Weihnachten war gerade vorüber, und somit gehörten auch die sonstigen Gaumenfreuden, die Dumbledore den armen zurückgebliebenen Schülern vorsetzte, mehr oder weniger der Vergangenheit an und wichen vorübergehend dem normalen Essen - was in Harrys Fall immer noch weitaus besser war als das, was er in seinem "Zuhause" vorgesetzt bekam.
Aber trotz der mehr als reichhaltigen Auswahl aß Harry verflixt wenig, so wenig, dass es sogar dem nicht unbedingt für seine Aufmerksamkeit bekannten Ron auffiel.
"Eh, Harry?" fragte er vorsichtig, "ist alles in Ordnung?"
Harry hob zerstreut den Kopf und sah verwirrt in das Gesicht seines besten Freundes. Dieser warf einen bezeichnenden Blick auf Harrys Teller - der Hühnchenschenkel, den er sich genommen hatte, war zwar in tausend kleine Fetzen zerhackstückt worden, aber kein einziger Bissen war gegessen worden. Und seit geraumer Zeit hatte Harrys Messer einfach nur noch stumpfsinnig in den Knochen hineingeschnitten, indem es immer noch stak.
Eine hauchfeine Röte überzog sein Gesicht.
"Klar", erwiderte er und zwang sich zu einem beruhigenden Lächeln, "alles bestens." Und wie zum Beweis steckte er sich eine Gabel voll Essen in den Mund, auf der er dann geschlagene 10 Minuten herumkaute. Ron und Hermine tauschten skeptische Blicke.
Harry registrierte es nicht. Seine Gedanken waren auch ganz woanders. Hatte er doch vor zwei Tagen am Weihnachtsmorgen ein Päckchen bekommen, anonym, indem ein schlichtes schwarzes Lederarmband lag. Harry hatte es auf alle möglichen erdenklichen Flüche getestet, doch es blieb einfach nur ein schwarzes, harmloses Lederarmband ohne Absender, ohne irgendeinen Gruß, und seither hing es an Harrys rechtem Handgelenk.
Es war nicht so, dass Harry in letzter Zeit besonderen Gefallen an Schmuck gefunden hätte und es sich deshalb umbindete. Oder, weil er sich mit dem Geschenk - das ja augenscheinlich von einer heimlichen Verehrerin stammte - brüsten wollte. Dazu wäre es im Übrigen auch viel zu unauffällig gewesen, hatten doch sogar Ron und Hermine nichts von der Veränderung bemerkt.
Nein, viel mehr hatte er das Gefühl, dass dieses Band irgendwie wichtig für ihn war. Und er genoß das Gefühl des kühlen Leders auf seiner Haut.
Und, zugegebenermaßen, immer wenn sein Blick darauf fiel fühlte er sich ungewollt geschmeichelt.
Jemand hatte sich ganz offensichtlich große Mühe gegeben und etwas gekauft, dass zu Harry passte und nicht nur dem Käufer gefiel.
Aber die bohrende Frage blieb: Wer?
Wer hatte Harry das kleine Päckchen geschickt, dass Hedwig urplötzlich, als Ron und Hermine bereits verschwunden waren, zu ihm gebracht hatte?
Gedankenverloren schweifte sein Blick durch den Saal und er sah nacheinander alle verbleibenden Schüler an, da das Geschenk ja nur von einem von ihnen kommen konnte.
Da wären Parvati und Lavendar, Cho mit ihren ewig kichernden Freunden am Ravenclaw-Tisch, Colin mit seinem kleinen Bruder, ein paar ihm unbekannte Hufflepuffs aus dem vierten Jahr - und dann noch, wie er genervt registrierte, Malfoy und sein bulliger Anhang in Form von Crabbe und Goyle. Keiner von ihnen beachtete Harry auch nur im Geringsten - nur Malfoy sah gerade herüber, als Harry seinen Blick auf ihn fallen ließ, und schenkte Harry ein sarkastisches Grinsen.
Brüsk wandte Harry den Kopf ab. Was er jetzt wirklich nicht gebrauchen konnte war ein stänkernder Malfoy, der ihm unter die Nase rieb was er für teure Geschenke von seinen schnöseligen Verwandten bekommen hatte. Da waren Harry sogar Onkel Vernons alte Socken lieber. Er warf den Mädchen nochmals einen gedankenverlorenen Blick zu und beschloss dann, jeder von ihnen ein wenig mehr Aufmerksamkeit als sonst zu schenken. Auch wenn er kaum wirklich daran glauben konnte, dass Cho ihm dieses Band geschenkt hatte...
"Seid ihr fertig?" fragte er Hermine und Ron, die ihn mit einem halb besorgten, halb belustigten Blick musterten. "Ja", antworteten sie wie aus einem Munde, und die drei erhoben sich von ihrem Tisch und strebten auf den Ausgang zu.
An der Tür stießen sie auf Malfoy, Crabbe und Goyle, die wohl ebenfalls gerade gehen wollten. "Potter", sagte Malfoy gespielt überrascht, "du warst Weihnachten nicht zuhause? Wolltest du nicht zu den lieben Verwandten?" Crabbe und Goyle kicherten dümmlich im Chor, während Ron wütend die Fäuste ballte und zu einer hitzigen Antwort ansetzte. Harry brachte ihn mit einer Handbewegung zum Schweigen. "Und selber, Malfoy? Wollten deine Eltern lieber mit Voldemort feiern als mit dir?"
Malfoys fahles Gesicht wurde noch eine Spur fahler und er presste fest die Lippen aufeinander.
Triumphierend ließ Harry zuerst Ron und Hermine durch die Tür gehen und wollte ihnen gerade folgen, als sein rechtes Handgelenk von einer kühlen, verschwitzten Hand festgehalten wurde. Erschrocken sah Harry wieder auf.
Malfoy lächelte schwach.
"Nettes Bändchen, Potter." Damit ließ er Harry los, und dieser trat rasch aus der Tür, verwirrt über seinen sich beschleunigenden Herzschlag.
