Ein zweiter Verlust

Zum Abendessen würden sie zwar keine Zeit mehr haben, doch Miss McClaggan deckte sie fürsorglich mit allen möglichen Sandwiches und Knabbereien ein, sodass sie sich wirklich nicht im Geringsten darum sorgen mussten, während der Fahrt zum Flughafen an Hunger leiden zu müssen. Ed hatte ihr Gepäck schon am Nachmittag ins Auto verfrachtet, und so hatten sie bis zum Abend nichts weiter zun tun als ihre letzten Stunden in Los Angeles zu genießen. Hermine verbrachte diese in der Bibliothek, Harry, Ron und Yuri spielten noch ein letztes Mal Quidditch in dem großen Garten der Fudges.

„Das war gut!", rief Harry zufrieden, als Yuri den Quaffel in einem fast schnurgeraden Sturzflzug auffing ohne dabei das nasse Gras zu berühren.

„Ich glaube, ich kann getrost deinen Platz übernehmen, oder?", entgegnete sie augenzwinkernd und grinste ihm zu.

„Probieren wir es aus", erwiderte Harry angriffslustig und holte den goldenen Schnatz aus seiner Tasche hervor, den ihm Hermine zu Weihnachten geschenkt hatte; noch barg er ihn fest in seiner Faust. „Bei drei, okay? Eins, zwei, DREI!"

Harry schleuderte den goldenen Schnatz so weit wie möglich von ihnen weg (wobei er Rons Kopf um Zentimeter verfehlte) und wartete, bis er ihn aus seinen Augen verloren hatten. Yuri bedeutete ihm mit einem herausfordernden Kopfnicken, dass auch sie ihn nicht mehr sah und stieg hoch in die Luft, Harry brauste instinktiv hinterher. Wachsam suchte er den Himmel nach einem Zeichen vom Schnatz ab, doch bis auf eine einsame Krähe konnte er nichts entdecken. Obwohl er wusste, dass Yuri nur einen Scherz gemacht hatte und dies reiner Spaß war, fühlte er sich plötzlich, als sei es ein richtiges Spiel, bei dem er den Sieg der Gryffindors mit dem Fang des Schnatzes den Sieg sichern konnte. Er wollte gewinnen.

Nachdem er einige Zeit über dem Garten umher geflogen war, hörte er ein immer lauter werdendes Summen –der Schnatz. Harry machte scharf kehrt und zischte dem kleinen, pfeilschnellen Ball hinterher, seine zarten Flügel waren nun nicht mehr als ein golden schimmernder Fächer, der unter allen Farben deutlich hervorstach, wie die Sonne am Himmel. Harry hatte nicht die geringste Ahnung, wo sich Yuri befand, links oder rechts von ihm, über oder unter ihm, oder ob sie dem Schnatz überhaupt hinterher jagte –es war ihm gleichgültig, solange er nur dem Schnatz folgen konnte. Er spürte, wie ihm der Wind ins Gesicht peitschte und über seine Kopfhaut rauschte, während er seinen Feuerblitz weiter antrieb, bis er schließlich seine Hand, die inzwischen taub war vor Kälte, nach ihm ausstrecken konnte. Zwanzig Zentimeter –fünf Zentimeter –die fast gewichtlosen Flügel streiften seine Hand bei jedem der panischen Schläge, seinem Jäger zu entkommen. Sie fühlten sich wie die Fasern einer samtweichen Feder an. Harry trieb seinen Besen noch ein wenig weiter, immer schneller und schneller, bis er endlich etwas Hartes an seinen Fingerspitzen spürte –JA!

Triumphierend umklammerte er den Schnatz und sauste zur Erde zurück, ein breites Grinsen auf dem geröteten Gesicht.

„Ich hab -"

Er stockte und all das Glücksgefühl, das zuvor noch durch seinen Körper geflossen war, schien sich mit einem Mal ins Nichts verflüchtigt zu haben. Sein Herz war für einen kurzen Moment stehen geblieben, als er fassungslos auf die Person starrte, die Ron gerade hochzog; sein Gesichtsausdruck war besorgt und erschreckt zugleich.

