Das nördliche Auge
10. Oktober 2004/16:28 Uhr
Mount Shezna
Operation Schneeblind
Innerhalb von fünf Tagen konnte sich vieles ändern. Das galt insbesondere für die eigene Lage. Die Einheit, die Johnson und Ridley fünf Tage zuvor zurück in eigenes Territorium begleitet worden war, stellte nur die Spitze einer riesigen Flüchtlingswelle dar. Tausende Soldaten sowohl der ISAF als verbündeter Nationen hatten es geschafft, den ihnen folgenden Erusea bisher zu entgehen. Da mittlerweile das Radarnetzwerk und die Luftabwehr von North Point wieder vollständig hergestellt waren, war es der sichere Hafen, den es zu erreichen galt. Mobius 1 war die letzten Tage mit nichts anderem beschäftigt, als Schiffe oder Flugzeuge zurück zu begleiten. Zumindest hatte Johnson einen neuen Freund gefunden, der mit ihm die wenigen Ruhepausen auf der Erde verbrachte und des Öfteren zusammen mit ihm ein Bier trank.
„Hey, Dan!" schrie Captain John Brooker. Johnson drehte sich um und wandte sich von der Phantom ab. Er winkte Brooker zu, der sich misstrauisch umsah, ehe er näher kam. Johnson musste lächeln. Brooker war der Chef einer Special Operations and Tactics Unit, der S.O.P.U., ISAF's Spezialeinheit für ganz heikle Aufgaben. Darüber hinaus war er aber auch ein Mann, der den festen Boden unter seinen Füßen schätzte. Der Umstand, dass er auf einem Flugzeugstützpunkt stationiert war, ließ ihn nervös werden. Brooker war ein Berg von einem Kerl, der aussah wie der Kerl auf einem Werbeplakat der ISAF. Sie teilten sich mittlerweile ein Zimmer, sehr zu Johnsons Erleichterung. Ridley teilte sein Zimmer mit einem anderen RIO. Johnson kannte nicht seinen Namen, aber der Kerl tat ihm bereits leid. Als Brooker ihn erreicht hatte, richtete er das Kinn auf die Maschine.
„Sieht besser aus als das letzte Mal, als ich sie gesehen habe." Und tatsächlich, die F-4 Phantom erstrahlte in neuem Glanz. Man hatte die Schäden am Rumpf beseitigt und den Jäger neu angestrichen. Ridley hatte sich dafür ausgesprochen, ein paar Graffitis am Rumpf anbringen zu lassen. Unglücklicherweise für ihn hatte der Pilot das letzte Wort in solchen Angelegenheiten. Anscheinend flog eine neu gegründete Staffel mit ziemlich auffallenden Insignien am Himmel über North Point und beanspruchte den Titel der besten Luftkampfeinheit der ISAF für sich. Die Halo-Staffel war vor ihrer Vernichtung durch die Elite-Einheit der Erusea, der Gelb-Staffel, die beste Einheit der ISAF gewesen. Johnson hatte sich zwar für einen neuen Anstrich entschieden, aber es war wohl für Ridley der Gipfel der Normalität. Die Phantom erstrahlte jetzt in einem kompletten Grau, welches nur an den Tragflächen durch die Insignien der ISAF aufgelockert wurde. Darüber hinaus prangte an der Heckflosse jetzt das Wappen, dass seiner Staffel galt, deren einziges Mitglied er war. Mobius war eine Staffel aus Veteranen gewesen, die schon vor dreißig Jahren im damals großen Krieg gekämpft hatten. Sie hatten zu den ersten Einheiten gehört, die von den Erusea vernichtet worden war. Eine Neugründung war nicht geplant gewesen, aber als man mehr Piloten als Staffeln im aktiven Dienst hatte, hatte man diese alte Bezeichnung wieder hervorgeholt. Johnson hatte sich über die Herkunft seines Rufnamen erkundigt und je mehr er erfuhr, desto stolzer wurde er auf sein Wappen. Er hob die Hand und Brooker schlug ein. Dann deutete er auf die Maschine.
„Und? Was meinst du?" Brooker zuckte mit den Schultern. Er verstand nicht viel von Flugzeugen. Allenfalls wusste er, wie man eins abschoss. Aber er selbst hatte erzählt, dass es eine nahezu unmögliche Aufgabe war. Die Erusea besaßen fast ausschließlich erfahrene Flieger, die wussten, wie man mit Bodentruppen fertig werden musste. Solche Fehler wie der Angriff auf North Point, der von Anfängern durchgeführt worden war, würden ihnen sicherlich nicht noch einmal passieren.
„Sieht auf jeden Fall besser aus als vorher. Aber eine Sache wundert mich. Wir haben mehr als genug Maschinen, aber Piloten sind Mangelware. Du könntest sicherlich eine neuere Maschine haben, wenn du nur eine beantragen würdest. Warum fliegst du dann immer noch mit dieser alten Kiste?" Brooker hatte sicherlich Recht. Doch Johnson zuckte nur mit den Schultern. Er deutete auf den Oberschenkelhalfter, den Brooker trug. Der Captain hatte immer seine Waffe dabei, einen alten 45' Colt.
„Es ist wohl das Gleiche wie mit deiner Kanone. Sie ist alt, hat nur 6 Schuss und jeder wird dir sagen, du sollst dir lieber eine leichtere Pistole mit mehr Schuss holen. Aber warum? Du kommst mit diesem alten Ding besser klar als viele mit ihren neumodischen Schnickschnack. Es kommt nicht auf die Möglichkeiten an, die dir deine Ausrüstung bietet, sondern auf die Fähigkeiten, die du hast, diese Möglichkeiten zu nutzen." Er klopfte der Phantom zärtlich auf den Rumpf.
„Dieses Baby hat mir zweimal das Leben gerettet und mich heil nach Hause gebracht. Sicher, gegen eine Terminator hätte ich keine Chance. Aber warum soll ich mich auch mit ihr messen? Das sollen ruhig andere machen." Er betrachtete seine Maschine und lächelte zufrieden. Sie war in einem perfekten Zustand. Als er bemerkte, wie Brooker ihn angrinste, runzelte er die Stirn und sah ihn fragend an.
„Was ist? Hab' ich irgendetwas im Gesicht?" fragte er. Brooker lachte und schüttelte den Kopf. Irgendetwas schien ihn sehr zu amüsieren.
„Oh, du müsstest dich nur selbst sehen. Diesen Blick kenn' ich von meinem Vater. Als ich noch ein Kind war, hatte er ein Auto, irgendeine alte Schrottkarre. Das Ding war echt das letzte, hat geleckt wie sonst was und war fast immer kaputt. Aber Dad wollte nie ein neues Auto kaufen. Mum ist fast durchgedreht, sie wollte einen von diesen riesigen, modernen Familienvans aus Comberth, die ihr immer produziert habt, du weißt schon, diese Dickschiffe." Johnson nickte.
„Ein Drysler, ja, wir hatten einen. Wahre Platzwunder." Brooker zuckte mit den Schultern und sah Johnson ahnungslos an.
„Keine Ahnung. Wie gesagt, wir hatten nur diese alte Schüssel. Manchmal hat er den Wagen in die Wäsche gebracht…nicht, dass diese Rostschüssel das gebraucht hätte, es war reine Wasserverschwendung. Aber jedes Mal wenn er den Wagen abgeholt hat, haben seine Augen geleuchtet wie an dem Tag, an dem er ihn neu vom Autohändler erstanden hat." Johnson grinste und deutete auf seine Maschine.
„Willst du etwa sagen, meine Phantom hier ist ein alter Schrotthaufen." Brooker lachte und schüttelte den Kopf.
„Natürlich würde ich nie das Flugzeug beschimpfen wollen, das mich und meine Leute gerettet hat." Er deutete hinter sich.
„Eigentlich wollte ich dich fragen, ob du Lust auf ein Bierchen hast. Da ich als einziger von meinen Leuten noch einsatzbereit bin, gammele ich hier eh' nur rum und seh' euch tollen Fliegern beim in der Sonne liegen zu." Johnson seufzte. Zu gerne hätte er das gemacht.
„Gerne, aber in ein paar Minuten beginnt eine Einsatzbesprechung." Brooker zog die Augenbrauen hoch.
„Wie? Sind noch mehr Flüchtlinge im Anmarsch?" fragte er. Für Brooker war jedes Flugzeug, jedes Schiff und jeder LKW, der irgendwo aufgegabelt wurde und mit meist verwundeten ISAF-Soldaten voll gestopft war, wie ein Geschenk des Himmels. Brooker hatte nicht viel über die Zeit hinter den feindlichen Linien gesagt, wahrscheinlich durfte er es aufgrund der Geheimhaltung seiner Einsätze nicht. Aber was es auch gewesen war…es musste schrecklich gewesen sein. Ein Großteil seiner Einheit war sowohl körperlich als auch seelisch am Ende. Brooker war momentan nicht im aktiven Dienst. Zwar brannte er darauf, wieder in die Schlacht zu ziehen und den Erusea für ihre Verbrechen seinen Colt in den Hals zu stecken, doch man hatte es für besser gehalten, sich auf nichts einzulassen. Brooker sollte erst einmal abstand von dem gewinnen, was passiert war. Außerdem gab es momentan sowieso keine Aufgabe für die S.O.T.U.. Also hing er hier so herum.
