Das Windherz
Als Hedwig verschwunden war, warf Harry einen Blick auf seinen Wandkalender und stellte fest, dass es noch zwei Tage bis zum 30. Juli dauerte. Auch fiel ihm auf, dass er zum ersten Mal in seinem Leben seinen Geburtsag nicht bei den Dursleys erleben würde...
Er beschloss, ein wenig in den Straßen herumzulaufen, um sich die Wartezeit zu verkürzen.
Draußen war es sehr warm. Die Sonne strahlte auf die gepflasterten Wege und erneuerte das Grün der Bäume.
Plötzlich kam ihm jemand entgegen. Es war Mrs Figg. Lächelnd blieb sie vor ihm stehen.
„Hallo, Mrs Figg", begrüßte er sie.
„Na, mein Junge", sagte sie feundlich, „du siehst gelangweilt aus. Wartest du auf etwas?"
„Das kann man sagen", antwortete Harry, „mein Freund hat mich eingeladen und sie holen mich in zwei Tagen ab."
„Verstehe, das Leben bei den Dursleys ist nicht gerade ein Zuckerschlecken", murmelte Mrs Figg., „ich mach dir 'nen Vorschlag: Warum gehen wir nicht spazieren?"
„Okay."
Da Harry sowieso nichts besseres zu tun hatte, ging er mit Mrs Figg durch die Straßen.
„Weißt du, Harry", begann sie, „ich warte auch auf etwas. Nämlich darauf, dass du die Kraft findest, die ich gespürt habe."
„Ich werde mir Mühe geben", antwortete Harry, „aber es gibt eine Menge Leute in Hogwarts. Und mit Schülern aus anderen Häusern hat man meistens nicht so viel zu tun. Hoffentlich ist es jemand aus Gryffindor. Wenn es ein Lehrer ist, wär's natürlich einfacher, da gibt es keine so große Auswahl wie bei den Schülern."
„Du wirst ihn oder sie finden, da bin ich mir sicher", sagte Mrs Figg lächelnd.
Die nächsten zwei Tage flossen zäh dahin. Onkel Vernon und Tante Petunia schienen trotz dem Versprechen, dass die Weasleys nicht ihr Haus betreten würden, angespannt und nervös. Onkel Vernon säuberte sogar sicherheitshalber den Kamin, damit sein Wohnzimmer im Falle eines Falles nicht zu sehr beschmutzt wurde, und Tante Petunia kaufte einen Paravon, der das Sofa beschützen sollte.
Harry packte während den Sicherheitsvorkehrungen der Dursleys seinen Koffer.
Zu allererst suchte er seine Schulsachen zusammen, die im ganzen Zimmer verstreut lagen. Bücher, Federn, halb leere Tintenfässer und unzählige beschriebene Pergamnetrollen waren auf dem Schreibtisch gestapelt.
Sein Kessel, seine Waage und die Zaubertrankzutaten waren in einem Winkel des Schranks untergebracht.
Als Harry alles zusammengesucht hatte, stopfte er seine Schulsachen in den großen Koffer. Darauf legte er die Sachen, die ihm am Wichtigsten waren: Seinen Feuerblitz, das Fotoalbum, die Karte des Rumtreibers und den alten Tarnumhang seines Vaters.
Und zum guten Schluss stapelte er seine Umhänge, seinen Zauberhut, seine Drachenhauthandschuhe und normale Muggelkleidung in den Koffer.
Es dauerte seine Zeit, bis er endlich den Koffer zubekommen hatte, denn im Laufe der Jahre hatten sich einige Sachen angesammelt, die er mit nach Hogwarts nahm.
Als er nocheinmal alle Winkel und Ecken nach vergessenen Sachen abgesucht hatte, guckte er auf die Uhr und stellte fest, dass es fünf vor eins war.
Mühsam schleppte Harry seinen Koffer und Hedwigs leeren Käfig die Treppe hinunter und stellte ihn neben die Tür.
Onkel Vernon und Tante Petunia guckten sich im Fernsehen eine Dokumentation über korrekte Gartenpflege an, doch in Wahrheit warteten sie gespannt auf das Anzeichen eines vorfahrenden Autos. Ab und an warf Onkel Vernon einen raschen Blick auf die Tür und Harry.