„Harry, sie ist plötzlich vom Besen gestürzt, hatte wahrscheinlich einen Anfall oder sowas, hat eben noch ganz komisch gestöhnt und schwer geatmet", erklärte ihm Ron in heller Aufregung und versuchte, einen Blick auf Yuris Gesicht zu erhaschen, die allerdings die Augen nicht geöffnet hatte. Auf ihrer Stirn glänzte kalter Schweiß, als ob sie zuvor etwas Furchtbares geträumt hatte. „Schnell, wir müssen Hilfe holen!"

„Ja", sagte Harry knapp und griff unter ihre Arme, Ron packte die dünnen Beine. „Wohin sollen wir gehen?"

„Ich glaube, wir bringen sie am besten erstmal ins Trockene, oder?", meinte Ron. „Dann sehen wir weiter."

Da Yuri nicht schwer war, konnten sie den Weg zum Haus in kurzer Zeit zurücklegen. Drinnen legten sie Yuri auf das am weichsten aussehende Sofa ab, das sie finden konnten und stützten ihren Kopf mit einem Kissen ab.

„Ich geh' Miss McClaggan suchen, und du bleibst hier bei ihr, falls sie aufwacht", sagte Ron und eilte davon.

Harry setzte sich auf ein noch freies Stück Sofa, legte seinen Winterumhang ab und ließ seine Augen über Yuris Gesicht wandern. Ihr Blick war entspannt, beinahe so, als würde sie schlafen. Er konnte hören, wie sie leise und gleichmäßig atmete, und diese Geräusche beruhigten ihn auf eine seltsame Weise, weil er wusste, dass sie lebendig war und wieder aufwachen würde. Wie von selbst hob er seine Hand und strich ihr eine Strähne aus dem Gesicht –warum musste er jetzt lächeln? Eigentlich sollte ihm nicht danach zumute sein, ermahnte sich Harry.

Yuri sah aus wie eine Puppe, zerbrechlich, zart und makellos, es war, als existierte sie nicht wirklich, sondern nur ein Bild von etwas sein, das die Menschen als „perfekt" bezeichnen würden.

Mein Vater wollte aus mir etwas machen, das die Menschen perfekt nennen mögen..."

Hatte Fudge nicht sein Ziel erreicht? Hatte er keinen „perfekten" Menschen erschaffen?

„Um Himmels willen! Und ich dachte, es wäre vorbei damit!"

Miss McClaggan, dicht gefolgt von Ron, stürzte auf Yuri zu und beugte sich besorgt über sie.

„Ich glaube, es ist halb so schlimm", sagte sie erleichtert und öffnete eine kleine, dickbäuchige Flasche, die sie aus ihrer Tasche gezogen hatte. „Nur drei Tropfen davon, und es geht gleich besser." Sie ließ drei dicke, trübe Tropfen in ihren leicht geöffneten Mund fallen und steckte sie wieder ein. Augenblicklich zuckten ihre Augenlider, als ob jemand daran gezogen hätte. Harry war sehr froh, als er endlich in ihre klaren, dunkelblauen Augen schauen konnte, die sie nun verwirrt anstarrten.

„Hast du deinen Trank gestern Abend nicht genommen?", fragte Miss McClaggan mit einem vorwurfsvollen Unterton in der Stimme, als sie sich aufgesetzt hatte.

„Äh –nein, ich hab's vergessen", murmelte Yuri und der gewohnte Hauch Rosa schoss wieder in ihre Wangen.

„Das darf dir nicht noch einmal passieren", mahnte sie MissMcClaggan, „du weißt doch, dass du ihn mindestens noch dieses ganze Jahr lang einnehmen musst." Sie seufzte. „Nun ist es aber gut, zieh dich noch um, bevor ihr aufbrecht. Und beeil dich, viel Zeit bleibt nicht mehr."

