Die Spieluhr
Harry zögerte nicht, packte den schwarzen Griff und wurde sogleich von jeder seltsamen Kraft nach vorne geschleudert, durch eine Spirale von den unterschiedlichsten Farben gewirbelt, bis er endlich festen Boden unter seinen Füßen spürte.
Sie waren auf einer vom geschmolzenen Schnee nass glänzenden Straße gelandet, an den Straßenseiten ordentlich zusammengefegter Schnee und gestreute Bürgersteige. Die kleinen Häuser, die die Straße säumten, wirkten alle ein wenig alt, jedoch auch niedlich mit ihren liebevollen Bemalungen, bunten Fensterläden und Backsteinkaminen. Von den Straßenlaternen leuchtete nur jede zweite, wenngleich sie alles in ein kaltes, fahles Licht tauchten, sodass jedes heimelige Gefühl fehl am Platze schien. Es war, als wären die Häuser allesamt verlassen und aus einer anderen, vergangenen Zeit stammend – ob sie wirklich jemand bewohnte ? Harry spürte, wie ihm kalt wurde und drehte sich zu Yuri um, die die Taschenlampe sorgfältig in ihrem Mantel verstaute.
„Das ist nicht Los Angeles, oder ?", fragte Harry, obwohl er die Antwort sehr genau zu wissen meinte.
„Nein, wir sind in Little Hangleton, England", entgegnete Yuri und sah sich prüfenden Blickes um. „Hier haben Voldemorts Großeltern und sein Vater gelebt."
„Woher willst du das wissen ?"
„Ich hab' Dumbledore danach gefragt, als ich Grimmauldplatz war."
Harry stutzte und starrte gedankenverloren auf das verdreckte Fenster eines besonders reich bemalten Hauses. „Seine Verwandten können hier nicht gelebt haben, Voldemort ist in einem Waisenhaus aufgewachsen..."
„Jemand hat sie umgebracht", erwiderte Yuri prompt.
„Oh, ähm, dann... Was suchst du hier überhaupt ?"
„Nun ja, ich dachte, dass es im Haus der Riddles vielleicht irgendeinen Hinweis auf das Windherz gibt", begann Yuri zaghaft zu erklären. „D - du kannst auch wieder zurück, wenn du –"
„Red keinen Unsinn", sagte Harry, „natürlich komme ich mit."
Yuri lächelte matt und wandte dann den Kopf nach links oben. „Da ist es, glaube ich."
Harry folgte ihrem Blick und sah auf ein altes, gewiss einst sehr stattliches Haus, das auf einem Hügel stand, mit Blick über das gesamte Dorf. Es musste schon seit langem unbewohnt sein, denn selbst aus dieser Entfernung sah man, dass die Fenster mit Holzbrettern zugenagelt waren.
„Woher willst du wissen, ob es das wirklich ist ?", sagte Harry zweifelnd.
„Ich bin kurz vor Weihnachten ins Dorf apperiert und habe ein wenig herumgefragt", erzählte Yuri und setzte sich in Bewegung, „alle hier kennen das Riddle-Haus, wirklich jeder... man erzählt sich seltsame Geschichten darüber..."
„Was für Geschichten ?", fragte Harry neugierig und schritt neben ihr her; gerade liefen sie an einem schmuddelig wirkenden Pub vorbei. Er entdeckte eine schief hängende Holztafel über einem unauffälligen, niedrigen Eingang mit der kaum noch lesbaren Aufschrift „Im gehängten Mann". Harry fragte sich, ob wohl viele Leute in den Pub gingen... ihn jedenfalls zog der Name nicht besonders an.
