Kapitel 10.
kanryú - durchströmen
Doch der tödliche Biss kam nie… Feli hörte ein seltsam ratschendes Geräusch und etwas Warmes tropfte auf ihr Gesicht. Nur mit allergrößter Anstrengung konnte sie die Augen öffnen und den Kopf leicht drehen und blickte hinein, hinein in den sterbenden Blick des Wolfes Telpe, Sohn des Úlair der den Verstand verloren hatte. Seine gelben Augen traten aus ihren Höhlen, starrten fragend in die von Feli, deren Blick von Schmerzenstränen verschleiert war und noch mehr seines noch körperwarmen Blutes tropfte ihr aufs Gesicht, auf den Hals, auf ihr Dekolteé…
Er öffnete noch einmal sein Maul um etwas zu sagen, doch es kamen nur gurgelnde Geräusche zum Vorschein. Der Irrsinn wich aus seinen Augen, die allmählich ihren Glanz verloren und im nächsten Augenblick blickte Feli nur noch in die fragenden, ängstlichen, normalen Augen eines Wolfes, der nicht verstand was vor sich gegangen war, bat sogar im letzten aufflackern um Verzeihung und starb, nur wenige Zentimeter vor ihrem Gesicht entfernt, mit halb geöffnetem Maul, aus dem nun auch das warme Blut heraustropfte und Felis Wange benetzte…
Keuchend starrte Feli nach oben, weit waren ihre Augen aufgerissen, laut schlug ihr Herz während sie spürte wie das Blut des Wolfes langsam von ihrem Körper abperlte und zu Boden troff.
Irrsinn… das hier ist doch alles Irrsinn! Ich drehe durch, ich werde verrückt… ich habe einen toten Wolf auf mir liegen…! Was habe ich nur getan! schrie etwas in ihren Gedanken, während sie den keuchenden Atem einer zweiten Person knapp neben sich hörte, die nun seitlich gegen den Wolf drückte.
Der tote Körper des Wolfes Telpe lastete schwer auf ihrem Körper, die eingeknickten Arme hielten noch immer den dicken Ast fest, der bereits splitterte und seltsam ächzende Geräusche von sich gab, er würde dem Gewicht des Wolfes nicht mehr lange standhalten, und ihre Arme auch nicht…
Nichts hörte sie sonst um sich herum, alles war stumm… die Wölfe schienen vor Schreck erstarrt zu sein, nichts war zu hören, nichts war zu spüren, selbst der laue Wind, der noch vor kurzem durch die Blätter der Bäume fegte, war verstummt.
„Ist… ist er Tot? Ist er tot, der Wolf meine ich, ist er tot?" fragte nun die Stimme Frodos leise keuchend und Feli blinzelte um ihre Tränen zu verwischen und antwortete: „Ja, er ist tot… er lebt nicht mehr… zieh endlich Stich aus seinem Hals heraus, er lebt nicht mehr, er ist tot… er … lebt … nicht … mehr!"
Fast einer Zauberformel gleich wiederholte sie es mit brüchiger Stimme während sie beobachtete, wie der Kopf des Wolfes sich zur Seite neigte, als Frodo mit aller Gewalt Stich aus den Hals des Wolfes herauszog. Aus seinem Maul kroch noch ein Schwall Blut, es war inzwischen nur noch lauwarm, die Nacht war doch sehr kalt, und ergoss sich über Feli, die angewidert den Blick abwandte. Der metallene Geruch von Blut kroch ihr in die Nase. Zwar nur schwach, der Nebel und die kalte Luft trugen das meiste davon, aber es ließ sie erstarren und den Atem stocken. Abscheu und Mitleid vermischten sich miteinander während sie den Ast mit dem toten Körper des Wolfes von sich stemmte. Ihre Arme brüllten vor Schmerzen während sie sich langsam aufrichtete und spürte, wie ihr das gerinnende Blut am Hals entlang rann. Doch als sie sich aufrichtete, merkte sie auch, dass der Ast begann zu splittern und ein knirschen erfüllte die Luft. Ein eiskaltes Grauen erfüllte sie als sie beobachten musste, wie sich der Kopf des Wolfes auf den Ast niederlegte und die glasigen Augen direkt auf sie gerichtet waren. Flehend! Anklagend! Fragend…!
Ich verliere den Verstand! schrie etwas in Feli, die nun ihren Kopf zur Seite neigte während ihre Arme wie von selbst den Ast mitsamt seiner Last neben sich stieß, ins taufeuchte Gras hinein. Ein leises Poltern schwappte herüber, begleitet vom splittern und bersten des Astes, er hatte endgültig aufgegeben.
