Die Abreise
Als Harry, Ron und Hermine am nächsten Morgen in der Großen Halle frühstückten, wurden ihre Blicke auf einen großen weißen Schwan gelenkt, der beim Landen respektlos einen Fuß in eine Platte mit Toasts setzte und sich ohne Weiteres wieder in die Lüfte erhob, nachdem er einen versiegelten Briefumschlag auf Harrys Teller fallen gelassen hatte.
Neugierig riss Harry den Pergamentumschlag auf. Mit zusammengesteckten Köpfen lasen sie:
Lieber Harry und Ron, liebe Hermine,
gerade eben habe ich die Tickets erhalten, es ist alles organisiert. Morgen früh, das heißt, um genau zu sein, acht Uhr, werde ich vor dem Hogwartseingang auf euch warten, von dort aus fahren wir zum Heathrow Airport.
Es wäre gut, wenn ihr ganz normale Muggelkleider anzieht, sonst fallen wir zu sehr auf, denn wir müssen mit einem Muggelflugzeug fliegen, anders geht es leider nicht.
Ich glaube, es würde ziemlich schwierig sein, Tiere mit in die Kabine zu schmuggeln, deshalb wäre es vielleicht besser, sie in Hogwarts zu lassen.
Zurückkommen werden wir am nächsten Samstag.
Viel Spaß beim Kofferpacken,
eure Yuri
Schweigend sahen sie sich gegenseitig an.
„Ich wollte schon immer mal an den Heathrow Airport", erzählte ihnen Ron mit glänzenden Augen. „Dad meint, da gibt es riesige eiserne Vögel, die Muggel durch die Luft transportieren. Die würd' ich wirklich gern mal sehen -"
„Das sind Flugzeuge, Ron", belehrte ihn Hermine und schüttelte ungehalten den Kopf.
„Ja, genau, das meinte er wohl", sagte Ron fachmännisch nickend und in einem Ton, als hätte er dies ohnehin schon gewusst.
„Wie auch immer", sagte Hermine spitz, ohne weiter auf Ron einzugehen, „wir sollten bald anfangen, unsere Sachen einzupacken, denn wir müssen bis morgen früh dringend noch etwas erledigen."
„Was denn ?", fragten Harry und Ron wie aus einem Munde.
„Zu Hagrid gehen", antwortete Hermine, als wäre dies eine Selbstverständlichkeit. „Wir müssen versuchen herauszufinden, warum Dumbledore Yuri wieder gehen gelassen hat. Voldermort ist hinter dem Windherz her, oder ? Aber was wäre, wenn er glaubt, dass Yuri es noch immer hat ? Außerdem will ich ihn fragen, ob er Krummbein für diese Woche versorgen könnte."
Harry war froh, dass es Hermine war, die vorgeschlagen hatte, Hagrid besuchen zu gehen. Doch ganz davon abgesehen war er froh, dass jemand so dachte wie er.
Eine Viertelstunde später hatten sie sich durch den Schnee gekämpft und pochten an der Tür von Hagrids Holzhütte, von der allerdings nicht viel mehr als ihre grobe Form zu erkennen war; offensichtlich hatte er sich nicht die Mühe gemacht, Schnee zu fegen.
„Einen Moment... nu' is aber gut Fang, lass ihr – hatschiii - mal 'ne kurze Pause", hörten sie Hagrid von drinnen poltern. Eine schiefes Zuklappen von etwas war zu vernehmen, dann öffnete sich die Tür und das Gesicht Hagrids lächelte ihnen entgegen.
„Ihr seid's", sagte er und sah aus irgendeinem Grund erleichtert aus.
„Hallo Hagrid", sagten sie und traten in die warme Hütte.
„Hab' gehört, ihr macht 'nen kleinen Ausflug nach Amerika ?", erkundigte er sich und holte vier Teetassen aus dem Schrank, sobald sie sich gesetzt hatten.
„Ja, nach Los Angeles", sagte Harry und kraulte Fang am Ohr, der auf seine Schuhe sabberte. „Yuri hat uns eingeladen."
„Dumbledore hat es mir erzählt... ihr habt's verdammt gut", beneidete sie Hagrid und machte sich daran, an einer Teekanne herumzuwerkeln.
„Ich weiß nicht so recht, ob wir es gut haben werden", widersprach Hermine. Sie hatte einen entschlossenen Ausdruck auf dem Gesicht.
Hagrid sah sie überrascht an. „Was meinst du damit ?", sagte er und zog seine buschigen Augenbrauen hoch.
„Dumbledore hat dir gesagt, dass Voldemort nicht hinter Yuri, sondern dem Windherz her ist, nehme ich an ?", fragte Hermine scharf.
„So isses", bestätigte er.
„Und ist er sich da auch wirklich sicher ?", drängte sie.
„Wenn Dumbledore das sagt, dass is' es auch so", beharrte Hagrid.
Hermine schnaubte leise. „Nun, ich bin mir da nicht so sicher", sagte sie, „immerhin war das Windherz bis vor Kurzem in Yuris Besitz. Wäre es nicht also möglich, dass er davon ausgeht, dass sie es bei sich trägt ?"
Hagrid scharrte mürrsich mit den Füßen und sah sie nicht an.