„Na ja, es ist sicher nur so eine Klatschgeschichte, aber dennoch... es soll vor nun mehr als fünfzig Jahren gewesen sein, an einem Sommermorgen, als das Hausmädchen der Riddles in den Salon trat und die drei Riddles tot vorfand. Alle hielten ihren Gärtner, Frank Bryce soll er geheißen haben, für den Mörder, denn er war der Einzige, der einen Zweitschlüssel für die Hintertür besaß... doch die Polizei konnte ihm nichts nachweisen. Frank behauptete zwar, einen Jungen im Teenageralter mit blassem Gesicht und dunklen Haare am Todestag der Riddles nahe des Hauses gesehen zu haben, doch alle glauben, er habe sich diesen Jungen nur ausgedacht. So lebte Frank weiter in der Gärtnerhütte, bis er in einer Augustnacht auf seltsame Weise ermordert wurde", erzählte Yuri fast flüsternd, als ob sie niemand außer Harry hören sollte, „das Seltsame dabei ist, dass keine körperliche Verletztung, noch sonst irgendetwas festgestellt werden konnte. Das war vor zwei Jahren... Ist das nicht komisch? Ich meine - ähm – Harry? Harry?"
Doch Harry hörte ihr nicht mehr zu. In einer Augustnacht... vor zwei Jahren... Sollte es etwa genau jene Nacht sein, an dem seine Narbe so sehr geschmerzt hatte, sodass er aus dem Schlaf geschreckt war?
Ihm war ein verschwommenes Bild vor Augen erschienen, wie aus einem längst vergangenen Traum, doch es war mit jedem von Yuris Worten klarer geworden... Harry sah ganz deutlich, wie Voldemort und Wurmschwanz einem alten Mann ins Gesicht blickten, der mit vor Entsetzen verzerrtem Gesicht aufgeschrien hatte und nur wenige Augenblicke später tot zu Boden fiel... das musste er gewesen sein... Frank Bryce.
Yuri starrte ihn immer noch verdutzt an, als Harry sich endlich zu ihr wandte mit vor Aufregung glimmenden Augen.
„Das ist es! So muss es gewesen sein!", rief er in heller Erregung und so laut, dass Yuri zusammenzuckte und beschwörend den Finger an die Lippen legte.
„Psssst! Sprich leiser, sonst wacht noch jemand auf, und das können wir nicht gebrauchen", ermahnte sie ihn. „Was ist denn los?"
„Tut mir Leid", flüsterte Harry rasch, „aber ich weiß jetzt, wie Frank Bryce umgebracht wurde. Diese Geschichte ist kein Unsinn..."
Yuri war sofort überzeugt. „Voldemort hat ihn tatsächlich mit dem Avada Kedavra – Fluch getötet", wisperte sie, fast ärgerlich klingend, während sie den Hügel hinaufstiegen, der zum Riddle-Haus führte. „Ist ja klar, dass das keiner aus dem Dorf weiß... und dieser Junger mit dem blassen Gesicht und den dunklen Haaren... das war Voldemort."
Sie waren auf der Spitze des Hügels angekommen und erblickten nun das Haus der Riddles von Nahem. Es wirkte sehr ungepflegt und verlassen mit dem wild wuchernden Efeu, der kaum noch einen Blick auf die Haustür erlaubte, den mit Brettern verdeckten oder eingeschlagenen Fenstern und den vor Unkraut beinahe nicht mehr erkennbaren Garten. Ein schmaler Kamin, der auf einem mehr oder minder löchrigen Dach erbaut war, ragte in den dunklen Nachthimmel, als wolle er ihn berühren. Harry wandte sich um, um das Gärtnerhaus zu sichten, in dem Frank Bryce gelebt haben musste, doch sein Blick fiel nicht auf ein solches, sondern auf den schwarzen Umriss einer kleinen Kirche, daneben eine massige Eiche, umgeben von unzähligen, nebeneinander angereihten Gräbern. Wieder begann sich etwas in seinem Gedächtnis zu regen... er erinnerte sich an dieses Bild...
„In der letzten Runde des Trimagischen Turniers", begann er langsam und spähte angestrengt auf die knorrige Eiche. „Da sind wir -"
„Dort bist du mit Cedric gelandet, nachdem ihr den Pokal erreicht hattet?", fragte Yuri.
Harry nickte stumm. Eine Weile schwiegen sie und starrten auf den menschenleeren Friedhof.
„Ähm – wollen wir?", fragte Yuri schließlich und klang dabei ein wenig peinlich berührt.
