Vater und Sohn
Sie lagen sich noch lange in den Armen, hielten
einander fest und trösteten sich gegenseitig. Sie holten nach,
was damals bei dem Tod der Frau, die beide über alles geliebt
hatten, versäumt wurde.
Irgendwann gingen sie gemeinsam in
den Wald und redeten. Sie redeten sehr lange. Sie redeten wie Vater
und Sohn miteinander reden sollten - endlich.
Als Legolas nach
einiger Zeit noch mal vorsichtig auf den bevorstehenden Kampf
zurückkam, blickte der König in die Ferne.
"Cenin toled i aduial." (1) Thranduil sah sich um und betrachtete aufmerksam den Wald. "Boe tired i dawar." (2) Seine blauen Augen suchten die von Legolas, und sahen ihn fragend an. "Mein Sohn, ich weiß nicht, was ich tun soll. Ich habe so viele Freunde und gute Männer verloren. Mein Volk war verzweifelt nach dem Krieg. Wie soll ich es erneut von ihnen verlangen?"
"Indem du es nicht von ihnen verlangst." Ruhig war seine Stimme, doch eindringlich sah Legolas ihm in die Augen. "Adar, es geht um ihre Zukunft. Wir haben eine große Armee der Menschen aus Gondor und Rohan, aber mit deinen Elben könnten wir einen leichten Sieg erzielen. Rede mit unserem Volk. Erkläre ihnen die Situation und ich glaube fest daran, dass sie von sich aus ihre Bogen nehmen und in den Kampf ziehen." Er blickte seinem Vater in die Augen. "Du vergisst, dass es auch mein Volk ist. Es sind Elben. Elben des Eryn Lasgalen. Stolze Elben. Sie werden nicht einfach zusehen, wie diese Kreaturen erneut in ihre Heimat marschieren. Gerade, weil sie bei der letzten Schlacht so viel verloren haben ist es wichtig, dass wir jetzt schnell handeln." Entschlossen sah er seinen Vater an.
Thranduil überlegte. Legolas konnte den Kampf in ihm spüren. Schließlich nickte der König entschlossen. "Du hast Recht, Legolas. Wir müssen etwas tun. Wir können nicht zusehen, wie diese Geschöpfte wieder mordend und plündernd durch unseren Wald ziehen." Tief blickte er ihm in die Augen und legte ihm liebevoll eine Hand auf die Wange. "Du wärst ein guter König geworden, mein Sohn."
°°°°°
Zur
gleichen Zeit in Bruchtal. Mel saß auf der Terrasse und las.
Plötzlich beschlich sie wieder das dunkle Gefühl. Sie
setzte sich auf. Ihre Augen verdunkelten sich, und sie ließ das
Buch sinken, in dem sie gerade las. Ihre Hände wurden kraftlos
und es fiel zu Boden.
In dem Moment kam Elrond auf die Terrasse.
Er bemerkte sofort, dass etwas nicht stimmte. Er kniete sich vor ihr
und nahm ihre Hände.
"Schließe deine Augen und konzentriere dich." sagte er leise. Melanie sah ihn einen Moment zögerlich an.
"Ich fühle eine Düsternis..." flüsterte sie, sah Elrond besorgt an und schloss dann ihre Augen.
"Konzentriere dich. Gehe in dich. Lass deinen Gedanken freien Lauf. Denke an Legolas." sprach er leise und fuhr mit der Hand über ihre Augen.
Melanie begann ein wenig zu zittern. Ihr Gesicht verzerrte sich. "Legolas..." stammelte sie. "Er ist in Gefahr." Plötzlich öffnete sie wieder ihre Augen und sah Elrond direkt an. "Es wird einen Kampf geben." Entschlossen klangen ihre Worte.
"Was hast du gesehen, sell nîn?" fragte er leise.
"Böse Kreaturen. Sie bereiten sich auf eine Schlacht vor. Sie sind gut gerüstet. Ich glaube, es waren Orks. Viele Orks. Sehr viele." Sie zögerte und dachte einen Moment nach. "Außerdem war da noch etwas anderes." Sie zögerte erneut und suchte nach Worten. "Ein böser Geist. Ich konnte ihn nicht erkennen, aber er ist mächtig. Sehr mächtig."
Elrond bekam ein ungutes Gefühl. "Schließe deine Augen und erzähle mir von diesem bösen Geist." Ruhig redete er auf sie ein und schloss erneut sanft ihre Augen.
"Er... er will einen Krieg. Er will Macht. Er... nein!" sie schrie auf. Ihr Gesicht war plötzlich schmerzverzerrt. "Nein, lass mich!" Immer noch die Augen geschlossen, wehrte sie sich, und schlug mit ihren Armen um sich.