„Komm schon, Hagrid, wir wollen doch bloß nicht in Schwierigkeiten geraten", bettelte Ron mit Unschludsmiene.
„Könnt' schon sein, dass er das glaubt", antwortete Hagrid ein wenig widerwillig, „aber macht euch jetzt mal keine Sorgen, ihr werdet rund um die Uhr beschattet -"
„Jaaah, ganz toll", unterbrach ihn Harry, „weil ich letztes Jahr so brillant beschattet wurde, haben mich Dementoren angegriffen."
„Diesmal sind's bstimmt bess're Leute", sagte Hagrid.
„Hoffentlich", meinte Hermine, immer noch zweifelnd, „aber - was ist das denn für ein Geräusch ? Ist das Fang ?"
Es war eine Art Kratzen, ganz nah bei ihnen; doch es war nicht Fang.
„Hat vielleicht Hunger", murmelte Hagrid. Er stand auf , bückte sich und holte einen Korb hinter einer Kiste hervor. „Musste sie hier reintun, sonst wär sie als Fangs Mittagessen geendet – hatschi" Er öffnete vorsichtig die Klappe, die an dem an einigen Stellen angeknabberten Korb angebracht war. Etwas dünnes, braunes tänzelte daraus hervor und streckte sich genüsslich aus – eine Katze. Sie hatte ein abgenicktes und ein aufgestelltes Ohr, darunter zwei kastanienbraune Augen, die Harry, Ron und Hermine interessiert betrachteten und einen langen, dünnen, schlängelnden Schwanz mit einer weißen Spitze. Sie sprang Ron auf den Schoß und ließ sich von ihm und Hermine zufrieden schnurrend streicheln.
„Hat vorletzte Nacht an meinem Fenster gekratzt", erzählte ihnen Hagrid, „ich hab' keine Ahnung, wem sie – hatschi - gehört... Fang mag sie jedenfalls nicht besonders. Aber ich muss sie nicht nur deshalb oft wegsperren... ich hab' 'ne kleine Katzenhaarallergie – hatschiiii ! Ich glaub', ich kann mir keine Katze halten, wenn's so weitergeht."
Fang hatte seine Ohren aufgestellt und knurrte leise, rührte sich jedoch nicht von der Stelle.
„Wie heißt sie ?", fragte Ron und drehte sich schnell zur Seite, da eine Pfote versuchte, seine Nase zu erwischen. „Aaaaah, lass das -"
„Katzen spielen nun einmal gern mit Dingen, die auffällig sind und sich bewegen", sagte Hermine altklug und versuchte, eine ernste Miene zu bewahren.
„Wie war das jetzt gemeint ?", fragte Ron gekränkt.
„Ich hab' keine Ahnung, wie sie heißt", sagte Hagrid, musterte sie nachdenklich und nieste wieder. „Hab' natürlich schon daran gedacht, ihr 'nen Namen zu geben, aber im Moment hab' ich keine Ruhe dafür, versteht ihr ?"
„Ich könnte mir ja einen überlegen", schlug Hermine eifrig vor.
„Wenn du willst", meinte Hagrid und schnäuzte sich mit einem gewaltigen gepunkteten Taschtuch die Nase. „Nun denn, ich will euch nich' rauswerfen, aber – haaaaaatschi - ich hab' noch 'ne ganze Menge zu tun, also..."
„Dann hauen wir ab, Hagrid", sagte Harry und zog seinen immer noch recht feuchten Umhang über.
Hermine räusperte sich plötzlich laut. „Ähm, Hagrid – könntest du mir einen Gefallen tun ?", fragte sie. „Weißt du, Krummbein kann nicht mit, und ich dachte, vielleicht könntest du - ?"
„Kein Problem, haahaaa - hab' ja noch genügend Taschentücher", antwortete Hagrid grinsend. „Also dann, ich wünsch' euch viel Spaß in Los Ang'les ! Und macht euch mal keine Sorgen, Dumbledore weiß, was er tut !", rief er ihnen noch nach, als sie bereits durch den Schnee trotteten.
Nachdem Harry, Ron und Hermine sich am Kamin im Gemeinschaftsraum aufgewärmt hatten, trennten sie sich, um die Koffer in ihren Schlafsälen zu packen.
Ron brauchte wohl am wenigsten Zeit von allen, um sich für die Reise vorzubereiten. Achtlos warf er T-shirts, Hosen und anderes planlos übereinander in seinen Koffer, in freie Ecken zwängte er Bücher über die Chudley Cannons, ein Zauberschachspiel und verschiedene Utensilien, die ihm, wie er ihm erklärte, die „Zeit bis zur Landung" verkürzen sollten. Harry allerdings bezweifelte strak, dass er mit seiner Sammlung Schokofroschkarten und dem Sauberwisch sonderlich viel anfangen konnte.
Auch Harry hatte den untersten Platz in seinem Koffer für seinen Feuerblitz reserviert. Sorgsam legte er ihn auf einen besonders flauschigen Weihnachtspulli von Mrs Weasley, und darüber stapelte er Unmengen an Hosen und Socken, bis er es schließlich riskierte, ein paar harte Sachen hineinzulegen.
Beim Abendessen berichtete ihnen Hermine zutiefst mit sich selbst zufrieden, dass sie heute ihren bisher besten Packzauber geschafft hatte.