„Jaaah", murmelte Harry und folgte ihr zu der großen Haustür, auf der sich eine ganze Menge Efeu breitgemacht hatte, sodass Yuri Mühe hatte, die Klinke zu ertasten. Sie drückte sie vorsichtig herunter.
„Abgeschlossen... nun gut, dann muss es eben so gehen." Sie zog ihren Zauberstab aus dem linken Ärmel und wisperte deutlich „Alohomora." Mit einem leisen Klicken sprang die Tür ächzend und knarrend auf und gab den Blick auf einen pechschwarzen Raum frei. Man hätte nicht sagen können, ob es ein Salon oder eine Küche war, man konnte nicht einmal den Boden ausmachen.
„Ich kann nichts erkennen", sagte Harry; er flüsterte, doch er wusste nicht, weshalb, denn sie mussten die einzigen weit und breit sein. „Es ist so dunkel -"
„Lumos."
Yuris Zauberstab erleuchtete einen langen, mit einer zentimeterdicken Schicht Staub versehenen Flur, an dessen linker Seite eine ebenso schmutzige Treppe in die erste Etage führen musste. Obwohl an beiden Seiten der Haustür große Sprossenfenster angebracht waren, half das nicht viel – auch wenn helllichter Tag wäre -, denn sie waren über und über mit dunkelgrünem Efeu bedeckt. Die Platten des schwarzen Fußbodens waren an einigen Stellen herausgerissen und die zerbrochenen Überreste lagen wie die Splitter eines dunklen Spiegels herum. An den Wänden hingen Bilder von Landschaften und Bergen, die Harry nie zuvor gesehen hatte; letztere erinnerten ihn jedoch ein wenig an die, von denen Hogwarts umgeben war. Vielleicht, so dachte er, hatte es aber auch damit zu tun, dass es niemals andere Berge als die um Hogwarts herum gesehen hatte...
„Da hinten ist noch eine Tür", teilte ihm Yuri mit und wies auf eine rundliche Holztür am anderen Ende des Flurs.
Harry nickte ihr zu und zusammen betraten sie eine gewölbeartige Küche, in der ein rostiger, alter Ofen, ein Herd und einige vollgestellte Geschirrschränke. Zwischen einem leeren Gewürzschrank und einem niedrigen Tisch war eine weitere Tür. Yuri stieß sie auf.
„Die Hintertür ist nicht abgeschlossen", sagte sie und beide spähten hinaus. In der hintersten Ecke eines verwilderten Gartens stand ein hölzernes Gartenhaus.
„Da muss Frank Bryce gewohnt haben, vermute ich mal, oder?", sagte Harry und stützte sich mit seiner Hand versehentlich auf einem Stapel verstaubter Kochbücher ab, die auf dem kleinen Tisch gehäuft waren; rasch wischte er den Staub an seinem Morgenmantel ab.
„Ich schlage vor, wir gehen zuerst nach oben, bevor wir uns die Hütte vornehmen", meinte Yuri und schloss die Tür wieder.
Das Haus der Riddles hatte nur eine obere Etage, die genauso verstaubt wie der Rest des Hauses war. Wie der Eingang war es ein langer Flur, der in verschiedene Zimmer führte. Allerdings war die hinterste Tür weit geöffnet. Harry und Yuri sahen sich nur kurz an und hoben gleichzeitig bedeutungsvoll die Augenbrauen, dann traten sie gespannt hinein.
Der Lichtstreifen, den Yuris Zauberstab auf den Boden warf, gewährte ihnen den Blick auf einen alten, verrußten Kamin, davor ein verrotteter Kaminvorleger, auf dem sich der Staub in seltsamen Hügeln angesammelt hatte, und ein gewöhnlicher Stuhl, der seltsamerweise zu ihnen und nicht zum Kamin gerichtet war. An den Wänden hingen ähnliche Bilder wie im Eingang, wenn auch um einiges kleiner. Zu beiden Seiten befanden sich hohe Regale, die mit Büchern vollgestopft waren.
