Ob er es sich einbildete? Diese Blicke von ihr... Die Art, wie sie krampfhaft versuchte, seinen Blick nicht zu kreuzen- und es trotzdem tat. Was wäre, wenn... Dieser Gedanke plagte ihn seit einiger Zeit immer häufiger. Was wäre, wenn er nicht der wäre, der er war? Oder sie nicht die, die sie war? Und was wäre, wenn er diesen besonderen Zauber, der sich unaufhaltsam zwischen ihnen entfaltete schon eher bemerkt hätte? Hätte es ihn abgehalten von dem, was er nun im Begriff war zu tun? Seufzend befreite er sich von diesen und anderen ungebetenen Gedanken und versuchte, sich wieder auf seine Arbeit zu konzentrieren. Er musste das hier zu Ende bringen, koste es, was es wolle. Sonst wäre es verloren...
Dieser Blick... Seit Tagen ging er ihr nicht mehr aus dem Kopf. Was wäre, wenn sie ihn richtig interpretiert hätte? Was wäre, wenn? Frustriert schloss sie die Augen. Konzentriere dich, Hermione! Sonst wirst du die Prüfungen nie schaffen! Natürlich, es war erst dezember, aber mit dem Lernen konnte man ja nie früh genug anfangen.
Aber seine Augen...diese normalerweise stahlgrauen, brutal und abweisend blickenden Augen, die einen winzigen Moment lang silbrigen Seen voller Liebe, Verzweiflung und Verwirrung glichen... Sie konnte sie einfach nicht mehr aus ihren Gedanken verbannen. Sie wollte darin versinken und sehen, wie sich Verzweiflung in Hoffnung, Verwirrung in Erkennen wandelte...
Mit einem Lächeln auf den Lippen schlief sie ein, ihn teils freudiger, teils ängstlicher Erwartung eines neuen Traumes...
Sie liegt in seinen Armen. Sie lächelt, als sie hört, wie er sanft ihren Namen ruft. Seufzend schlägt sie die Augen auf und begegnet den seinen, in denen soviel Liebe, soviel Güte liegt. Er lächelt sie sanft an. „Ich liebe dich, meine Schönste. Meine Rettung. Mein Verderben." Ernst blickt er sie an. „Versprich mir eines: Was auch immer du tust- schau niemals zurück!"
Verwirrt wachte sie auf. Schon wieder ihr Traum! Schon wieder dieses Gefühl der absoluten Geborgenheit...schon wieder die bittere Enttäuschung, dass es ihr nie gelang, ihn nach der Bedeutung seines letzten Satzes zu fragen.
Aber jetzt reichte es ihr! Ihr nächster Traum würde ihr enthüllen müssen, worum es ging... Ansonsten würde sie sich etwas überlegen müssen. Denn so konnte es nicht weitergehen, sonst würde sie wahnsinnig werden.
So entschlossen stand sie auf und sah dem neuen Tag entgegen, dieser immer unwillkommeneren Unterbrechung
ihrer Träume.
Na toll! Nicht genug, dass sie sich Nacht für Nacht in seine Träume drängte, dass sie seine Gedanken beherrschte, wo auch immer er gerade war, nein, jetzt musste er auch noch mit ihr zusammen diesen dämlichen Trank brauen! Hand in Hand mit ihr zu arbeiten, mit ihr zu reden, sie anzusehen... Als wäre dies nicht schon zuviel verlangt gewesen. Er musste nicht nur daran denken, wie sie ihre Aufgabe verrichteten, sondern auch noch vermeiden, zu freundlich zu ihr zu sein. Es wäre aufgefallen. Ihren beiden Leibwächtern...und vermutlich sowieso der ganzen Klasse.
Aber sich selber dazu zu bringen, dass er sie beleidigte und beschimpfte...dazu sah er sich nun wirklich völlig außer Stande. So versuchte er einfach, sie so gut es ihm möglich war, zu ignorieren.
Wenn sie nur nicht so verführerisch ausgesehen hätte...wenn nur ihre Haare nicht diesen unwiderstehlichen Duft hätten... Wenn sie nur nicht... Kopfschüttelnd rief er sich selber wieder zur Ordnung. So konnte das nicht weitergehen. Jedenfalls nicht, wenn bei dem Trank am Ende etwas nur annähernd in die richtige Richtung gehendes herauskommen sollte...
Aber sah sie nicht auch immer wieder zu ihm herüber? Bildete er es sich ein, oder fiel es ihr auch schwer, sich zu konzentrieren? Und ihre Hände zitterten... Es erinnerte ihn so sehr an seine Träume von ihr...
Zitternd sitzt sie dort, im Gras. Er sieht sie lange an, kommt dann näher. Sie schaut zu ihm hoch, sagt nichts. Ein leichtes, vorsichtiges Lächeln schleicht sich auf ihr Gesicht. Er zieht wortlos seinen Umhang aus, legt ihn ihr über die Schultern. Dankbar blickt sie ihn an, als er sich neben sie setzt.
Schweigen. Sie sehen sich nur in die Augen, es wird kein Wort gesprochen und doch unendlich viel gesagt.
Er nimmt sie in die Arme. Eng aneinander geschmiegt sitzen sie da. „Geh nicht! Es wird alles kaputtmachen..." sagt sie plötzlich.
Er steht auf und geht. Er muss langsam weitermachen, es muss fertig werden.
Auch, wenn seine Überzeugung nachgelassen hat- er muss es tun. Alles andere hätte unsagbar katastrophale Auswirkungen. Auf ihn. Auf seine Familie. Auf alles, woran er bisher geglaubt hatte. Es wurde Zeit...