„Ähm –", sagte Harry, denn Hermine schaute sie so erwartungsvoll an, als ob sie erwartete, dass sie jemand dafür lobte.
„Gut gemacht, Hermine", meinte Ron mit gespielter Hochachtung, „schön, dass dich das so freut. Wirklich wunderbar, einfach nicht zu glauben."
Hermine lächelte glücklich, offenbar Rons hochgezogene Augenbrauen missdeutend, und schaufelte sich großzügig Pastete auf den Teller.
Nach dem Essen gingen sie hoch in den Gemeinschaftsraum und spielten unzählige Runden „Snape explodiert", bis Hermine die Augen zufielen und in ihrem Sessel nach unten sank.
Harry und Ron mussten sie wachschütteln.
„WACH AUF !", brüllte ihr Harry ins Ohr, da sie sich nicht regte.
„Wa –oh, bin ich dran ?", fragte Hermine schläfrig und öffnete kaum ihre Augen.
„Nein, Hermine, das Spiel ist vorbei", sagte Ron und rüttelte weiter an ihr. „Geh' schlafen."
„Schla – oh !"
Sie schreckte auf, wünschte ihnen eine gute Nacht und ging ungewöhnlich eilig die Mädchentreppe hinauf.
Am nächsten Morgen wachte Harry vom Knarren der Tür auf. Schlaftrunken tastete er nach seiner Brille auf dem Nachttisch, setzte sie sich auf und sah die verschwommenen Umrisse Hermines, die nach und nach Gestalt annahmen.
„Aufstehen !", rief sie fröhlich und zog die Vorhänge ohne viel Federlesen auf, doch es gab kein Morgenlicht draußen, das ihre Munterkeit unterstreichen konnte.
„Dir auch einen guten Morgen", murrte Harry grimmig und schob seine Decke beiseite.
„Ein nettes, leises ‚Aufwachen' wäre mir erstmal lieber gewesen", hörte Harry Ron an seiner Seite gähnen.
„Das geht nicht, wir haben schon halb acht !", herrschte ihn Hermine an. „Sieh mich an, ich bin schon seit einanhalb Stunden auf den Beinen !"
„Was hast du denn getrieben ?" Ron wirkte verwirrt, dann schaute er prüfend auf seine Uhr. „Nun mach mal langsam, wir haben noch ganze dreißig Minuten um uns anzuziehen und uns mit unseren Koffern vor den Eingang zu bewegen. Ich brauch dazu nicht mal 'ne Viertelstunde."
„Was ist mit Frühstück ?"
Wie von der Tarantel gestochen sprang Ron auf und suchte seine Kleidung zusammen, die um sein Bett verstreut lag.
„Raus hier, Hermy."
„Nenn mich bloß nicht Hermy, Ronnie."
Schmunzelnd schloss sie die Tür hinter sich.
Obwohl sich Harry und Ron in rekordverdächtiger Zeit angezogen hatten, blieb ihnen nur sehr wenig Zeit zum Frühstücken. Glücklicherweise hatte Hermine ihnen in Servietten eingewickelte Toasts mitgebracht, die sie hastig verschlangen.
„Noch zehn Minuten", sagte Hermine mit einem nervösen Blick auf ihre Uhr. „Holen wir unsere Koffer."
„Was ist mit Krummbein ?", fragte Harry, als sie nach oben in den Gryffindortum stiegen. „Hast du ihn schon zu Hagrid gebracht ?"
„Aller - dings, heute - Morgen", antwortete sie ein wenig atemlos. „Sockeneintopf."
Mit einem Locomotor-Zauber hob Hermine ihr Gepäck in die Luft und ließ es sanft durch das Portraitloch gleiten.
„Sag mal, warum hast du eigentlich zwei Koffer dabei ?", wollte Ron von Hermine wissen. „Wir sind doch nur ein paar Tage weg."
„Na ja, in diesem ist meine Kleidung und so weiter", antwortete sie und deutete auf den größeren der beiden, „und in dem anderen habe ich eine kleine Auswahl an Reiseführern und anderen Büchern über Los Angeles verstaut, wirklich nur das Wichtigste, um einen Eindruck zu bekommen -"
„Das glaub' ich dir auf's Wort", meinte er grinsend.
„Seid mal still", zischte Harry. Er hatte Schritte hinter ihnen gehört, doch niemand war zu sehen, als er sich instinktiv umdrehte und den Korridor absuchte; alles sah vollkommen ausgestorben aus. „Was -"
Eine kleine Hand zupfte zögerlich an seinem Hosenbein.
„Dobby !"
Dobby, der Hauself von Hogwarts, sah ihn mit seinen tennisballähnlichen Augen, aus denen nun Tränen quollen, mit zitternden Lippen an.
„Dobby hat gehört, dass Harry Potter und seine Freunde Hogwarts verlassen, Sir", wisperte er und schniefte leise.
„Nur für eine Woche", beruhigte ihn Harry. „Danach kommen wir wieder."
Diese wenigen Worte hatten eine verblüffende Wirkung auf den Hauself. Von einer Sekunde zur anderen strahlte er über das ganze Gesicht und zeigte dabei seine ungeputzten Zähne.
