Weihnachtsgeschenke
In den nächsten Tagen versuchte Harry immer wieder, Yuri einmal alleine zu erwischen, doch jeder seiner Versuche, wie er prophezeiht hatte, schlug fehl. Im Geheimen hoffte er, dass sie aus irgendeinem glücklichen Zufall einmal allein sein würden, und er sie einfach fragen konnte, doch nichts dergleichen ergab sich.
Nach drei Tagen gab es Harry endgültig auf und beschloss, den Montag abzuwarten, dann wären es immerhin noch ein paar Tage bis zum Ball.
Als Harry am Montagabend zum Klassenzimmer für Verwandlung ging, hatte er das Gefühl, seine Beine würden aus erhitztem Gummi bestehen, sein Herz schlug irgendwo an seinem Adamsapfel und sein Magen fühlte sich merkwürdig leer an, obwohl er beim Abendessen nicht wenig gegessen hatte.
Während des Unterrichts wurde er ständig von Yuri besiegt, da immer wieder ein „jetzt frag sie endlich, komm schon" sein geleertes Hirn füllte. Nach einiger Zeit materialisierte sie sich wieder und half ihm mit einer Sorgenfalte auf der Stirn auf die Beine. Peinlich berührt stützte Harry sich auf eine Tischplatte und betrachtete das Pult, als ob es besonders aufregend wäre.
„Stimmt was nicht mit dir ?", fragte sie besorgt.
Harry wunderte sich, dass ihm sein Herz nicht aus dem Rachen flog, als er den Mund öffnete.
„Ähm –ich", sagte er.
„Du warst heute überhaupt nicht bei der Sache", sagte Yuri; es klang nicht vorwurfsvoll, sondern vielmehr mitleidig.
„Kann schon sein, weil -", setzte Harry nuschelnd an.
„Weil was ?", drängte sie.
„Weil ich dich was fragen wollte, nämlich – ähm – ob-"
„Nur raus damit", meinte sie ermunternd.
„ob –ob – du mit mir –z –zum Ball kommen willst ?", schloss Harry stockend und spürte, wie sein Gesicht unangenehm glühte.
„Oh", entfuhr es Yuri und lief nicht minder rot an.
Sie hat schon jemanden, sie hat schon jemanden, dachte Harry und sein Magen fühlte sich plötzlich bleischwer an. Es hätte nicht viel gefehlt, und er wäre unter seinem Gewicht nach unten gesackt, doch glücklicherweise tat er dies nicht.
„Ja, gerne", sagte sie schließlich und strahlte ihn unverwandt an.
„Oh, gut", entgegnete Harry; mit einem Mal schien sein Körper kein Gewicht mehr zu haben, nein, die ganze Welt wollte mit ihm in die Lüfte steigen...
„Ich denke, wir machen für heute Schluss", schlug Yuri mit immer noch errötetem Gesicht vor, um das peinliche Schweigen zu überbrücken.
„Warum bist su schon so früh zurück ?", wollte Hermine wissen, als Harry durch das Porträitloch kletterte. Sie saß mit Ron am Kaminfeuer, wo die beiden an ihren Zaubertränkehausaufgaben arbeiteten. Krummbein hatte sich auf ihrem Schoß eingerollt und schnurrte wohlig. Ron hatte ebenfalls aufgehört zu schreiben und wandte sich ihm zu.
Harry antwortete nicht. Er fühlte sich noch immer federleicht und ließ sich langsam auf einem Sessel neben Ron nieder. Er atmete tief durch und sah dann abwechselnd Ron und Hermine an, die ihn neugierig anstarrten.
„Ich hab jetzt auch meine Partnerin für den Weihnachtsball", eröffnete er ihnen schlicht.
„Tatsächlich ?", sagte Hermine milde überrascht, „wen ?"
„Yuri", antwortete Ron für Harry und grinste ihn verschmitzt an.
„Wirklich ? Das ist seltsam", sagte Hermine nachdenklich und nahm ihre Feder wieder in die Hand. „Oder nein, vielleicht sorgt es sogar für Klarheit..."
„Wieso das denn ?", fragte Harry beleidigt.
„Ich meine, dass sie ausgerechnet bei dir zusagt ist seltsam", erklärte sie ihm, „ich habe gehört, dass angeblich schon ein paar andere Jungs Yuri gefragt haben, ob sie mit ihnen zum Ball kommen will -"
„Das sagt ja schon alles, oder ?", bemerkte Ron und grinste Harry breit an. „Aber was wäre, wenn Harry sie gar nicht gefragt hätte ?", fügte er bedeutungsvoll hinzu.