Harry und Ron machten sich auf den Weg zu Hermine, die, wie sie vermuteten, noch immer in der Bibliothek herumstöberte. Tatsächlich fanden sie die beiden zwischen zwei mit Büchern voll gestellten Regalen im oberen Stockwerk der Bibliothek, die sie mit einem gläsernen Fahrstuhl erreichten. Hermine fuhr mit dem rechten Zeigefinger über die Einbände der Bücher und murmelte dabei fast unhörbar die verschiedenen Titel.

„Was macht ihr denn hier? Wollt ihr die Gelegenheit auch-"

„Nein, wollen wir nicht", unterbrach Ron sie, „wir wollten dir nur sagen, dass du dich jetzt von deinen Bücherfreunden verabschieden musst."

„Ich dachte, ihr spielt mit Yuri Quidditch?", fragte Hermine und wandte sich von dem Regal ab.

„Nicht mehr", entgegnete Ron.

„Yuri ist ohnmächtig geworden", erklärte Harry und erzählte Hermine, was vorgefallen war. Sie schien keineswegs überrascht.

„Oh, nun, das kann schon mal passieren, wenn sie sich überanstrengt", sagte sie und trat in den Aufzug, nachdem sie alle Bücher ordentlich in die Regale zurückgeräumt hatte. „Gestern Abend war sie wohl zu sehr mit dem Windherz beschäftigt..."

„Sie sollte besser aufpassen", meinte Harry und mit einem Druck auf einen silbernen Knopf an der Armatur des Aufzugs setzte sich der Glaslift in Bewegung. Rasch warf er einen letzten Blick auf die Bibliothek, die er, wie er vermutete, nicht so schnell wieder sehen würde.

Nachdem sich Ed und Miss McClaggan über zehn Minuten hinweg von ihnen verabschiedet hatten, verpassten sie fast ihr Flugzeug, wenn Hermine und Yuri sie nicht mit einer paar höflichen Worten und einigen charmanten Entschuldigungen hineingebracht hätten.

Der Rückflug war um einiges weniger angenehm als der Hinflug, da ein fetter Geschäftsmann im schwarzen Nadelstreifenanzug in unmittelbarer Nähe von ihnen unablässig in sein Handy hineinbrüllte; hin und wieder machte er einen Angestellten zur Schnecke oder plauderte über große Geschäfte in Arabien, wobei er die höheren Geldsummen so laut wie möglich durch die Kabine posaunte, sodass man sie sicherlich auch im Cockpit vernehmen konnte. Selbst ein paar mehr oder weniger freundliche Ermahnungen der Passagiere und Stewardessen konnten ihn nicht daran hindern, seine Dezibel herunterzufahren. Mehr als einmal war Ron nahe daran, ihn mit einem Zauberspruch zum Schweigen zu bringen, doch Hermine hielt ihn mit aufbrausenden Gesten davon ab, auch wenn sich ihre Stimme von Stunde zu Stunde untrügbar gereizter anhörte. So waren sie froh, endlich wieder englischen Boden unter den Füßen zu haben. Diesmal holte sie ein übellauniger Sheuffeur der Fudges ab, der jedoch normaler wirkte als Baldock; was vielleicht tatsächlich das einzig Positive an ihm war, wenn man es genau nahm.

„Verfluchte Straßen! Wozu sind die gebaut worden, frag ich! Um darauf stehen zu bleiben? Anscheinend schon! Verdammt noch mal, geht das denn hier endlich mal weiter? Verbrennen sollte man sie, alle miteinander! Warum gibt es bloß all diese vermaledeiten Menschen! Hinweg mit dieser Welt!", entrüstete er sich und benutzte dabei Schimpfwörter, von denen Harry nicht einmal gewusst hatte, dass es sie gibt.

„Das Leben hat auch seine guten Seiten. Nehmen Sie nicht alles so schwer", beschwichtigte ihn Yuri dann doch, als er das Fenster aufgemacht hatte und gerade schwungvoll ausholte um einen am Rand geparkten schwarzen Sportwagen mit einer Flasche saurer Milch zu bombardieren.