„Ich hoffe es…" murmelte Johnson. So viele Soldaten und Flüchtlinge, die er gesehen hatte. So viel Leid und Schmerz. Und das alles nur im Namen einer Horde Wahnsinniger. Wobei er gerade bei Wahnsinnigen war.
„Übrigens…" begann er und wandte sich Brooker zu. „…was ist eigentlich mit unseren beiden Kandidaten für die Geschlossene?" fragte er und meinte damit die beiden Piloten, die Brookers Flug begleitet hatten. Nach ihrer sicheren Landung war es zu einem heftigen Tumult bekommen. Der Pilot der MiG, eine Frau namens Lee, war ganz und gar nicht begeistert gewesen von den Soldaten, die sie in Gewahrsam nehmen wollten. Dummerweise hatte einer der Soldaten es auch noch für nötig befunden, anzügliche Bemerkungen über die zweifelsohne wunderschöne Frau gemacht. Das war sein erster Fehler gewesen. Sein zweiter Fehler hatte darin bestanden, auf eine Leibesvisitation zu bestehen und ihr an den Hintern zu fassen. Johnson hatte von seinem Cockpit aus mit ansehen können, wie sie die Soldaten aufgemischt hatte. Er hatte noch nie von einer solchen Kampfsportart gehört, aber sie schien akrobatisch veranlagt zu sein. Die Soldaten, die den anderen Piloten abführten, hatten den Mann im Griff gehabt, bis einige von ihnen ihren Kameraden zu Hilfe geeilt waren und die Situation zu eskalieren drohte. Der andere Pilot, er hieß John Keith, hatte seine Wachen niedergeschlagen und war Lee zur Hilfe geeilt. Johnson hatte handeln müssen. Und das hatte er getan. Indem die Maschine sofort gestoppt, die Cockpitkanzel aufgestemmt, seine Pistole ergriffen und einen dezenten Abgang in Form eines Sprungs aus der Maschine gemacht hatte. Ridleys panisches Geschrei hinter ihm hatte ihn nicht gekümmert. Er war so schnell gerannt wie er konnte. Als er die Gruppe erreicht hatte, standen von sieben Soldaten noch zwei, die außerdem geraden von Lee und Keith in die Mangel genommen wurden. Johnson hatte scharf gebremst und die Waffe hochgerissen.
„HALT, KEINE BEWEGUNG!" hatte er gebrüllt, doch Keith und Lee hatten die beiden Soldaten auf die Bretter geschickt und sich danach ihm zugewandt. Lee hatte ihre Knöchel krachen lassen.
„Sieh an, sieh an…noch so einer von diesen ISAF-Spinnern…" Johnsons Nervosität war groß gewesen, doch er blieb standhaft.
„Ich sagte keine Bewegung!" Doch die beiden schienen nicht besonders beeindruckt von ihm zu sein. Der Mann wirkte wie die Ruhe selbst, während die Frau auf und ab tänzelte. Sie sah zu ihrem Partner.
„Macht es dir was aus, wenn ich mich um ihn kümmere?" hatte sie gefragt. Der Mann hatte nur mit den Schultern gezuckt und die Arme vor der Brust verschränkt.
„Tu dir keinen Zwang an." Seine Stimme hatte einen absolut gleichmäßigen Klang. Lee hatte die Fäuste geballt und gegrinst.
„Nun, ISAF, wie sieht es aus? Machst du dir schon in die Hose?" Johnson runzelte die Stirn. Wie konnte diese dumme Kuh nur so blöd sein.
„Nehmen sie die Arme hinter dem Kopf und ergeben sie sich." Die Frau grinste und schüttelte den Kopf.
„Schlechte Idee." Dann stürmte sie auf einmal vor und senkte den Oberkörper ab. Sie hätte Johnson erwischt, wenn nicht auf einmal ein Schuss aufgepeitscht wäre und der Beton direkt vor Lee aufgeplatzt wäre.
„STEHEN BLEIBEN!" hatte eine beeindruckende Stimme gebrüllt. Sofort waren alle erstarrt. Johnson hatte zur Seite geblickt. Direkt neben ihm stand ein Hüne von einem Kerl, ein Soldat in voller Kampfmontur. Er hielt einen schweren Colt in der Hand, den er absolut ruhig hielt. Von ihm kam eine Präsenz der Gefährlichkeit. Doch anscheinend schätzten Lee und Keith den Mann falsch ein. Lee stürmte voran und wollte den Soldaten einfach umrammen. Der schmiss seinen Colt weit weg und senkte seinen Oberkörper. Wenn die beiden eine Prügelei wollten, würde er ihnen eine geben. Starke Arme schossen hervor und packten Lee am Oberkörper. Er zog sie zu sich heran und umklammerte sie. Seine Arme schlossen sich um sie und drückten mit einer unmenschlichen Kraft die Luft aus ihren Lungen.
„John!" schrie sie schmerzerfüllt. Überrascht lockerte der Soldat seinen Griff, nur für eine Sekunde, doch das reichte. Keith setzte sich in Bewegung und rannte auf die beiden los. Lee hatte inzwischen den Arm aus der Umklammerung des Soldaten gelöst und schlug ihm mit der Hand kante gegen den Kiefer. Der Mann ließ sie los und taumelte zurück. Als er sich wieder gefangen hatte, sah er Lee entschlossen an und wischte sich mit dem Ärmel das Blut aus dem Gesicht. Keith kam angerannt und hob die Faust. Doch bevor er den Soldaten erreicht hatte, dröhnte ein donnerndes Stakkato auf. Der Soldat, Lee und Keith erstarrten und sahen zur Seite. Johnson nahm das Sturmgewehr herunter, nachdem er das halbe Magazin in die Luft geschossen hatte. Er wiegte die schwere Waffe in seinen Händen.
„Zum letzten Mal…Hände hoch…oder ich schieße." Anscheinend wirkte er dieses Mal einschüchterner als das letzte Mal, denn Keith senkte die Fäuste. Lee sah hektisch zwischen ihrem Partner und Johnson hin und her, dann fluchte sie gepresst und nahm ebenfalls die Fäuste herunter. Johnson kniff die Augen zusammen, als er die beiden musterte.
„Willkommen in North Point. Vorwärts…und wenn ich nur einen Mucks sehe, schieß ich euch über den Haufen!"
Brooker kratzte sich am Kopf und nickte zustimmend. Im Nachhinein betrachtet war es unglaublich, was da passiert war. Wäre dieser Soldat nicht aufgetaucht, die beiden hätten Johnson wahrscheinlich fertig gemacht. So hatte er Captain Brooker kennen gelernt.
„Ja, die beiden waren schon richtig fertig gewesen. Ich hätte nicht gedacht, dass die so gut waren. Aber was erwartest du? Die beiden waren seit 50 Stunden in der Luft, am Stück. Wir sind davor mehr als eine Woche geflohen, währenddessen haben sie kaum gegessen, geschlafen oder sich auch nur einen Moment der Ruhe gegönnt. Unterwegs hatte ich mehrfach Angst, dass sie uns einfach abschießen, weil ihnen die Sicherungen durchbrennen. Tja, die sind ihnen dann ja auch durchgebrannt, allerdings erst als sie gelandet sind." Johnson nickte. Es stimmte wirklich. Die beiden Piloten waren seit Wochen unter unmöglichen Bedingungen geflogen. Als sie sicher am Boden von Allenfort waren, hatten sich wahrscheinlich all der Druck, die Anstrengungen und die Schmerzen in diesem exzessiv gewalttätigen Verhalten entladen. Zwar hatte man die beiden sofort eingesperrt, aber einige Stunden später waren sie auf der Krankenstation gewesen. Diagnose: Totale Entkräftung infolge von massiver Überanstrengung. Sie waren verhört worden, selbst in ihrem angeschlagenen Zustand. Allerdings schien nur Keith anders zu reagieren, sobald er Schlaf bekam. Anscheinend hatte man Lee an ihr Bett gefesselt, da sie schon drei Wachmänner zusammengeschlagen hatte. Diese Frau war mindestens so unberechenbar wie schön. Bei ihrem Charakter war es jedoch ein Wunder, wenn es ein Mann auch nur drei Sekunden neben ihr aushielt. Auf einmal wurde Johnsons Gesichtsausdruck finster.
„Na großartig…" knurrte er. Brooker sah ihn fragend an, dann folgte er dessen Blick und erkannte, warum der Pilot so mies gelaunt war. Ridley kam auf sie zu.
Sie waren jetzt schon seit gut drei Stunden unterwegs und hatten bereits eine Luftbetankung hinter sich gebracht. Die Phantom fühlte sich gut an. Das lag nicht nur an den Reparaturen, man hatte auch diverse Verbesserungen an den Zielsystemen und dem Nachbrenner vorgenommen. Die Phantom konnte jetzt gleich mehrere Ziele anvisieren, ein enormer Vorteil. Das bedeutete zwar mehr Arbeit für Ridley, aber Johnson war das ehrlich gesagt egal. Für sie ging es jetzt sowieso zur Sache. Die alliierten Kräfte zogen sich zurück und Überlebende versammelten sich am nördlichen Hafen von St. Ark. Allerdings lieferten die Radaranlagen auf der Spitze von Mt. Shezna taktische Unterstützung an den Feind. Aus diesem Grund war ihre Evak-Mission reines Glücksspiel. Wenn sich die Truppen erfolgreich evakuieren und bei North Point neu gruppieren könnten, würden sie zu einer ernstzunehmenden Streitmacht werden. Ihre Mission bestand nun darin, die Radaranlagen auf Mt. Shezna zu zerstören und dadurch den Gegner zu blenden und ihre eigenen Truppenbewegungen zu verstecken. Zu diesem Zweck hatte die ISAF ein relativ großes Kontingent an Jägern und Jagdbombern losgeschickt. Und über allem wachte eine AWACS.