„Bücher!", rief Yuri freudig erregt und klang dabei fast wie Hermine, als sie die Bibliothek in ihrem Haus erblickt hatte. „Vielleicht finde ich hier etwas", meinte sie eifrig und begann, nacheinander die Bücher herauszuziehen und die vergilbten Seiten wachsam zu überfliegen.
Harry wandte sich ab, und dabei fiel sein Blick auf das steinerne Kaminsimms, auf dem eine Art goldene Dose stand. Soweit er es sehen konnte, war sie nicht sonderlich fein verarbeitet, hatte kaum ein Muster, bis auf einen hässlichen Totenkopf, der auf dem Deckel prangte ( Ob sie wohl früher einem Piraten gehört hatte, dachte er ), und war sehr unscheinbar, sodass er sie vorher gar nicht wahrgenommen hatte. Neugierig nahm Harry sie in die Hand, hob vorsichtig den seltsam schweren Deckel und – ließ die Dose vor Schreck beinahe fallen, als plötzlich eine sanfte, nebelige Stimme anfing zu singen:
Suchst du mich, wirst du mich nicht finden,
denn ich bin des Herzens größter Schatz.
Gedanken, Gefühle und verlorene Träume,
alles findet in mir seinen Platz.
Suchst du nach der Ewigkeit, die dich durch mich befreit,
wirst du sie vielleicht finden, wenn du mir vertraust.
Nur durch deine Worte bin ich bei dir,
auch wenn du in diesem Moment der Wirklichkeit beraubt.
Yuri hatte sich verwundert umgedreht und nahm nun ebenfalls die Dose in die Hand, dessen Deckel sich inzwsichen wieder von alleine geschlossen hatte.
„Eine Spieluhr!", sagte sie und musterte sie mit Verzückung.
„Spieluhr?", wiederholte Harry tonlos. „Das ist keine Spieluhr, das ist eine... eine Dose."
„Nein, das ist eine Spieluhr", wiedersprach sie starrsinnig und hob den Deckel abermals; wieder schallte das seltsame Lied durch den Raum, doch nun fiel Harry noch etwas auf, was er vorher nicht registriert hatte: Auf dem Boden der Dose stand eine hübsche Frau mit langen, gewellten Haaren und einem festlichen Kleid, die sich langsam um sich selbst drehte. In den Armen hielt sie ein kleines Buch, und in der rechten, zur Faust geballten Hand ragte eine schmale Feder hervor. Yuri sah sie mit leuchtenden Augen an und wandte den Blick nicht ein einzige Sekunde von ihr ab.
Erst jetzt bemerkte Harry, wie nah sich ihre Gesichter waren und lehnte sich ruckartig zurück; Yuri allerdings schien es nichts auszumachen, sie stierte weiter entzückt auf die kleine Goldfigur, die sie nun abermals im Kreis tanzen ließ. Harry räusperte sich.
„Ähm – wollen wir nicht weitersuchen?", fragte er.
„Wieso denn? Wir haben es doch schon gefunden", entgegente Yuri und blickte ihn nun verständnislos an.
„Wie bitte?"
„Na, diese Spieluhr!", sagte sie aufgeregt und hielt sie ihm unter die Nase, als ob er sie noch nicht bemerkt hätte, „du hast das Lied doch gehört."
„Ja, aber -"
„Es ist ein Tagebuch!", meinte sie in einem Ton, als wäre dies eine Selbstverständlichkeit und steckte die Spieluhr in eine Tasche ihrer Jacke. „Wir müssen nach einem Tagebuch suchen, und ich glaube, ich weiß auch, wo... vielleicht war Voldemort aus mehreren Gründen hier."
Das Gärtnerhaus, das Frank Bryce einst bewohnt hatte, stand verlassen und abgelegen in der hintersten Ecke eines verwilderten Gartens, sodass es noch unheimlicher wirkte als es ohnehin schon war. Vor der Hütte war allerlei Gerümpel abgestellt worden, beispielsweise Bretter, Stühle mit zwei Beinen und zerbeulte Vogelkäfige, die allesamt mit einer dünnen Schneeschicht versehen waren. Die morsche Holztür knarrte und ächzte fürchterlich, als sich Harry dagegen stemmte, und war auch nur sehr schwer zu bewegen, doch mit Yuris Hilfe schaffte er es schließlich, die Tür so weit zu öffnen, sodass sie sich hindurchzwängen konnten.