Nicht so schwer?" Sein Kopf wechselte in alarmierender Geschwindigkeit von einem zarten Hellrot in ein Karminpink. „Wo bleibt denn die Gerechtigkeit auf dieser Welt, frag' ich mich! Es gibt keine, das ist es doch- da fährt unsereins eine Limousine für unseren Zaubereiminister, und anderen gehört die Blechkiste auch noch! Nein, wirklich!"

Letztendlich konnte es Harry kaum noch erwarten, endlich seinen Fuß in den gemütlichen Gemeinschaftsraum der Gryffindors zu setzen. Yuri sah zunehmends peinlich berührt aus, wenn der Sheuffeur seinen Mund öffnete um einen weiteren Fluch auszustoßen, bis sie am Ende nur noch kopfschüttelnd das Gesicht in den Händen vergrub und das Halten des Autos abwartete.

Kalt und in gräulichen Nebel eingehüllt lag Hogwarts vor ihnen, als sie mit ihren Koffern in den Händen vor das große Eichentor traten. Es war seltsam, doch Harry fühlte sich, als ob er schon seit einer Ewigkeit nicht mehr hier gewesen wäre, obwohl es nur ein paar Tage gewesen waren, während denen er nicht durch die Mauern des Schloss gewandert war. Ob es daran lag, dass in den letzten Tagen so viel passiert war?

„Endlich wieder zu Hause", sagte Yuri ausgelassen und schaute sich glücklich um, nachdem sie das Portal aufgestoßen hatte.

Ron runzelte die Stirn. „Du kommst doch gerade von Hause", warf er ein. Harry sagte nichts und schleppte seinen Koffer weiter schweigend hinter sich her die Treppen hinauf, denn er konnte Yuri nur allzu gut verstehen...

„Nein, komme ich nicht", widersprach Yuri gut gelaunt und stieg, ohne Ron noch einmal anzuschauen, ein wenig aufwärts, geradewegs an Hermine vorbei, die versuchte mit ihrem Tempo mitzuhalten, allerdings ohne großen Erfolg- was Harry aufgrund ihrer angrenzend tonnenschweren Koffer auch nicht besonders wunderte.

Am ersten Mittwoch nach den Ferien war das Halbfinale des Duellierwettbewerbs angesetzt, und Harry fiel mit Schrecken auf, dass nur noch Ron, Hermine, Yuri und er übrig geblieben waren. Etwas in ihm sträubte sich ein wenig dagegen, gegen jemanden von ihnen zu kämpfen, doch immerhin war es nur ein Wettbewerb, nur eine Übung, nicht anders als im Unterricht auch –oder? Ron würde es sicherlich nichts ausmachen, gegen ihn zu verlieren, genau wie Harry es auch tun würde. Und Hermine... was wäre, wenn er sie besiegen würde? Wäre sie wütend oder würde sie es ihm gönnen?

Die gesamte DA versammelte sich am Mittwoch pünktlich um viertel vor Acht im Raum der Wünsche, um wenigstens das Halbfinale sehen zu können, konnten sie schon nicht selbst dabei sein. Colin und Dennis hatten ein riesiges Laken mit der Aufschrift „Harry siegt, der Gegner am Boden liegt!", wie Harry peinlich berührt feststellte als er mit Ron, Hermine und Yuri die Halle betrat.

„Sieh nur, Harry, du hast schon deine ersten Fans", bemerkte Ron breit grinsend.

„Halt die Klappe", zischte Harry ihm zu und spürte, wie er leicht rosa anlief; am liebsten hätte er das Laken auf der Stelle verschwinden gelassen, doch die Creeveybrüder hielten es mit einer solchen Begeisterung in die Höhe, sodass er es nicht einmal über das Herz brachte, ihnen einen warnenden Blick zu geben.

Ginny hatte sich in der Zwischenzeit ein Megafon hergeschafft und machte nun auch regen Gebrauch davon.

„Herzlich Willkommen zum Halbfinale des DA – Duellierwettkampfes! Die heutigen Teilnehmer sind Harry, Ron, Hermine und Yuri. Die Duellierpaare werden gleich von Hermine ausgelost... ähm... oder?"