„Dieses Kampfgebiet liegt innerhalb des feindlichen Luftraums. Halten sie die Augen offen nach Banditen." Himmelsauges Stimme gab dem Einsatz etwas Beruhigendes.
„Benutzen sie Vector 180 um nach Hause zurückzukehren, nachdem die Ziele zerstört wurden. Denken sie daran, dass nur eine sichere Rückkehr auch eine gute Rückkehr ist." Dann wurde es ernst.
„Radarbasis 1 auf Vektor 310, 12 Meilen. Feuer frei." Die Phantom raste über das Hochgebirge, die Sonne in ihrem Rücken. Johnson setzte seine Atemmaske auf und spannte seine Muskeln. Es ging viel von dieser Mission ab.
„Bandit bestätigt auf Vektor 310." Himmelsauge hatte Recht. Eine feindliche Maschine näherte sich frontal. Es handelte sich um eine F-16. Zweifelsohne eine deutlich modernere Maschine als seine Phantom. Doch er würde siegreich bleiben. Dieser Kerl gehörte ihm.
„Mobius 1, greife an!" rief er über Funk. Er umfasste den Steuerknüppel fester und atmete tief ein. Die beiden Maschinen rasten direkt auf einander zu, ein gefährliches Manöver.
„Ridley, Ziererfassung!" Sein RIO führte den Befehl aus und das Flugzeug wurde sofort vom Radar erfasst. Allerdings war die Maschine noch zu weit entfernt.
„Halo 2, greife an!" rief einer seiner Kameraden. Sofort schloss sich ein weiterer Pilot diesem Entschluss an.
„Halo 10, greife an!" Johnson rammte den Schubhebel nach vorne und die Nachbrenner erwachten zum Leben. Sofort wurde die Phantom nach vorne katapultiert und raste gen Feind, der angesichts der drei Maschinen, die auf ihn zukamen, an seiner Entschlossenheit zweifelte und abdrehte.
„Okay, Ridley…dann wollen wir mal!" rief Johnson kampfeslustig. Ridley hinter ihm sagte nichts. Was sehr ungewöhnlich war. Doch er hatte mittlerweile andere Probleme. Man hatte ihren Anflug entdeckt. Wenig verwunderlich bei einer Radaranlage.
„Hier ist Shezna Radar 1, Banditen nähern sich auf Vector 135." Es ging los. Sie näherten sich mit großer Geschwindigkeit.
„Radarbasis 1 auf Vektor 310, noch 8 Meilen." Himmelsauge gab die Position durch. Die Radarstation stand auf der Spitze eines Gebirgsmassives. Früher hatte hier einst wohl das modernste Teleskop aller Zeiten gestanden, jedoch war es beim Aufschlag eines Bruchstücks von Ulysses94FX04 komplett ausgelöscht worden. Jetzt beherbergte die Spitze eine militärische Anlage und Jäger kreisten über ihr. Der Angriff bot einen taktischen Vorteil für die ISAF-Maschinen. Anders als bei Rigley gab es hier keinen Flugplatz, von dem aus die Erusea Maschinen direkt in den Kampf schicken konnten. Ihre Piloten mussten lange Flüge nach Shezna fliegen, auftanken und konnten sich nicht einfach rückhaltlos ins Gefecht werfen, da sie genug Kerosin für den Rückflug brauchten. Die ISAF-Maschinen hatten dagegen mehr Glück. Eine halbe Stunde östlich von ihnen lag ein Flugzeugträger, die Fort Grace, ein Schwesterschiff der noch längst nicht wiederhergestellten St. Ark. Sie besaß Treibstoff, Munition und ein Landedeck, all das, was die Erusea nicht hatten. Johnson konnte nur hoffen, dass diese Mistkerle ihnen den Träger nicht unter dem Hintern wegschießen würden. Mittlerweile hatte er sich fast bis auf Schussweite an die F-16 angenähert.
„Greife Gegner von 6 Uhr aus an." Ridleys erste Worte waren zwar laut und deutlich zu verstehen, aber es war, als wäre er mit etwas anderem beschäftigt.
„Unterschätzt sie nicht!" rief einer der Feinde. Anscheinend waren die Erusea vorsichtiger geworden. Das würde ihnen aber nichts nützen. Johnson war fast in Reichweite der Raketen. Nur noch ein paar Augenblicke.
„Da kommen sie!" rief einer seiner Kameraden. In dem Moment erklang das Signal für die automatische Aufschaltung.
„Fox one!" rief Johnson und presste den Auslöser. Die Rakete löste sich zischend vom Rumpf der Maschine und raste direkt auf die F-16 zu. Der Pilot versuchte noch auszuweichen, doch die Rakete traf seine rechte Tragfläche und sprengte sie ab.
„Ich breche auseinander!" konnte der Pilot noch rufen, ehe seine Maschine schwarzen Rauch hinter sich herziehend in Richtung Erde raste.
„Greift die feindlichen Flugzeuge an und haltet sie vom Radar fern!" schrie jemand im Radar panisch.
„Er kommt auf uns zu!" rief ein ISAF-Pilot. Anscheinend hatte er sich mit einem anderen Piloten zusammengetan.
„Tut mir leid, ich kann nicht!" antwortete der andere Pilot. Johnson fluchte. Er konnte nicht einfach nach dem Gegner suchen. Um ihn herum gab es genug zu tun. Der Pilot war auf sich selbst gestellt.
„Da kommen sie!" rief Ridley auf einmal. Johnson riss den Kopf nach vorne. Sein Rio hatte Recht. Mehrere Jäger waren hoch am Himmel und kamen näher. Es blieb nicht viel Zeit. Er musste sich beeilen. Sobald diese Kerle da waren, würde es ein heißer Tanz werden.
„Ridley, wir gehen rein. Und zwar tief und schnell!" Ohne etwas zu sagen wechselte er auf den Bombenmodus. Johnsons Zielcursor veränderte sich.
„Ich gehe von 12 Uhr rein!" erklärte Johnson und rollte den Jäger über die linke Tragfläche ab. Danach setzte er zum Sturzflug an.
„Feinde bestätigt." Ridley behielt hinter ihm das Radar im Auge. Nichts war unangenehmer als ein Gegner im Nacken. Allerdings schienen die genug Probleme mit den anderen ISAF-Maschinen zu haben.
„Banditen direkt hinter mir!" Es dauerte nur einige Momente, ehe die Stimme des feindlichen Piloten erneut über Funk erklang.
„Ich bin beschädigt! Kann den Kurs nicht halten!" Anscheinend tobten sich die anderen Piloten da oben kräftig aus.
„Euer schlimmster Feind ist der Boden. Passt auf, nicht abgeschossen zu werden." Johnson zog eine Augenbraue hoch und fragte sich, wer sich solche Sprüche ausdachte. Das war ungefähr so sinnvoll wie die Aussage, dass nicht der Sturz tödlich war, sondern der plötzliche Halt am Boden.
„Bleibt ruhig und zielt genau wenn der Gegner ankommt." Es war eine der ersten sinnvollen Sätze, die einer der anderen Piloten hervorbrachte.
„Es ist alles mit Schnee bedeckt." Ridley betrachtete hinter ihm die Berge. Sicherlich wäre dies der perfekte Ort für Winterferien, nur die Raketen und Explosionen störten ein wenig.
„Radarbasis 1 auf Vektor 310, noch 4 Meilen." Himmelsauges Stimme hatte Recht, sie waren fast da. Vor ihnen konnte man die Radarkuppeln der Anlage auf dem Bergkamm erkennen. Links davon lag der große, rauchende Krasinky-Krater, der Ort, an dem der kosmische Monsterbrocken eingeschlagen war. Auf einmal ertönte die Warnsirene.
„Radarzielerfassung!" rief Himmelsauge. Und tatsächlich, eine Maschine war direkt hinter ihnen. Doch Johnson konnte den Zielanflug nicht abbrechen. Er raste direkt auf die Radarkuppeln zu. Die Rettung kam allerdings prompt. Die Maschine wurde von einer Rakete erfasst und verging in einer feurigen Explosion.
„Ziel neutralisiert!" rief einer der ISAF-Piloten und mit einem Mal raste links von ihnen eine Tigershark in die Höhe. Erleichterung machte sich in Johnsons Brust breit. Dann konzentrierte er sich wieder auf sein Ziel.
„Bomben los!" rief er und klinkte einen der Sprengsätze aus. Es waren größere Bomben mit einer höheren Sprengwirkung. Sie sollten auch mögliche Teile der Einrichtungen innerhalb des Berges beschädigen. Als die Bombe auf den Boden aufschlug, detonierte sie in einem farbenfrohen Spektakel. Zwei der Kuppeln wurden von der Explosion erfasst und die filigranen Konstruktionen zerrissen.
„Gute Arbeit, Mobius 1!" rief einer der anderen Piloten. Allerdings konnte er das Lob kaum auskosten, da oben ging nämlich die Post ab.
