Kapitel 28.
sainan - Unglück
Feil bekam von alledem nichts mehr mit. Sie hörte nur noch das Rascheln der Sträucher, wenn sie an ihren Ohren vorbeizogen. Sie hörte ihre Füße, wie sie über den Boden stampften, während sie gleichzeitig über ihn hinweg flogen. Immer wieder verfingen sich die langen Ärmel ihres Gewandes in den Ästen, doch davon nahm sie gar keine rechte Notiz. Sie riss dann einfach so lange an dem Ast bis er nachgab, oder der Stoff sich mit einem raschen Geräusch verabschiedete.
Sie rannte nur noch, wollte nur noch weg. Weg von diesen Fragen, weg von diesen Wesen und Leuten, die ihr sowieso nicht helfen wollen, ihr vermutlich niemals helfen konnten, die sie einfach nicht verstanden...
Keuchend mit unendlich lautem Herzen brach sie durch die Sträucher hindurch, riss sich schützend die Arme vors Gesicht und ein Schluchzer nach dem anderen bahnte sich einen Weg durch ihre nun wieder freie Kehle. Ihre Gedanken flatterten ebenso wie ihr langes Gewand von einer Seite zur nächsten.
Sie sah im Geiste die gierigen Augen der Wölfe, die beiden Wolfsoberhauptmänner, die sie getötet hatte, sie sah die Verletzung, die sie ihr beigebracht hatten und die von Elrond noch einmal aufgerissen wurde, als dieser in ihrer Gegenwart die Kontrolle über sich verlor. Sie sah die kleine, mahnend empor gestreckte Hand Frodos mit dem hinein gebrannten Abdruck des Ringes, sie sah die wahnsinnigen Augen Arwens vor sich, sie sah den Streit, für den sie ebenfalls verantwortlich war… ja … nicht der Ring war dafür verantwortlich, sondern sie… weil es ihr Ring war…
Plötzlich rissen ihre Gedanken ab. Sie begann zu straucheln, stieß mit dem Fuß gegen einen Stein, fand das Gleichgewicht nicht so schnell wieder und stürzte mit den Armen voran auf den moosigen Boden. Ein trockener Schluchzer verließ ihre Kehle als sie unglücklich auf ihrem verletzten Arm aufschlug und ein bestialischer Schmerz in ihm entlang schoss.
Ich mach immer alles Falsch!! Immer ziehe ich alle nur ins Unglück. Bei mir zuhause war es schon so und hier ist es nicht anders!! Wieso bin ich so ein verfluchter Unglücksmagnet? Ich wünschte ich wäre nie überhaupt jemandem begegnet!! dachte sie während sie einfach lang ausgestreckt liegen blieb, sich den gesunden Arm über den Kopf hielt während sie den anderen an ihre Brust presste. Das Herz schlug wild und unbändig während sie den Puls in ihren Ohren pulsieren hörte. Sie lebte noch immer, sie spürte die Abdrücke des Ringes in ihrer Handfläche, die spürte den Boden unter sich, aber sonst fühlte sie beinahe nichts mehr…
Unendlich langsam rappelte sie sich auf, am liebsten wäre sie hier einfach liegen geblieben, aber dabei konnte sie sich doch den Tot wegholen… den Tot… den Tot…
Als sie mit dem Fuß wieder auftrat durchschoss sie ein neuer Schmerz. Der Fuß musste beim Sturz umgeknickt sein. Feli ging leicht in die Hocke und befühlte ihn. Jede Berührung schmerzte und sie merkte, dass sie sich setzen musste. Schwindelig wurde ihr auf einmal und sie spürte förmlich, wie ihr sämtliches Blut aus dem Gesicht wich. Sie war noch lange nicht wieder Gesund und der spurt hatte ihr alle Kraftreserven genommen. Doch in diesem Moment wünschte sie sich beinahe nichts sehnlicher als ihre Gesundheit herbei. Dann konnte sie endlich ihren Plan in die Tat umsetzen…
Sie drehte ihren Kopf herum während sie vorsichtig ihren schmerzenden Fuß wieder auf den Boden stellte und entdeckte unweit von ihrem Standpunkt aus die steinerne Bank am Flussufer. Hatten sie nicht gestern noch dort gesessen und Freundschaft geschlossen? Sie und die Hobbits? Es kam ihr vor, als wären inzwischen Jahre vergangen und nicht nur ein paar Stunden.
