Kapitel

Aufgeregt riss Sirius den Umschlag auf. Er bekam selten Post, und falls doch, dann nur von irgendwelchen Tanten oder sonstigen entfernten Verwandten. Nichts Nennenswertes jedenfalls.

Und nun das! Ein Brief aus Hogwarts, der berühmtesten Zauberschule der Welt! Es hatte zwar seit jeher außer Frage gestanden, dass Sirius dort hingehen würde, aber eine offizielle Einladung war dennoch ein Grund zur Freude.

Sirius zog zwei gefaltete Pergamentblätter aus dem Umschlag. Bei dem ersten handelte es sich um eine Mitteilung von Minerva McGonnagal („Stellvertretende Schulleiterin") und bei dem zweiten – dem wesentlich interessanteren – um eine Liste mit Schulbüchern und sonstigen Utensilien, die für den Unterricht gebraucht wurden.

Er hatte es gewusst, und trotzdem strahlte Sirius wie ein Honigkuchenpferd. Seine dunklen Augen leuchteten und seine Wangen waren vor Aufregung gerötet.

Seine Cousine Bellatrix dagegen rutschte missmutig auf ihrem Stuhl herum. Der Grund war denkbar einfach: sie hatte keine Einladung aus Hogwarts erhalten.

Das machte nicht nur sie fahrig, sondern auch Sirius' Mutter, die nervös durchs Zimmer ging.

„Das muss ein Irrtum sein, Bella. Du bist eine Hexe, ganz klar. Die Blacks haben noch nie einen Squib hervorgebracht. Als ob in unserer Familie jemand mit solch magischen Eltern nicht zaubern könnte… unmöglich… aber vielleicht solltest du, ja, doch, um sicher zu gehen, hier-"

Bellatrix sah erschrocken zu ihr auf. Ein Squib zu sein war so ungefähr das Schlimmste, was ihr passieren konnte. Squibs waren Menschen mit Zauberereltern, die jedoch selbst nicht zaubern konnten. In der Black-Familie wäre dies eine Schande, zumal noch kein Mitglied der Familie ein Squib war. Mrs Black schien jedenfalls fest davon überzeugt, dass ihre Nichte eine Hexe war.

Um dies zu beweisen, griff sie in ihre Schürzentasche und förderte ein langes, hölzernes Instrument zutage, dass sie Bellatrix entgegenstreckte.

„Nimm den Zauberstab. Na los, mach schon", forderte sie das Mädchen auf. Bellatrix sah sie an, ihre Augen voller Zweifel.

„Ich bin nicht sicher, ob ich das kann. Vielleicht bin ich auch gar keine Hexe-"

„Das", unterbrach Mrs Black sie. „Gilt es herauszufinden. Und selbst wenn nicht – was ich mir bei dir beim besten Willen nicht vorstellen kann – bist du wenigstens ein reinblütiger Squib. Ach, Mädchen", rief sie entsetzt, als Bellatrix zu weinen begann. „Nun reg dich ab. Nimm schon den Zauberstab. Vertrau mir. Na komm, nimm ihn."

Nach weiterem Zureden griff Bellatrix endlich zögernd nach dem Stab.

„Sehr schön", lobte Mrs Black. „Und jetzt sag Lumos"

Lumos", hauchte Bellatrix.

Am Ende des Zauberstabs erschien ein Licht. Es war nicht stark, aber dennoch reichte es, um Bellatrix' Gesichtszüge zu erhellen.

„Ich kann zaubern", rief sie begeistert. „Ich bin eine Hexe!"

„Und du wirst einmal Großartiges vollbringen, da bin ich mir sicher", sagte Mrs Black wohlwollend. „Aber nun werde ich an Dumbledore schreiben und mich erkundigen, wo deine Einladung bleibt. Hätte ich mir denken können, dass dieser Nichtsnutz von Schulleiter wieder mal alles verschläft… er sieht sowieso alles zu locker. Wird Zeit, dass mal andere Seiten aufgezogen werden. Das kann so nicht weitergehen."

Und sie ging hinaus, dem Schulleiter von Hogwarts ihre Beschwerde mitzuteilen.

Bellatrix hüpfte vergnügt im Zimmer herum, während Sirius immer noch mit Begeisterung die Schulbuchliste durchsah.

„Zaubertränke, Verwandlungen, Zauberkunst! Schau dir das mal an, Bella! Was wir alles lernen werden! Das wird toll in Hogwarts! Ich wünschte, ich wäre schon da!"

Bellatrix lachte und umarmte Sirius stürmig.