„Quetsch den Nachbrenner aus!" Nun war Johnson warmgelaufen. Er zog die Maschine nach oben und ließ sie steil gen Himmel rasen. Als er mehr Höhe gewonnen hatte, ließ er die Phantom nach hinten abkippen und raste wieder auf das Radar zu. Es waren noch zwei Kuppeln übrig.
„Mobius 1, Bandit an deinem Heck, ausweichen!" Die Warnung wurde sofort beherzigt. Johnson riss den Knüppel zur Seite und die Maschine brach aus ihrem Sturzflug heraus.
„Okay, der gehört mir!" rief einer seiner Kameraden. Der Feind, der hinter ihm her war, musste sich plötzlich mit einer ISAF-Maschine herumschlagen, die ihn im Visier hatte. Der feindliche Jäger drehte ab. Das wurde ihm wohl zu heiß.
„Bombe los!" rief Johnson erneut und riss die Maschine nach oben, während der Sprengkörper eine weitere Kuppel zerriss.
„Gute Arbeit, Mobius 1." Doch die Arbeit war noch nicht getan. Eine Kuppel von Anlage 1 stand noch. Johnson zog die Maschine in einen engen Looping und brachte so den Bergkamm wieder ins Visier.
„Zerstört das Radar so schnell wie möglich." Die Aufforderung war nun wirklich überflüssig. Er tat ja schon sein bestes.
„Stirb, du Hurensohn!" schrie einer seiner Kameraden. Johnson bekam währenddessen das Ziel ins Visier.
„Ridley, Raketen!" Er sollte mit seinen Bomben sparsam umgehen. Dieses Konstrukt würde einer gut platzierten Rakete nicht widerstehen können. Die Rakete erfasste sofort ihr Ziel und der Klang der Aufschaltung füllte das Cockpit aus.
„Aufgeschaltet!" schrie Johnson und presste den Auslöser. Über ihnen explodierte fast gleichzeitig irgendetwas.
„Weiß 7 hier, ich kann sie nicht kontrollieren!" rief ein Pilot der Erusea, während seine Maschine als brennender Feuerball in Richtung Berge stürzte. Noch bevor die Maschine auf der Erde aufschlug, traf die Rakete die letzte Radarkuppel und explodierte. Die riesige Kuppel detonierte in einem prächtigen Spektakel. Sofort riss Johnson die Maschine zur Seite und ließ sie nach Backbord abkippen.
„Ziel von Mobius 1 vernichtet!" rief einer seiner Kameraden aufgeregt. Der Feind hatte auch bemerkt, dass da etwas nicht stimmte.
„Shezna Radaranlage 1 ist verstummt." Blieb nur noch eine Radarstation. Johnson brachte seine Maschine in Position und überprüfte den Zustand seiner Maschine. Alles war soweit in Ordnung und die Bewaffnung reichte noch aus.
„Pickt euch die Schwachen zuerst heraus!" rief einer der feindlichen Piloten. Dummerweise gab es da oben auf Seiten der ISAF keine Schwachen. Die Phantom raste jetzt über den großen Krater, den der kosmische Brocken damals gerissen hatte. Noch immer stiegen Dampfschwaden in die Höhe. Der Einschlag hatte die vulkanische Vergangenheit des Gebirgsmassivs wieder in die Gegenwart katapultiert. Es war ein beeindruckender Anblick.
„Mobius 1, im Flug über Krasinky's Krater." Himmelsauge wusste immer, wo man sich gerade befand.
„Johnson, Feinde!" rief Ridley von hinten. Und tatsächlich, da waren sie. Zwei Jäger der Erusea, eine Tigershark und eine F-16, kamen direkt auf die Phantom zu. Johnson umschloss den Steuerknüppel fester. Es war an der Zeit, die neuen Luftkampffähigkeiten der Phantom zu testen.
„Ridley, gib' mir die Luft-Luft-Raketen!" Der RIO schaltete den verbesserten Zielcomputer ein und die beiden Maschinen wurden zeitgleich anvisiert. Mehr als zwei Maschinen konnte er damit aber nicht bekämpfen. Die Raketen schalteten auf ihre Ziele auf.
„Banditen in Reichweite." Himmelsauges Stimme wurde von der Warnsirene übertönt. Hinzu kam noch das Signal, dass seine eigenen Raketen ihr Ziel erfasst hatten.
„Ziel aufgeschaltet!" rief er und presste den Auslöser. Die beiden Raketen lösten sich fauchend von der Phantom und rasten direkt auf die beiden Maschinen zu, die ihren Anflug abbrachen und flohen. Die F-16 versuchte steil nach oben zu entkommen. Doch sie war nicht schnell genug und hatte nicht genug Schubkraft.
„Ich kann nicht höher steigen!" schrie der Pilot. Die Rakete kam währenddessen unaufhaltsam näher. Er konnte nirgendwo hin und tat so das einzige, was er tun konnte: er stieg aus. Der Schleudersitz mit dem Piloten wurde weit genug weggetragen, als die Rakete die leere Maschine traf und in Stücke riss.
„Er hängt mir auf 6 Uhr!" schrie der andere Pilot, der sich für die andere Richtung entschieden hatte. Auch ihm folgte der Lenkflugkörper ohne Gnade, doch Johnson hatte keine Zeit für den Kerl.
„Lasst euch nicht von der Umgebung ablenken!" bemerkte einer seiner Kameraden. Er hatte ganz andere Probleme, wie Himmelsauge bestätigte.
„Bandit bestätigt auf Vektor 200, Radarbasis 2 auf Vektor 290, noch 8 Meilen." Der Feind kam direkt auf sie zu, doch Johnson hatte sein Ziel fest vor Augen.
„Festhalten!" schrie er und ließ die Maschine über die linke Tragfläche abkippen und gen Erde rasen. Knapp über dem Boden zog er sie wieder hoch und raste im Tiefflug über das Gelände.
„Großartig!" stöhnte Ridley im Hintergrund. Im Tiefflug durch das Gebirge war genau das, was der RIO mochte.
„Jetzt geht's los, das ist die echte Aktion!" rief Johnson und gab mehr Schub. Die Phantom donnerte voran und er tauchte tief in das Gelände hinein. Mit einer gewagten Rolle überflog er einen Gebirgskamm und kam auf der anderen Seite wieder hoch.
„Radarbasis 2 auf Vektor 320, noch 4 Meilen." Da war sie. Genau vor ihm. Der Gegner war hinter ihm und gerade mit den anderen ISAF-Maschinen beschäftigt.
„Ridley, Bomben!" Sofort wechselte der Zielcursor. Johnson ließ sich nicht wirklich Zeit um sorgfältig zu zielen. Er raste über die Basis und klinkte die Bombe mehr auf gut glück aus. Die Maschine raste über die Anlage hinweg und Johnson hatte keine Möglichkeit zu sehen, ob er getroffen hatte. Die Jubelschreie seiner Kameraden erledigten das für ihn.
„Gute Arbeit, Mobius 1!" rief einer der Piloten und ein weiterer setzte zu einem Jubelschrei an, der so laut war, dass man ihn auch ohne Funk gehört hätte.
„Yahoo! So geht's!" schrie der Pilot. Johnson kannte jedoch sein Ziel. Er zog die Maschine hoch und kippte sie nach rechts ab. Er flog eine enge Kehre und hielt dann wieder direkt auf die Basis zu.
„Raketen!" rief er und Ridley schaltete um. Der Lenkflugkörper hatte sofort sein Ziel erfasst. Die Rakete würde ihr Ziel treffen, hundertprozentig.
„Fox two!" rief Johnson und presste den Auslöser. Als die Rakete auf die Kuppel zuraste, wechselte er das Ziel auf die letzte Radarstation. Die Phantom raste direkt über die gewaltige Explosion der Konstruktion hinweg und flog eine enge Kehre.
„Ich hab' ihn am Arsch!" rief einer der ISAF-Piloten über ihnen. Johnson kümmerte es nicht. Er richtete die Maschine aus und raste direkt auf sein Ziel zu. Es war zu ende.
„Fox three!" Als die Kuppel in einer letzten, alles verzehrenden Explosion verging, brach Jubel über den Funk aus. Geschafft. Es war vollbracht. Johnson sackte erleichtert in seinen Sitz und lehnte sich zurück. Die feindlichen Maschinen flohen. Sie hatten wahrscheinlich kaum noch Treibstoff. Und ob sie es bis in ihr eigenes Territorium schaffen würden, war fraglich. Dennoch empfand Johnson kein Mitleid. Diese Kerle hatten ihm sein zu Hause genommen.
„Das Radar wurde vernichtet!" rief einer der gegnerischen Piloten über Funk. Damit war die Mission ein Erfolg und ihre Soldaten waren endlich sicher vor Nachstellungen des Feindes. Johnson ließ die Maschine aufsteigen und traf die anderen Maschinen der ISAF hoch über den Bergen. Im Hintergrund sah man den strahlend blauen Himmel. Es war wunderschön. Auf einmal war Johnson einen Blick auf das Photo vor sich und seufzte traurig.
„Ich wünschte, du könntest hier sein und das auch sehen." Rika lächelte ihn nur von dem Photo aus an, wie sie es immer tat.
„Hier Jägerstaffel, Mission erfüllt." Es klang irgendwie dumpf in seinen Ohren, was der andere Pilot sagte. Sein Kopf war plötzlich mit anderen Dingen gefüllt.