Langsam humpelte sie darauf zu. Ihr wurde bereits schwummerig als sie es endlich bis dahin schaffte und sich darauf fallen ließ. Sie massierte den Fuß um den Schmerz zu vertreiben und ihr Herz beruhigte sich auch allmählich. Das plätschern des Baches entspannte ihre Gedanken. Der kalte Schweiß war in ihr ausgebrochen und sie war froh, einfach dasitzen zu können. Wenigstens für ein paar Minuten allein zu sein… nein… ganz allein war sie nicht…
Sie ließ den Fuß los und fühlte im inneren der Hand sofort wieder den Ring, der sie einfach nicht in Ruhe lassen konnte… der sie nicht mehr nach Hause zurück brachte… der ihr immer nur Feinde machte, wo auch immer sie hier in Mittelerde auftauchte…
Mehr als je zuvor an diesem Tage war sie entschlossen ihren Plan in die Tat umzusetzen…
„Feli… wo bist du?!" rief Frodo während er durch das dichte Gestrüpp am Flussufer lief und beinahe kaum den Weg vor Augen fand.
Sie kann doch noch gar nicht so weit weg sein! überlegte er und seine Schritte wurden langsamer. Er war zwar um vieles Kleiner als sie und hatte bestimmt nicht so lange Beine, aber soweit weg gelaufen sein konnte sie nicht. Sie war noch nicht Gesund, spätestens jetzt musste sie schon längst schlapp gemacht haben.
Er verlangsamte seine Schritte und ließ seine Lungen wieder zu Atem kommen. Auch seine Gedanken kamen nun das erste Mal wieder zur Ruhe und während er sich unruhig mit dem Handrücken über den Mund fuhr dachte er darüber nach, was in Arwen und die anderen gefahren sein konnte. Es stimmte schon, sie hatte ihnen allen etwas zu verschwiegen, aber es rechtfertigte nicht dieses Verhalten!
Abrupt blieb er auf einmal stehen. Nicht nur alle anderen hatten sich merkwürdig verhalten, auch er selbst hatte die Kontrolle über sich verloren. Aber längst hatte es sich nicht so deutlich bei ihm gezeigt wie bei den anderen. Er war sehr schnell zu sich selbst zurückgekehrt, so schnell, dass er noch mitbekam, wie die anderen mit Worten auf Feli eingegangen waren… nein, sie hatten sie schon regelrecht mit Worten verprügelt…
Langsam setzte er seinen Weg fort während er bereits das Plätschern des nahen Baches wahrnahm. Ansonsten war es still um ihn herum. Nicht einmal der Wind regte sich, nicht einmal die Vögel waren zu hören. Die späte Mittagssonne brach durch die wenig belaubten Bäume und zum trotz dessen rauschte ihm ein frösteln den Rücken entlang.
Seine Schritte und Arme bogen sämtliches Gestrüpp und dichte Farnen beiseite und der Fluss kam immer näher. Und als er schließlich bereits Schilf entdeckte, fand er sich mit einem Mal bei der steinernen Bank wieder. Genau die gleiche, auf der sie alle drei noch vor wenigen Stunden gesessen hatten. Nun jedoch saß nur einer von ihnen dreien darauf und das war Feli.
Erleichterung machte sich in seinem Inneren breit und schon wollte er laut rufen, als er sah in was für einer Haltung sie dasaß.