„Yuri wird es wohl geahnt haben", meinte Hermine achselzuckend.
„Geahnt ?", wiederholte Ron gluckesend. „Woher hätte sie das bitte wissen sollen ?"
„Mädchen wissen mehr als das, was Leute wie du sehen", belehrte Hermine Ron hochnäsig.
„Ach ja ?", fragte Ron spöttisch.
„Dann sag mir, wie das Wetter morgen wird !", befahl er herausfordernd.
„Es wird kalt sein", entgegnete Hermine tonlos und zog die Augenbrauen hoch.
„Aaaah...", machte Ron, vermutlich um Zeit für weitere Überlegungen zu schinden, „das war ja wohl nicht schwer, das hätte ich auch hinbekommen... wart mal... also, was wird es an Weihnachten zu Essen geben ?"
„Truthahn und Plumpudding wahrscheinlich", antwortete Hermine ungeduldig. „Und jetzt hör auf damit, ich muss meinen Aufsatz -"
„Nur noch einmal !", bettelte Ron.
Hermine seufzte auf. „Nun gut, ich geb dir noch eine Chance", sagte sie würdevoll.
„Jetzt... fällt mir nichts mehr ein", sagte Ron nach einer Pause langsam und beugte sich wieder über seinen Aufsatz. Hermine lachte und tat es ihm gleich.
In der Nacht auf Weihnachten musste es ununterbrochen geschneit haben, denn am Morgen fand sich Hogwarts in eine dicke Schneedecke gehüllt wieder. Der Himmel war kristallklar und die Sonnenstrahlen ließen den Schnee funkeln, der selbst die dichtesten Bäume des Verbotenen Waldes mit einer dicken Schicht überzogen hatte, sodass die Ländereien von Hogwarts aussahen, als hätte sie jemand kurzerhand mit Puderzucker bestreut.
Als Harry aufwachte, entdeckte er Ron, der sich gerade daranmachte, seine Geschenke auszuwickeln.
„Fröhliche Weihnachten, Harry", rief er ihm fröhlich zu.
„Dir auch", sagte Harry gut gelaunt, erwiderte sein Grinsen und kroch ebenfalls zu seinem Geschenkehügel am Ende des Bettes hinüber. Das erste Geschenk war das von Mrs Weasley, der übliche Weihnachtspulli (dieses Mal hatte sie ihm ein großes ,H' darauf gestrickt), sowie eine Schachtel, die prall gefüllt mit Walnussplätzchen war. Hagrid hatte ihm ein Paket geschickt, in dem etwas aufbewahrt war, das wohl ein Früchtekuchen sein sollte, doch Harry schwörte sich, dass er ihn höchstens als Briefbeschwerer verwenden würde. Von Dobby bekam er eine Art Eierwärmer (wenigstens vermutete Harry, dass es einer war), auf dem ein großes Abbild eines Wesens war, dem Dobby verblüffend ähnlich sah. Darunter hatte er unzählige Dosenverschlüsse befestigt, die mit bunten Holzperlen verziert waren. Das Geschenk von Lupin und Tonks war dagegen schon brauchbarer: Sie hatten ihm einen magischen Stempel geschenkt, mit dem man Briefe so versiegeln konnte, dass sie nur von dem Empfänger gelesen werden konnten. Rons Geschenk war ein detailgetreues Modell eines Quidditchfeldes.
„Danke, Ron", sagte Harry begeistert und betrachtete es von allen Seiten.
„Das kannst du für das Training benutzen", schlug Ron vor.
„Ja", sagte Harry und zauberte die roten und grünen Punkte auf das Feld, die sogleich anfingen, sich gegenseitig aus dem Feld zu schubsen.
Als Letztes packte er Hermines Geschenk aus. Es war ein recht kleines Kästchen, auf dem mit goldenen Lettern geschrieben stand: Der einzig originale GS. Neugierig lockerte Harry den Deckel, und sofort schoss etwas kleines Goldenes daraus hervor, dass ein wenig orientierungslos um ihn herumschwirrte.
„Wow... ein Schnatz !", hauchte Harry und ließ den flinken Ball nicht aus den Augen. Er musste quer durch den ganzen Schlafsaal hüpfen, bis er ihn endlich zwischen den Fingern fühlte. Der Schnatz hatte ein hübsches Muster auf seiner goldenen Fläche eingeritzt und weiße, kräftige Flügel.