„Einen Moment", sagte Hermine und zauberte die übliche Kiste herbei, die nacheinander vier fein säuberlich zusammengefaltete Zettel ausspie.

Gespannt öffnete Harry den seinen: Ron Weasley. Er blickte zu Ron herüber, der von seinem Zettel aufblickte und ihm zugrinste. Harry grinste zurück und bemerkte, dass sein Zettel sich langsam aber sicher in staubige Luft auflöste.

„Die ersten, die uns heute mit ihren Zauberkünsten beeindrucken werden, sind Hermine und Yuir!", trällerte Ginny in ihr Megafon, und sogleich stellten sich die beiden einander gegenüber. Jede hatte einen konzentrierten Gesichstausdruck aufgesetzt; Harry war sich sicher, dass sowohl Hermine als auch Yuri wussten, wen sie vor sich hatten.

„Also, viel Glück und tötet euch nicht! Eins, zweeeeiiiii, drei!", brüllte Ginny und zeitgleich hoben die zwei ihre Zauberstäbe. Im Vergleich zu Yuris langem, dünnem Zauberstab sah Hermines fast ein wenig dick und unbiegsam aus, doch jeder in der Halle hatte oft genug gesehen, dass ihn seine Besitzerin wie eine schwerelose Feder wenden konnte.

Stupor!", riefen Hermine und Yuri im Chor. Die roten Blitze verfehlten sich knapp in der Luft und sausten auf die beiden Hexen zu, einer schneller und gradliniger als der andere. Yuri schwang sich noch rechtzeitig zur Seite, doch Hermine erwischte er hart am linken Arm, sodass sie mit voller Kraft nach hinten gedrückt wurde, sodass sie ins Stolpern geriet und fast hingefallen wäre, hätte sie sich nicht rechtzeitig abgefangen. Yuri sah ihr gelassen dabei zu und hob erst wieder den Zauberstab, als Hermine es ebenfalls tat. Sie hatte die Stirn gerunzelt und ging langsam ein paar Schritte nach hinten.

Rictusempra!", rief Hermine und richtete den Zauberstab blitzschnell auf Yuri, doch sie wich mit einem eleganten Schwung aus.

„Nicht schlecht", sagte sie und ihre Augen funkelten zu Hermine hinüber, „wenn du mich getroffen hättest, würde ich den Firmatezauber nicht benutzen können. Wirklich keine schlechte Idee..."

„Danke vielmals", entgegnete Hermine halb grinsend, halb säuerlich. „Ich muss wohl – Rictusempra!"

Der Blitz zielte geradewegs auf Yuris Bauchgegend zu, doch als hätte ihn eine unsichtbare Hand mit einem Lappen verjagt, brauste er zu Boden und seine Funken verloren sich in der Luft.

„Der einzige Haken dabei ist", sagte Yuri hinterhältig grinsend, während sie den Zauberstab zückte, „dass du mich angegriffen haben solltest, bevor ich den Zauber angewandt habe."

„Besten Dank für den Hinweis", erwiderte Hermine und grinste zurück.

„Was wird das denn jetzt? Soll das eine Unterhaltung oder ein Kampf werden?", entrüstete sich Ron dicht an Harrys Ohr. „Hermine, hau rein!", setzte er laut brüllend hinzu.

Hermine schreckte auf und blickte mit einem kaum entzifferbaren Gesichtsausdruck –war es Überraschung oder Wut? - zu ihm herüber. Auch Yuri musterte ihn verdutzt. Rons Ohren liefen rot an und er murmelte etwas von „ist mir nur so eingefallen".

Die beiden Gegnerinnen wandten sich wieder einander zu und hoben nun gleichzeitig die Zauberstäbe, als ob sie es so geplant hatten. Beide starrten sich in die Augen, doch es war kein fester Blick, es wirkte mehr so, als ob sie darauf warten würden, dass die andere etwas tat oder wenigstens sagte.