„Hier Himmelsauge. Zerstörung der Radaranlagen bestätigt. Alle Flugzeuge gehen auf Vektor 180 Richtung Süden." Johnson hörte nicht mehr hin. Er war in Gedanken ganz wo anders. Er brachte die Phantom auf Kurs und aktivierte den Autopiloten, ehe er sich zurücklehnte und nachdachte. Seine Gedanken drehten sich um Rika. Ob sie noch lebte? Er hoffte es. Wenn ihr etwas zugestoßen wäre, würde er sich das nie verzeihen können. Nach einer ganzen Weile des Fluges brüllte auf einmal Ridley hinter ihm los.
„ACH, VERDAMMT!" schrie er aus voller Kehle. Johnson erlitt fast einen Herzinfarkt. Er drehte sich um und sah seinen RIO entsetzt an.
„Was ist los?" fragte er panisch. Ridley schaute säuerlich zu ihm hinüber. Anscheinend schien ihn irgendetwas aufzuregen.
„Ein Monatsgehalt…einen verdammten Monatsgehalt!" Er schüttelte den Kopf und fluchte vor sich hin.
„Diese Dreckskerle haben mich abgezockt! Haben gesagt, sie wären Anfänger und haben mich dann abgezogen! Blöde Dreckskerle!" Johnson brauchte ein paar Augenblicke, bis er begriff, was da vor sich ging.
„Warte…" begann er. „…willst du sagen, du hast beim Glücksspiel verloren?" fragte er. Ridley lief rot an.
„Also, erstens ist es kein Glücksspiel…Black Jack besitzt ein System. Und zweitens hab' ich nicht verloren, ich wurde reingelegt! Und zwar weil…" Innerlich stöhnte Johnson. Ridley war wieder da. Und das war kein Geschenk.
Mit ihrem Radar außer Betrief war die Kontrolle des feindlichen Oberkommandos stark eingeschränkt. Die Evakuierung und die Neuformierung konnten mit schnellen Schritten fortgeführt werden. Im Nachhinein war es diese Operation, die den ersten Schritt der ISAF zum ihrem Gegenschlag führte.
Der Rückflug war mindestens so unspektakulär wie der Hinflug gewesen, wenn auch deutlich kürzer. Unterwegs musste sich Johnsons Ridleys ständiges Gejammer anhören. Er war wieder kurz davor, den Schleudersitz des RIO's zu zünden, als ihr Ziel in Sicht kam.
„Fort Grace, hier ISAF Flug 118, Mobius 1. Ich nähere mich auf Vektor 360. Erbitte Landeerlaubnis." Es dauerte nur einen kleinen Augenblick, ehe die Flugkontrolle antwortete.
„Mobius 1, hier spricht der ISAF-Träger Fort Grace. Wir haben sie auf dem Schirm und heißen sie an Bord willkommen. Sie haben Freigabe zur Landung." Johnson atmete tief ein. Dies war seine erste Trägerlandung. Der erste Versuch war ja gescheitert, als die andere Maschine auf dem Flugdeck der St. Ark aufgeschlagen war. Er wollte der Fort Grace dieses Schicksal wenn möglich ersparen. Tatsächlich war es eine Bilderbuchlandung. Die Maschine setzte sanft auf und wurde sofort vom Seil festgehalten. Das Flugdeckpersonal leitete die Phantom zu ihrer Parkposition. Seine Maschine verblieb auf dem Deck und wurde nicht zur Hebebühne gebracht. Als die Maschine stand, öffnete er die Verriegelung der Cockpitkanzel und wartete, bis ein Mann von der Bodencrew eine Trittleiter heran geschoben hatte. Der Mann nahm ihm seinen Helm ab und half ihm aus dem Flugzeug. Hinter ihm erging es Ridley genauso. Der Mechaniker beugte sich zu ihm herüber und schrie ihm etwas über den Lärm des Trägerdecks zu.
„Lieutenant, der Captain will sie auf der Brücke sprechen!" Johnson runzelte die Stirn. Wieso wollte der Captain der Fort Grace gerade ihn sprechen? Er war doch nur auf der Durchreise. Oder hatte es etwa schon wieder eine Änderung des Plans gegeben? Er nickte und schrie etwas zurück.
„Natürlich, ich warte nur auf meinen RIO." Doch der Mann schüttelte den Kopf und deutete auf den Brückenaufbau des Trägers.
„Tut mir Leid, Sir. Aber der will nur mit ihnen alleine sprechen. Ihr RIO ist da außen vor." Johnson sah nach hinten zu Ridley, der noch nicht ausgestiegen war. Das gefiel ihm nicht. Er fühlte sich irgendwie wie das Schlachtvieh, das zu seinem Henker geführt wurde. Doch dann nickte er schließlich.
„Also gut, führen sie mich hin." Der Mechaniker nickte eifrig und deutete in Richtung des Brückenaufbaus.
„Bitte hier entlang, Sir!" Johnson folgte dem Mechaniker bis zum Brückenaufbau, wo bereits ein Marineinfanterist stand, der zackig vor Johnson salutierte. Der Pilot erwiderte den Gruß.
„Bitte folgen sie mir, Sir!" rief der Soldat schneidig. Johnson sah dem Soldatem verwundert hinterher. Anscheinend war er für alle ein Vorgesetzter, auch wenn er sich nicht so fühlte. Er folgte dem Soldaten in das Schiff, die engen Gänge entlang. Auch wenn dieser schwimmende Flughafen von außen gewaltige Ausmaße besaß, so war er im Inneren doch unglaublich eng. Die Leute, die an ihnen vorbeikamen, mussten sich an der Wand entlang quetschen. Dabei brüllte der Marineinfanterist, seines Zeichens Master Chief, alle Manschafter an, Johnson gefälligst aus dem Weg zu gehen. Er brauchte eine Weile, ehe er begriff, warum Der Soldat das tat. Er war der einzige Offizier unterwegs. Johnson fühlte sich daraufhin peinlich berührt. Der Soldat führte ihn direkt zur Brücke hinauf, wo die Besatzung ihrer Arbeit nachging. Inmitten des Durcheinanders aus Leuten stand ein Mann über den Kartentisch gebeugt und betrachtete ihn Stirn runzelnd. Seine grauen Haare waren kurz und standen im Kontrast zur dunklen Hautfarbe. Johnson runzelte die Stirn. Er kannte diesen Mann. Er hatte einmal einen Bericht über ihn gesehen. Soweit er wusste, war er der einzige Farbige, der je ein Trägerschiff kommandiert hatte. Johnson erinnerte sich auch an seinen Namen.
„Captain Timothy Clayton." Johnson zuckte überrascht zusammen, als der Mann aufsah und sich vorstellte. Er lächelte freundlich und sah den Piloten direkt an.
„Und sie müssen sicherlich 2nd Lieutenant Johnson sein, richtig?" fragte er. Johnson nickte kurz und musste schlucken. Woher kannte der Mann ihn? Auf einmal kam ihm das Gesicht seltsam vertraut vor.
„Mama?" fragte der sieben Jahre alte Daniel, als er aus dem Wohnzimmer kam. Er hatte gerade noch Samstagmorgen-Cartoons gesehen, als jemand an der Tür geklingelt hatte. Jemand, vermutlich seine Mutter, hatte die Tür geöffnet. Es war eine Weile still gewesen, ehe lautes Klagegeheul ertönt. Sofort war der Junge aufgesprungen und zur Tür getapst, nur seinen Pyjama am Leib. Jetzt stand er auf dem Flur.
„Mama?" fragte er erneut. Seine Mutter saß auf der Treppe, das Gesicht hinter ihren Händen vergraben, schluchzend und heulend. Neben ihr kniete ein Mann. Es war ein großer Mann mit dunkler Haut, der eine braune Uniform trug.
„Es tut mir sehr Leid…" sagte er mit tiefer, ruhiger Stimme. Sein Blick war traurig. Er hob den Kopf und sah Daniel, der Angst bekam und sich hinter einer Kommode versteckte.
„Hab' keine Angst, mein Junge." Der Mann lächelte freundlich, doch seine Augen waren noch immer traurig. Seine Mutter drehte sich um. Ihre Augen waren rot vom weinen. Sie sah ihren Jungen direkt an.
„Daniel, komm her." Sie winkte ihn zu sich. Zögerlich kam er näher, bis er bei ihr war. Sie nahm ihn in den Arm und drückte ihn fest an sich, so fest, dass er fast keine Luft mehr bekam.
„Mama, bitte…ich kriege keine Luft mehr!" rief er ängstlich. Sofort verringerte sie den Druck um ihn. Sie holte tief Luft und sah Daniel direkt in die Augen.
„Daniel, dieser Mann hier hat mir eben etwas gesagt…" Ihre Unterlippe zitterte und sie schüttelte den Kopf. Sie sprang auf und rannte die Treppe hoch.
„Ich kann das nicht, ich kann es ihm nicht sagen!" rief sie noch, als sie in ihr Schlafzimmer lief und die Tür hinter sich zuschlug.
„Mama?" fragte Daniel und wollte ihr gerade hinterher tapsen, als sich eine große, schwere Hand auf seine Schulter legte. Erschrocken drehte er sich um. Der Soldat schüttelte traurig den Kopf. Er kniete ab und sah Daniel direkt in die Augen.