„Ich hab einen Quaffel bekommen", sagte Ron glücklich und hielt ihn in die Höhe. „Diesmal hat Hermine sich echt was einfallen lassen", fügte er beeindruckt hinzu, „das ist besser als dieser bescheuerte Hausaufgabenplaner."
„Er war nicht bescheuert. Frohe Weihnachten übrigens."
Hermine stand fertig angezogen hinter ihnen, mit Krummbein in den Armen, den sie kraulte.
„Dir auch", antworteten Harry und Ron zugleich.
„Dein Geschenk ist echt spitze", sagte Harry und löste seine Hand von dem goldenen Ball; Ron nickte zustimmend.
„Eigentlich wollte ich euch ja was Nützliches schenken", sagte Hermine, „aber mir ist einfach nichts Besseres eingefallen -"
„Aber das hier ist nützlich", meinte Ron und steckte den Quaffel zurück in die ebenso glühend rote Schachtel.
Harry musste grinsen über Hermines Gesichtsausdruck, wie sie halb lächelte und halb versuchte, eine strenge Miene zu bewahren, wobei sie unablässig an einem Kettenanhänger herumfummelte, der ihm erst jetzt auffiel.
„Sag mal, Hermine, was ist das eigentlich für ein Anhänger, den du die ganze Zeit
festhälst ?", wollte Harry wissen und beäugte eine kleine, goldene Katze mit diamantartigen Augen, die ihm Hermine mit einem glücklichen Gesichtsausdruck hinhielt.
„Ist die nicht hübsch ?", sagte sie liebevoll.
„Sowas kaufst du dir ?", fragte er ungläubig.
„Den hab ich mir nicht gekauft", protestierte Hermine, „das ist Rons Geschenk."
Harry warf Ron einen fragenden Blick zu.
„Was denn?", sagte Ron achselzuckend und kroch hinter seinen Berg Geschenkpapier.
Es waren ungewöhnlich viele Schüler über die Weihnachtsferien in Hogwarts geblieben, so wie in Harrys viertem Jahr, als ebenfalls ein Ball stattgefunden hatte. Das Frühstück war sehr üppig, sodass Harry, Ron und Hermine noch immer damit beschäftigt waren, als sich auch Yuri zu ihnen setzte und ihnen strahlend ein „Frohe Weihnachten" wünschte.
„Na, seid ihr bereit für euren großen Auftritt?", fragte sie grinsend an Ron und Hermine gewandt, als sie sich Toast auf ihren Teller lud. „Hübsche Kette übrigens, die du anhast, Hermine", fügte sie anerkennend hinzu.
„Welchen großen Auftritt?", fragte Ron nach Luft schnappend und stieß beinahe seinen Tee um.
„Habt ihr denn gestern Abend nicht ans schwarze Brett geguckt?", sagte Yuri verwundert.
„Nein, haben wir nicht", entgegnete Hermine nervös.
„Nun... dieses Jahr muss immer ein Vertrauensschüler des jeweiligen Hauses den Ball eröffnen, weil keine Champions zur Hand sind", erklärte sie ihnen.
„Wie bitte?", stieß Ron entrüstet hervor, „ich will diesen Ball nicht eröffnen!"
Harry fühlte etwas wie Sieg in sich aufkommen, auch wenn es ihm gleichzeitig Leid tat. Doch Ron dabei zu sehen, wie er den Ball eröffnen musste, wo er im vierten Jahr neidisch auf Harrys gewesen war, weil er so viel Aufmerksamkeit von den anderen bekommen hatte, amüsierte ihn unwillkürlich, sodass er krampfhaft ein breites Grinsen unterdrücken musste.
„Es wird schon schief gehen", ermunterte Yuri ihn. „Kannst du tanzen?"
„Ein bisschen", antwortete Ron, immer noch vollkommen in Rage verfallen. „Aber warum muss ausgerechnet ich-"
Mit einem Seitenblick auf Hermine erschlafften die Züge seines wütenden Gesichts.
„Oh", sagte er kleinlaut, „du bist ja -"
„ - auch Vertrauensschülerin", beendete Hermine mit einem Schmunzeln seinen Satz für ihn. „Ich kann nicht für dich gehen. Oh, hallo Luna", fügte sie hinzu, als Luna mit einer hell leuchtenden, übergroßen Weihnachtsmannmütze auf dem Kopf zu ihnen schwebte.
„Fröhliche Weihnachten euch allen", hauchte sie und musterte Yuri interessiert mit ihren hervorquellenden Glubschaugen, „ihr seid also ebenfalls hier geblieben... ich wollte mir den Ball nicht entgehen lassen, versteht ihr."