Sie schien ihn noch gar nicht bemerkt zu haben denn ihr Blick war starr auf ihre offenen Handflächen gerichtet, in denen sich der silberne Ring befand.
Vollkommen in sich zusammen gesunken mit stumpfem Gesichtsausdruck und gekrümmter Haltung, so als wolle sie sich so klein wie es nur ging machen, saß sie da und hätte Frodo nicht bemerkt, dass sich ihre Augenlider bewegten, hätte er sie für erstarrt gehalten.
Seine anfängliche Freude schwang um in Bestürzung und langsam trat er aus dem Gestrüpp hervor. Seine Hände erhoben sich bereits während er näher trat und sich gerade überlegte, was er sagen sollte…
„Komm nicht näher! Ich bringe dir ja doch nur Unglück! Lass mich allein!!" kam es schroff und ohne dass sie auch nur einmal aufsah.
Frodo erstarrte mitten in der Bewegung. Seine Augen blinzelten verwirrt und verletzt. Langsam senkten sich die Arme und hingen wieder schlaff neben seinem Körper herunter.
Nein, so leicht würde er sich nicht davon schicken lassen.
„Es tut mir leid, aber das kann ich leider nicht!" antwortete Frodo. Seine Augen zogen sich entschlossen zusammen, bereit jeden verbalen Widerstand zu zerschmettern, doch Feli sagte darauf nichts, ignorierte ihn, starrte noch immer auf den Ring herab und rührte sich nicht.
„Hör zu, ich weiß ja selbst nicht was da eben gerade passierte, aber glaube mir, ich habe das genauso wenig gewollt wie alle anderen."
Feli antwortete mit Schweigen, keine Bewegung verriet, ob sie ihm überhaupt zugehört hatte.
„Komm wieder zurück zum hohen Rat, ich bin mir sicher, dass wir gemeinsam eine Lösung finden werden."
Auch darauf erhielt er keine Antwort, keine Reaktion, nicht das kleinste Anzeichen.
Leise atmete er aus und seine erhobenen Schultern senkten sich herab. Beinahe fiel auch er in sich zusammen, denn er hatte mit allem gerechnet, nur nicht mit dieser Gleichgültigkeit. Und als er das erkannte, überkam ihn mit einem Mal die Wut.
„Und wie gedenkst du soll es nun weitergehen? Willst du hier den Rest deiner Tage sitzen bleiben und dir selber Leid tun?" ärgerlich zogen sich seine Augenbrauen herunter während er beobachtete wie Feli die Hand um den Ring schloss und diesen in ihrem Schoss verbarg.
„Lass mich allein. Ich tue ja doch immer nur allen weh… besonders dir!" setzte sie noch hinzu und ihre Augen wanderten zum stetig dahin fließenden Bach.
Frodos Wut war wieder verraucht und an dessen Stelle trat Mitleid. Zaghaft begann er näher zu kommen. „Wieso … wieso willst du dir nicht helfen lassen?!"
„Weil mir niemand helfen will, oder helfen kann…!" war die Antwort.
„Aber wir wollen dir doch helfen!" warf Frodo ein, doch nun drehte sich Felis Kopf herum und ihre Augen funkelten ihn böse an. „Das habe ich gemerkt! Sehr große Hilfe seit ihr alle mir hier. Bringt mich um den Verstand und niemand weiß wirklich etwas. Ich dachte hier seien die Weisesten und Klügsten aus ganz Mittelerde versammelt. Ich glaub da hab ich mich wohl gewaltig getäuscht!"
Frodos Blick wurde immer trauriger und eingesunkener. Feli wusste, dass sie ihnen allen hier mit ihren Worten unrecht tat, aber die gesamte angestaute Wut von eben gerade noch bahnte sich nun einen Weg nach draußen.