„Besser du lässt sie jetzt alleine. Sie hat gerade etwas Schlimmes erfahren." Daniel verstand nicht. Der Mann sah den Jungen angestrengt an.
„Mein Name ist Lieutenant Commander Timothy Clayton. Ich bin ein Freund deines Vaters." Daniel runzelte die Stirn. Er erinnerte sich kaum an seinen Vater.
„Mein Junge, ich bin hier, weil etwas passiert ist." Er musste schwer schlucken. Es schien ihm unendlich schwer zu fallen, dem Jungen das zu sagen.
„Mein Sohn, dein Vater ist tot."
„Ich kenne sie." Johnson runzelte die Stirn. Jetzt wusste er es wieder. Er hatte diesen Mann schon einmal gesehen. Damals, vor vielen Jahren. Clayton sah den Piloten freundlich an.
„Allerdings. Mein Gott, sie sind aber gewachsen. Das letzte Mal, als ich sie gesehen habe, gingen sie mir gerade einmal bis zur Hüfte und sind mit einem Pyjama draußen herumgerannt." Gedämpftes Gelächter war auf der Brücke zu hören. Doch Johnson empfand das nicht zum Lachen.
„Ja…an diesem Tag haben sie mir gesagt, dass mein Vater gestorben war." Das Gelächter verstummte augenblicklich. Die Leute sahen beschämt zu Boden. Johnson verspürte eine gewisse Genugtuung. Früher wäre ihm das nie in den Sinn gekommen. Aber mittlerweile hatte er genug Leid erfahren müssen. Wenn jemand irgendetwas an seinem Leben komisch fand, dann gab Johnson demjenigen einen Grund, sein Verhalten zu bedauern. Captain Clayton nickte traurig den Kopf.
„Ja, allerdings…es war für uns alle ein schrecklicher Tag. Ganz besonders für ihre Familie. Auch ich habe an diesem Tag einen Freund und Kameraden verloren." Johnson runzelte die Stirn und sah den Captain verwundert an.
„Sie…kannten meinen Vater?" fragte er. Dann sah er sich um und bemerkte, wie die Blicke der Brückenbesatzung auf ihm ruhten. Es war ihm unangenehm, so im Rampenlicht zu stehen.
„Sir, ich bin mir nicht sicher, ob ich dieses Thema in aller Öffentlichkeit besprechen will." Captain Clayton nickte ernst.
„Natürlich, da haben sie vollkommen recht, Lieutenant. Wir sollten das Gespräch zu einem anderen Zeitpunkt fortsetzen. Es ist auch nicht der Grund, warum ich sie habe rufen lassen." Der Captain sah auf seine Armbanduhr.
„Ich möchte, dass sie heute um Punkt 18.00 Uhr im Haupthangar sind. Es gibt etwas, was wir besprechen müssen. Bis dahin schlage ich vor, dass sie ihr neues Quartier beziehen. Lassen sie es mich als erstes sagen: Willkommen in ihrem neuen zu Hause."
Als Johnson in das Quartier kam, traute er seinen Augen nicht. Er wusste nicht, was ihn mehr überraschte. Das grelle Disko-Licht, die laute Rock-Musik, die Poster von halbnackten Frauen an der Wand oder der riesige Kommando-Soldat, der in einem der beiden Betten lag, mit freien Oberkörper, einem Bier in der einen Hand, einem Hotdog in der anderen und einem Laptop auf dem Schoss, aus dem laut die Klänge irgendeines Action-Films mit viel Geballere kamen.
„Brooker!" rief Johnson überrascht. Brooker hob die Flasche zum Gruß und öffnete den Mund um etwas zu sagen, doch in dem Moment kämpfte sich eine enorme Gasblase ihren Weg nach oben.
„Hey BÖRP…'tschuldigung…hey, Dan! Nett, dich hier zu sehen! Dachte schon, du würdest nie kommen!" Johnson ließ einfach nur seine Reisetasche fallen, in der sein ganzer weltlicher Besitz war.
„Was machst du denn hier?" fragte der Pilot. Der Kommandosoldat zuckte nur mit den Schultern.
„Frag' mich nicht. Nachdem du und dein blöder Sidekick abgehauen seid, hat man mich in einen Helikopter geschmissen, zusammen mit unseren beiden Freunden mit den psychischen Problemen. Wir wurden hierher geflogen und sind seitdem auf der Fort Grace." Johnson runzelte die Stirn.
„Du weißt nicht, warum du hier bist?" fragte er. Brooker setzte sich auf. Er schmiss den Hotdog mit großem Geschick in den Mülleimer, der bereits überquoll, stellte den Laptop auf dem Boden ab und schwang sich aufrecht aufs Bett. Er vergrub sein Gesicht in beiden Händen und seufzte laut, dann nahm er einen tiefen Schluck aus seiner Bierflasche.
„Man hat mich meines Kommandos enthoben." Johnson sah seinen neuen Freund überrascht und entsetzt an.
„Aber…aber wieso?" fragte er. Brooker zuckte mit den Schultern und lächelte traurig. Er sah zum Piloten hinüber.
„Keine Ahnung…man hat mir nichts gesagt. Bisher hat nur ein ziemlich selbstbewusster Master Chief mir erklärt, dass ich heute 18.00 Uhr im Hangardeck sein soll. Dabei hab' ich doch nicht den blassesten Schimmer, wo dieser Hangar sein soll." Brooker seufzte und wirkte auf einmal sehr müde und erschöpft. Johnson bemerkte dies sofort.
„John…was ist los?" fragte er. Brooker sah ihn niedergeschlagen an. Anscheinend nagte irgendetwas an ihm.
„Es ist…" Er hielt inne und betrachtete seine freie Hand. „Hattest du schon einmal das Gefühl, das dir eine Sache entgleitet? Ich meine, dass sich alles gegen dich wendet, irgendeine höhere Macht dein Schicksal in die Hände nimmt und dich wie einen Spielball durch die Gegend schleudert?" Johnson hob seine Tasche auf und war sie auf das leere Bett. Er folgte seiner Tasche und setzte sich aufrecht Brooker gegenüber.
„Als die Erusea in meine Heimatstadt einmarschierten…da war es, als würde meine Welt in sich zusammenstürzen. Innerhalb weniger Stunden wurde mein Weltbild auf den Kopf gestellt. Ich kannte Krieg nur aus den Nachrichten, wie er in weit entfernten Ländern stattfand. Es war nur eine abstrakte Idee. Und dann traf er meine Heimat wie eine Dampframme einen Kolben." Er sah auf seine Hände.
„Ich war unfähig…zu handeln…zu reagieren…auch nur zu denken. Ich weiß nicht, ob ich einfach nur verängstigt war. Am Ende des Tages war jedenfalls alles, was ich kannte, mochte und liebte verschwunden oder ausgelöscht." Brooker sah seinen Freund mitfühlend an.
„Wie hast du das ausgehalten…ich meine…" Er schüttelte den Kopf. „Ich komme aus North Point. Meine Familie lebt dort. Wenn ich nicht wüsste, dass sie in Sicherheit ist, könnte ich keinen klaren Gedanken fassen. Wie schaffst du es, trotzdem zu kämpfen?" Johnson zuckte mit den Schultern.
„Ich…ich weiß nicht genau. Vielleicht Hoffnung…" Brooker runzelte die Stirn. Wahrscheinlich hatte er mit einer anderen Antwort gerechnet, möglicherweise Rache. Doch so tief Johnson auch seine Gefühlswelt erforschte, Rache war kein übergeordnetes Verlangen.
„Hoffnung…wie meinst du das?" fragte Brooker. Johnson lehnte sich zurück und strich sich mit der Hand durch die Haare. Das war gar nicht so einfach zu erklären.
„Hoffnung…nun ja…es gibt einige Dinge, die ich noch erleben möchte. Als ich meine Stadt verlassen musste, brannten hinter mir die Feuer der Apokalypse. Ich will meine Stadt noch einmal sehen, so wie ich sie kenne. Bevor die Erusea bei uns einmarschiert sind. Ich will meine Familie wieder treffen, meine Freunde, meine…" Er verstummte beim Gedanken an Rika. Hoffentlich ging es ihr gut. Hoffentlich war sie am Leben. Brooker nickte ernst, ehe er etwas sagte.
„Manchmal vergesse ich, dass andere in diesem Krieg viel mehr verloren haben als wir in North Point. Es tut mir leid…" Johnson zuckte mit den Schultern.
„Schon gut…es…es ist nun einmal so wie es ist. Ich hatte Glück im Unglück. Immerhin hat man mir die Möglichkeit gegeben, gegen diesen Feind zu kämpfen." Brooker sah auf die Digitaluhr an der Wand.
„Wo wir bei der 1-Millionen-Dollar-Frage wären…was machen wir hier?" fragte sich der Soldat laut. Johnson sah ebenfalls auf die Uhr.
„Was immer es auch ist…wir werden es bald erfahren."