Erschrockene Nachtfalter, die im feuchten Gras saßen, wurden aus ihrem Schlaf gerissen und umflogen nun verwirrt den toten Körper des Wolfes.
Feli, die gerade die Augen öffnete und ihren Kopf dorthin drehte, beobachtete die vielen Nachtfalter wie sie gespenstisch um den toten Körper in der Luft herumtanzten. Es gab dem Körper etwas Friedliches, Befreites…
Wie kleine Seelenbegleiter! kam es Feli in den Sinn während ihr ein erleichterter Seufzer entglitt und sie auf die Bruchstücke herabblickte, an dem noch das Blut des Wolfes klebte um diese im nächsten Augenblick weit von sich zu schleudern, direkt neben den toten Wolf, aus dessen Hals und Maul nun das gerinnende Blut rann und den Waldboden blutigrot färbte…
Nie wieder… nie wieder will ich in die um Vergebung bittenden Augen eines sterbenden Lebewesens blicken müssen, das nur durch den Tod erlöst werden kann… nie wieder… nie wieder…! dachte sie verzweifelt und setzte sich auf, stützte sich mit einer Hand am Waldboden ab und richtete sich langsam schwankend auf.
„Feli, das ganze Blut…!" flüsterte nun Frodo, der leise näher gekommen war und nun direkt neben ihr stand. Aus den Augenwinkeln konnte Feli im Gesicht des Hobbits erstaunen und grauen gleichermaßen entdecken.
„Ist nicht meines, kommt von Telpe, dem Wolf! " raunte Feli knapp ehe Frodo den Satz beenden konnte und schob seine helfende Hand mit bestimmtem Nachdruck beiseite.
Die Wölfe des Rudels, das nun ihren Anführer verloren hatte, starrte sie an, die Angst in den Augen war mehr als überdeutlich abzulesen. Selbst der Wolfsoberhauptmann, der dazu bestimmt worden war Sam die Kehle durchzubeißen, hatte von diesem abgelassen und starrte zu Feli empor, den Schwanz zwischen den Beinen eingeklemmt, die Ohren angelegt, aber das drohende Knurren, das trotz aller Angst jetzt zusätzlich über dem Platz schwang sagte Feli, dass sie jetzt auf jeden Fall das richtige sagen musste damit das hier endlich ein Ende hatte.
Noch während sie sich das Blut mit dem Ärmel aus dem Gesicht wischte, ohne einen wirklichen Gedanken daran zu verschwenden, ließ sie ihren Blick in die Reihen der Wölfe kreisen, die allein vor ihrem Blick zurückwichen, aber keinesfalls das knurren unterbrachen.
„Wölfe vom Rudel Telpes. Euer Anführer ist tot, von Frodo und mir besiegt. Dort liegt er, sein Blut klebt an meiner Haut und Kleidung. Er ist verrückt geworden, weil er einem Hirngespinst hinterher jagte. Ich bin wirklich nur ein Mensch, der mit den Tieren sprechen kann und der nun genug hat von euch. Schert euch davon, und lasst die Hobbits und mich in Zukunft in Ruhe, oder will noch jemand sich mit uns anlegen und dabei sterben? Nur zu, kommt her wenn ihr das Fegefeuer bereits jetzt erleben und euch dem Irrsinn hingeben wollt!"
Keuchend und schwankend stand Feli dort, der Kampf mit diesem riesigen Wolf hatte all ihre verbliebenen Kräfte so gut wie aufgebraucht, aber das spielte keine Rolle. Selbst dann nicht, wenn die Wölfe das mitbekamen, denn ihre Augen starrten entschlossen und gebieterisch auf die Wölfe herab und alle wussten sehr gut, dass sie keine Chance hatten gegen diesen Menschen und den Hobbit mit seiner Waffe neben ihr, der seinen Blick immer wieder zu diesem anderen Halbling hinüberwarf, in der Angst sie könnten ihm doch noch etwas antun.
Nun trat ein viel kleinerer Wolf vor, er schien nun Stellvertretend für alle sprechen zu wollen, denn er erhob seine Stimme und richtete sie an Feli: „Feli, die du Telpe den Irrsinn in die Augen getrieben hast und du Halbling, den sie Frodo nennen, wir verzeihen euch nicht! Ihr werdet unsere Rache zu spüren bekommen, aber jetzt werden wir uns zurückziehen. Wir haben genug Kameraden durch eure Hand sterben sehen und wir sind zu Verwirrt und ohne neuen Anführer verloren. Aber bevor du, Feli, uns Wölfe verurteilst und sie ins Fegefeuer verdammst, wünsche ich dir die Pest an den Hals und das du eines jämmerlichen Todes sterben sollst, allein, verlassen, im Blute deiner Freunde und deiner Familie! Telda, Sohn des großen Anführers Telpe hat gesprochen!"