„Dobby hat so gehofft, dass es eine Lüge ist ! Er wusste immer, dass Harry Potter nie gehen würde, ohne sich von ihm zu verabschieden", quiekte er. „Wohin geht Harry Potter, wenn Dobby fragen darf, Sir ?"
„Natürlich darfst du", antwortete er. „Yuri hat uns zu sich nach Hause in Los Angeles eingeladen, und wir dürfen bis zum nächsten Sonntag bleiben."
„Miss Yuri ist eine gute Hexe, Harry Potter, Sir !", piepste er strahlend.
„Ja, ist sie", bestätigte Harry unwillkürlich.
„Dobby ist auch gekommen, um Harry Potter zu warnen, Sir !", flüsterte der Elf plötzlich aufgeregt, und seine Augäpfel begannen in ihren Höhlen unruhig auf und ab zu hüpfen. „Dobby hat gehört, dass es dieser Zeit nicht sicher ist, allein umherzustreifen, besonders nicht für Sie ! Böse Zauberer lauern überall auf, überall, Sir ! Harry Potter muss gut auf sich
aufpassen !"
„Was für böse Zauberer ?", hakte Harry nach.
„Ooooh, der, dessen Name nicht genannt werden darf und seine Anhänger warten auf ihre Gelegenheit, Harry Potter, Sir, zu jeder Zeit und an jedem Ort ! Seien Sie vorsichtig !", wisperte Dobby angstvoll. „Dobby muss jetzt zurück in die Küche, sonst merken die anderen, dass Dobby sich davongeschlichen hat, um Harry Potter zu treffen ! Viel Glück, Sir !", fügte er hinzu und war mit einem - Plopp – verschwunden.
„Nicht gerade die neuste Information", meinte Ron.
Hermine jedoch war nachdenklich gestimmt. „Vielleicht darf Dobby nicht mehr sagen als das", murmelte sie, „ich bin mir sicher, es ist ein Hinweis darauf, dass Yuri noch immer in Gefahr ist – er wollte uns warnen."
„Aber wieso hat Dumbledore sie dann gehen lassen ?", fragte Harry verzweifelt. „Wieso ?"
„Ich weiß es nicht", entgegenete Hermine seufzend und sah ausgesprochen ratlos drein.
„Jetzt hört schon auf !", rief Ron und sah beide abwechselnd an. „Lasst uns jetzt einfach nach draußen gehen, ja ? Es wird sicher einen Grund geben, weshalb Yuri gehen durfte, oder
nicht ?"
„Ich wünsche mir ja nur, wir würden ihn kennen", sagte Hermine niedergeschlagen, ließ die vier Koffer wieder ein paar Zentimeter über dem Boden schweben und ging weiter, Harry und Ron folgten ihr schweigend.
Was Harry noch viel mehr beunruhigte war der Gedanke, dass Dobby versuchen würde, sie davon abzuhalten, Hogwarts zu verlassen. Als er dies das letzte Mal getan hatte, waren er und Ron fast von der Schule geworfen worden, ein anderes Mal hatte er sich die Hand gebrochen.
Hoffentlich würde Dobby sich nicht allzu viele Sorgen machen...
Als sie das große Eichenportal am Ende der Eingangshalle erreichten, stand ein Mädchen davor, eingehüllt in einen elfenbeinfarbenen Wintermantel. Yuri strahlte ihnen entgegen und winkte.
„Hallo, Yuri", begrüßte Hermine sie und ließ das Gepäck sinken. „Hast du auf uns
gewartet ?", fügte sie hinzu und suchte hektisch nach ihrer Armbanduhr.
„Keineswegs", antwortete Yuri, „ihr seid pünktlich auf die Minute, und zwar genau. Habt ihr alles ?"
„Ich denke schon", sagten Harry, Ron und Hermine im Chor.
„Gut, dann kann's ja losgehen !", sagte Yuri fröhlich und zog an einem der riesigen, eisernen Ringe des Portals.
„Sag mal, wie kommen wir eigentlich zum Heath-" Ron blieben die Worte ihm Hals stecken. „Wahnsinn."
Vor ihnen glänzte das Schwarz einer langen Limosine, die inmitten der weißen Schneedecke wie ein übergroßer Rabe wirkte; es wirkte wie neu und war fast makellos, bis auf einen großen, klaffenden Kratzer an der rechten Hintertür. Die Fenster waren so verdunkelt, dass man nicht einmal hätte erkennen können, ob jemand darin saß oder nicht. Die breiten Scheinwerfer beleuchteten einen Teil des unendlichen Weißs und brachten es zum Glitzern.
Ein schlanker Mann in einer dunkelblauen Uniform stieg aus, und erst als er näher kam, erkannten sie sein Gesicht. Er hatte dunkelblondes, kurzes Haar, über das er eine ebenso blaue Mütze trug. Seine Nase war spitz und krumm; die Mundwinkel hingen so stark nach unten, dass man glauben konnte, sie wurden von dem kantigen Kinn geradezu magnetisch angezogen. Die honigfarbenen Augen des Mannes blickten starr nach vorn, als wollten sie die auf Hochglanz polierten, schwarzen Lackschuhe, die an seinen Füßen blitzten, um keinen Preis erblicken.