Im eisernen Griff hielt Elrond sie fest, und sagte laut und bestimmt: "Mel, öffne die Augen! Lacho calad! Drego morn! (3) Mel, ceno nín! (4) Sieh´ mich an! Los, sieh´ mich an!"
Melanie öffnete die Augen und sah ihn erschrocken an. Was war das? Was ist da gerade mit ihr passiert? Irgendetwas hatte sie in ihren Bann gezogen. Etwas Schreckliches!
"Erzähl mir, was du gesehen hast." sagte Elrond und hielt ihren Blick fest. Er nahm beruhigend ihre Hand.
"Er... er hat mich angesehen." Mel zitterte. "Er sah mich an, sah mir direkt in die Augen..." Sie schloss die Augen. "Dann grinste er fürchterlich. Und... er sagte etwas."
"Mel, was? Was hat er zu dir gesagt? Sieh´ mich an!" Elronds Stimme war eindringlich, und er schüttelte sanft ihre Schultern.
Sie zögerte. Furcht lag in ihren Augen. "Er... er sagte: Da bist du also. Ich habe bereits auf dich gewartet!´" Melima sah den Elben an. "Adar, was hat das zu bedeuten?"
Langsam ließ
er von ihr ab und blickte sie nachdenklich an. "Ich weiß
es nicht, sell nîn." Seine grauen Augen blickten tief in
die ihren. "Aber allem Anschein nach hattest du eine Verbindung
zu jemandem... oder etwas."
Nachdenklich legte Elrond seine
Stirn in Falten. Ein ungutes Gefühl beschlich ihn. Irgendetwas
versuchte Kontakt zu Mel zu finden. Und wer oder was es auch war,
böse Absichten waren sein Ziel.
Atemlos kam ein Bediensteter auf die Terrasse gestürmt und riss Elrond aus seinen Gedanken. "Hîr, benn aníra annad hiniath! (5) Er kommt aus Minas Tirith."
"Aníron i venn minnad." (6) sagte er. Dann blickte er Mel an. "Begleite mich!" Dann gingen sie hinein.
°°°°°
Drinnen erwartete sie bereits der Bote. Es war ein junger Mann mit dem Zeichen der Weißen Stadt auf seiner Brust. Er machte eine kurze Verbeugung vor dem Lord.
"Herr, ich habe Nachrichten von König Elessar!" Vorsichtig blickte er auf Mel. Schweiß stand auf seiner Stirn, und er war ungewöhnlich blass. "Es ist dringend."
"Schon gut, sprecht. Sie kann es hören." sagte Elrond ruhig.
Zweifelnd sah ihn der junge Mann an, fing dann aber an zu erzählen. "Herr, es wird eine Schlacht geben. Orks versammeln sich, um Eryn Lasgalen anzugreifen. Sie sammeln sich in Dol Guldur. Mein König hat mich hierher geschickt, um Euch davon zu berichten."
Elrond
sah Mel aufmerksam an. Sie war blass geworden. Ihre Augen waren weit
aufgerissen. Erschüttert war ihr Blick auf den Boten gerichtet.
Ihre Hände krallten sich ineinander, so das die Knöchel
weiß hervortraten.
"Erzählt mir alles!" sagte
er zu dem Boten und der berichtete ihm ausführlich.
Nachdem er geendet hatte, nickte Elrond und ging nachdenklich ans Fenster. Mel hatte also tatsächlich Ahnungen gehabt, die sich bewahrheiteten. Sie konnte wirklich spüren was geschehen würde...
Wieder kam ihn der junge Mann in den Sinn, dem er vor dreizehn Jahren Unterkunft gewährt hatte. Auch dieser Mann war plötzlich aufgetaucht in Bruchtal. Er war ein Reisender damals, und auf dem ersten Blick war an ihm nichts Ungewöhnliches gewesen. Er hatte nie erzählt, woher er kam oder wohin er wollte. Und auch dieser Mann konnte Dinge spüren. Damals war es Saurons wachsende Kraft gewesen.
"Ein böser Schatten wird kommen." hatte er damals zu Elrond gesagt. Dieser hatte ihn verblüfft angesehen, denn der Elb hatte dies ebenfalls gespürt. "Was genau meint Ihr?" hatte Elrond ihn gefragt. Der junge Mann hatte ihn jedoch nur ernst angesehen.
"Das Auge. Es wird ein harter Kampf werden. Möge Eru eine Hand über uns halten." Mehr hatte er damals nicht von ihm erfahren.
Plötzlich hörte er
Mel aufschreien. Der junge Mann war umgefallen. Erst jetzt sah Elrond
das Blut, das an der Seite seines Bauches sein Gewand rot
färbte.
Schnell rief er seine Bediensteten und begann den
Verletzten zu versorgen. Mel hatte seinen Kopf auf ihrem Schoß
gebettet und strich ihm ängstlich die Haare aus der Stirn.