„Wir kommen nach Hogwarts", rief sie. „Nach Hogwarts! Hogwarts, Hogwarts, Hogwarts!"

Ihre langen schwarzen Haare wehten, als sie durchs Zimmer tanzte.

„Ich freu mich so!"

„Ich mich auch", Sirius grinste breit. „Stell dir mal vor, was wir alles anstellen können! Ich könnte dich in einen Affen verwandeln oder in eine Tarantel!"

„Und ich hetze dir einen Kitzelfluch nach dem anderen auf den Hals! Das wird so lustig! Wann fahren wir?"

„Du brauchst erst mal noch eine Einladung", rief Sirius und wedelte mit der seinen durch die Luft. „Vielleicht wollen sie dich gar nicht haben!"

„Das werden wir ja sehen", sagte Bellatrix im Brustton der Überzeugung. „Und wenn ich erst mal da bin wirst du keine ruhige Minute mehr – hoppla!"

Die Küchentür hatte sich geöffnet und ein Geschöpf, das man nur im Entferntesten mit einem Menschen vergleichen konnte, war hineingekommen.

Es hatte lange, fledermausartige Ohren, eine Nase, die eher einer Schnauze glich, wässrige, hervorquellende graue Augäpfel und trug nichts außer einem Lendenschurz. Das Geschöpf schlurfte auf Sirius zu und verbeugte sich tief vor ihm.

„Der Herr hat gesagt, Kreacher soll den Salon putzen und Kreacher hat geputzt", sagte es mit einer dunklen, gequetschten Stimme. „Und Kreacher hat Post gefunden für Miss Bellatrix. Kreacher möchte Miss Bellatrix ihre Post geben."

„Wie war das?", fragte Bellatrix alarmiert. „Du hast Post für mich?"

„Oh ja", sagte Kreacher und verbeugte sich auch vor ihr. Seine lange Nase, die einer Schnauze nicht unähnlich sah, berührte fast den Boden. Als er sich wieder aufrichtete, sah er Bellatrix bittend an.

„Süßes Mädchen, liebes Mädchen. Miss Bellatrix ist ein liebes Mädchen. Und Miss Bellatrix bekommt ihre Post, aber sie muss Kreacher versprechen-"

„Ja, ja, alles was du willst", rief Bellatrix ungeduldig. „Aber gib mir jetzt meine Post."

Kreacher zog einen Umschlag aus seiner Lendenschurztasche. Bellatrix schnappte ihn sich.

„Ha", rief sie triumphierend, als sie das Siegel erkannte. „Hogwarts! Wusste ich's doch! Vielen Dank, Kreacher!"

„Aber Miss Bellatrix muss versprechen, nicht hinzugehen", sagte Kreacher. „Kreacher will bei Miss Bellatrix sein. Kreacher hat Miss Bellatrix ihre Post gegeben und jetzt muss Miss Bellatrix bei Kreacher bleiben."

„Wie war das gerade?", fragte eine donnernde Stimme von der Tür her. Mrs Black stand da, einen zirka siebenjährigen Jungen an der Hand.

„Sag das noch mal, Kreacher. Du hast Bellas Post versteckt? Was fällt dir ein, du dreckiger Hauself? Mach, dass du wegkommst! Mach dich nützlich! Tu was Anständiges! Aber geh mir aus den Augen! RAUS!"

Der verschreckte Kreacher verschwand auch augenblicklich und ließ eine verdutzte Bellatrix, einen grinsenden Sirius und eine ziemlich sauere Mrs Black zurück.

„Hauselfen", sagte letztere zornig und ließ mit einem Wink ihres Zauberstabs die Küchentür zuknallen. „Wie ich sehe, hast du jetzt auch deine Papiere, Bellatrix. Dann können wir eigentlich in die Winkelgasse gehen. Oder möchtest du lieber ein anderes Mal mit deiner Mutter hin?"

„Nö", sagte diese und schüttelte den Kopf. „Zissy und Andromeda machen zu Hause sowieso schon genug Ärger. Ich glaub, Mum ist ganz zufrieden, wenn ich mit dir gehe."

„Ich werde trotzdem noch mal nachfragen", beschloss Mrs Black. „Zieht euch aber schon mal was Vernünftiges an. Sobald ich fertig bin, brechen wir auf."

„Ist das aufregend", jubilierte Bellatrix, als sie mit Sirius und dem kleinen Jungen die Treppe zu Sirius' Zimmer hinaufgingen. „Und ich kann Zissy und Andromeda so was von die Nase lang machen!"