Doch schließlich war es Yuri, die mit lauter Stimme donnerte: „Pertrificus Totalus!" Überrascht von dem plötzlichen Angriff versuchte Hermine, sich zur Seite zu werfen, doch der Fluch traf ihr rechtes Knie und augenblicklich klappte sie bewegungslos zu Boden. Es gab erst einen hässlichen, dumpfen Ton, als Hermines Kopf unsanft auf den Marmor aufkam, dann folgte der schrille Ton aus Ginnys Pfeife, der das Ende des Duells bestätigte.

„Yuri hat das Duell gewonnen!", dröhnte es durch die Halle, doch alle Blick ruhten auf Hermine, vor die sich nun Yuri kniete, leise den Gegenzauber sprach und ihr zu einem Sitz neben Harry und Ron half.

„Danke", murmelte Hermine und blickte zu ihr auf. „Um deine Unverwundbarkeit zu besiegen braucht es schon was anderes als einen Kampf", fügte sie mit leiser Stimme hinzu.

Yuri sagte nichts, sondern setzte sich neben sie und stierte mit seltsam flackernden Augen auf das Feld.

„Das zweite und letzte Duell für heute ist Harry gegen Ron!", kündigte Ginny an und nickte zu ihnen herüber.

„Viel Glück!", sagten Hermine und Yuri wie aus einem Munde, als sich die beiden erhoben.

Das Spielfeld schien Harry plötzlich viel größer als beim letzten Mal zu sein. Oder war er etwa selbst kleiner geworden? Nein, unmöglich, immerhin hatte er noch nie einen seiner selbst gebrauten und damit mehr oder weniger dubiosen Zaubertränke an sich ausprobiert. Langsam zog er den Zauberstab aus seinem Umhang und blickte zu Ron, der ebenfalls in Position stand, tief Luft holte und ihn konzentriert anstarrte, als ob er direkt auf seine Augen zielen wollte. Harry vergaß die Menschen um sich herum. Es war, als gäbe es in diesem Moment nur noch Ron und ihn. Alles, was er noch wahrnahm, war Ginnys dröhnendes „...LOS!"

Ron machte unsicher ein paar Schritte nach links und rechts, bevor er zielte. „Impedimenta!"

Harry konnte sich gerade noch mit einem Satz nach rechts retten, bevor der Blitz geradewegs in eine der zahlreichen Säulen rammte. Hastig rappelte er sich auf und schrie: „Expelliarmus!" Mit halb offenem Mund hüpfte Ron seinem Zauberstab hinterher, und er war noch nicht einmal zu Harrys Seite herübergeschwebt, als er plötzlich Feuer fing und in rasender Geschwindigkeit verkohlte, als er sich unmittelbar über der schimmernden Linie befand. Nun fiel Ron fassungslos das Kinn noch ein Stück weiter hinunter.

„Duell abgebrochen!", rief Ginny durch ihr Megafon und augenblicklich verschwand es.

Harry ging langsam zu Ron, schluckte einen dicken Kloß hinunter, der sich in seinen Hals gepflanzt hatte, und starrte ebenso entsetzt wie Ron auf das Häufchen Asche, das vor dessen Füßen lag.

„Die- diese Linie... ich mochte sie von Anfang an nicht..." Rons Gemurmel ging vollkommen in dem Plappern der Menge unter, die die Hälse reckten, um zu sehen, wie es um den Zauberstab bestellt war.

„Das tut mir wirklich Leid", sagte Harry und schluckte noch einmal, „ich wusste nicht, dass dieses Ding sogar Zauberstäbe abbrennt..."

„Sch- schon gut, Harry", entgegnete Ron mit ungewöhnlich hoher Stimme. Nach einer kurzen Pause schüttelte er mit zusammengepressten Lippen den Kopf. „Warum immer mein Zauberstab? Warum? Kauf ich immer den falschen?"

„Es war ein Zufall, Ron", sagte Hermine beschwichtigend, die wie aus dem Nichts hervorgehuscht kam. „Wo ist er denn überhaupt? Kann man ihn denn nicht reparieren?"