„Bitte bringen Sie das Gepäck ins Auto", sagte Yuri und lächelte ihm freundlich zu. „Das ist Baldock, unser Chauffeur", fügte sie hinzu und wies mit einer Handbwegung auf den Mann, der sich, ohne eine Miene zu verziehen, vor Harry und Ron verbeugte. Hermine gab er einen Kuss auf die Hand.
Hermine schien recht verdutzt, Ron dagegen sah ihn mit einer Mischung aus Argwohn und Entrüstung an. Harry wusste nicht recht, wie er sich verhalten sollte und entschied sich dafür, ersteinmal gar nichts zu tun.
Baldock ließ die Koffer in den geöffneten Kofferraum schweben und schritt dann zu der hintersten Tür des Wagens, die er elegant aufschwingen ließ.
„Na los, rein mit euch !", forderte Yuri sie auf. Aus irgendeinem Grund grinste sie nun verschmitzt. „So schüchtern kenne ich euch gar nicht..."
„Blödsinn", sagte Ron barsch und marschierte als Erster in die Limosine.
„Voll krass !", hörten sie ihn von innen rufen.
Nacheinander kletterten sie in den Wagen.
„Voll krass" war nach Harrys Meinung die passende Bezeichnung ihrer Umgebung. Ein so geräumiges Auto hatte er noch nie gesehen; selbst Onkel Vernon hätte auf dem Fußboden schlafen und sich dabei ohne Beschwerden nach allen Seiten umdrehen können.
Sofort nachdem sie auf den lederbezogenen Sitzen Platz genommen hatten, tauchte an der rechten Seite ein Tisch auf, auf dem verschiedene Getränke bereitgestellt waren. An der gegenüberliegenden Seite schob sich ein Stück der Wand zur Seite und gab den Blick auf etwas frei, das für Harry aussah wie eine PlayStation - so wie Dudley eine besaß. An der Decke hatte jeder eine Leselampe über seinem Sitzplatz, in der Mitte war eine größere angebracht, die den ganzen Innenraum erleuchtete.
„Was für ein Luxus", hauchte Ron fasziniert und knipste seine Lampe an und aus.
Sie bemerkten kaum, wie sie Hogwarts hinter sich ließen, während sie sich in dem Wagen amüsierten. Harry und Ron spielten abwechselnd gegeneinander ein PlayStation Spiel, bei dem man mit einem kleinen Raumschiff durch das Weltall fliegen musste, wobei einem außerirdische Schlachtschiffe in den Weg kamen ( „Warum hat mir nie jemand gesagt, dass Muggel so was haben ?", fragte Ron begeistert und lenkte sein Schiff knapp an einem feurigen Meteoriten vorbei ). Währenddessen versuchte Hermine Yuri einen Zeitplan aufzudrängen, auf dem sie verschiedene Sehenswürdigkeiten aufgelistet hatte, die sie besuchen sollten ( „Ähm – ist das nicht ein bisschen zu viel ?", fragte Yuri schüchtern unter dem fast gefährlich lodernen Blick Hermines ) .
Baldock schien nicht viel von Konversation zu halten, dachte Harry. Zwar konnte er durch den schwarzen Rollo, der zwischen ihnen und den Vorderplätzen angebracht war, nur schwach seine Umrisse ausmachen, doch so weit er sehen konnte, hatte er seinen Kopf nicht ein einziges Mal gerührt, außer wenn er die Spur wechselte oder eine Angabe am Amaturbrett prüfte.
Obwohl es noch nicht spät war, waren Londons Straßen schon von vorbeieilenden Menschen, häufig mit einer Aktentasche unter den Arm, Autos und schwach erleuchteten Bussen bevölkert. So dauerte es eine Weile, bis der Wagen an einem Eingang des Flughafens parkte
( Baldock nahm sich die Freiheit, einen Platz zu belegen, auf dem das große ‚T' von ‚Taxi' zu lesen war ) und die Türen aufschwangen. Der Chauffeur hatte bereits zwei Wagen geholt und half ihnen dabei, ihre Koffer darauf zu laden.
„Danke, Baldock", sagte Yuri schließlich und nickte ihm freundlich zu. „Ich erwarte Sie am nächsten Sonntag wieder hier."
Er nickte zum Zeichen, dass er verstanden hatte, verbeugte sich ein letztes Mal und brauste in der schwarzen Limosine davon. Überall, wo er mit ihm vorbeifuhr, richteten sich neugierige Blicke auf das schwarze Auto, denn sie dachten, Prominente oder Politiker säßen darin und versuchten mit größter Mühe, wenigstens einen Blick auf sie zu erhaschen, jedoch ohne Erfolg.
„Baldock ist ein recht - ähm – schweigsamer Mensch, nicht ?", meinte Hermine.
„Da hast du recht, allerdings", stimmte Yuri zu. „Aber er ist äußerst zuverlässig", fügte sie der Fairness halber hinzu.
Harry und Ron nahmen sich jeder einen der Wagen und schiebten sie in die Halle hinein.