Er schien dies zu ahnen denn er trat noch näher zur steinernen Bank. „Jetzt bist du ungerecht. Wir versuchen dir schließlich zu helfen! Aber wenn wir einfach nicht weiter wissen… und nicht alles erfahren…!" doch das letzte hätte er lieber nicht sagen sollen, denn nun war Felis Wut endgültig entfacht. „Wieso ist es so wichtig, dass ihr alles wisst!? Vielleicht ist es mir unangenehm darüber zu sprechen. Vielleicht habe ich Furcht vor mir selbst, vor dieser Macht die mir verliehen wurde und vielleicht bekommt auch ihr Angst vor mir, wenn ich es euch sage, ganz zu schweigen von dem Misstrauen, dass ihr ja jetzt schon alle gegen mich aufbringt."
Frodo holte tief Luft und kam noch einen Schritt näher, jetzt trennten ihn und die Bank höchstens noch drei Beinlängen. Dazu hob er leicht beide Arme und breitete sie weit von seinem Körper aus, eine offene Geste.
„Wie es bei den anderen steht, weiß ich nicht, aber ich vertraue dir!"
Er unternahm noch einen Schritt, doch Feli hatte nun offenbar genug, denn nun sprang sie auf und stolperte rückwärts von der Bank davon.
„Ich habe dir vorhin schon einmal gesagt, dass du mich in Ruhe lassen sollst, also verschwinde endlich und im Übrigen brauche ich nichts und niemanden auf der Welt…!" ein beißender Schmerz ließ sie mitten in ihren wütenden Worten abbrechen. Ärgerlich verzog sie das Gesicht und ein zischen entwich durch ihre Zahnlücken.
Frodo, jetzt schon wieder alles vergessend, was Feli noch vor wenigen Minuten und Augenblicken gesagt hatte, blieb dies natürlich nicht verborgen und so fragte er: „Was ist, was hast du?"
Feli indessen ignorierte ihn wieder und beugte sich hinab zu ihrem Fuß.
„Verflucht!!" knurrte sie unwirsch und Frodo nutzte diese Gelegenheit endlich näher heran zu treten. Sie bemerkte ihn erst, als er sich schon zu ihr hinabbeugte, wodurch er nun noch kleiner wurde als er es ohnehin schon war.
Ärgerlich blickte sie zu ihm hinab. „Ich habe dir vorhin schon gesagt, lass mich in…!"
Doch nun war es dem schwarz gelockten Hobbit genug.
Wütend richtete er nun seinen Blick nach oben, direkt in die Augen Felis hinein und fauchte: „Jaja… du willst also dass ich dich in Ruhe lasse, was? Hör mir mal nun ganz genau zu!! Ich lasse niemanden in Ruhe, der meine Hilfe benötigt. Anscheinend hast du noch nicht begriffen, dass du nicht allein auf der Welt bist und dringend die Hilfe anderer nötig hast. Ich kann dich natürlich auch mit deinem Schmerz allein lassen, aber das tue ich nicht, und warum tue ich das nicht? Weil ich dich gern habe und weil du mir auf eine seltsame Weise sehr ähnlich bist. Du besitzt einen Ring, einen anderen als ich ihn getragen habe, aber dennoch nicht ungefährlicher, wie wir bereits herausgefunden haben. Du bist ein Außenseiter in dieser Welt, genauso wie ich es in meinem eigenen Volk bin. Ich war nie der Hobbit, der ich sein sollte und vielleicht war es genau das, was ich brauchte, um den Ring zum Schicksalsberg zu tragen und zu vernichten. Ich ging über meine Grenzen hinaus und kam dennoch zurück und warum kam ich zurück? Weil ich die Hilfe anderer nötig hatte, das rechtzeitig erkannte und ihre Hilfe annahm!! Und wenn du mir noch mal mit dem Blödsinn: Lass mich in Ruhe kommst, dann werde ich richtig ärgerlich, ist das Klar? So und nun zeig mir mal deinen Fuß her, denn der scheint es ja zu sein, der dir weh tut!!"