„Mein Zauberstab ist Asche, er hat keinen Kratzer abbekommen oder so, Hermine!", raunzte Ron und wies auf den schwarzen Fleck am Boden. „Mum wird mich umbringen... Zauberstäbe sind nicht gerade billig..."

„Red' keinen Quatsch, ich kauf' dir natürlich einen neuen, immerhin ist es meine Schuld, dass er verkohlt ist", warf Harry mit fester Stimme ein.

„Kommt gar nicht in Frage", erwiderte Ron mit immer noch Leid getränkter Stimme. „Und sag' bitte nicht ‚verkohlt'; sag' ‚verbrannt', das klingt wenigstens nach einem ehrenhaften Tod."

Obwohl Ron das Duell nicht verloren hatte, wurde Harry dazu auserwählt, im Finale gegen Yuri anzutreten. Ron war viel zu sehr damit beschäftigt seinem Zauberstab nachzutrauern, als sich um die Richtigkeit dieser Entscheidung auch nur im Geringsten zu kümmern. Harry und Hermine hatten ihm zwar angeboten, ihre Zauberstäbe mit ihm für die nächste Zeit zu teilen, bis er in die Winkelgasse gehen konnte, aber er hatte ihr Angebot würdevoll abgelehnt („Dann muss ich für 'ne Weile wenigstens nicht irgendwelche Verwandlungen üben."). Zu seinem Unglück drückte ihm Professor McGonagall jedoch schon am nächsten Tag ihren alten Zauberstab in die Hand. Dieser war an manchen Stellen mit etwas befleckt, das Blut sehr ähnlich sah, hatte unzählige Kerben und war an der Spitze derartig abgestumpft, dass man damit hätte morsen können; doch wenigstens funktionierte er noch einigermaßen, sodass Rons Traum von einem verwandlungsfreien Nachmittag nicht in Erfüllung ging. Stattdessen verbrachte er seinen Abende wie Harry mit dem Quidditchtraining, denn das erste Spiel der Saison würde in einer Woche stattfinden, die Begegnung Slytherin gegen Gryffindor. Harry hatte die Mannschaft inzwischen so weit, dass er glaubte, eine reelle Chance auf den Sieg zu haben, wenn die Creeveybrüder sich ein wenig zusammenreißen und Britney Johnson etwas positiver denken würde. Ron machte sich recht gut, auch wenn Harry wusste, dass ihm schon jetzt vor dem Spieltag graute. Yuri und Ginny machten ihre Sache gut und er hoffte, dass sie Britneys Fehler wettmachen können würden.

Am Abend vor dem ersten Spiel spielten Harry und Ron noch Zauberschach, um sich ein wenig abzulenken.

„Wir sollten jetzt lieber schlafen gehen, morgen brauchen wir all unsere Kraft", sagte Harry schließlich gähnend nach Rons drittem Sieg in Folge. Als die beiden zehn Minuten später in ihren Betten lagen, hörte er Ron leise murmeln: „Wir gewinnen morgen... Wir schlagen diese dreckigen Schleimbeutel... jaaaah..."

Harry wusste nicht, ob es nun ein Einbildung oder Wirklichkeit war, doch das Frühstück am nächsten Morgen schien um einiges üppiger zu sein als sonst. Lustlos kaute er auf einem Stück Speck herum und nahm hin und wieder ein paar Schlücke von seinem Kakao zu sich, doch rechten Appetit hatte er nicht. Ron dagegen stierte nur auf den blanken Teller vor sich. Sein Gesicht war weißer als sonst und um seine Nase war er sogar leicht grün angelaufen.

„Geht's dir nicht gut, Ron?", fragte Hermine behutsam.

„M- mir geht's blendend", antwortete er ein wenig zu schnell, als dass es jemand wirklich geglaubt hätte. „Ich freu mich schon auf das Spiel."

„Du brauchst was Anständiges zum Frühstück, sonst schlagen die Quaffel dir den Arm weg", sagte sie bestimmt und häufte ihm drei Croissants auf den Teller. „Die isst du jetzt, verstanden?"