Ein letzter, verachtender Blick traf Feli und ließ in ihr die Wut aufkeimen. Was konnte sie denn dafür dass sein Vater den Verstand verlor, nur weil er unbedingt die Herrschaft ganz Mittelerdes wollte? Und ihr die Pest an den Hals zu wünschen stand auch nicht gerade im Sinne von Feli, doch um alles nicht noch unnötig hinaus zu zögern, antwortete sie darauf nicht, sondern beobachtete nun wie Telda sich abwandte und zum Wolfsoberhauptmann herüber schrie: „Lass den fetten Hobbit! Den greifen wir uns später, wenn wir wiederkommen!" ohne sich umzusehen fügte er leise hinzu, und Feli wusste, dass sie damit gemeint war: „Und wir werden wiederkommen, darauf kannst du dich verlassen!"
Dann begann er sich langsam von Frodo und Feli zu entfernen und durchschritt das Rudel von vielleicht dreißig oder vierzig Wölfen mit der nötigen Anmut um sich Respekt zu verschaffen. Feli beschlich das Gefühl, das bereits der Nachfolger von Telpe feststand…
Alle Wölfe knurrten Feli und Frodo noch einmal warnend entgegen, dann begannen sich alle umzudrehen und Telda zu folgen, tiefer in den Wald hinein, weit weg von den Halblingen und dem Menschen…
Auch der Wolfsoberhauptmann ließ nun endlich von Sam ab und Feli konnte ihn knurren hören, dass er den fetten Hobbit nur sehr ungern laufen ließ und bestimmt mehrere Wölfe von ihm satt werden konnten.
„Sie ziehen sich zurück! Feli, sie ziehen tatsächlich von dannen!" flüsterte Frodo neben ihr und rieb sich mit einer Hand nebensächlich über die Schulter während Stich in der anderen Hand fest umklammert und noch immer angriffsbereit empor wies.
Feli, die die Wölfe beobachtete und ja keinen einzigen aus den Augen lassen wollte, hob nur beiläufig einen Arm und die Hand ergriff den Arm Frodos mit Stich. Langsam drückte sie diesen Arm herunter und raunte: „Nimm deine Waffe und stecke sie ein. Sie werden uns nichts mehr tun, dafür garantiere ich!" Sie verschwieg aus gutem Grund, dass die Wölfe ihre Rückkehr bereits angekündigt hatten um Rachen zu nehmen für ihren Anführer…
Feli konnte einen fragenden Blick Frodos aus den Augenwinkeln erhaschen, doch er schien zu verstehen, denn als sie seinen Arm losließ verschwand Stich endlich wieder dorthin wo es hingehörte.
Als nun die Wölfe endlich von Sam abstand genommen hatten und sich verächtlich knurrend entfernten richtete sich der jüngere Hobbit ächzend auf während Frodo neben Feli vorpreschte und direkt auf seinen Freund zu. Keine einzige Sekunde konnte er mehr warten. Seine eigenen Schmerzen vollkommen ignorierend stürzte er vor, auf Sam zu, die Wölfe, die noch zwischen ihm und Sam vorüber zogen umrundete er einfach, ohne dass sich diese noch weiter um ihn kümmerten, während Felis Blick, als währe er festgewachsen, den letzten Wölfen hinterher starrte. Erst als der letzte Wolf im Schatten des flackernde Feuers, der noch immer am Boden liegenden Fackel verschwunden war, gab sich Feli nun auch endlich der unendlich bleiernen Müdigkeit hin und ihre Beine sanken in sich zusammen.
Sie sind weg, sie sind tatsächlich einfach so weggegangen! Dabei hätten sie uns einfach so zerreißen können, sie waren uns zahlenmäßig überlegen, aber sie sind gegangen und das ist gut so! dachte Feli erleichtert und das erste Mal verspürte sie die Schmerzen in ihren Schultern, genau dort, wo die scharfen und langen Krallen tief in ihre Haut eingedrungen waren. Beiläufig tastete sie darüber hinweg und zuckte unwillkürlich zusammen.