Feli saß da, auf dem feuchten Boden, einfach so, unfähig sich zu rühren, irgendein Wort des Protests zu sagen oder irgendwie etwas zu unternehmen. Frodos Worte hatten bei ihr genau das bewirkt, was sie tunlichst vermeiden wollte. Zu erkennen, dass sie auf andere angewiesen war, vor allem aber in dieser Welt. Ohne andere würde sie vermutlich nicht wieder nach Hause zurück zu finden.
Dieser Hobbit, der soviel Schmerz hatte erdulden müssen, musste sich nun auch noch mit ihr herumschlagen und ihr eine wörtliche Ohrfeige verpassen, ehe sie wieder zur Vernunft kam.
Während er nun begann ihren schmerzenden Fuß zu massieren, spürte sie, wie die in ihr gerade erst errichtete Mauer wieder eingerissen wurde.
Ja… er hatte Recht, sie war auf die Hilfe anderer angewiesen, vor allem in dieser Welt.
Ein Schmerz durchzuckte ihren Fuß und sie zischte ärgerlich durch ihre Zähne. Frodo sah auf. „Da hab ich doch die richtige Stelle erwischt, oder was meinst du?!" unbefangen lächelte er ihr ins Gesicht und Feli lenkte beschämt ihren Blick beiseite. Irgendwie kam sie sich gemein vor, gemein und ungerecht. Er hatte von vertrauen gesprochen, vielleicht konnte sie ihm ja doch vertrauen… vielleicht würde er sie verstehen…
Ohne noch weiter auf ihren schmerzenden Fuß zu achten fragte sie: „Du vertraust mir doch, oder?!" sie sah ihn bei dieser Frage nicht direkt an, doch sie konnte seinen angespannten Blick spüren. „Ich habe es dir doch vorhin schon erklärt und auch gesagt, dass…!" begann er, doch Feli unterbrach ihn. „Ich weiß, aber nachdem was ich dir jetzt erzähle, weiß ich nicht ob du mir noch weiter glaubst oder vertraust…!"
Sie sah wie er stutzte. „Du willst es mir erzählen…?", doch sogleich lenkte er ein, „Egal was es ist, ich werde dir Vertrauen…!", doch ehe er noch weiter sprechen konnte, fuhr ihm Feli erneut ins Wort: „Ich kann, wenn ich den Ring auf meinem Finger trage, und jemanden dann direkt in die Augen sehe, in seinen Gedanken lesen…!"
Ein wenig geschockt lauschte Frodo den Worten Felis, die auch hinzusetzte, dass es seine Gedanken waren, die sie als allererstes gelesen hatte. Sie berichtete von der Versuchung ihn noch einmal aufzusetzen, nur um die Gedanken lesen zu können und dass sie sich deshalb so merkwürdig verhalten hatte.
Frodo hatte aufgehört ihren Fuß zu massieren. Gespannt und kerzengerade saß er einfach da und starrte Feli in die Augen. Diese hatte ihren Blick weiterhin gesenkt, den Fuß zu sich heran gezogen und massierte ihn nun selbst. Stille war zwischen beiden eingetreten, eine angespannte stille seitens Feli, die nun nicht wusste, was Frodo sagen würde.
Wieso sagt er nichts? Habe ich ihm etwa so sehr wehgetan? Wenn ja, dann möge man es mir verzeihen, aber es war keine Absicht dahinter…!
Schließlich hielt sie es nicht mehr aus und es quoll aus ihr heraus.
„Ich … ich kann verstehen, wenn du mir nun nicht mehr vertraust… es… es ist auch nicht einfach für mich gewesen… und ich wollte es auch nicht!! Ich habe es doch nicht gewusst!! Aber…!"
„Welche…?!" ein einziges Wort zerriss Felis angefangenen Satz und sie blickte empor, wie vom Donner gerührt, in die Augen Frodos hinein und konnte darin sehen, dass er einen Kampf mit sich selbst rang.
