich deinen Ansprüchen nicht gerecht werden konnte. Ich bin eben nicht so wie du..." Er zögerte einen Moment und sah seinem Vater direkt in die Augen. "Und ich möchte es auch gar nicht sein. Ich führe ein anderes Leben als du, und ich kann mir dein Leben nicht als das meine vorstellen." Er atmete tief ein und sah den König entschlossen an. "Ich werde dir nicht auf den Thron folgen, Vater!"

Jetzt war es raus. Legolas schloss den Mund und wartete auf die Reaktion seines Vaters. Auf dessen Gesicht war nichts abzulesen. Er blickte ihn einen Moment kalt an und ging dann zum Fenster. Legolas kam es vor, als würden Stunden vergehen.
Langsam drehte sich der König zu ihm um. Thranduil sah ihn auf einmal sehr traurig an.

"Ich weiß, mein Sohn. Das weiß ich schon, seit dem Tod deiner Mutter." Plötzlich wirkte der sonst so beherrschte Mann verletzlich.

Legolas sah ihn erstaunt an. "Woher?" fragte er.

"Es ist nicht so, dass ich dich nicht für geeignet halte. Das ist es in der Tat nicht. Du wärest ein besserer König als ich. Aber ich weiß, dass das hier nicht dein Zuhause ist, und seit dem Tod deiner Mutter, und meiner geliebten Frau, auch niemals war. Ich war dir kein guter Vater - es tut mir leid."

Sprachlos sah Legolas seinen Vater an. Er hatte mit allem gerechnet - mit Wut, schreien, brüllen, zetern - aber nicht mit einem Schuldeingeständnis.

"Nachdem deine Mutter, Silivren, gestorben war, konnte ich mich nicht mehr um dich kümmern. Zu groß war der Schmerz und der Verlust in meinem Herzen." Er blickte ihn an. "Du bist ihr so ähnlich, weißt du das?" Einen langen Moment haftete der Blick des Mannes auf seinem Sohn. Dann sah der König wieder aus dem Fenster und schwieg.

Legolas war noch immer völlig verblüfft. Noch nie hatte er ihn so erlebt. Immer war er der beherrschte und strenge Mann gewesen, der nicht davor zurückschreckte, seinen Sohn für eine Kleinigkeit hart zu bestrafen. Nie hatte dieser Mann Gefühle ihm gegenüber gezeigt.

Thranduil blickte wieder zu ihm. "Jedes mal wenn ich dich sehe, sehe ich Silivren. Nicht vom äußerlichen." Er lächelte schwach. "Da kommst du nach mir. Aber deine Seele ist die deiner Mutter. Ich habe versagt als Vater, weil ich mit meinem Schmerz nicht zurechtgekommen bin. Ich bin in Selbstmitleid versunken als du mich gebraucht hast." Er sah auf den Boden, doch sein Blick war weit in die Vergangenheit gerichtet. "Leider erst spät habe ich es gemerkt. Zu spät. Da hattest du dich schon zu sehr von mir entfremdet." Er machte einige Schritte auf seinen Sohn zu. "Legolas, ich weiß, dass du eine andere Zukunft hast. Ich bin nur froh, dass du es mir endlich gesagt hast." Ein wenig hilflos blickte er Legolas an. "Ich wollte dir diese Dinge schon so lange sagen, aber immer fehlte mir der Mut." Traurig ließ der König den Kopf hängen. "Es war leichter der strenge Vater zu sein, als meine Fehler einzugestehen."

Legolas konnte nicht glauben, was hier gerade geschehen war. War das sein Vater? Sein starker, sturer, stolzer, unnahbarer Vater? "Du hast sie wirklich geliebt, nicht wahr?" fragte er leise.

"Mehr als mein Leben, mein Sohn. Und ich konnte nichts tun, als sie starb. Ich konnte ihr nicht helfen." Tränen sammelten sich in seinen Augen. Flehend sah er seinen Sohn an und der wusste, was er zu sagen hatte.

"Vater, keiner konnte ihr helfen. Es war ein Unfall. Ein schrecklicher Unfall. Du konntest nichts tun." Tröstend kam auch er jetzt einen Schritt auf seinen Vater zu und legte ihm eine Hand auf die Schulter.

"Du bist ihr so ähnlich" Traurig lächelte Thranduil ihn an. "Es tut mir so leid. Ich hoffe, du wirst eines Tages ein besserer Vater als ich. Bitte verzeih mir, mein Sohn!"

"Es sind viele Dinge passiert, adar (5) . Dinge, die nicht hätten sein müssen. Worte, die niemals hätten gesagt werden sollen." Sein Blick wurde warm. "Auch ich habe Fehler gemacht. Auch mir tut es leid."

Traurig sahen Vater und Sohn einander in die Augen. Der Bann war gebrochen. Sie fielen sich in die Arme. Die erste wirkliche Berührung seit tausenden von Jahren.
Legolas hob den Blick und sah auf das Gemälde seiner Mutter, die ihn gütig anzulächeln schien. "Gen hannon, naneth! (6) " flüsterte er leise und weinte seit ebenso tausenden von Jahren seine erste Träne.

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(1) Nein!
(2) Warum Vater? Es gibt alte Freundschaften!
(3) Höre auf mein Wort
(4) Ich bin zornig auf...
(5) Vater
(6) Ich danke dir, Mutter

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