Der
junge Mann öffnete stöhnend die Augen und sah sie an. Sein
Blick, der eben noch schmerzverzerrt war, wurde weich. Noch nie hatte
er ein bezaubernderes Geschöpf gesehen. Sie hatte so
wunderschöne grüne Augen. Ihre zarten Gesichtszüge
waren besorgt. Sie musste ein Engel sein. Er versuchte zu lächeln.
Dann sank er in tiefe Bewusstlosigkeit.
°°°°°
Vorsichtig
öffnete der Mann aus Gondor die Augen und blinzelte. Wo war er?
Er sah sich um. Er war in Elronds Haus. Er atmete erleichtert auf. Er
hatte dem Lord noch alles erzählen können, bevor ihn seine
Verletzung, die er von einem Orkpfeil erhalten hatte, niedergestreckt
hatte.
Er versuchte sich aufzurichten und sah sich um. Da stand
sie, das wunderschöne Mädchen. Sie lehnte am Fenster und
starrte hinaus. Es dämmerte bereits. Bald würde es dunkel
sein.
Ein leises Stöhnen entfuhr seiner Kehle, als er die
stechenden Schmerzen in seiner Seite fühlte.
Mel hörte es und drehte sich um. "Herr, nein, bleibt liegen. Ihr seid schwer verwundet worden." Sanft drückte sie ihn zurück in die Kissen und blickte ihn an. "Habt Ihr Durst?"
Schweigend
nickte er und sah sie an. Sie war wunderschön. In dem dämmernden
Licht fielen ihre blonden Haare weich und glänzend in leichten
Wellen über die Schultern.
Vorsichtig half sie ihm, sich ein
wenig aufzurichten und setzte den Becher an seine Lippen.
"Was ist mit Euch geschehen?" fragte sie, als er wieder ruhig lag. Sie entzündete am Kaminfeuer eine Kerze, und stellte den Leuchter dann auf das Tischen neben dem Bett. In diesem Licht sah sie einfach atemberaubend aus. Die Flamme der Kerze spiegelte sich in ihren großen, grünen Augen.
"Orks. Diese verdammten Kreaturen haben mitgekriegt, dass ich als Bote unterwegs war und haben mich mit Pfeilen beschossen. Ich bin froh, dass ich hier noch rechtzeitig angekommen bin." erklärte er und konnte den Blick nicht von ihr abwenden.
"Das könnt Ihr auch sein, mein Herr. Eure Verletzung ist schwer, und es ist ein Wunder, dass Ihr überhaupt soweit gekommen seid." Offen lächelte sie ihn an.
Er versank in diesem Lächeln. "Darf ich fragen, wer Ihr seid, Herrin?"
"Natürlich. Mein Name ist Mel. Ihr könnt mich auch ruhig so nennen."
"Es freut mich, Eure Bekanntschaft zu machen, Mel." Er nahm ihre Hand und küsste sie. "Mein Name ist Macelius, Euch und Eurer Familie zu Diensten." Verzückt sah er in ihre grünen Augen.
Etwas verwirrt über den Handkuss, zog Mel ihre Hand zurück. "Ihr solltet jetzt schlafen, mein Herr. Ihr braucht Ruhe." sagte sie und wollte aufstehen. Der junge Mann hielt jedoch ihre Hand fest. "Nein, bitte bleibt noch ein wenig und erzählt mir von Euch. Was führtet Euch nach Bruchtal?" fragte er.
Zögernd setzte sie sich wieder. "Ich war verletzt, wie Ihr. Freunde brachten mich hierher, zu Lord Elrond."
"Oh, ich hoffe doch, Eure Verletzungen waren nicht schwer? Ihr scheint Euch hier aber gut erholt zu haben." stellte er fest.
"Ja, das ist wahr. Mit der Hilfe Lord Elronds bin ich jetzt wieder gesund." lächelte sie.
Dieses Lächeln... "Werdet Ihr länger hier verweilen, Herrin?"
"Wahrscheinlich bleibe ich noch eine Weile, ja." sagte sie.
"Wo kommt Ihr her? Wo liegt Euer Zuhause?" fragte er neugierig. Er wollte alles über diese faszinierende Frau erfahren.
"Ähm..." Was sollte sie darauf erwidern? "Im Moment ist dies hier mein Zuhause, mein Herr. Ihr solltet Euch jetzt wirklich ausruhen." Entschieden entriss sie ihm ihre Hand, die er immer noch in der seinen gehalten hatte, stand sie auf und verschwand eilig aus dem Zimmer.
Etwas verblüfft blickte er ihr hinterher. Hatte
er was Falsches gesagt? Er hoffte nicht. Diese junge Frau faszinierte
ihn.