„Ich versichere dir aber nicht, dass die in meinem Magen bleiben", erwiderte Ron griesgrämig und biss widerwillig in das oberste hinein.

„Na bitte, es geht doch, man muss sich nur ein bisschen anstrengen", meinte Hermine aufmunternd. „Das wird schon."

„Ich ess' aber nur das hier", maulte Ron und hielt das angebissene Croissant hoch.

„Nichts da, du isst alle", protestierte Harry und fühlte sich plötzlich unangenehm an Wood erinnert, der ihn selbst vor allen seinen Spielen dazu genötigt hatte, wenigstens ein paar Bissen zu sich zu nehmen. „Ohne die nötige Kraft funktioniert nichts."

„Wo ist eigentlich Yuri? Ich habe sie heute Morgen noch gar nicht gesehen", erkundigte sich Hermine.

„Wir auch nicht", entgegnete Harry achselzuckend für sich und Ron, in dessen Mund nicht einmal mehr eine einzelne Erdnuss gepasst hätte.

„Vielleisch ischie schon auf dem Quiddischfeld", bemerkte er und schluckte einen Teil des Inhalts seines Mundes hinunter.

„Möglich", stimmte sie zu und trank ihren Tee aus.

Kurz darauf ging Harry zusammen mit Ron und Hermine zu den Umkleidekabinen.

„Hört zu, ich warte hier draußen, vielleicht kommt Yuri ja noch", sagte Hermine.

„Okay, ich muss jetzt zu den anderen gehen und meine Anspornrede halten", sagte Harry matt. „Ich weiß zwar noch nicht genau, was ich sagen soll, aber mir fällt schon noch was ein..."

„Nein, bitte nicht, diese Reden machen alles nur noch schlimmer", warf Ron abwehrend ein.

„Du kannst ja auch hier draußen warten", schlug Harry vor.

„Na gut, ich komme gleich nach", sagte Ron.

„Wie du möchtest", entgegnete Harry und schloss die Tür hinter sich.

Stillschweigend ließen Ron und Hermine ihre Augen durch die Gänge streifen, doch nirgends war ein Anzeichen von Yuri zu sehen. Hin und wieder zogen ein paar schnatternde Schüler vorbei, die sich auf das kommende Spiel freuten und angeregt darüber diskutierten, wer dieses Jahr den Hauspokal gewinnen würde, doch niemand sah so aus wie sie.

„Ich glaube, inzwischen müsste Harry seine Rede beendet haben", sagte Ron schließlich, als sie immer noch nichts entdeckt hatten.

„Gut", erwiderte Hermine geistesabwesend, während sie eine Gruppe Schüler nach einer Spur von Yuri durchsuchte.

„Ähm... willst du mir nicht Glück wünschen für das Spiel, oder so?"

„Oh, doch, natürlich", sagte Hermine hastig und wandte sich ihm zu. „Viel Glück, Ron."

„Das ist alles?"

„Was willst du denn noch?", fragte Hermine verdutzt lachend. „Einen Siegeszauberspruch gibt es nicht."

„Also, weißt du noch, wie du mir bei meinem ersten Spiel letztes Jahr Glück gewünscht hast?", fragte Ron zögerlich.

Hermine stockte. „J- ja, das weiß ich", antwortete sie langsam.

„Und... na ja... ich glaube, es hat wirklich geholfen", fuhr Ron noch eine Spur nervöser fort.

„Ihr hattet das Spiel verloren", widersprach Hermine mit hoch gezogenen Augenbrauen, doch sie konnte sich ein kaum merkliches Lächeln nicht verkneifen.

„Vielleicht hilft es ja dieses Mal."

Hermines Gesichtsfarbe wechselte schnell von rosa zu rot, während sie Ron anstarrte und schließlich deutlich hörbar Luft holte.

„Willst du es riskieren?", fragte sie leise und spürte, wie ihr Herz raste, denn sie kannte seine Antwort.