„Da triff mich doch der Schlag beim Scheißen!" rief Brooker überrascht aus. Johnson hätte es zwar anders ausgedrückt, aber im Großen und Ganzen deckten sich ihre beiden Aussagen. Der Hangar war neben dem Startdeck wohl der wichtigste Teil des Flugzeugträgers. Normalerweise war er gefüllt mit unzähligen Flugzeugen, Waffen und Ersatzteile. Hier wurden ständig irgendwo Flugzeuge gewartet, Dinge repariert und Dämpfe inhaliert. Letzteres eher unfreiwillig. Doch das Hangardeck war alles andere als üblich. Man hatte fast alle Maschinen weggeschafft. Lediglich ein paar Maschinen standen im Hangar, festlich positioniert. In der Mitte des riesigen Decks stand seine Phantom. Sofort fiel ihm eine Veränderung an der Maschine auf. Die Lackierung war wieder so, wie er die Maschine empfangen hatte, ein blauer Rumpf mit einer grauen Unterseite. Auf dem Seitenruder prangte sein Abzeichen, allerdings in leicht veränderter Form. Das Abzeichen war jetzt in einem leichten Blau gehalten, unter ihm stand die Bezeichnung.
„118. Jägergeschwader. Mobius-Staffel." Johnson murmelte die Worte leise. Dann fiel ihm die große Zahl unter dem Cockpit auf. Es war eine Eins. Er ging zu der Maschine und strich über die Zahl. Direkt darüber war das Cockpit. Unter dem Kanzeldach war sein Name aufgeschrieben. Dahinter der von Ridley. Dann fiel sein Blick auf die Maschinen links und rechts von ihm. Es waren eine F/A-18 C und eine F-14 TomCat. Beide trugen ebenfalls das Abzeichen, allerdings in leicht veränderter Form. Ihre Abzeichen waren jeweils in einem Grauton gehalten. Lediglich die Hornet trug ebenfalls eine Ziffer, eine Zwei. Die TomCat hingegen nicht. Im Hintergrund standen noch weitere Flugzeuge. Das eine war eine Raffale. Auch sie trug das Abzeichen. Unter ihrem Cockpit war eine große Vier. Neben der Raffale standen noch zwei weitere Flugzeuge, die allerdings mit einer Plane abgedeckt worden waren. Was auch immer das für Maschinen waren, sie waren unglaublich niedrig. Er konnte keine Höhenruder erkennen, die die Plane nach oben drückten. Johnson runzelte die Stirn und wollte gerade zu den abgedeckten Maschinen gehen, als weitere Leute in den Hangar strömten. Er drehte sich um und sah die Neuankömmlinge an. Es war Captain Clayton. Und eine blonde Frau. Johnson runzelte die Stirn. Das konnte doch nicht…
„Ah, Lieutenant! Captain Brooker! Schön, dass sie so pünktlich erschienen sind. Darf ich ihnen Lieutenant Commander Mendoza vorstellen?" Er deutete auf die Frau. Mendoza. Endlich kannte er ihren Namen. Die Frau lächelte freundlich und reichte erst Brooker und dann Johnson die Hand.
„Lieutenant Commander Charlize Mendoza. Erfreut sie kennen zu lernen." Johnson war äußerst zurückhaltend, doch Brooker schien ganz hin und weg zu sein von ihr.
„Captain John Brooker, sehr erfreut, Ma'am!" Mendoza nickte ihn zu, wandte seine Aufmerksamkeit dann aber wieder Johnson zu.
„Und sie müssen Lieutenant Daniel Johnson sein. Schön sie zu treffen. Ich habe schon einiges von ihnen und ihren Flugkünsten gehört." Johnson sah sie verwirrt an. Sie zwinkerte ihm zu und er begriff.
„Ja…ja…ich bin ebenfalls sehr erfreut, Ma'am." Er sah den Captain fragend an. Vielleicht würde er später erfahren, was Mendoza vorhatte.
„Captain, dürfte man erfahren, was wir hier sollen?" Er wusste, dass seine Frage unverblümt war. Brooker zuckte entsetzt zusammen, fest in dem Glauben, dass Clayton den Lieutenant erst einmal zurechtweisen würde. Doch Der Captain lächelte nur nachsichtig.
„Natürlich, Lieutenant. Deshalb sind sie hier. Ich will ihnen ihre Fragen beantworten. Aber als erstes würde ich sie gerne einige Dinge fragen, ehe ich ihnen Rede und Antwort stehe. Ich hoffe, das ist für sie in Ordnung." Johnson nickte zögerlich.
„Selbstverständlich, Sir. Ich weiß aber nicht, ob ich ihre Fragen auch beantworten kann." Clayton nickte leicht und betrachtete die Phantom.
„Lieutenant, sie kommen aus Comberth, richtig?" fragte er. Johnson nickte. Comberth war der Ort, wo er aufgewachsen war. Allerdings…
„Nun ja…" begann er. Brooker sah ihn verwundert an, während Mendoza interessiert zu ihm hinüber sah. Johnson zögerte einen Moment, ehe er neu ansetzte.
„…so ganz stimmt das nicht, Sir." Er seufzte leicht. „Geboren bin ich in North Point, der Heimat meines Vaters. Allerdings erinnere ich nicht daran. Ich war noch ein Baby, als meine Familie nach Comberth zog. Das ich aus North Point stamme, habe ich so gut wie möglich ignoriert." Brooker zog eine Augenbraue hoch.
„Warum das denn? Keinen Bock auf North Point?" fragte er und Johnson merkte, dass sein Freund sich angegriffen fühlte. Der Pilot lächelte traurig.
„Weißt du, wenn du in North Point lebst, dann ist das toll. Aber auch wenn du es wahrscheinlich nur ungern hörst…vor dem Krieg war North Point nicht sonderlich beliebt bei den anderen Nationen. Bevor die Erusea auf den Trichter gekommen sind, dem ganzen Kontinent den Krieg zu erklären, war die größte Sorge, was North Point schon wieder macht." Brooker sah Johnson verwirrt an. Anscheinend verstand er gar nichts. Der Captain nickte jedoch.
„Ja, das stimmt wohl. Wir hatten eine ziemlich kriegerische Vergangenheit. Einige Länder misstrauen uns noch immer. Es muss als Kind nicht gerade leicht gewesen sein. Und dann ausgerechnet in Comberth…" Johnson zuckte mit den Achseln.
„Naja, so schlimm war es auch nicht."
„Hau doch ab, da wo du hergekommen bist! Dreckiges North Point-Pack! Los, hau ab und töte doch ein paar Frauen und Kinder!" Daniel hatte diese Worte nicht zum ersten Mal gehört. Es hatte schon früher wehgetan, so behandelt zu werden. Aber nie war es so schlimm gewesen wie an jenem Tag. Er war 13 gewesen und frisch verliebt. Im Zentrum seiner Schwärmereien hatte Tina Bleach gestanden, die mit ihm in dieselbe Klasse ging. Warum er damals in sie verknallt gewesen war, daran erinnerte er sich nicht mehr. Allerdings war das auch unwichtig. Über zwei Monate lang hatte er versucht, an Tina heranzukommen. Er war schon immer ein schüchterner und introvertierter Junge gewesen. Verzweifelt hatte er auf einen Moment gewartet, in dem Tina nicht von den Unmengen ihrer Freundinnen umlagert wurden. Es war ja so klischeehaft. Er war nie einer der beliebten Schüler gewesen. Eher ein Außenseiter. Und ausgerechnet das beliebteste Mädchen in seiner Stufe hatte es ihm angetan. Als endlich der Moment gekommen war, hatte er sein Glück versucht.
„Was, wenn sie nein sagt?" hatte er seinen älteren Bruder David gefragt, der zur Antwort nur mit den Schultern gezuckt hatte.
„Dann weißt du wenigstens, woran du bist." Also hatte er seinen ganzen Mut zusammengenommen und war zu Tina gegangen. Sie hatte sein Flehen erhört. Es war für Daniel unglaublich gewesen. Wie in einem Höhenflug strotzte er nur so vor Selbstbewusstsein. Doch Hochmut kommt vor dem Fall. In diesem Fall war es sogar selbst verschuldet. Zwei Wochen später hatte er Streit mit einem Jungen aus der Parallelklasse. Daniel erinnerte sich nicht mehr an dessen Namen, nur das er ein absolutes Ekel gewesen war und behauptet hatte, dass alle Leute aus North Point feige waren und sich doch niemand von denen hertrauen würde. Es war nicht das erste Mal, dass Daniel sich geprügelt hatte, doch die Tatsache, dass er zuerst zugeschlagen hatte und das der Rektor ihn von der Schule verweisen wollte, sprach sich schnell herum. Sehr schnell. Als er am nächsten Tag zu der Geburtstagsfeier von Tina gegangen war, hatte sie ihn mit diesen Worten an der Tür empfangen und im wahrsten Sinne des Wortes in die Wüste geschickt. Erst an diesem Tag hatte er begriffen, dass er anders war.
Johnson schüttelte die Vergangenheit ab. Es war jetzt sowieso egal. Ob er nun in North Point geboren war oder nicht, änderte das Geschehene nicht. Er hatte daraus gelernt. So hatte er Rika nie etwas von seiner Herkunft erzählt. Als er die Schule gewechselt hatte, hatte er auch seine Vergangenheit gewechselt. Von diesem Zeitpunkt an war er in Comberth geboren worden. Punkt.
„So habe ich das noch nie gesehen…" murmelte Brooker und sah auf die Flagge der ISAF, die hinter den Maschinen an der Wand angebracht worden war.
„Der Eindruck, den wir auf andere gemacht haben, war mir eigentlich immer ziemlich egal gewesen. Es wäre wohl nicht weiter tragisch gewesen, wenn…" begann er seine Ausführungen, ehe der Captain sie weiterführte.