So einen riesigen Raum hatte Harry noch nie gesehen, selbst die Große Halle in Hogwarts war klein dagegen. Von der Decke herab hingen Plakate mit den verschiedensten Werbeanzeigen herunter. Viele Menschen von unterschiedlicher Nationalität hasteten an ihnen vorbei, Schwarze und Weiße, Männer und Frauen, Alte und Junge. Manche unterhielten sich in einer Sprache, die Harry nicht kannte, und deuteten dabei auf die großen Informationstafeln, die an den Wänden angebracht waren. Auch Yuri hob den Kopf. Anscheinend hatte sie gefunden, wonach sie gesucht hatte, denn sie drehte sich zu ihnen und sagte:
„Gut, ich weiß jetzt, wohin wir gehen müssen. Zuerst checken wir natürlich ein", fügte sie mit einem Blick auf die Koffer hinzu und suchte am anderen Ende der Halle nach ihrer Fluggesellschaft. „Ah, da drüben..."
Es gab drei abgetrennte Möglichkeiten, wo man einchecken konnte; je nach dem, welche Klasse man gebucht hatte, musste man sich in die jeweilige Schlange einreihen. Yuri ging zu dem Schalter, über dem ein Schild „Erste Kasse" verkündete. Dort stand nur eine ältere Dame mit Hermelinpelz, die gerade davonschritt, ihr kleines Handtäschen mit Goldschnalle sorgsam bewachend.
Harry, Ron und Hermine ließen Yuri machen. Sie redete mit dem jungen Mann am Schalter, zeigte ihm die Tickets und andere wichtig aussehende Papiere. Sie halfen ihr lediglich dabei, das Gepäck zum Fließband zu tragen, an das der Mann nun kleine Schilder heftete. Dann wünschte er ihnen einen guten Flug und reichte Yuri die Tickets zurück.
Nun passierten sie noch verschiedene Kontrollen, an denen entweder sie oder ihr Handgepäck geprüft wurden. Ron machte große Augen.
„Woher wissen die Muggel denn, was wir in unseren Rucksäcken haben ?", fragte er verblüfft. Als ihm Hermine den Bildschirm mit den Röntgenaufzeichnungen zeigte, schien Ron vollkommen beeindruckt.
Vor dem schließlich letzten Kontrollpunkt verabschiedten sich Familien voneinander, einige Wartende waren eingeschlafen oder lasen die neueste Zeitung.
Sie zeigten dem Beamten noch ihre Pässe, die er mit einer angestaubten Lupe inspizierte, dann standen sie vor dem Eingang eines Rohres, das ins Flugzeug führte.
„Ade, London", hörte Harry Ron murmeln, als sie hindruchgingen.
„Willkommen an Bord !" Vor ihnen stand eine hoch gewachsene, kräftige Frau in Uniform, deren stätiges Lächeln wohl nicht einmal ein Absturz erschüttert hätte.
„Welche Klasse, bitte ?"
„Erste, Miss", antwortete Yuri und hielt ihr die Tickets hin. Die Stewardess warf einen Blick darauf und nickte, unentwegt lächelnd.
„Folgen Sie mir bitte", sagte sie und wies eine Treppe hinauf. „Dort geht es zu ihren Sitzplätzen."
Harry, Ron und Hermine folgten ihr leicht aufgeregt, Yuri dagegen trabte gemächlich hinterher. Hermine war schon seit dem Morgen ein wenig hibbelig und unruhig gewesen, und nun fummelte sie wieder aufgeregt an ihrem Katzenkettenanhänger herum.
Ihre Plätze lagen direkt an einem Fenster, sodass man eine wunderbare Aussicht hatte. Die Sitze waren so breit, dass sich Crabbe und Goyle einen teilen hätten können und mit dunkelrotem Leder bezogen. In der Mitte stand ein hübscher Holztisch, auf den die Stewardess, sobald sie sich niedergelassen hatten, die unterschiedlichsten Getränke stapelte. Von Hermines und Yuris Platz hatte man eine gute Sicht auf die große Filmleinwand; dafür saßen Harry und Ron näher an der Bar.
Nachdem sie eine Stunde geflogen waren, fingen Harry und Ron an, sich zu langweilen.
„Wir könnten Zauberschach spielen", schlug Ron vor.
„Und wie erklärst du den anderen Passagieren, dass sich die Figuren bewegen ?", sagte Hermine und sah ihn über den Rand ihres Buches streng an.
„Wie wär's dann mit ‚Snape explodiert' ?", fragte Ron hoffnungsvoll.
„Nicht gerade normal, wenn Spielkarten in die Luft fliegen", erinnerte ihn Harry. Doch Ron gab nicht auf und kramte weiter in seiner Tasche.
„Schokofroschkarten tauschen ?"
„Die Bilder bewegen sich."
Ron stöhnte. „Was soll ich denn sonst machen ? Auf's Klo gehen ?"
„Ich hab' hier noch ein paar Bücher, die nicht mehr in den Koffer gepasst haben", sagte Hermine eifrig und hielt ihm einen Buchband namens „Richtig reisen in L.A." unter die Nase. Ron steckte ihn mit finsterer Miene zwischen seinen und Harrys Sitz.
„Willst du den Film gucken ? Er fängt gleich an", sagte Yuri und legte ihr Buch zur Seite. „Wir können die Plätze tauschen, wenn du möchtest."
„Was läuft denn ?", erkundigte Ron sich interessiert.
„Ich glaube, irgendeine Komödie oder so..."