Sie blinzelte kurz, schluckte an ihrer Spucke und raffte sich zusammen. „Ich verstehe nicht… was meinst du mit …!" hilflos hob sie beide Arme wie zu einer fragenden Geste und Frodo wiederholte: „Welche… welche meiner Erinnerungen hast du gesehen??!" mit einer Eiseskälte, wie sie es niemals für möglich gehalten hätte, kamen diese Worte zu ihr herüber. Unbewusst zog sie beide Arme wieder zu sich zurück und vergrub die kalten Hände in ihrem Schoß. Langsam senkte sie wieder ihren Blick herab. Wie eine Diebin kam sie sich vor, die dabei erwischt wurde wie sie versuchte etwas zu stehlen, das so persönlich war, dass sie es niemals überhaupt hätte sehen dürfen…
„Ich … ich weiß es nicht genau. Ich habe Angst gespürt…und Trauer… meine Wangen waren nass vor Tränen… daran kann ich mich erinnern… und ein einziger Wunsch war da! Dieser Gedanke war so präzise, dass ich ihn beinahe als meinen eigenen erdachte… der Wunsch zu sterben…!"
Wieder herrschte diese drückende, angespannte Stille zwischen ihnen beiden. Feli wagte einfach nicht aufzusehen und ihm ins Angesicht zu blicken. Sie wusste, dass sie mal wieder Schaden angerichtet hatte, ohne es zu wollen, oder überhaupt jemals einen einzigen Gedanken daran verschwendet zu haben. Und noch etwas wusste sie nun mit Sicherheit: Auch wenn das was Frodo ihr erklärt hatte stimmte, wollte sie doch ihren Plan in die Tat umsetzen. Sie wollte nicht noch mehr solcher Gespräche führen, sie wollte niemandem mehr wehtun, denn es tat ihr ja selbst ebenso weh…
Sie wurde aus ihren Gedanken gerissen, als sie bemerkte, dass Frodo sich erhob, ohne ein einziges Wort an sie zu richten.
Unwillkürlich blickte sie auf, doch er hatte sich schon herumgedreht und war im begriff zu gehen. Wie vom Blitz getroffen erstarrte sie in jeder Bewegung, das durfte doch einfach alles nicht wahr sein…
„Frodo… warte… wo willst du hin?!" Feli hob einen Arm und die Hand daran griff wie von selbst nach dem Saum seines Anzuges, doch er war schon zu weit weg.
„Bleib hier… und sag irgendetwas zu mir. Meinetwegen dass du mich jetzt hasst…!" langsam richtete sich Feli auf, mit einer Hand hielt sie sich dabei an der steinernen Bank fest. „Oder sag mir irgendetwas ins Gesicht, fang an mit mir zu streiten… na los… aber geh nicht einfach so davon…!!!" schrie Feli zum Schluss, doch Frodo war schon den Pfad entlang gegangen und verschwunden, hinter den Büschen und dichten Gräsern nicht mehr zu sehen.
„Frodo… so warte doch!! Lass mich… nicht allein!" setzte sie noch leise hinzu und begann langsam auf den Pfad zuzuwanken. Ihr wurde schwindelig, das nicht ganz vollständig aus ihrem Körper entschwundene Gift meldete sich wieder und der pochende Schmerz in ihrem Arm und Fuß trug auch nicht gerade dazu bei, dass sie sich besser fühlte… ganz zu schweigen von dem Schmerz in ihrem Inneren…
Sie hangelte sich trotz allem an der steinernen Bank entlang, mit dem dahinter befindlichen Pfad. Sie wollte ihn so schnell es ging einholen, wollte, dass er sie anschrie, dass er irgendetwas tat, irgendetwas sagte… aber dieses stumme davonrennen, das zerriss sie innerlich.