Dann, um zehn nach eins, hupte es dreimal von der Straße her.
Onkel Vernon starrte mit aufgerissenen Augen zur Tür und Tante Petunia ging in die Küche unter dem Vorwand neue Chips zu holen.
„Dann bis nächsten Sommer", verabschiedete sich Harry und nahm seinen Koffer.
Ein leises, mürrisches „Wiedersehn" kam aus den Tiefen von Onkel Vernons Bart hervor.
Harry ging hinaus und sah Ron aus einem roten, alten Ford Kombi winken.
„Hallo, Harry!", sagte Mr. Weasley strahlend, als er ausstieg um ihm den Koffer abzunehmen, „ich hoffe, dir geht's gut!"
„Hallo, Mr. Weasley", sagte Harry, „danke, mir geht's ganz gut."
Mr. Weasley ahnte, dass es ihm nicht wirklich gut ging, das wusste Harry, doch zum Glück bohrte er nicht weiter nach, sondern lud seinen schweren Koffer in den Kofferraum.
„Keine Probleme mit den Muggeln?", fragte Ron grinsend, als Harry sich neben ihn auf die Rückbank setzte.
„Sie haben es erlaubt", sagte Harry ebenfalls breit grinsend.
„Toll, dass du da bist", sagte Ron und schnallte sich an, „Hermine kommt erst heute Abend, wie ich dir ja schon geschrieben hab. Möchte wissen, wo sie sich rumtreibt...Gibt's was Neues?"
Harry nickte leicht.
„Was...", fing Ron an, doch Harry gebot ihm mit einem bedeutungsvollen Blick zu schweigen, denn Mr. Weasley war wieder im Auto und startete.
Als das Auto den Ligusterweg weit hinter sich gelassen hatte, fuhren sie durch ein kleines Dorf mit alten Häusern und verlassenen, gepflegten Parks.
„Gibt es Neuigkeiten vom Orden des Phönix?", fragte Harry neugierig.
„In den letzten Wochen haben wir nochmal versucht, die Riesen davon zu überzeugen, sich nicht Du-weißt-schon-wer anzuschließen, doch ich weiß nicht, ob wir besonders erfolgreich waren. Diese Riesen sind doch eine Spezies für sich... unverständlich, verschlossen und untereinander etwas machthungrig. Nicht leicht, mit solchen Wesen auszukommen, aber wir tun, was wir können.", erzählte Mr. Weasley mit einem tiefen Seufzer, „Hagrid kommt auch nicht sehr gut mit ihnen klar. Ich weiß nicht, ob wir es jemals schaffen, aber Dumbledore gibt nicht auf."
„Vielleicht liegt es daran, dass keiner vom Orden des Phönix Troll sprechen kann, Dad", meinte Ron, „ich glaub', das ist die einzige Sprache, die sie wirklich verstehen."
„Hör auf mit diesem Blödsinn, Ron", sagte Mr. Weasley tadelnd, „einige Riesen vertstehen unsere Sprache, doch sie können sich nicht gut mit uns verständigen. Das ist wahrscheinlich einer der Gründe, weshalb die meisten Zauberer und Hexen vor ihnen zurückschrecken und nicht gut auf sie zu sprechen sind. Die Brutalität der Riesen beruht auch darauf, dass sie immer verstoßen wurden."
Den Rest der Fahrt waren alle recht schweigsam, bis ein krummes, steinernes Haus in Sicht kam: Der Fuchsbau, Rons Haus.
Seit Harry letztem Besuch hatte sich der Fuchsbau kaum verändert: Die unzähligen Kamine ragten wie vorher in den Himmel, das Haus war so krumm wie immer und die Hühner pickten wie üblich vor dem Eingang auf dem Boden herum.
„Geht ruhig schon mal rein, ich bring Harry Koffer dann hoch und danach muss ich nochmal kurz ins Ministerium", sagte Mr. Weasley als Harry und Ron ausstiegen.
„Danke", sagte Harry und ging mit Ron hinein.
In der Küche stand Mrs Weasley und war wie es schien dabei, mit Magie ihre Töpfe und Pfannen zu säubern. Als sie Harry sah, schloss sie ihn in die Arme und ein recht rostiger Topf fiel klirrend zu Boden, doch das schien sie nicht im Mindesten zu interessieren.