Innen entzündete Yuri eine Laterne, über die sich fast gestolpert wäre und drückte sie Harry in die Hand.
„Nimm du die", sagte sie und zückte ihren Zauberstab. „Lumos."
Sie standen in einem kleinen, schäbigen Raum. In einer Ecke stand ein ungemachtes Bett, ein Bücherregal füllte die ganze linke Seite aus, und an der Decke hing eine einzelne Glühbirne. An den Wänden hingen viele vergilbte Fotos von immer demselbem Mädchen: Es hatte dunkle Haare, die zu zwei dünnen Zöpfen geflochten waren. In einem breiten Rahmen waren die Worte „Ann Bryce, geboren am 7.8.1934" ungelenk eingeritzt worden.
„Seine Tochter", murmelte Yuri und starrte ein Bild an, auf dem Ann auf einem Feld mit sichtbarem Eifer Gänseblümchen pflückte. „Vielleicht hat er sie im Krieg verloren... das könnte..."
„Was machst du da?", fragte Harry argwöhnisch, als sie plötzlich damit begann, einen Bilderrahmen von der Wand abzunehmen und den Pappedeckel vorsichtig herauszuholen.
„Hier", sagte sie triumphierend und nahm einige angelaufene, karierte Zettel in die Hand, die unter dem Deckel verborgen gewesen waren. „das sind Frank Bryce's Gefühle, Gedanken und verlorene Träume - das ist sein Tagebuch!"
„Ein paar Seiten davon", korrigierte Harry sie, denn nach den Daten zu urteilen fehlten einige Tage. „Vielleicht stecken in den anderen Rahmen noch mehr von diesen Zetteln."
Und das tat es. Zusammen sortierten sie die zerfledderten Blätter nach den angegebenen Daten, bis sie schließlich ein vollständiges Buch in den Händen hielten, wenngleich der Umschlag fehlte.
„Ähm – und jetzt?", fragte Harry unsicher. „Wir haben zwar das Tagebuch, aber was bringt uns Franks Lebensgeschichte?"
„Nichts, wenn wir das Windherz nicht haben", entgegente Yuri und er war überrascht zu sehen, dass sie lächelte. „Aber wenn wir das Herz und das hier haben" , sie steckte den Papierstapel in ihre Tasche, die nun langsam ein paar unübersehbare Wölbungen aufwies, „bin ich mir sicher, dass wir den Duplexzauber brechen können."
„Was ist ein Duplexzauber?", fragte Harry verwirrt; er hatte das unangenehme Gefühl, mit jeder Minute weniger zu verstehen.
„Ein Duplexzauber verbindet zwei Gegenstände auf magische Weise und verändert eins der beiden", erklärte sie, „werden die Gegenstände jedoch zusammengebracht, nimmt einer wieder seine alte Form an. Meist wird dieser Zauber verwendet, um Geld vor Dieben zu verstecken. Äußerst nützlich, aber dabei kann es natürlich passieren, dass man selbst einmal vergisst, welche Sachen man für den Zauber benutzt hat, und deshalb machen sich manche verschlüsselte Notizen, um sich besser daran zu erinnern. Voldemort muss das gleiche gemacht haben. So ähnlich funktioniert auch der Zauber, mit dem die Gemälde vor den Gemeinschaftsräumen einst von den Gründern belegt wurden...
Vertrau mir."
„Ihr hättet uns ruhig mitnehmen können", sagte Ron säuerlich am nächsten Morgen, als ihm Hermine einen neuen Verband um den Daumen wickelte; er war vor dem Frühstück in eine von Yuris Fallen getappt, wobei ihn ein Messer erwischt hatte ( „Halt still, Ron! Wie soll ich dir denn so den Verband machen?", sagte Hermine fuchsig ).