„Frodo… so warte doch… warte…!!" sie ließ die steinerne Bank endlich los und taumelte zum Pfad herüber. „Geh nicht einfach so davon!!" rief sie erneut und erreichte nach endlos erscheinenden Augenblicken endlich den Pfad, für den sie am vorigen Tage höchstens ein paar Sekunden gebraucht hatte…
Noch einmal rief sie seinen Namen und sie merkte, dass ihr schlecht wurde. In ihren Ohren begann es zu pochen, doch noch darüber hinaus konnte sie das nahe rascheln hören… also war er doch noch nicht auf und davon.
„Frodo…? Wenn du hier bist, dann komm bitte zurück... rede mit mir, sag irgendetwas… aber lass mich nicht einfach so stehen, denn…!" mitten im Satz brach sie ab. Sie stieß gegen einen dicken Ast. Ihr Gleichgewichtssinn war vollkommen außer Kontrolle geraten und ohne überhaupt richtig zu reagieren stürzte sie einfach vorwärts auf den Boden, wo sie mit dem Kopf leicht aufschlug und benommen liegen blieb…
Nur wenige Augenblicke später kam sie wieder zu sich, doch ihr Kopf dröhnte vor Schmerzen und vor ihren Augen drehte sich die gesamte Welt einmal um sich selbst. Übel war ihr, heiß und kalt jagte ihr Blut gleichzeitig durch ihren Körper hindurch und die pochenden Schmerzen schienen nun von überall her gleichzeitig zu kommen. Doch eines war merkwürdig… sie war doch direkt aufs Gesicht gefallen, wieso starrte sie dann in den blauen Himmel hinein, der nur noch von weißen Wolken durchzogen wurde?
Auch schien es kühler geworden zu sein, leicht glitt ein frösteln über ihre Haut. Verwirrt blinzelte sie als sie eine Hand über ihre Stirn streichen sah und ihre widerspenstigen Haare zur Seite strich. Dann sah sie wie der Himmel sich verdunkelte und an dessen Stelle ein Gesicht auftauchte.
„Du hast aber auch ein Pech. Entweder vergiftest du dich, wirst gebissen, stürzt so sehr, dass du dir den Fuß fast verstauchst und nun hast du auch noch eine Beule am Kopf! Dich kann man wirklich keinen einzigen Augenblick alleine lassen!!"
Vorwurfsvoll richtete sich der Blick Frodos, der fast von seinen herabhängenden Locken verdeckt wurde, in ihr Gesicht hinein und erst jetzt registrierte sie überhaupt, dass er es war.
„Frodo… du bist doch noch da?!" stammelte sie verwirrt und hob leicht einen Arm um sich über die Augen zu wischen. Die tief stehende Sonne hatte zwar an Intensität verloren, war aber noch immer kräftig genug sie zu blenden.
„Wie gesagt, dich kann man einfach nicht alleine lassen…!" antwortete er und Feli, die ihren Arm wieder von den Augen nahm, sah das er lächelte.
„Aber… was ist denn nun mit…!" begann sie, doch Frodo legte seinen Zeigefinger auf ihre Lippen und sie verstummte.
„Sage nichts mehr, frage nichts mehr" flüsterte er und senkte den Finger wieder herab. „Ich hätte nicht einfach so weglaufen sollen, aber ich war verwirrt, gekränkt, verletzt. Ich wusste schon vom ersten Augenblick an, was du meinst. Die Angst übernahm mich. Ich hatte Angst, dass du mir nicht mehr Glauben würdest, nachdem was du gesehen hast. Erst spreche ich von gegenseitiger Hilfe und dann denke ich auf der anderen Seite über das Sterben nach. Ich glaube dir, dass es dir sicherlich kein Vergnügen bereitet hat diesen, ausgerechnet diesen Gedanken zu sehen, und ich glaube dir auch, dass es keine Absicht war, die dahinter stand. Aber es kam auch die Angst in mir auf was ich getan hätte, wenn du es vor allen erzählt hättest…!"