„Oh, Harry,mein Lieber, wie wunderbar dich zu sehen", sagte sie, „ich hoffe, du hast Hunger. Ich habe viel gekocht und die neuesten Rezepte aus der Hexenwoche ausprobiert.Ach, übrigens, Hermine kommt in ungefähr einer Viertelstunde, sie hat mir kurz bevor ihr kamt eine Eule geschickt."
„Wo ist der Brief?",fragte Ron prompt.
„Auf dem Esstisch", antwortete Mrs Weasley.
Ron eilte zum Tisch und las vor:
Liebe Mrs Weasley,
ich werde in ungefähr einer halben Stunde bei Ihnen eintreffen. Ich hoffe, das ist in Ordnung. Falls es irgendwelche Schwierigkeiten geben sollte, dann schicken Sie mir eine Eule.
Liebe Grüße
Hermine
„Keine Informationen", murmelte Ron enttäuscht zu Harry gewandt.
„Warte doch einfach", riet ihm Harry, „sonst bist du doch nie so gespannt, wenn Hermine kommt. Warum denn ausgerechnet diesmal ?"
„Komm, wir gehen hoch in mein Zimmer", sagte Ron abrupt und ging vor Harry die Treppe hoch.
Als sie an Ginnys Zimmer vorbeikamen, steckte Ginny ihren Kopf durch die Tür.
„Harry!", rief sie überrascht, „du bist schon da? Wie seid ihr hergekommen?"
„Mit dem Auto natürlich, Ginny", sagte Ron genervt.
„Entschuldige, dass ich gefragt habe", antwortete Ginny säuerlich und ging beleidigt die Treppe hinunter.
Die Tür von Fred und Georges Zimmer stand offen, als sie dort angelangt waren.
„Tja, seit sie weg sind, ist es hier ziemlich ruhig", sagte Ron, „aber es ist echt interessant, was man da drin alles so findet. Teile von unfertigen Versuchen, falsche Zauberstäbe, Kanariencremeschnitten, Brillen, die deine Nase pickelig werden lassen für einen Tag- Ginny hat so eine aufgesetzt, um zu sehen, für was die gut sind, und danach hat sie sich den ganzen Tag nicht blicken lassen..."
Ron lachte ausgiebig und fuhr fort, als er sich wieder beruhigt hatte.
„Mum ist durchgedreht und hat alle Sachen weggeworfen. Ein paar habe ich noch retten können, aber es ist nicht viel."
„Wo wohnen Fred und George jetzt?", fragte Harry.
„Hinter dem Raum, in dem sie ihre Scherzartikel verkaufen ist eine kleine Wohnung. Nicht groß, nur mit Schlafzimmer, Bad und Küche, aber es reicht", antwortete Ron, „sie haben vor, diesen Sommer mal vorbeizukommen."
„Wie – ähm – hat deine Mum reagiert, als sie das mit dem Geschäft erfahren hat ?", fragte Harry.
„Sie ist erstmal ein bisschen ausgerastet", sagte Ron, „sie ist hingefahren und hat lange mit ihnen geredet. Ich denke, Fred und George haben sie überzeugt, dass dies genau das Richtige für sie ist, denn sie kam recht besänftigt nach Hause und hat nichts mehr gesagt."
Inzwischen waren sie in Rons Zimmer angekommen. Hier hatte sie einiges verändert: Auf die knallorangene Tapete waren lauter kleine Cs, die mit einer Kanonenkugel verziert waren, aufgemalt worden, Rons Schulbücher waren in einem neuen Schrank aufbewahrt und die Kröte war verschwunden.
„Wo ist deine Kröte?", fragte Harry.
„Die haben wir ausgesetzt", antwortete Ron, „Mum meinte, ich solle sie nicht gefangen halten und deshalb musste ich sie an einem See aussetzten. Ginny war darüber ziemlich traurig, aber ich bin froh, sie endlich los zu sein. Diese Fliegen, die wir ihr immer kaufen mussten, haben mich gestört, sie haben ständig auf meine Hausaufgaben gemacht."