„Es war ein Zufall, und außerdem wären nur noch ein paar Sekunden bis Mitternacht gewesen", erklärte Harry ungefähr zum zehnten Mal und biss in sein Croissant, das mit köstlicher Erdbeermarmelade gefüllt war.
Ron murrte etwas Unverständliches und ließ seine Beschwerden schließlich doch bleiben, auch wenn es vielleicht nur daran lag, dass Miss McClaggan zu ihnen hinübergewuselt kam, um eine Platte mit sesambestreuten Garnelen auf den Tisch zu stellen.
Seit Ron von ihrem nächtlichen Ausflug erfahren hatte, war seine Laune so weit gesunken, dass er nicht einmal von dem sahnegefüllten Gebäck unmittelbar vor ihm kosten wollte. Hermines Enttäuschung dagegen war schnell der Begeisterung davon gewichen, dass Harry und Yuri etwas gefunden hatten, das vermutlich einiges mit dem Windherz zu tun hatte.
Auch Yuri musste wohl bemerkt haben, dass Ron zutiefst beleidigt war – vielleicht machte sie deswegen ein wenig später den Vorschlag, ob sie heute Mittag nicht zusammen das riesige Quidditchgeschäft besuchen wollten, was Rons Stimmung wieder beträchtlich hob.
Das Quidditchgeschäft lag etwas abseits von der Stadt im Untergeschoss einer verlassenen Fabrik ( jedenfalls glaubten das die Muggel in der Umgebung ). Viele Hexen und Zauberer tummelten dort zwischen den hohen Regalen umher, in denen alles zu finden war, was ein Quidditchherz begehren konnte: Umhänge, Wappen, Poster und Bücher aller beliebten Quidditchmannschaften, die neusten Besen und jegliches Zubehör, Fachzeitschriften, Figuren und unzählige andere wunderbare Dinge.
Harry und Ron konnten gar nicht genug bekommen und streiften mindestens dreimal durch jede Regalreihe, damit sie auch sichergehen konnten, ja nichts zu übersehen. Hin und wieder blieben sie stehen, um sich etwas näher anzusehen, denn die beiden hatten im Stillen beschlossen, hier einen Großteil ihres Geldes auszugeben. Hermine dagegen interessierte sich mehr für die großen Bilderwände, an denen man die Geschichte des Quidditchs bis ins kleinste Detail verfolgen konnte.
Als sie schließlich nach drei Stunden das Geschäft verließen, waren Harrys und Rons Arme vollkommen beladen mit Tüten, Kartons und Blechdosen. Harry hatte für sich eine magische Besenbürste, einen Windschnittigumhang, mit dessen Hilfe man ein wenig schneller fliegen konnte, wenn der Wind günstig stand, ein Buch über die Taktiken der Meisterteams und einen Schnatzschlüsselanhänger gekauft, obwohl er nicht einmal einen Schlüssel besaß, den er daran hätte hängen können; doch es gefiel ihm einfach gut, dass der Schnatz ein paar Runden über dem Kopf eines Mitmenschen drehen konnte, wenn man seine Flügel zusammenpresste.
Den Rest des Tages verbrachten sie auf Hermines Drängen hin in einem langweiligen Museum, in dessen Räumlichkeiten unter anderem der erste selbst umrührende Kessel ausgestellt war. Wie ein Schatz von ungeheurem Wert war er unter einer blank geputzten Glashaube aufbewahrt, um den sich eine Menge ausländischer Hexen und Zauberer versammelt hatten, von denen einige gar nicht mehr die Hand vom Auslöser ihrer seltsamen Fotoapparate nahmen. Hermine trat näher heran und betrachtete ihn wie die anderen Umherstehenden mit einem beinahe ehrfürchtigen Blick.
„Weiß nicht, was daran so besonderes sein soll, ehrlich. Seht mal, der fängt an der linken Seite schon an zu rosten", sagte Ron laut. Hermine seufzte genervt auf und missachtete, wenn auch leicht pikiert dreinschauend, die empörten Blicke der soeben noch voller Hingabe auf den Kessel starrenden Touristen.