„Mit wem gehst du hin?", fragte Hermine sie freundlich.
„Ich gehe allein", antwortete Luna mit ihrer verträumtesten Stimme. „ Und mit wem gehst
du?", fragte sie an Ron gewandt hinzu.
„Hermine", antwortete Ron und schaute recht überrascht drein.
„Oh, nun ja –ähm –du wirst sicher trotzdem Spaß haben", sagte Hermine rasch.
Lunas Augen ruhten noch kurz auf Hermine, dann richteten sie sich auf Harry.
„Mein Dad sagt, er würde dir in ein paar Wochen die Fragen für das Interview schicken", teilte sie ihm mit.
„Ähm –gut", entgegnete Harry.
„Wir sehen uns", verabschiedete sich Luna und entschwebte.
„Weißt du was, Hermine?", sagte Ron grinsend, als sie außer Sichtweite war. „Wenn du heute Abend so 'nen Hut anziehst, eröffne ich den Ball sogar ganz allein."
„Das würde ich zu gerne sehen, aber wenn ich diese Mütze trage, rutscht sie mir über die Augen, und dann wäre es umsonst gewesen", entgegnete Hermine trocken.
Nach dem Mittagessen schlenderten Harry, Ron und Hermine zu Hagrids Hütte hinüber. Der Schnee ragte ihnen bis zu den Knien, und so kamen sie recht erfroren bei ihm an. Bei den letzten Metern legte Hermine einen verblüffenden Sprint hin und klopfte so wild an Hagrids Tür, als ob sie ein Werwolf verfolgen würde.
„Ihr seid's", sagte Hagrid und sein Mund formte sich zu einem Lächeln, „fröhliche Weihnacht'n euch. Nu' kommt ma' rein, seid ja halb vereist", fügte er hinzu und schubste sie an den Kamin.
„Danke, Hagrid", sagte Hermine atemlos; die Kälte hatte ihr die Röte ins Gesicht getrieben.
Auch Harry und Ron legten ihre Umhänge ab und wärmten ihre Hände an dem prasselnden Feuer.
„Habt heute Abend 'nen Weihnachtball, was?", fragte er.
„Ja", antwortete Harry. „Ich finde es ziemlich komisch, dass sie jetzt einen machen, obwohl gar kein Trimagisches Tunier stattfindet."
„Das is' die Art der Schule, auf die Warnung des Hutes zu reagieren", belehrte sie Hagrid und machte sich daran, Tee zu kochen, „denn der Hut hat sich noch nie geirrt. Nie. Dumbledore weiß nich', warum der Hut uns gewarnt hat, aber bisher hat er's nur getan, wenn's wirklich brenzlig war. Hast's ja gehört... Uneinigkeiten zwischen den Häusern..."
„Eine tolle Lösung", meinte Harry sarkastisch, „ich kenne verdammt viele, die mit Leuten aus anderen Häusern hingehen."
„Wär's dir lieber, sie würden dich zwingen, eine Partnerin aus einem anderen Haus zu nehmen?", warf Hermine vorwurfsvoll ein. „Obwohl, wenn ich es recht bedenke, das wäre sicher nicht allzu schlecht, um Einigkeit zwischen den Häusern zu schaffen und Spannungen abzubauen..."
„Wann hat der Hut schonmal eine Warnung gegeben?", wollte Harry wissen, um vom Thema wegzukommen.
„Wusste, dass du das fragst", brummte Hagrid, „aber ich darf's dir nich' sagen, Harry, is' ne Anweisung vom Orden. Keiner darf's wissen."
„Immer dieser blöde Orden", meinte Ron mürrisch, „wenn er nicht wäre, wüssten wir viel mehr."
„Nu mach ma' halblang, Ron, der Orden weiß, was gut und was nich' gut für euch is'", protestierte Hagrid, auch wenn er ihnen dabei nicht in die Augen sah.
„Wenn der Orden nicht will, dass du uns etwas davon erzählst, ist es ja eindeutig, dass es schon mal eine Warnung gab", sagte Harry und wartete gespannt auf Hagrids Antwort.
„Ich sag nichts", murrte er.
„Aber was ist mit dem Ministerium?", fragte Hermine, „Fudge hat doch einsehen, dass Voldemort zurück ist, und er müsste doch nichts gegen einen solchen Orden haben? Warum verbündet sich Dumbledore nicht einfach mit ihm?"