„Okay... Guckst du mit mir ?", fragte Ron an Hermine gewandt, deren Gesicht hinter dem Bucheinband verborgen war.
„Na gut", sagte sie, markierte die Seite, an der sie stehengeblieben war und verstaute das Buch sorgfältig in ihrer Tasche.
Der Film schien äußerst amüsant zu sein, denn Ron und Hermine kugelten sich vor Lachen auf ihren Sitzen. Ron stieß sogar mit einer Hand den Speisewagen um, als das Mittagessen ausgeteilt wurde, und zu Harrys Verwunderung kicherte Hermine ausgelassen darüber.
Nach sechs weiteren Stunden setzte das Flugzeug zur Landung an. Gebannt sahen sie zu, wie die kleinen Gebäude unter ihnen immer größer wurden, bis schließlich der Flughafen in Sicht kam.
Als sie ausstiegen, fühlten sich Harrys Beine bleischwer an, doch es tat gut, sich die Beine zu vertreten, denn außer auf dem Gang zur Toilette hatte er sich in den vergangen sieben Stunden nicht bewegt. Am Ausgang winkte ihnen ein kleiner Mann mit einem ordentlichen Mittelscheitel begeistert zu und drückte Yuri fest an sich. Seine wattebauschartigen Backen leuchteten in einem kräftigen Rot, die perfekt zu seinem knallroten Anzug passten, den er versehen mit einer übergroßen violetten Fliege trug.
„Unsere kleine Yuri ist wieder da !", rief er strahlend; er hatte einen starken amerikanischen Akzent. „Und du hast deine Freunde mitgebracht! Willkommen in Los Angeles, der Stadt der Engel !", fügte er hinzu und musterte Harry, Ron und Hermine.
„Ähm – guten Tag", sagte Hermine verlegen.
„Nennt mich einfach Ed, so wie alle", sagte er vergnügt.
Obwohl Ed eine kleine, recht stämmige Statur hatte, schien er über unvorhergesehene Kräfte zu verfügen. So wie die anderen montierte er auch Harrys Koffer lässig auf einen Gepäckwagen, den er zu einer Limosine schob, die sich nicht von der vorherigen unterschied, mit Ausnahme vielleicht der Autonummer.
Sie durchfuhren zuerst eine Art Industriegebiet, bis sie schließlich nach Los Angeles gelangten. Es war eine Stadt mit verhältnismäßig niedrigen Gebäuden, vielen von Läden gesäumten Straßen und einer Unmenge an Fahrzeugen, die die Straßen verstopften, sodass Ed oft mit brummendem Motor warten musste. Anders als in London drehten sich nicht allzu viele Leute nach dem langen, schwarzen Wagen um; war so etwas hier vielleicht allltäglich ?
„Wo fahren wir hin ?", fragte Harry und versuchte, ein Straßenschild zu lesen, an dem sie gerade vorbeifuhren.
„In die Hollywood Hills", antwortete Ed von vorne und hupte einen Motorradfahrer an, der sich zwischen den Autos hindurchschlängeln wollte. „Da steht das Haus nämlich."
Als die Landschaft hügeliger wurde, sagte er: „Bald sind wir da, hier steht schon die Bleibe von dem guten, alten Richardson... armer alter Hund, dieser Hexenschuss muss ihm wirklich übel mitgespielt haben..."
Zu beiden Seiten standen große Villen auf den Hängen, die sich in Richtung der Straße ebneten; alle von ihnen wirkten recht luxuriös und teuer, was Ron sofort aufgefallen war. Jedes Haus war in einem anderen Stil erbaut, und so hatte jedes eine andere Persönlichkeit. Eines war extravaganter als das andere, größer und herrschaftlicher als sein benachbartes.
„Die schlimmste Saison ist die Weihnachtszeit", teilte ihnen Ed mit und kicherte. „Ihr glaubt nicht, wie viele Weihnachtsmänner auf ein Dach passen können."
Sie passierten nun einen langen, von Palmen gesäumten Weg, der durch einen aufwändig gestalteten Park führte. Zu beiden Seiten standen Springbrunnen, kunstvoll geschnittene Buchsbäume ( eines hatte die Form eines Einhorns ) und Teiche, die groß genug waren, um darauf mit einem Boot fahren zu können.
„Ist das da eine Oper oder sowas ?", fragte Ron und zeigte auf ein schneeweißes Gebäude, da sich vor ihnen erstreckte. Es war übersäht mit Statuen von Zauberern, Hexen und anderen Wesen, hatte einige Balkone, die von dicken Säulen gestützt wurden, und besaß unzählige Türme, sodass es lebhaft an ein Schloss erinnerte.
„Eine Oper ? Nein, keineswegs", flötete Ed, prustete und hielt den Wagen an. „Das ist die Sommerresidenz des Zaubereiminister. Alles aussteigen !"
Yuri führte Harry, Ron und Hermine eine breite Marmortreppe hinauf, die vor einem weißen Portal endete - Harry vermutete, dass es die Haustür darstellen sollte. Als Yuri den goldenen Klopfer dreimal gegen die Tür schlug, öffnete ihnen eine alte, dünne Frau. Sie hatte eine unübersehbare Himmelfahrtsnase, ordentlich nach hinten gekämmte, graue Haare und trug eine rahmenlose, blau getönte Brille. In der Hand hielt sie einen Staubwedel aus zerfransten Hühnerfedern. Yuri trat in die riesige, ebenso schneeweiße Eingangshalle, in dessen Mitte ein übergroßer Kronleuchter hing.