„Ja, kleine Geschwister sind so nervig! Was sagst du, Regulus", er boxte dem kleinen Jungen gegen die Schulter. „Ich geh bald nach Hogwarts, dann darfst du es allein hier aushalten mit Mum und Dad und diesem elendigen Kreacher! Das ist ja wie Weihnachten! Endlich bin ich meinen kleinen, obernervigen Bruder los! Die Welt ist doch noch gerecht!"

Der kleine Regulus sah Sirius böse an.

„Das ist nicht fair! Ich will auch nach Hogwarts!"

„In ein paar Jahren vielleicht", spottete Bellatrix. „Für Zwerge ist da kein Platz!"

„Dann lernst du vielleicht auch mal, vor deinem großen Bruder Respekt zu haben", Sirius grinste hämisch. „Und wenn du nach Hogwarts kommst, bist du lieb, freundlich und gut erzogen. Alles Eigenschaften, die du bis jetzt nicht hast."

Als sie schließlich alle fertig waren – Bellatrix hatte ihre schwarzen Haare zu einem Zopf geflochten; Sirius trug sein schönstes Hemd, das auch schon bessere Zeiten gesehen hatte; Regulus war unter viel Protest in Jeans und Pullover gezwängt worden – versammelten sie sich vor dem Kamin. Mrs Black war bereits da. Sirius, Bellatrix und Regulus blieben verdutzt stehen. Mrs Black gab ein etwas seltsames, wenn nicht schon gruseliges Bild ab: Sie kniete vor dem Kamin, den Kopf in die Flammen gesteckt – doch da war gar kein Kopf. Der saß gerade irgendwo in einem anderen Kamin und redete fröhlich mit Bellatrix' Mutter.

Als Regulus seine Mutter so sah, kreischte er entsetzt.

Bellatrix und Sirius lachten hämisch und machten dumme Witze, was den armen Regulus nur noch mehr ängstigte.

Bellatrix erzählte Regulus gerade in schillernden Farben von Dementoren, den furcht tief einflößenden und glückaussaugenden Wächtern des Zaubergefängnisses Askaban, als Sirius sich von hinten an seinen Bruder heranschlich und „Buuuuuuh" brüllte. Dem kleinen Jungen blieb fast das Herz stehen.

„Mummy", jammerte er kläglich. „Mummy komm aus dem Feuer raus! Mummy!"

Und tatsächlich zog Mrs Black ihren Kopf aus dem Flammen.

„Was brüllt ihr denn so?", herrschte sie die drei Kinder an.

Regulus sah sie an, seine Lippe zitterte bedenklich-

„Mummy", heulte er und warf sich in ihren Schoß.

„Oh, wie niedlich", frotzelte Bellatrix. „Daf kleine Baby hat Angft!"

„Mummy, Mummy, rette mich", schrie Sirius und wedelte mit den Armen. „Der böse Sirius hat mir Angst gemacht.

„Regulus, stell dich nicht so an", schimpfte Mrs Black ihren Jüngsten. „Vor Sirius brauchst du doch wirklich keine Angst zu haben. So, und jetzt komm", sie packte ihn bei den Schultern und richtete sich selbst zu ihrer vollen Größe auf.

„Sirius, wie sehen deine Haare aus! Kämm dich gefälligst mal!"

„Keine Lust", rief Sirius munter und betrachtete seine schwarzen Haare im Spiegel. „Sind doch schön. Gehen wir jetzt?"

„Habt ihr eure Schulbuchlisten?"

„Ja", ertönte es zweistimmig.

Mrs Black nahm ein goldenes Kästchen vom Kaminsims. Sirius griff hinein und förderte eine Handvoll schwarzen Pulvers zutage. Bellatrix und Regulus nahmen sich ebenfalls davon. Mrs Black stellte das Kästchen dann auf den Kaminsims zurück.

„Ich geh dann mal", beschloss Sirius und stapfte in die Flammen. Er öffnete seine Hand und das Pulver färbte die Flammen sofort grün.

„Winkelgasse", befahl Sirius laut und deutlich.

Eine Flamme schoss an ihm hoch und dann war er verschwunden.

Sofort trat Bellatrix ins Feuer. Auch sie streute das Pulver in die Flammen, sagte „Winkelkasse" und verschwand.

Regulus trocknete sich seine Tränen und auch er verschwand durch den Kamin. Als letztes überprüfte Mrs Black ihren Geldbeutel, dann ihr Aussehen im Spiegel – und disapparierte mit einem Plop.