„Das is' nich' so einfach wie du denkst, Hermine", seufzte Hagrid, stand auf und stellte vier Tassen auf den Holztisch. „Fudge will es so aussehen lassen, als ob das Ministerium alles in den Griff bekommt... er is' zu stolz, verstehst du?"
„Aber das ist einfach dumm!", rief Hermine aufgebracht und verbrannte sich mit dem Mund an dem dampfenden Tee, „allein schafft er es nicht! Und wenn Fudge seinen Stolz aufgegeben hat, wird es zu spät sein! Warum redet bloß niemand mit ihm?"
„'türlich is' es dumm, aber du weißt, so is' die Welt nich', Hermine", entgegnete Hagrid traurig. „Macht is' den Menschen dafür viel zu wichtig."
„Deshalb hat Voldemort auch so viele Anhänger bekommen können", sagte Harry, ohne auf Rons bleiches Gesicht zu achten. „Was hat Quirell gesagt... jaaah, er hat mir erzählt, was Voldermort zum ihm gesagt hat... dass... es weder Gut noch Böse gibt, sondern nur Macht, und jene, die zu schwach sind, um danach zu streben."
„Das ist so furchtbar!", stieß Hermine mit leicht zitternder Stimme hervor.
„Ja, da hast du recht, Hermine", stimmte ihr Hagrid zu, „aber Du-weißt-schon-wer hat 'n Händchen dafür, wenn's darum geht, Menschen in die Richtung zu lenken, die ihm nützt. Und hört gefälligst auf, seinen Namen zu nennen! Du jetzt auch noch, Hermine...", setzte er verärgert hinzu.
„Sag mal, Hagrid, was ist eigentlich mit den Riesen?", meldete sich Ron zu Wort.
„Riesen?", sagte Hagrid mit bemüht unschuldiger Stimme. „Weiß nich', was da noch groß sein soll -"
„Komm schon, mein Dad hat mir gesagt, dass Dumbledore sie noch auf unsere Seite ziehen will", drängte Ron, „also müsst ihr doch irgendwas geplant haben, nicht?"
„Hör auf so zu tun, als ob du von nichts wüsstest", sagte Hermine scharf und goss ihnen Tee ein. „Haben wir uns jemals verplappert? Konntest du uns auch nur ein Mal nicht vertrauen?"
„Schon gut, schon gut", grummelte Hagrid, „ich seh's ja ein, ich hab' mal wieder keine
Wahl -" –Harry und Ron grinsten Hermine begeistert zu – „immer noch viel zu neugierig... nu' ja, Olympe und ich gehen den Riesen vielleicht mal wieder 'nen kleinen Besuch abstatten, wenn sich das Wetter bessert -"
„Vielleicht?", hakte Harry nach.
„Oder auch wahrscheinlich", gab Hagrid widerwillig zu. „So, jetzt reicht's aber, ihr wisst wie immer viel zu viel", fügte er hinzu und an seinem Tonfall merkte Harry, dass nun nichts mehr aus ihm herauszuholen war.
„Meint ihr, es bringt wirklich etwas, wenn Hagrid und Madame Maxime nochmal zu den Riesen gehen?", fragte Hermine besorgt. „Vielleicht sollte sich der Orden lieber darauf konzentrieren, Fudge zur Vernunft zu bringen -"
„Dumbledore wird wissen, was zu tun ist", meinte Ron.
„Er kann sich auch mal irren!", rief Hermine aufgebracht.
Harry lief schweigend neben Ron und Hermine her, die den frostigen Wind um sie herum vergessen zu haben schienen und lautstark miteinander diskutierten.
Er zog seinen Umhang fest um sich und richtete seinen Blick auf die dichte Schneedecke, auf der sich ihre Fußabdrücke deutlich abzeichneten.
Wenn Fudge wirklich eine Dummheit begehen sollte... was würde dann passieren? Würde es tatsächlich zu spät sein, so wie Hermine gesagt hatte?
Harry verzichtete darauf sich auszumalen, wie sich die Welt verändern würde, wenn Voldemort wieder an die Macht zurückkehrte.
Harrys Gedanken wurden von den bunt geschmückten, riesenhaften Weihnachtsbäumen verdrängt, die in der Eingangshalle aufgestellt waren. Besonderes gefiel ihm der, der rechts von der Tür der Großen Halle stand. Er war von funkelnden, kleinen Sternen umhüllt und unzählige goldene Kugeln schwirrten um ihn herum, sodass es ein wunderschönes Schauspiel ergab, das besonders die Blicke der jüngeren Schüler auf sich zog.
„Den haben Hermine und ich geschmückt", erklärte ihm Ron, der seinem Blick folgte, „die fliegenden Kugeln waren meine Idee", fügte er stolz hinzu.