„Das wollte ich doch aber auch gar nicht… du bist der erste, dem ich das überhaupt erzähle… und nicht mal dir wollte ich es erzählen…!" fuhr Feli dazwischen.
„Und genau das ist es, was mich gekränkt hat. Das du es den anderen nicht erzählen konntest, das war klar, aber warum auch mir nicht?!" Frodo blickte ihr wieder in die Augen und Feli, die irgendwie begann sich unwohl zu fühlen, richtete sich langsam aus seinem Schoß herauf auf. Sie hielt sich den schmerzenden Kopf während sie antwortete: „Weil ich genau das hier vorausgeahnt habe. Ich habe gewusst, dass ich dich verletze, ich habe geahnt, dass es so oder so ähnlich enden würde…genau aus diesem Grund." Langsam richtete sie sich auf, nahm die helfend entgegen gestreckte Hand Frodos dankbar entgegen und stand schwankend, aber nichts desto trotz entschlossen auf ihren eigenen beiden Beinen. Der Fuß pochte nur noch, sie würde mit dem Schmerz zurücklaufen können… ohne Hilfe.
„Und wenn wir jetzt zum hohen Rat zurückkehren, dann werde ich nicht drum herum kommen nun von dieser Gabe zu berichten… aber ich werde nicht erzählen was ich gesehen habe. Das geht nur uns Beiden etwas an."
Jetzt stand auch Frodo endlich wieder auf. Dieser kleine Hobbit, der ihr kaum bis zu den Hüften reichte, kaum größer als ein kleines Kind war, antwortete: „Kehren wir zurück. Die anderen machen sich sicherlich schon Sorgen."
Sie setzten sich beide in Bewegung. Der Hobbit hatte neben ihr Stellung bezogen, jederzeit bereit ihr hilfreich zur Seite zu stehen. Sie selbst ging, wie es ihr schien, im Kriechgang nebenher.
Unruhig ließ Feli ihren Blick zu ihm herüberwandern. „Was ist denn mit Arwen?"
Frodo blickte zurück, verstand zuerst gar nicht recht, doch dann ging ihm ein Licht auf. „Ach so, du meinst ihren plötzlichen Ausbruch? Naja, wie soll ich das nun erklären… als du und der Ring weg warst, da wusste sie mit einem Mal gar nicht mehr was überhaupt passiert war."
„Sie benimmt sich also nur so, wenn der Ring in der nähe ist…!" murmelte Feli, obwohl sie das ja sowieso schon wusste. Sie hatte das gleiche ja erst am Vorabend mit Elrond durchgemacht.
„Es sieht ganz danach aus." antwortete Frodo und Feli blieb mit einem Mal stehen.
„Was ist wenn ich nun zurückkehre und Arwen dreht wieder durch? Was mache ich wenn sie den Ring in ihre Hände bekommt? Werde ich dann überhaupt noch nach Hause finden?!" schluckend blieb sie stehen und blickte zu Frodo hinab.
Dieser seufzte schwer und griff nach ihrer Hand. „Komm… wir müssen es einfach riskieren. Du kannst dich doch nicht ewig hier verstecken, so wirst du jedenfalls nie wieder nach Hause kommen. Und keine Angst, ich bin da, ich lass dich nicht allein!" wieder lächelte Frodo so offen und unbefangen, dass Feli sogar für einen Augenblick ihre Angst und Bedenken vergaß.
„Frodo… vertraust du mir denn noch? Und du bist mir auch wirklich nicht böse?!" fragte sie um auch die letzten Zweifel zu vertreiben.
Dieser lachte und schüttelte mit dem Kopf. „Nein, ich bin dir nicht böse und das mit dem vertrauen haben wir doch eben gerade geklärt, oder etwa nicht?! Komm jetzt, die anderen warten schon."
Feli nickte erleichtert und ein riesiger Felsbrocken fiel ihr von der Seele. Sie ließ sich von Frodo endlich von der steinernen Bank wegführen.
Fortsetzung folgt....