„Miss McClaggan !", sagte Yuri und strahlte. „Wie schön, Sie wiederzusehen ! Darf ich vorstellen, das sind -"
„AAAAAAH !"
Miss McClaggan hatte mit ihrem Staubwedel ausgeholt und Yuri wortlos zu Boden gestoßen.
Harry machte instinktiv einen Schritt nach hinten, Ron und Hermine blieben perplex hinter ihm stehen. Was war bloß los ? War dies vielleicht ein blöder Scherz ? Jedenfalls sah Miss McClaggan nicht gerade so aus, als ob sie scherzen würde; ihre Augen waren weit aufgerissen, wirkten aber dennoch seltsam leer und glasig.
Yuri hatte sich bereits wieder aufgerichtet, doch sie starrte Harry nur ausdruckslos an. Irgendetwas stimmte nicht mit ihr; hatte ihr der Schlag vielleicht mehr zugesetzt, als er gedacht hatte ?
Die alte Frau hob nun abermals ihre fedrige Waffe, vermutlich, um Harry einen Hieb damit zu versetzten, doch bevor sie ihn auch nur berührt hatte, sank sie wie ohnmächtig zu Boden, und, kaum eine Sekunde später, traf ein Blitz roten Lichts Yuri von hinten, sodass sie ohne den geringsten Widerstand auf den weißen Marmorboden sank.
Harry hörte Hermine kurz hinter sich aufschreien. Er richtete den Blick auf das aufgestoßene Portal am Ende der Halle, denn aus dieser Richtung schien der Fluch gekommen zu sein.
Harry hätte geschrien. Doch die Kehle war ihm wie zugeschnürt.
Eine kräftige Hand umklammerte einen Zauberstab. Die kalten, eisblauen Augen, dessen Pupillen ausgeprochen groß waren, weideten sich genüsslich an ihrer Fassungslosigkeit. Die langen, blonden Haare waren unter der schwarzen Kapuze nicht sichtbar, doch Harry wusste, dass sie dort sein mussten.
Lucius Malfoy, mit einem süffisanten Lächeln auf dem aschfahlen Gesicht, schritt langsam auf sie zu, den Zauberstab weiterhin auf sie gerichtet.
Harry wagte nicht, sich umzudrehen, doch er hörte, wie Hermine zitternd und sehr schnell atmete; von Ron dagegen konnte er nicht den geringsten Atemzug vernehmen.
Wie konnte das nur sein ? Warum befanden sich ausgerechnet hier Todesser ? Wurden sie etwa nicht mehr vom Orden beschattet ?
Jetzt waren sie jedenfalls so gut wie verloren.
Ihre Zauberstäbe befanden sich noch in ihren Koffern, und sie hatten nicht die geringste Zeit, um sie zu holen, denn sie wussten nicht einmal, wo Ed sie gebracht hatte. Ed.
Plötzlich machte Harrys Herz einen kleinen Sprung, denn er wusste, dass es dort draußen nocht jemanden gab, der ihnen helfen konnte. Allzu große Hoffnungen machte Harry sich zwar nicht, doch immerhin war es ein kleiner Lichtblick.
„Damit hast du nicht gerechnet, nicht wahr ?", fragte Lucius Malfoy mit schneidender Stimme; noch immer war das siegessichere Grinsen nicht aus seinem Gesicht gewichen. „Auf Überraschungen sollte man allerdings vorbereitet sein, Potter", fügte er hinzu.
Harry antwortete nicht. Ich muss ihn am Reden halten, schoss es ihm durch den Kopf, vielleicht bemerkt Ed irgendwann, dass etwas nicht stimmt und schaut nach uns... Gewiss, es war nicht sein bislang bester Plan, doch etwas anderes blieb ihnen jetzt nicht übrig. Alles, was er jetzt tun konnte, war, ihren Tod hinauszuzögern.
„Was haben Sie mit Yuri gemacht ?", knurrte Harry und mühte sich, seinen Stimme einigermaßen ruhig zu halten.
„Nun, keine Sorge, Potter, sie lebt noch", sagte Malfoy sanft, ging auf ihren leblosen Körper zu und blieb davor stehen. „Ich würde doch niemals eine Verbündete des Dunklen Lords töten. Allerdings ist es heute mein Privileg, ihm eine Freude zu bereiten." Er lachte höhnisch und zog die Kapuze vom Kopf, sodass nun seine blonde Mähne zum Vorschein kam.
„Yuri ist keine Verbündete Voldemorts !", brüllte Harry zornig, blieb jedoch an seinem Platz stehen.
„Wie du meinst, Potter", erwiderte er und setzte ein überlegenes Grinsen auf; ihm musste wohl aufgefallen sein, dass keiner der drei einen Zauberstab bei sich hatte. „Aber genug der Rede, jetzt ist es an der Zeit, meine Aufgabe endlich zu erfüllen... die Geduld des Dunklen Lords währt nicht ewig. Nun denn, wer will als erster an die Reihe kommen ?"
„Ich."