„Deine Kugeln wären nur halb so schön ohne meine Sterne", warf Hermine hochnäsig ein.
„Und deine Sterne wären nur ein Achtel so schön ohne meine fliegenden Weihnachtskugeln", konterte Ron bissig.
„Hört auf, heute ist Weihnachten !", rief jemand hinter ihnen. Die Drei wandten sich um.
Yuri stand hinter ihnen. Sie hatte Schnee in ihren herabfallenden Haaren und gerötete Wangen.
„Neville, Dean und Seamus bauen draußen Schneemmänner", teilte sie ihnen mit, „gerade arbeiten sie an Professor McGonagall, sie ist bisher echt gut getroffen. Wollt ihr nicht auch mit rauskommen ?"
„Keine Frage", sagte Ron begeistert. „Harry?"
„Klar", stimmte Harry zu. „Kommt ihr auch?", fügte er an Hermine und Yuri gewandt hinzu.
Hermine warf einen Blick auf ihre Uhr. „Gut, ein bisschen Zeit bleibt mir ja noch."
„Hermine, wir haben vier Uhr nachmittags, und der Ball beginnt erst um acht Uhr", warf Ron ein und verdrehte die Augen.
„Deshalb sagte ich doch, dass ich noch Zeit habe", entgegenete Hermine.
Vor dem Schloss standen bereits Dumbledore, Professor Sprout und Professor Flitwick aus Schnne gefertigt. Neville war dabei, Professor McGonagalls Spitzhut zu formen, als die Vier zu ihnen traten und sich daran machten, einen Körper für Snape zu formen. Ron hatte seinen Spaß daran, Snape unzählige Warzen zu verpassen, die aus Kieselsteinen bestanden. Dem Ganzen setzte er die Krone auf, indem er ihm eine lange, besonders knorrige Zuckerrübe als Nase ins Gesicht presste.
„Gut getroffen, was ?", sagte er grinsend, während Hermine mit schuldbewussten Gesicht kicherte.
„Nicht schlecht", meinte Harry nickend.
„Da fehlt noch was", sagte Dean und formte einen Spitzhut aus besonders matschigem Schnee, auf dem eine Art großer Vogel saß.Glucksend setzte er ihn dem Schneemann auf und betrachtete stolz sein Werk.
„Warum hast du Snape diesen Hut aufgesetzt?", wollte Yuri wissen.
„Ach, das weißt du natürlich nicht...", sagte Hermine, nachdem sie sich wieder gefangen hatte. „Erklär du es ihr, Neville."
„Das ist eine lange Geschichte", sagte Neville und begann, Yuri von seinem Irrwicht zu erzählen, wobei er immer wieder verlegen grinste.
Um sechs Uhr meinte Hermine schließlich, sie müsse hinaufgehen und sich für den Ball bereitmachen. Ron zog zwar eine Grimasse, schwieg jedoch.
„Oh, wir haben schon sechs Uhr ?", sagte Yuri erschrocken und besah sich prüfend ihrer Uhr. „Dann muss ich noch rasch jemanden sein Geschenk bringen."
„Wem?", fragte Harry neugierig.
„Grawp", murmelte Yuri und pflügte durch den Schnee zu ihrer Tasche hindurch, die sie neben dem großen Eichenportal abgestellt hatte. Sie zog ein riesiges Paket daraus hervor, zückte den Zauberstab und ließ das Geschenk in der Luft schweben. Unbemerkt von den anderen stahl sie sich in Richtung des Verbotenen Waldes davon.
Harry rannte ihr nach, als Ron, Neville, Seamus und Dean vollauf damit beschäftigt waren, ein Pult aus Schnee zu bauen.
„Was ist da drin?", wollte Harry wissen, als er sie endlich eingeholt hatte.
„Da sind so ziemlich alle Süßigkeiten drin, die es im Honigtopf gibt", antwortete Yuri und schien keineswegs überrascht, dass er ihr nachgelaufen war, „Grawp liebt Süßigkeiten über alles. Letzte Woche hatte ich eine Tüte Zuckerfedern in der Tasche, und er war ganz wild darauf. Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie er getobt hat, als ich ihm gesagt hab, dass ich keine mehr habe... das einzige, was geholfen hat, war ein Schokoladenriegel, den ich glücklicherweise in meiner anderen Tasche gefunden hatte."