Plötzlich hörte Harry ein aufgeregtes Fiepen und drehte sich um: Rons Eule Pig flatterte wild im Käfig umher und klopfte dabei an die Stangen seines Käfigs, um auf siich aufmerksam zu machen.
„Blödes Vieh", murrte Ron und beäugte Pig geringschätzig, „neulich wollte ich Hermine einen Brief schicken, und dann hat er den Brief Dad ins Ministerium gebracht. Naja, ich hatte zwar vergessen, ihm zu sagen, an wen der Brief ist, aber Pig ist trotzdem die dümmste Eule, die ich kenne", fügte er hinzu.
Harry sagte nichts, denn er wusste, dass Ron es nicht so meinte. Dafür kannte er ihn schon lang genug, um ihn nicht ernst zu nehmen.
„Wie geht es Percy?", fragte Harry, während er versuchte, Pig zu streicheln, was allerdings etwas schwer war, denn er flog wie verrückt im Käfig herum und stoß dabei seinen bis oben hin prall gefüllten Futternapf um.
„Keine Ahnung", antwortete Ron, „wir haben nichts von ihm gehört. Ich habe dir ja schon geschrieben, dass er nicht mit uns spricht. Er ist so in seinen Beruf versessen, dass es einem schon unheimlich vorkommt. Wie kann man nur so verrückt nach Arbeiten sein, und das auch noch mit Fudge?"
„Früher hatte ich eigentlich nichts gegen ihn", sagte Harry nachdenklich, „aber seitdem Voldemort wieder da ist, habe ich meine Meinung über ihn geändert."
„Tja, allzu viel habe ich davon nicht bekommen", sagte Ron und wurde ein wenig bleich.
Harry musste unwillkürlich grinsen - obwohl ihm bei diesem Thema nichts wirklich lustig vorkam - als er sich erinnerte, wie Ron wirres Zeug geredet hatte und nicht die geringste Ahnung gehabt hatte, in welcher Situation sie sich befanden.
Auch Ron fing an zu lachen, und dies trieb ihm wieder Farbe ins Gesicht.
Nachdem er sich wieder gefangen hatte, ging er zur Tür.
„Gehen wir runter zum Essen ? Mum hat sich heute besonders viel Mühe gekommen, weil du kommst", sagte Ron und schnitt eine Grimasse.
Als sie in der Küche ankamen, stand dort schon ein Mädchen mit braunem, buschigem Haar und einer rostbraunen Katze in den Armen: Hermine, Harrys und Rons beste Freundin.
„Harry- Ron!", rief sie begeistert und umarmte beide.
Krummbein war vorher sicherheitshalber schon einmal von ihren Armen gesprungen und tänzelte in den Garten, wahrscheinlich, um Gnome zu jagen.
„Ach, es ist toll, euch wiederzusehen", sagte Hermine fröhlich und strahlte Harry und Ron an.
„Wo bist du gewesen, Hermine?", fragte Ron bemüht beiläufig, „bei Krum etwa?"
Hermine runzelte die Stirn und sah Ron fragend an.
„Nein, Ron, ich war nicht bei Krum", sagte Hermine und zog die Augenbrauen hoch.
„Oh, gut", sagte Ron und klang äußerst erleichtert.
„Wo...", begann Ron, doch in diesem Augenblick kam Mrs Wealey herein und umarmte Hermine.
„Da bist du ja, Hermine", sagte sie lächelnd, „komm, es gibt Abendessen. Wir essen im Garten."
Die drei folgten Mrs Weasley in den großen, verwilderten Garten der Weasleys und setzten sich an den Tisch.
Harry, Ron und Hermine setzten sich an der einen Seite des Tisches nebeneinander, auf der anderen Seite saßen Ginny und Mrs Weasley.
Mrs Weasley hatte wirklich alle Register ihrer Kochkünste gezogen: Ein riesiger gebratener Truthahn mit bunten Paprikastückchen, ein Berg bunter Nudeln mit Champignonsoße und viele andere Dinge türmten auf dem Tisch. Das einzige, was sich Harry nicht auftat, waren die schreienden Gurkenscheiben mit Käseüberzug. Mrs Weasley schien seine Verwunderung zu bemerken.