„…wenn sie jetzt nicht unsere Verbündeten wären. Da haben sie Recht, Captain. Ich habe mich auch oft gefragt, was passiert wäre, wenn Erusea nicht den Krieg begonnen hätte. Und in mehr als nur einem Horrorszenario sehe ich uns an der Stelle der Erusea. Wir waren auf dem besten Weg selbst zu Despoten zu werden. Jetzt müssen wir für unsere Freiheit und die aller anderen Nationen Useas kämpfen. Schon seltsam, wie einem das Schicksal manchmal mitspielt, nicht wahr?" fragte er Johnson, der nur nickte. Captain Clayton sah auf seine Uhr und runzelte die Stirn.
„Sie sind spät dran…" murmelte er. Johnson wollte gerade fragen, wen der Captain meinte, als hinter ihnen ein Schott aufging und einige Personen hereinströmten. Es waren insgesamt sieben Personen. Vier Piloten und drei Marines. Zwei der Piloten kannte Johnson nicht. Das eine war ein Mann mittlerer Größe, schlank und drahtig. Sein Gesicht war vom Wetter und vom Leben bereits gezeichnet. Er war sicherlich um die 40. Seine Bewegungen wirkten ruhig, überlegt und absolut sicher. Der andere Pilot war eine Frau. Sie war ein Stück größer als der Mann, hatte lange, blonde Haare, die sie zu vielen Zöpfen geflochten hatte. Am auffälligsten waren ihre grünen Augen, die wie Smaragde funkelten. Die anderen beiden Personen erklärten zumindest die drei Marines, die sie begleiteten. Jedoch entzog sich Johnsons Verstand, warum die beiden hier waren. Dasselbe galt wohl für Brooker.
„Was zur Hölle wollen denn die beiden hier!" rief er überrascht. Johnson hätte es nicht besser ausdrücken können. John Keith und Joan Lee. Der Captain sah erst Brooker, dann Johnson an und runzelte die Stirn.
„Sie kennen sich bereits?" fragte er verwundert. Johnson nickte und deutete auf die beiden Personen, die andere Fliegeranzüge trugen.
„Keith und Lee…die beiden haben Brookers Flug zurück nach Allenfort begleitet, ich und mein RIO waren diejenigen, die sie abgefangen und dorthin begleitet haben." Johnson verkniff sich jedoch den Kommentar, dass die beiden äußerst unkooperativ gewesen waren. Das erledigte Brooker für ihn.
„Die beiden haben sich benommen wie die Axt im Walde. Dan und ich mussten die beiden mit Waffengewalt davon überzeugen, keinen Ärger zu machen." Er sah den Captain an und nickte in die Richtung der Gruppe, die auf sie zukam.
„Was sollen die beiden hier. Ich will nicht undankbar sein, ohne Keith und Lee wäre ich schon längst tot. Aber die beiden sind psychisch labil und sollten keines Falls auf einem Kriegsschiff sein. Ein Krankenhaus ist im Moment die einzig wirkliche Lösung, wo sie sich erholen können." Johnson musste Brooker in dem Punkt zustimmen. Der Captain lächelte nachsichtig.
„Sie haben sicherlich Recht, was den Zustand der beiden angeht. Unglücklicherweise haben wir nicht mehr allzu viele erfahrene Piloten. Deshalb brauchen wir jeden Mann und jede Frau, die wir bekommen können." Johnson traute seinen Ohren nicht. Er sah den Captain ungläubig an. Das konnte nicht sein ernst sein!
„Sir, wollen sie etwa sagen, dass sie die beiden wieder fliegen lassen wollen?" fragte er entsetzt. Der Captain sah ihn an, als wäre nichts dabei. Die Neuankömmlinge erreichten die kleine Gruppe und sie salutierten zackig vorm Captain, mit Ausnahme von Keith und Lee.
„Captain, Lieutenant Commander Hagendorff, melde mich mit drei Kameraden wie befohlen." Der Captain erwiderte den Gruß und rechte dann nacheinander erst Hagendorff und dann der Frau die Hand. Er reichte sie auch Keith und Lee, doch die beiden sahen ihm nur misstrauisch entgegen.
„Tja…dann will ich sie miteinander bekannt machen und den Grund für ihre Anwesenheit erklären." Er deutete auf Johnson.
„Second Lieutenant Johnson, dies sind ihre neuen Staffelmitglieder." Er deutete auf den kleineren Mann.
„Lieutenant Commander Erik Hagendorff, ehemaliges Mitglied der Kelvec-Luftwaffe." Der Mann lächelte freundlich und reichte Johnson die Hand. Er hatte einen festen Händedruck.
„Oldschool." Johnson runzelte die Stirn. Was hatte Hagendorff damit gemeint? Er wollte gerade fragen, als der Captain schon auf die Frau neben Hagendorff zeigte.
„Captain Maria Novalis, North Point Air Force." Auch sie reichte Johnson die Hand. Sie lächelte höflich, während ihre grünen Augen Johnson intensiv musterten.
„Freut mich, sie kennen zu lernen." Dann deutete der Captain auf die beiden anderen Piloten, die teilnahmslos dastanden.
„Und Captain John Brooker und 1st Lieutenant Joan Lee kennen sie ja bereits." Die beiden würdigten ihn keines Blickes. Johnson sah den Captain verwirrt an.
„Staffelmitglieder?" fragte er. Clayton nickte und deutete auf die Maschinen hinter ihm. Erst jetzt fiel Johnson auf, dass unter dem Cockpit der F-18 Hagendorff's Name stand. Er sah den Captain mit einem Ausdruck absoluter Verwirrung an.
„Sir, ich glaube,ich verstehe nicht." Clayton lächelte erneut nachsichtig. Er deutete auf das Symbol der Mobius-Staffel.
„Das ist nicht weiter verwunderlich. Dieser Plan wurde von ein paar Typen im GHQ ausgeheckt. Sagen sie, wissen sie etwas über die Staffel Gelb?" fragte Clayton. Johnson nickte langsam. Das sagte ihm wirklich etwas.
„Staffel Gelb…das ist doch eine Elite-Einheit der Erusea, oder?" Clayton nickte. Er wandte sich den ISAF-Maschinen zu, während er weiter sprach.
„Staffel Gelb ist seit Anfang des Krieges an vorderster Front in Einsatz. Sie hat an den heftigsten Luftschlachten teilgenommen und wo immer sie auftauchen, fallen unsere Leute wie die Fliegen. Es ist schwer, es zuzugeben…aber die Piloten der Staffel Gelb sind besser als alles, was wir momentan in die Luft bekommen." Er seufzte traurig.
„Ich selbst musste über Funk mit anhören, wie sie über zwei Staffeln unserer Piloten hergefallen sind wie Wölfe über eine Herde Schafe." Er sah Johnson direkt in die Augen.
„Es war an dem Tag, an dem wir auf dem Weg nach Comberth waren, um eine Drohkulisse aufzubauen. Unglücklicherweise war es auch der Tag des Einmarsches der Erusea." Johnson sah den Captain überrascht an.
„Die ISAF…war auf dem Weg um uns zu helfen?" Der Captain schüttelte den Kopf. Er deutete auf die Flagge von North Point.
„Das war eine eigenmächtige Operation. Es war bevor das GHQ nach North Point verlegt wurde. Wir sahen uns gezwungen zu handeln. Leider zu spät. Unsere Flugzeuge sollten der Stadt zur Hilfe kommen, doch daraus wurde nichts. Im Gegenteil, sie wurden von einer einzigen Einheit der Erusea abgefangen und gnadenlos vernichtet, noch bevor sie die Stadt erreichten." Der Captain schwieg einen Moment, ehe er leise etwas hinzufügte.
„Mein Neffe verlor in dieser Schlacht ebenfalls sein Leben…" Seine Stimme war leise, doch Johnson konnte den Schmerz heraushören. Der Captain schwieg einen Moment, ehe er sich aufraffte und zu den Piloten sah.
„Eines darf man allerdings auf keinen Fall außer Acht lassen. Staffel Gelb stellt für die Erusea eine unglaublich wichtige moralische Stütze dar. Für die Erusea sind es Helden und solange sie den Himmel bevölkert, werden sie an ihren Sieg glauben. Die Staffel wird von einem Mythos der Unbesiegbarkeit umgeben und das feindliche Oberkommando tut alles in seiner Macht um diesem Mythos mehr Nahrung zu geben. Meine Damen und Herren, das ist unserer Feind. Ein Feind, den wir nicht mit Waffen oder Material besiegen können. Es ist ein Feind, den wir nur besiegen können, indem wir ihm einen ebenso großen Mythos entgegensetzen." Er deutete auf die Phantom hinter ihnen.
„Hier beginnt der Gegenangriff, meine Damen und Herren. Ab diesem Zeitpunkt werden wir den Erusea ihre Grenzen aufzeigen. Sie wurden ausgewählt, um die neue Elite-Staffel der ISAF zu bilden. Ihr Auftrag: nichts Geringeres als den Gegner überall zu schlagen, wo sie auf ihn treffen. Dies ist ihr Auftrag." Er richtete seine Aufmerksamkeit ganz auf Johnson und die nächsten Worte sollten ihm noch lange in Erinnerung bleiben.
„Und wir beginnen mit der Befreiung von Comberth Harbour."