Scheiße tut das weh! dachte sie ärgerlich und betrachtete sich ihr blutverschmiertes Top. Der Blutgeruch stieg ihr wieder in die Nase und ließ sie frösteln. Unendlich müde und erschöpft starrte sie zu Boden und ihr Blick fiel auf die Hände in ihrem Schoss. Auch sie hatten Blutspritzer abbekommen und als sie sie langsam herumdrehte, bemerkte sie einen kleinen Splitter im linken Daumen. Doch als sie ihre rechte Hand hob um den Splitter heraus zu ziehen fiel ihr Blick wieder auf den Ring, der noch immer auf den Finger saß. Wut auf den Ring machte sich erneut breit. Ohne ihn wäre sie gar nicht erst in diese Situation gekommen… aber ohne ihn hätte sie niemals den Mut besessen sich den Wölfen zu stellen.
Der Ring hat auch seine guten Seiten , stellte Feli fest um im nächsten Augenblick wieder zu erstarren. Was dachte sie da bloß? Der Ring war doch erst dafür verantwortlich gewesen dass die Wölfe ihnen überhaupt gefolgt waren - und dass sie so viele Wölfe getötet hatte… Sie war schuld daran! Sie hätte niemals hier sein dürfen und dann dachte sie darüber nach, dass der Ring auch seine guten Seiten hat?
„Ich verliere allmählich doch den Verstand!" murmelte Feli und um nicht schon wieder in irgendwelche seltsamen Gedanken abzudriften, hob sie schnell ihre Hand und umschloss den Ring mit zwei Fingern…
„Feli, geht es dir gut? Wir haben dich schon zweimal gerufen, aber du hast uns gar nicht gehört!" raunte nun Frodo direkt neben ihr und wie ein gespannter Bogen schnellte sie herum, und erblickte die beiden Hobbits direkt neben sich. Frodo mit seinen blauen Augen und Sam knapp hinter ihm, der auch einen etwas besorgten Blick herüberschwenkte.
„Ge… gerufen!" stammelte Feli überrumpelt. Sie war sich sicher niemanden gehört zu haben. Doch ehe sie noch näher darauf eingehen konnte, umschwappte mit einem Mal ein seltsames Gefühl ihr Herz, umschloss es fest wie eine Schlingpflanze und erschrocken zuckte sie unwillkürlich zurück. Die beiden Hobbits starrten sie nun irritiert an während Feli unaufhörlich begann zu blinzeln. Dann im nächsten Moment, bevor sie überhaupt registrieren konnte was hier vor sich ging, kam es ihr so vor, als würden ihre Augen aus den Höhlen treten, weit heraustreten, herausgequetscht werden und mit ihr ihre Gedanken!
Sie versuchte verzweifelt die Augen zu schließen, doch es ging nicht mehr. Als würden die Augenlider durch irgendetwas festgehalten, musste sie nun mit weit aufgerissenen Augen zu den beiden Hobbits herüberstarren während ihre Gedanken begannen im Kreis zu drehen, zu rotieren und sich beinahe zu überschlagen. Ihr Blick brannte sich unbarmherzig tief in die blauen Augen von Frodo hinein. Dann begannen die Augen in die Feli hineinstarrte zu verschwimmen, zu verblassen und wich nun der Dunkelheit…
Vor Felis Blick wich die Dunkelheit nur langsam zurück. Zuerst sind nur Schatten zu erkennen und ein merkwürdig drückendes Gefühl auf dem Gesicht zu spüren. Auch fühlte sie, wie sie in einer gebeugten Körperhaltung auf einem kleinen Stuhl saß und dass die Augen durch irgendetwas verschwommen und unendlich verquollen waren. Auch etwas Nasses und Warmes spürte sie auf den Wangen. Tränen? Weinte sie? Aber warum weinte sie? Warum saß sie auf diesem Stuhl, hatte beide Hände vor das Gesicht gehalten und weinte in diese hohlen Hände hinein? Ein tiefes und schmerzliches Schluchzen durchzuckte den Körper während ein erneuter Strom an Tränen die Wangen herab rann. Als sie jetzt ganz zuletzt die Gefühle spürte, die zu diesem Weinen gehörten und dieses erst ausgelöst hatten, begriff sie allmählich, denn es umschloss sie nun eine solch´ lähmende Traurigkeit vermischt mit Hilflosigkeit und unendlicher Angst, dass ihr Herz fast ins Stocken geriet und in ihr ihre eigenen fast schon gänzlich verblasste Erinnerungen einholten, aber das hier war etwas anderes und sie sollte bald herausfinden was es war…
Ein tiefer und brennender Schmerz durchzuckte nun den Körper als er nun die Beine anzog und zu sich auf die Stuhlkante holte, die Arme um die Beine schlang und ganz nahe zu sich heranzog. Dann legte er seinen Kopf auf die Knie, ohne auch nur einmal um sich zu schauen und kniff die Augen fest aufeinander. Keine Träne sollte mehr herauskommen, und doch kamen sie, wie Sturzbäche immer mehr, immer schmerzlicher und erinnerten ihn an das, was geschehen war.