„Probier doch ein paar von den kreischenden Käsegurkenscheiben", sagte sie freundlich und hielt ihm die Platte unter die Nase, „wenn du draufbeißt hören sie auf zu schreien, und außerdem sind sie sehr gesund."
Harry nahm aus Höflichkeit zwei Scheiben von der Platte herunter und aß sie. Die Gurkenscheibe hörte zwar auf zu kreischen, doch ihre Schreie hallten ihm in den Ohren und der Käse hatte einen seltsam bitteren Geschmack.
Als er es geschafft hatte, auch noch die andere Gurkenscheibe herunterzuschlingen, kam Mr. Weasley in den Garten und ließ sich erschöpft auf den einzigen freien Stuhl neben Ginny fallen.
„War doch mehr zu erledigen, als du dachtest?", fragte Mrs Weasley.
„Oh ja, Fudge hat uns allen mitgeteilt, dass wir ab heute zwei Stunden länger zu arbeiten hätten", sagte Mr. Weasley grimmig, „erst will er alles über Du-weißt-schon-wer vertuschen und jetzt kann sich keiner mehr vor seinem Tatendrang retten. Obwohl er ja nicht mal selbst richtig anpackt, das lässt er seine Mitarbeiter machen."
Mr. Weasleys Stimmung hob sich erst später am Abend, als er sich satt und schläfrig fühlte.
Nachdem alle fertig waren, räumten Hermine und Ginny die leeren Platten,Teller, die Bestecke und Gläser in die Küche, und Harry und Ron brachten den Tisch und die Stühle mit ein paar Zaubersprüchen wieder in die Küche.
Danach gingen Harry, Ron und Hermine hinauf in Rons Zimmer, wo es inzwischen kühl war, denn die Sonne war schon längst untergegangen.
Ron setzte sich auf sein Bett und wandte sich an Hermine.
„Also, wo bist du gewesen?", fragte er und guckte Hermine gespannt an.
„Oh Ron, warum willst du das denn so unbedingt wissen?", fragte sie bissig; aus irgendeinem Grund schien ihr das Thema ein wenig unangenehm zu sein.
„Dann sag's halt nicht", erwiderte Ron gekränkt, verschränkte die Arme und drehte Hermine den Rücken zu.
„Ich erzähl es dir ja, aber zuerst will ich wissen, warum dich das so interessiert", sagte Hermine nachdrücklich.
Ron murmelte etwas wie „rein aus Interesse" und Hermine grinste Harry an, der ihren Blick auffing und ebenfalls grinste.
Hermine setzte sich zu Ron und fing an zu erzählen.
„Dieses Jahr kommt eine neue Schülerin nach Hogwarts", sagte Hermine, „zu uns in die sechste Klasse. Professor McGonagall hat mich gebeten, zu ihr zu gehen und ihr den Unterrichtsstoff der vergangenen fünf Jahre in einer kurzen Zusammenfassung zu geben und ihr falls notwendig einiges zu erklären. Sie wusste unglaublich viel, das hätte ich gar nicht gedacht..."
„Wer ist sie?", fragte Harry.
„Sie heißt Yuri. Sie hatte seit ihrem ersten Lebensjahr eine Krankheit, von der sie erst letztes Jahr befreit wurde. Sie musste oft im Bett lernen und ein Privatlehrer hat ihr das meiste beigebracht", sgate Hermine.
„Eine Krankheit dauert doch nie und nimmer fünfzehn Jahre", warf Ron ein, der sich inzwischen wieder umgedreht hatte, „was hatte sie denn?"
„Sie war in einem Windherz eingeschlossen", antwortete Hermine.
„Einem was ?", fragten Harry und Ron gleichzeitig.
„Ihr hättet in den bisher vergangenen Ferienwochen wirklich mal ein Buch zur Hand nehmen können", sagte Hermine mit ihrem üblichen strengen Blick und reichte Harry und Ron ein aufgeschalgenes Buch herüber. Harry las laut vor:
Windherz, eine magische Ansammlung erstaunlicher Kraft, eine Unterart der Wirbelzeiter. Zauberer und Hexen mit besonders starker magischer Kraft und Begabung können einmal in ihrem Leben ein Windherz erschaffen. In einem Windherz kann man jedes Lebewesen einschließen, egal ob Muggel oder Zauberer. Darin bleibt die Zeit stehen, und das eingeschlossene Wesen wächst und lebt nicht. Es braucht weder Nahrung noch anderes.