Harry schwieg. Wenn er in seinem letzten Jahr gewusst hätte, dass man Grawp mit Süßigkeiten besänftigen konnte, hätte er nicht ohne eine Tonne voll Bonbons im Schlepptau einen Fuß in den Verbotenen Wald gesetzt.
Durch die fehlenden Blätter schien der Wald noch bedrohlicher als sonst zu sein. Hin und wieder hörte man einen Ast knacken oder einen Vogel aus der Ferne pfeifen, doch dies waren auch die einzigen Lebenszeichen, die man sich zwischen den kahlen Bäumen erhoffen konnte (andererseits musste Harry zugeben, dass es ihm so auch sehr recht war).
Er lief eine Weile schweigend neben Yuri her. Beide betrachteten das fliegende Geschenk und warfen hin und wieder einen Blick in die Ferne.
„Ähm – Harry?"
„Was ist?", sagte er und blickte sie an. Ihr welliges Haar bedeckte ihr Gesicht, während sie unablässig den Boden anstarrte.
„Meinst du, Ron und Hermine bekommen das heute auf die Reihe?", fragte sie.
„Ich denke schon", meinte Harry und richtete seinen Blick ebenfalls auf den von dichtem Schnee überzogenen Weg. „Ich hab's schließlich auch hinbekommen, also schafft Ron das auch."
Yuri lachte kurz auf. „Du musstest auch mal einen Weihnachtsball eröffnen ?", fragte sie überrascht.
„Ja", antwortete Harry und sah in den Augenwinkeln, dass sie ihn musterte. „Als ich einer der Champions war beim Trimagischen Turnier -"
„Ja, ich erinnere mich", sagte Yuri langsam, „Hermine hat mir alles erzählt von den Aufgaben... aber den Ball hat sie wohl außen vor gelassen."
„Es war kein besonders denkwürdiger Abend", sagte Harry finster.
„Wieso?", wollte sie wissen.
„Ähm -" Harry biss sich auf die Lippe; hätte er das Thema bloß nicht ausgeweitet... er wollte Yuri nichts von Cho erzählen –noch nicht. Aber er musste etwas zu ihr sagen.
Yuri blickte ihn neugierig an.
„Ähm, nun ja... Ron und ich hatten praktisch keine Partnerinnen, das heißt, wir haben uns nicht um sie geschert, und dann sind sie weggegangen", erzählte Harry mit recht brüchiger Stimme. „Den Rest des Abend haben wir damit verbracht, uns über Riesen zu unterhalten -"
„Ist Ron nicht mit Hermine zum Ball gegangen?", bohrte Yuri weiter nach.
„Nein, sie ist mit Krum gegangen", antwortete Harry, „du weißt ja, der bulgarische Sucher."
„Ja, ich glaube, ich habe ihn bei der letzten Quidditchweltmeisterschaft gesehen", sagte sie recht gleichmütig, „er hat wirklich ein furchtbares Gesicht... so was von grimmig... allein der Anblick vermiest einem den Tag. Ich hätte nie gedacht, dass Hermine mit ihm – ich meine, er passt doch überhaupt nicht zu ihr", fügte sie fast verärgert klingend hinzu. „Und wen hattet ihr beide dabei ?"
„Ich bin mit Parvati und Ron mit ihrer Schwester Padma hingegangen... na ja, wenn man es so nennen kann", beendete Harry seinen Satz.
Yuri schien ziemlich verdattert zu sein, schwieg jedoch und zerlegte einen Dornenbusch in seine Einzelteile („Diffindo!").Nach einer Weile waren sie, so vermutete Harry, mitten im Herz des Waldes. Es war stockdunkel, und ohne ein Wort der Besprechung riefen sie gleichzeitig: „Lumos". Harry sah Yuris Lächeln in der Dunkelheit aufblitzen, als er versuchte, ihre Umgebeung zu erkennen.
„Es ist nicht mehr so weit", teilte ihm eine Stimme vor ihm mit.
„Gut", knirschte Harry zwischen den Zähnen hervor, denn gerade hatte sich entweder ein sehr großer Dorn oder ein spitzer Ast in seinen linken Oberarm gebohrt.
„Ähm –hmmm –Harry? Ich -", begann Yuri plötzlich zaghaft.
„Sind wir da?", fragte Harry hoffnungsvoll und drückte einen Ast zur Seite, der seine Strin gestreift hatte.
„Nein, noch nicht", entgegnete Yuri; ihre Stimme klang seltsam dumpf.
Nach wenigen Minuten stoppte sie plötzlich und ging langsam in die Hocke. Das Paket ließ sie lautlos neben sich nieder. Harry folgte ihrem Beispiel und spähte durch das knorrige Geäst eines Buches, der ihnen den einzigen Schutz bot.