Lächelnd sank er zurück in seine Kissen. Im Moment
war er den Orks unglaublich dankbar dafür, dass sie ihn
angeschossen hatten, denn so brauchte er noch nicht an eine Rückreise
nach Gondor denken. So hatte er noch ein wenig Zeit, um sie näher
kennenzulernen.
°°°°°
Noch am Abend hatte Thranduil, der König der Waldelben sein Volk zusammengerufen und ihnen die Situation erklärt. Legolas stand neben ihm.
"Mein Volk, meine Elben, meine Freunde." begann er in einem ernsten Ton. "Ich weiß, der Ringkrieg ist noch nicht lange vorbei, und ich weiß, dass, als er auch in unsere Gefilde Einzug genommen hatte, und wir viele gute Elben betrauern mussten. Mütter weinen um ihre Söhne, Frauen um ihre Ehemänner, Kinder um ihre Väter." Mitfühlend sah er in die traurigen Gesichter, die zu ihm hinaufblickten. "Ihr Verlust wiegt schwer in unseren Herzen, und wir konnten ihren sinnlosen Tod nicht rächen. Nichts würde sie wieder lebendig werden lassen. Nichts kann die Trauer und den Verlust in unseren Herzen stillen." Energisch hob er einen Arm und ballte die Hand zu einer Faust. "Wir hatten damals geschworen, dass diese Kreaturen nie wieder in unseren Wald einziehen sollten. Nie wieder wollten wir zulassen, dass sie diesen Boden besudeln." Langsam ließ er die Faust wieder sinken. "Doch nun zieht neues Unheil auf. Wieder sind Orks in unsere Wälder einmarschiert. Wir wissen nicht, wer sie hierher geschickt hat, doch so, wie es aussieht, soll Dol Guldur wieder vom Bösen belagert werden, und damit auch unsere Heimat. Mein Herz ist schwer, doch ich glaube, wenn wir erneut gegen sie kämpfen, vereint mit den Menschen aus Gondor und Rohan, können wir sie schlagen und für immer aus unseren Wäldern vertreiben. Wir dürfen nicht zulassen, dass diese Wesen unseren Eryn Lasgalen schänden. Wir dürfen nicht zulassen, dass unsere Heimat wieder ein Ort der dunklen Kreaturen wird. Ich will nicht, dass unsere Heimat wieder zu einem Düsterwald umbenannt werden muss. Es muss ein Ende haben! Mit eurer Hilfe, meine tapferen Elben, schlagen wir sie in die Flucht. Nein, wir töten sie." Die Stimme des Königs war laut und bestimmt. "Kein Ork soll jemals wieder den Boden unseres Waldes beschmutzen! Wollt ihr mit uns ziehen, meine treuen Krieger?"
"Ja." riefen die Elben.
"Wollt ihr euch mir, meinem Sohn Legolas und den Königen Gondors und Rohans anschließen, damit wir endlich diesen Wald, unsere Heimat und ganz Mittelerde von den Orks befreien?"
"Ja!" Entschlossen riefen die stolzen Elben die Antwort, und hielten die Bögen über ihre Köpfe als Zeichen ihres Willens. Schnell waren sie überzeugt. Nie wieder wollten sie diese Kreaturen in ihrem Wald dulden.
Zufrieden nickte Thranduil und sah stolz zu seinem Volk hinunter. "Ich wusste, ich kann mich auf euch verlassen. Schließlich sind wir Elben! Wir sind Elben des Eryn Lasgalen! Und wir lassen uns von so ein paar Orks nicht unsere Heimat entweihen!"
Als Thranduil seine Rede
beendet hatte, gingen Schlachtrufe durch die Reihen:
"Noro
nan goth!" (7)
"Govaetham!" (8)
"Gurth
´ni yrch!" (9)
Legolas sah seinem Vater dankbar in
die Augen. Dann blickte er lächelnd zu seinen Freunden. Auch
Aragorn und Gimli sahen zufrieden einander an. Es war schön zu
sehen, dass sich ihr Freund mit seinem Vater ausgesöhnt hatte.
Nun konnte Legolas beruhigt in die Zukunft blicken. Zumindest, wenn
diese Schlacht geschlagen war.
Bereits am nächsten Morgen
sollte die Reise nach Dol Guldur losgehen. Ja, jetzt konnte die
Schlacht losgehen - und sie würde siegreich enden.
°°°°°
(1)
Ich sehe die Abenddämmerung kommen
(2) Man muss den Wald im
Auge behalten
(3) Flamme auf, Licht! Weiche, Finsternis!
(4)
Sieh´ mich an!
(5) Herr, ein Mann wünscht eine
Botschaft zu überbringen!
(6) Er soll eintreten.
(7)
Stürmt zum Feind!
(8) Lasst uns zusammen kämpfen!
(9)
Tod den Orks!
