Im Turm der Gryffindors ließ er sich erstmal mit einem erleichterten Seufzer in einen der großen Ohrensessel neben dem Kamin plumpsen und zwang sich zur Ruhe. Lächerlich, wegen Malfoy - ausgerechnet wegen dem - so in Aufregung zu geraten. Nun gut, dann hatte er eben das Band als erster bemerkt, was änderte das schon? Er wich den fragenden Blicken von Hermine und Ron aus und starrte das Porträt der fetten Dame an. Müssten nicht Parvati und Lavendar allmählich kommen? Er wollte mit seiner Befragung beginnen.
Als hätten sie seinen Gedanken gehört schwang in diesem Moment das Bild zur Seite und ließ die beiden sich unterhaltenden Mädchen ein. Sie verstummten unter dem penetranten Starren Harrys und warfen sich fragende Blicke zu. "Äh, Parvati?" fragte Harry, da er es für wahrscheinlicher hielt, dass seine ehemalige Tanzpartnerin ihm ein heimliches Geschenk machte als Rons Ex-Freundin, auch bekannt unter Lav-Lav, "könnte ich dich eine Sekunde sprechen!"
Die Schwarzhaarige sah ihn ein wenig verwirrt an, nickte dann aber. Harry stand auf und zog sie unter den skeptischen Blicken der Umstehenden in eine dunkle Ecke des Zimmers. "Ähm...", fing Harry an, und Parvati legte erwartungsvoll den Kopf schief, "ähm... hattest du ein schönes Weihnachten?" Die Inderin blinzelte ein paar Mal, anscheinend hatte sie wohl irgendetwas anderes erwartet. "Ja", antwortete sie sachlich, "es war sehr nett." Wieder sah sie ihm mit diesem "Und-jetzt"-Gesicht an, das Harry leicht verunsicherte. Ein wenig nervös fuhr er sich durch seine verwuschelten Haare. "Schöne Geschenke bekommen?"
Parvati seufzte innerlich. Zwar hatte sie immer gewusst, dass Harry ein wenig merkwürdig war - aber das er sie nun in die romantischste Ecke des Gemeinschaftsraums zerrte um sie dann über ihre Weihnachtsgeschenke auszufragen, dass überstieg sogar ihre Vorstellungen von Merkwürdigkeit. "Sicher", erwiderte sie daher, schon in einem weitaus weniger begeisterten Tonfall als zu Beginn des Gesprächs, "sehr schöne sogar."
Harry nickte und biss sich auf die Unterlippe. Irgendwie kam er nicht so gut voran. Er beschloss, ein wenig direkter zu sein. "Und hast du auch schöne Sachen verschenkt?"
Parvati kräuselte die Mundwinkel. "Ja, Harry", antwortete sie in einem sehr geduldigen Tonfall, fast so als würde sie mit einem kleinen Kind sprechen, "sehr schöne Dinge. Meine Familie hat sich sehr gefreut."
Harry beschlich das Gefühl, dass das Band vermutlich nicht von Parvati war. Trotzdem wagte er einen letzten Vorstoß. "Und, was hast du so verschenkt?"
Diesmal seufzte Parvati wirklich. "Meiner Schwester habe ich eine Kette geschenkt, meiner Mutter einen magischen Pfannenwender und mein Dad hat ein Buch über Quidditch im Mittelalter bekommen. War's das jetzt, Harry? Oder willst du auch noch wissen, was ich ihnen im nächsten Jahr schenken werde!"
Parvati war es eindeutig nicht gewesen, soviel war klar. Aber da er sich vor ihr jetzt sowieso schon bis auf die Knochen blamiert hatte, konnte er auch gleich bei ihr weitermachen und musste das ganze Dilemma nicht auch noch einmal bei Lavendar durchstehen. "Eine Frage hätte ich noch", warf er so ein und beobachtete nervös, wie Parvati sichtlich um Fassung bemüht ein schiefes Lächeln aufsetzte. "Ja?"
Er holte tief Luft. "Weißt du, was Lavendar so verschenkt hat?"
Parvati sprang empört auf. "Führst du eine Studie durch oder wieso quetscht du mich so über Geschenke aus! Sie hat ihren Eltern zusammen einen Gutschein über ein Wochenende in einem Wellness-Hotel geschenkt! Zufrieden!" Wütend stapfte sie aus dem Zimmer in Richtung der Mädchenschlafräume, und Lavendar folgte ihr mit einem "Böser-Harry"-Gesichtsausdruck, der ihn allerdings wenig störte. Die beiden waren es nicht gewesen, soviel war sicher.