Auf der anderen Seite saß etwas wie ein erdfarbener Hügel, mit einem kleinen, mondförmigen Gesicht und unförmigen Händen, die recht kurze, stummelige Finger besaßen – Grawp.
Seit Harry ihn zum letzten Mal gesehen hatte, schien er sich nicht bedeutend verändert zu haben, mit Ausnahme seiner Kleidung, die von einem Tierfell zu einer Art Hose gewechselt hatte, über die er ein T-shirt von der Größe eines Zirkuszeltes trug.
„Wo hat er die Kleidung herbekommen?", murmelte Harry.
„Die hab ich ihm genäht", wisperte Yuri zu seiner Rechten. „Warte hier, ich geh erstmal zu ihm."
Sie erhob sich langsam und näherte sich Schritt für Schritt Grawp, der, wie Harry bemerkte, eine Art Schiefertafel in den ungelenken Händen hielt, auf die er halb erkennbare Buchstaben mit einem spitzen Stein, der nicht wiet von ihm entfrnt lag, gekritzelt hatte. Grwap stierte sie mit seinen trüben Augen an, und wie in Zeitlupe öffnete er schließlich den schiefen Mund.
„Yurri", flüsterte er mit seiner tiefen Stimmem, die sich seltsam heiser anhörte. Harry hätte schwören können, dass sich Mund zu einem schwachen Lächeln verzog, doch bereits im nächsten Augenblick galt sein Blick Yuri, die Grawp immer näher kam.
„Hallo Grawp", sagte sie lächelnd und legte nun vorsichtig ihre zarte Hand auf eines seiner massigen Beine. Es war ein seltsames Bild, wie dort ein zierliches, hübsches Mädchen neben einem klotzigen Riesen stand und gerade mal so lang wie sein Fuß war. Das Seltsamste daran war jedoch, dass Grawp sanft wie ein Lamm zu sein schien; Harry achtete sorgsam darauf, ja kein Rascheln ertönen zu lassen.
„Heute ist Weihnachten", erklärte Yuri ihm. „Weißt du noch, was das ist?"
Grawp nickte mit seiner formlosen Nase zu einer Tanne hinüber.
„Genau, sehr gut", sagte sie anerkennend. „Und weißt du, was man an Weihnachten
bekommt? Geschenke!"
Grawp klatschte in seine klobigen Hände und rief polternd: „Grapp we G'schenke!"
„Das habe ich mir gedacht", erwiderte Yuri grinsend, stapfte zu dem riesenhaften Geschenk hinüber und schob es zu Grawp hinüber, der es begierig anstarrte.
„Das ist für dich, pack es aus!", forderte Yuri ihn auf und sah glücklich dabei zu, wie er den Karton zu Pulver verarbeitete und die herausfallenden Süßigkeiten in seinem Schoß auffing.
„Süßess", grunzte er und stopfte sich eine Wagenladung Toffee ins Maul. Nachdem er die Hälfte der Leckereien verspeist hatte, langte er mit seiner Hand nach Yuri. Harry verspürte den Drang, nach vorne zu hasten und sie zu packen, doch Yuri verzog keine Miene und hüpfte in die geöffnete Hand des Riesen.
Zuest dachte Harry, Grawp würde Yuri mit einem Schokoriegel verwechseln, da er sie gefährlich nahe an seinen Mund hielt, doch dann hob er sie noch ein wenig weiter hoch, bis die beiden auf Augenhöhe waren.
„Yurri ist lieb, Grapp freu sich", sagte er mit polternder Stimme. Nun senkte er seine massigen Pranken wieder und ließ Yuri sicher auf dem Erdboden absteigen.
„Bis bald, Grawp", verabschiedete sie sich von ihm und tätschelte ihm den Arm (soweit dies möglich war), „ich komme dich bald wieder besuchen. Sei bis dahin brav und lauf nicht zu weit weg, ja?"
Als Yuri wieder zu ihm kroch, starrte Harry sie recht ungläubig an.
„Wie hast du -"
„Ich sagte doch, dass er im Grunde lieb ist", schnitt sie ihm das Wort ab und grinste. „Eigentlich wollte ich ja, dass er dich auch sieht, aber... nun ja, für's Erste reicht ihm meistens schon eine Person, Neues und Fremdes macht ihn unruhig. Außerdem müssen wir schleunigst zum Schloss zurück... der Ball beginnt bald, und ich denke, wir sollten nicht zu spät kommen."