Hermine ließ sich erst dazu bewegen, das Museum zu verlassen, als ein Aufseher herumging und seinem Kollegen absichtlich laut verkündete, sie würden in fünf Minuten schließen und wie sehr er sich auf ein anständiges Abendessen zu Hause freue ( Hermine schnaubte empört und zischelte etwas von „Arbeitsverweigerung" und „unverschämter Kundenvertreibung" beim Hinausgehen ).
So kamen sie erst sehr spät wieder in das Haus der Fudges zurück, wo Miss McClaggan bereits mit dem Abendessen auf sie wartete; jetzt, wo die drei großen Hunger hatten, schmeckte es ihnen noch einmal so gut.
„Da fällt mir ein, dein Vater hat dir vor einer Stunde eine Nachricht zukommen lassen", sagte Miss McClaggan plötzlich und reichte Yuri eine versiegelte Pergamentrolle. Sie entrollte sie und blickte glücklich auf, nachdem sie ihn durchgelesen hatte.
„Dad kommt übermorgen Mittag nach Los Angeles", eröffnete sie ihnen und gab Miss McClaggan den Brief, damit sie ihn ebenfalls lesen konnte. „An diesem Abend gibt er ein Abendessen, um ,seine ausländischen Beziehungen zu pflegen', wie er immer sagt", fügte sie hinzu und schnitt eine Grimasse ( „Yuri, er ist dein Vater!", tadelte Miss McClaggan vorwurfsvoll. „Du solltest ihn unterstützen, statt über ihn herzuziehen!" ).
„Das heißt, wir müssen uns an diesem Abend in unseren Zimmern verkriechen?", erkundigte sich Ron und tat sich ein zweites Rumpsteak in Weinsoße auf.
„Aber nein, mein Junge, ihr werdet ebenfalls an dem Essen teilnehmen", antwortete Miss McClaggan freundlich, „allerdings müsst ihr so tun, als ob ihr normale Muggel wärt, denn es sind auch einige Muggelpolitiker geladen."
Ron überlegte einen Moment. „Wenn ich mit keinem von denen reden muss, krieg' ich das hin", meinte er entschieden.
„Das musst du nicht... ein ,Guten Abend' oder , Sie tragen einen äußerst geschmackvollen Anzug heute Abend, Sir' schadet allerdings auch nicht", versicherte ihm Miss McClaggan; ihre Augen wanderten schnell von Harrys verstrubbeltem Haar zu Rons windzerzausten Haaren, bevor sie weitersprach. „Allerdings wäre es sicherlich nicht falsch, euch ein zurecht zu machen. Ich denke, Ed kann morgen mit euch einkaufen gehen können."
„Miss McClaggan, ich glaube nicht, dass Harry und Ron das woll -"
„Aber Yuri, so können sie dem französischen Minister unter keinen Umständen unter die Augen treten, dieser Mann legt Wert auf Stil und Kultur", rief sie entsetzt. „Und du, mein liebes Kind? Hättest du nicht auch gern ein hübsches neues Kleid?", fügte sie mit einem freundlichen Lächeln hinzu.
„Nun ja, ich, äh -"stotterte Hermine ratlos und warf Yuri einen hilflosen Blick zu.
„Schon gut, ich gehe morgen eins mit ihr kaufen", warf Yuri rasch ein. „Tut mir Leid", murmelte sie ihnen betreten zu, als Miss McClaggan aufstand, um den Nachtisch aus der Küche zu holen.
„Ich sehe aus wie ein Pinguin, dem man das Fell vom Kopf abgezogen hat!"
Ron stand vollkommen entsetzt vor dem riesigen, goldgerahmten Spiegel des noblen, stark nach Kölnischwasser riechenden Geschäfts ( in das sich Harry und Ron nicht ohne Ed getraut hätten ), in dem sie sich ihren Smoking aussuchen sollten. Eigentlich trug Ron ein simples Modell in schwarz mit einem knitterfreien, blütenweißen Hemd, doch Ed hatte ihm begeistert eine pink bepunktete Schleife angesteckt, die Ron nicht sonderlich zu gefallen schien.