Grundsätzlich besteht für die Eingeschlossenen keine Hoffnung mehr für ein Leben im näheren Zeitraum, denn das Windherz wird nur zerstört, wenn der Zauberer stirbt, der es erschaffen hat. Doch da dies irgendwann einmal der Fall sein wird, löst sich das Windherz auf und das eingesperrte Lebewesen ist wieder frei und lebt weiter.
Allerdings hat die Gefangenschaft in einem Windherz für den Betroffenen die Folge, dass er an schweren Krankeheiten leidet, die völlig unbekannt sind, meist aus diesem Grunde nicht geheilt werden können und viele Jahre dauern, was allerdings nicht erklärbar ist. Ebenfalls der Körper ist geschwächt und darf keine anstrengenden Arbeiten verrichten.
Mehr ist über das Windherz nicht bekannt, denn alle Überlieferungen stammen aus dem alten Ägypten, wo sie ein durchgedrehter, Kaktusstacheln essender Zauberer zustande brachte. Es ist ziemlich sicher, dass das Windherz noch mehr Geheimnisse birgt, wie halb zerstörte, jedoch leider an den meisten noch heilen Stellen unlesbare Dokumente beweisen.
„Wow", sagte Ron beeindruckt, „ich habe gar nicht gewusst, dass es so etwas gibt. Was sind denn Wirbelzeiter ?"
„Kannst du dich noch an die Glocke in der Minsteriumsabteilung erinnern?", fragte Hermine.
„Jaah...", sagte Ron langsam.
„Nun, das war eine andere Art der Wirbelzeiter. In einer Glocke werden große Zeitspannen immer wieder hin und her mit großer Geschwindigkeit vollzogen, in einem Herz bleibt die Zeit stehen. Hinter einem Windherz steht ein weitaus größeres Stück Magie als hinter einer Windglocke, deshalb kann man sich aus einer Windglocke selbst befreien, aus einem Windherz allerdings nicht. Mehr weiß ich auch nicht darüber, solche Wirbelzeiter werden, wenn es hoch kommt, alle Jahrhunderte einmal geschaffen."
„Wahnsinn", sagte Ron beeindruckt, „was du alles weißt..."
„Ich sage ja, du solltest mehr lesen", sagte Hermine, „so, und jetzt weißt du ja, warum ich erst später kommen konnte, weil ich nämlich heute bei ihnen war, ganz einfach. Was gibt es Neues bei euch?"
Harry erzählte von Mrs Figg und der Kraft, die sie gespürt hatte.
Als er geendet hatte, runzelte Hermine die Stirn und setzte einen zweifelnden Blick auf.
„Ich weiß nicht, Harry, diese Squibkraft ist stark umstritten, und außerdem ist Hogwarts ein gutes Stück vom Ligusterweg entfernt. Vielleicht hat sie sich auch vertan", sagte sie misstrauisch, „ich werde in Hogwarts mal in der Bücherei suchen, ob da was Nützliches über diese Kraft zu finden ist."
„Außerdem sind Squibs keine Zauberer", fügte Ron hinzu, „wie sollen sie dann magische Kräfte haben?"
Harry antwortete nicht. Aus unerklärlichen Gründen glaubte er Mrs Figg, doch das sagte er lieber nicht.
„Ich werde mich trotzdem umsehen", sagte Harry entschlossen.
„Wie du meinst, Harry", erwiderte Hermine und stand auf. „Ich glaube, ich gehe jetzt schlafen, ich bin wirklich todmüde.Gute Nacht."
„Gute Nacht", antworteten Harry und Ron wie aus einem Munde, während Hermine die Treppe hochging.
Nach einer Partie Koboldstein legten sie sich ebenfalls in ihre Betten und löschten das Licht.
Harry starrte die Decke an und entdeckte, dass dort keine Anzeichen der Chudley Cannons zu sehen waren, mit Ausnahme der orangenen Farbe, die im Mondenschein dunkelrot glühte.