Langsam kamen Ron und Hermine auf ihn zu. "Harry?" begann Hermine mit äußerst sanfter Stimme, völlig untypisch für sie, "ist alles ok mit dir? Du bist in letzter Zeit so.. abwesend."
Harry winkte ab. "Es ist nichts, keine Sorge."
Ron verzog das Gesicht. "Und wieso fragst du dann Parvati und Lavendar nach ihren Geschenken aus?"
Harry zuckte nur mit den Schultern. "Es hat mich interessiert."
"Komm schon, Harry", sagte Hermine wieder, "was ist es? Du benimmst dich ein wenig so wie damals mit Cho... Bist du wieder verliebt? Wer ist es?"
Sein Blick wandte sich mit plötzlicher Intensität auf ihr Gesicht. Sie hatte recht! Er benahm sich wirklich genauso trottelig wie damals... Aber er war ja nicht verliebt! In wen auch! Sein Blick glitt durch den Raum und blieb schließlich auf seinem Handgelenk haften. Er hatte plötzlich das starke Bedürfnis nach frischer Luft - und außerdem wollte er den bohrenden Augen Hermines entgehen.
"Ich muss raus", entschuldigte er sich knapp und verschwand durch das Porträt.
Ohne, dass er wirklich registrierte wohin ihn seine Füße führten ging - oder viel mehr rannte - er durch das Schloss, bis er schließlich mit erhitztem Gesicht bei der Eulerei stehen blieb. Schneeflocken stieben durch das Fenster herein und setzten sich hauchfein auf seinem Haar ab, woraufhin er mit einer ungeduldigen Geste seinen Kopf schüttelte - sowohl, um die himmlische Erfrischung loszuwerden, als auch um die empörten Ausrufe seiner besten Freunde zu vergessen.
In letzter Zeit stand er wirklich neben sich. Und alles nur wegen diesem dämlichen Band!
Er bedachte das unschuldige Leder mit einem wütenden Blick, seufzte dann und ging mit gemäßigteren Schritten zum Fenster. Der See lag unter ihm wie ein riesiger, grauer Spiegel - ein Grau, das ihn an irgendetwas erinnerte. Er runzelte die Stirn. An was?
"Potter", hörte er da plötzlich eine schnarrende Stimme hinter sich und er fuhr erschrocken herum, "was zur Hölle tust du hier?"
Draco Malfoy stand in der Tür, eine kleine Pergamentrolle in der Hand, die er schnell in seiner Robe versteckte als er bemerkte, dass Harrys Blick darauf fiel.
Harry blinzelte. "Ich wollte ein wenig ... bei meiner Eule sein", antwortete er lahm, nachdem er beschlossen hatte, dass die Antwort "frische Luft schnappen" oder "alleine sein" noch eine Spur dämlicher klangen als diese Ausrede.
Malfoy grinste ein typisches Malfoy-Grinsen. "Keine Lust mehr auf das Wiesel? Überaus verständlich!"
Harrys Augen verengten sich und funkelten gefährlich. "Und du, Malfoy! Was willst du hier?" Er warf einen bezeichnenden Blick auf den Ärmel, indem das unscheinbare Pergament verschwunden war. "Heimliche Post verschicken? Liebesbotschaften vielleicht? Und wegen deines nicht vorhandenen guten Aussehens und deines - wie soll ich sagen - unangenehmen Charakters willst du deine wahre Identität nicht preisgeben?"
Zu seiner Überraschung färbten sich Malfoys blasse Wangen rot. "Was weißt du schon, Potter", sagte er abfällig, schob sich an Harry vorbei und begann geschäftig in einem der Eulenfutterschälchen zu wühlen.
So leicht wollte Harry es ihm aber nicht machen, da er ihn nun schon einmal aus der Reserve gelockt hatte. "Ist das zu fassen - es stimmt tatsächlich! Du bist verliebt! Ich wusste gar nicht, dass Schlangen lieben können... Wer ist die Glückliche? Oder sollte ich lieber Unglückliche sagen!"
Malfoys Gesicht nahm eine noch tiefere Rotschattierung an. "Halt die Klappe, Potter", zischte er gefährlich und warf einen bitterbösen und - zu Harrys Überraschung - gleichzeitig tieftraurigen Blick auf den Schwarzhaarigen.
Dieser zuckte zurück. "Gut", sagte er in einem veränderten, fast sanften Ton, "ich gehe." Und dann, bevor er realisierte was er überhaupt tat, legte er für einen kurzen Augenblick seine rechte, mit dem Armband versehene Hand auf Malfoys, die sich inzwischen zu einer Faust geballt hatte. "... und ich werde nichts sagen."
Er fühlte Malfoys Verblüffung mehr als das er sie sah und verließ fast fluchtartig die Eulerei.
Was war bloß mit ihm los?