Harry hatte sich nach Kräften bemüht, nicht laut loszulachen, doch als Ed davongehuscht war, um für ihn ebenfalls einen Smoking zu holen, hatte er sich nicht mehr halten können.
„Dieses Ding ist noch grausamer als mein alter Festumhang", stöhnte Ron verzweifelt, riss sich kurzerhand die Fliege vom Hals und ließ sie in der nächstbesten der riesigen Vasen verschwinden, die um sie herum aufgestellt waren. Er öffnete zwei Knöpfe und wagte einen Blick in den Spiegel.
„Das ist schon besser", meinte er zufrieden und betrachtete sich von allen Seiten.
Harry lachte immer noch, doch als Ed freudestrahlend auf ihn zugerannt kam, mit dem von ihm persönlich ausgesuchten Stück in den Händen, verging es ihm verblüffend schnell.
Das Hemd mochte zwar das gleiche wie Rons sein, doch Harrys Smoking war knallgrün, grässlicher und stechender hätte es wohl kaum sein können. Schon beim bloßen Anblick hatte Harry das Gefühl, seine Augen würden eine gigantische Sonnenanbeterin erblicken.
„Passt das nicht hervorragend zu deinen Augen?", fragte Ed begeistert.
Wenigstens hat er die Fliege weggelassen, tröstete sich Harry. Ron hustete nur mit vorgehaltener Hand und behauptete, er müsste mal kurz auf die Toilette. Nach einer Viertelstunde kehrte Ron zurück und Ed bezahlte die beiden Smokings an der Kasse, während Harry darüber nachdachte, ob sich die Farbe nicht noch irgendwie ändern ließe.
Nachdem ihnen ein leicht abgedrehter Verkäufer über zwanzig Minuten hinweg geschworen hatte, dass Harrys Smoking schon bald – Harry vermutete, dass er damit mindestens um die fünfzig Jahre meinen musste – in allen führenden Modezeitschriften der Welt zu sehen und hier nur zu erhalten sei, weil sie in Amerikas zukunftsorientiertestem Geschäft einkauften, verließen sie endlich den Laden, froh, sich von dem Verkäufer losgeist zu haben und vor allem den fürchterlich stechenden Geruch losgeworden zu sein.
Sie überquerten die Straße und traten in eine ebenfalls sehr vornehm wirkende Boutique. Überall war das Zeichen der Firma abgebildet, selbst die Türen waren nicht davor verschont geblieben; Harry hatte das sichere Gefühl, dies war nicht der Platz, an dem er sich wohlfühlte...
Die beiden Verkäuferinnen, deren Lächeln so aussah, als hätten sie steinerne Masken auf, schienen Ed jedenfalls gut zu kennen, denn eine der beiden winkte ihn herbei und unterhielt sich noch ein wenig strahlender lächelnd mit ihm. Die andere reichte Yuri gerade vier riesige Papiertüten über den Ladentisch. Neben Yuri stand Hermine, die sich ein wenig schüchtern umschaute und erst wieder lächelte, als sie Ron entdeckte, der neben dem Ausgang wartete
( Harry hatte sich ein wenig weiter hineingetraut und beäugte nun ein besonders auffällig buntes Paar Schuhe mit Stoffblumen, die auf einer Säule ganz am Ende des Raumes standen ). Als er wieder zurückkehrte, hatte sich Hermine mit Ron noch ein wenig weiter in eine Ecke verdrückt, als ob sie Angst davor hatten, von den Verkäuferinnen gesehen zu werden.
„Irgendwie komisch hier, was?", fragte ihn Ron mit seltsam hoher Stimme, als Harry zu ihnen ging und versuchte, das Bild der stechend bunten Schuhe aus seinem Kopf zu verbannen.
„Etwas zu vornehm, stimmt schon", meinte Harry leise und sah Ed dabei zu, wie er Yuri die Tüten aus der Hand nahm.