Ganz klein machen, so klein bis keiner ihn mehr sehen würde und er wollte auch niemanden sehen! Niemanden mehr! Er hatte seine Eltern verloren, niemand würde sie ihm zurückholen können, er würde sie nie mehr wieder sehen! Nie … nie … nie…!
Grausame Gewissheit! Ein neues Gefühl gesellte sich zu den ersten und das war Einsamkeit… unendliche Einsamkeit umschloss nun den Körper und ließ ihn noch kleiner werden, noch mehr eins mit dem Stuhl werden, noch stärker Schluchzen und noch mehr Tränen weinen.
Und dann kam der eiserne Gedanke … der Gedanke ebenfalls zum See zu gehen und zwar nicht um Steine hinein zu werfen, nicht um den Enten zuzusehen und auch nicht um kleine Boote dort schwimmen zu lassen, sondern um seinen Eltern zu folgen. Dort wo sie waren, dort wollte auch er sein! Ganz nah bei ihnen… ganz nah… dann würden sie nie mehr getrennt sein, dann würden sie immer zusammen sein. Er brauchte ihnen doch nur in den See hinein zu folgen und alles wäre gut…
Der Gedanke alleine beruhigte ihn schon sehr. Der Gedanke doch bald wieder bei seinen Eltern sein zu können. Hier war er ja doch nur allein. Er wollte niemandem zur Last fallen, warum sollte er dann nicht seinen Eltern folgen, warum sollte er es ihnen nicht gleich tun?
Ein erneuter Tränenstrom unterbrach seine Gedanken und aus weiter ferne hörte er wie eine Tür geöffnet wurde, sie stockte und im nächsten Augenblick sachte aber dennoch hastig geschlossen wurde. Doch er verschwendete keinen Blick daran wer den Raum betreten hatte, wer nun mit eiligen Schritten näher kam, wer ihn hier in seiner Trauer störte…
Er spürte, wie ein Schatten über ihn geworfen wurde, doch noch immer rührte er sich nicht, machte sich noch kleiner und wünschte sich nur der Schatten würde weggehen und ihn alleine lassen…
Er erstarrte als riesige Hände sich auf seine Schultern legten und ihn ein Stück nach vorne Zogen, weit weg von der schützenden Lehne des Stuhls, seinem einzigen Halt...
Seine Füße rutschten einfach so von der Stuhlkante während die Arme schlaff und kraftlos herabhingen. In sich zusammengesunken, mit verschleiertem Blick auf seinen Schoss gerichtet durchzuckte ihn erneut ein Schluchzen während ihn der Große zu sich heranzog, vom Stuhl herunter und an sich drückte, ihm durch die lockigen Haare strich und er sein Gesicht dafür in seine Schulter vergrub. Haltesuchend und verzweifelt klammerten sich die kleinen Hände links und rechts an die Ärmel des Größeren und die Tränen rannen ihm in Sturzbächen aus den Augen, benetzten das Hemd des Größeren während er zwischen Luftholen und Schluchzen stammelte: „Mama…und … und Papa… sie sind beide… sie sind beide…" doch hier unterbrach der Größere: „Shh…Frodo… ganz ruhig, sag nichts mehr und hab keine Angst, ich lass dich nicht alleine! Ich bleibe bei dir! Weine… weine solange wie es nötig ist…! Bis dahin brauchst du nichts zu sagen und ich werde bei dir bleiben… ich werde bei dir bleiben… bei dir bleiben… dir bleiben… bleiben!"…
Mit letzter Kraft, die ihr noch zur Verfügung stand um gegen die übermächtige Macht anzukämpfen, umklammerte sie mit aller Verzweiflung den Ring mit der ganzen Gewalt ihrer rechten Hand und riss ihn sich vom Finger, so stark, dass ein Schmerz ihr Fingergelenk durchzuckte und sie noch schneller in die Wirklichkeit zurückbrachte. Vor Schmerz kniff sie die Augen zusammen und konnte so endlich den Blick von Frodos Augen abwenden nur um sich im nächsten Moment keuchend auf ihre beiden Arme zu stützen um nicht nach vorne zu kippen. Die Bilder die sie gesehen hatten verblassten allmählich, aber das starke Gefühl dass sie verspürte als sie durch Frodos Erinnerungen und Gedanken gewandert war, das blieb noch lange in ihr bestehen…
