Das fragte sich auch Malfoy, der noch immer Harrys warme Hand auf seinem Handrücken fühlen konnte. Sein Blick wurde weicher und ein schmales Lächeln erschien auf seinen Lippen. Langsam kramte er seinen Brief wieder heraus und rief eine der braunen Schuleulen. Seine eigene, pechschwarze Eule war für diesen Auftrag nicht geeignet. Lange starrte er das unscheinbare Papier an, bis er schließlich kellertief seufzte, den Brief zerknüllte und auf den Boden warf. Stattdessen befestigte er ein schwarzes Kästchen an der ihm hingestreckten Kralle, setzte die Eule zu den "Nächster Tag"-Eulen, drehte sich dann mit einem fast verbissenen Gesicht um und ging mit eckigen Schritten aus dem Raum.

Harry stürmte derweil atemlos zurück in den Turm der Gryffindors, indem Ron und Hermine immer noch - inzwischen gründlich verärgert - auf ihn warteten.

"Wo warst du?" heischte Hermine ihn an, als er aus dem Porträt trat.

Harry überlegte. Die Wahrheit - dass er über Malfoys Liebesleben geredet hatte - würde die beiden vermutlich so sehr schockieren, dass sie in eine nicht umkehrbare Lethargie fallen würden. "Bei Hedwig", sagte er schließlich, was streng genommen nicht mal eine Lüge war.

Hermine seufzte. "Was ist los mit dir, Harry? Du bist nicht mehr du selbst. Wieso musst du jetzt deine Eule besuchen, wenn irgendwas mit dir los ist? Früher hast du uns das erzählt." Sie warf einen Blick auf Ron und wartete wohl auf Zustimmung, doch der blickte starr auf seine in seinem Schoß gefalteten Hände. Anscheinend war ihm das Gespräch unangenehm.

"Es ist nichts", antwortete Harry in beruhigendem Ton und sah sie bittend an, "ich mag es nur nicht, so ausgequetscht zu werden." Seufzend ließ er sich in einem der Sessel nieder und atmete tief ein. "Und ich bin auch nicht verliebt", setzte er hinzu, während sein Herz plötzlich schneller schlug, "ich hatte nur eine anstrengende Zeit. Ihr wisst doch..." Er suchte nach Worten und fuhr sich mit der Hand durch sein Haar. "... Weihnachten ist nicht leicht für mich."

Verständnis blitzte in Hermines Augen auf. "Stimmt." Sie seufzte ebenfalls, stand dann aber auf und knuffte ihn aufmunternd in die Seite. "Aber jetzt hast du ja uns." Sie ging in Richtung der Mädchenschlafräume und ließ Ron und Harry zurück.

Diese sahen sich einen Moment lang schweigend an. "Das Band da", sagte Ron plötzlich, lupfte eine Augenbraue und deutete auf Harrys Handgelenk, "ist das neu?"

Harrys Gesichtsfarbe färbte sich in ein schillerndes Rot, das jede Tomate neidisch und jeden Rosenzüchter stolz gemacht hätte. Das Leder auf seiner Haut fühlte sich plötzlich heiß an und er kam sich merkwürdig ertappt vor. "Relativ", antwortete er ausweichend und versuchte vergeblich irgendwie sein Gesicht zu verbergen, sodass er nicht mehr wie eine Leuchtreklame aussah.

"Relativ?" hakte Ron nach und suchte Harrys Blick, "'relativ' ist relativ ungenau!"

Harry kratzte sich verlegen an der Nasenspitze. "Seit Weihnachten", bekannte er dann und sah Ron endlich direkt an, "und ich weiß nicht, von wem."

Ron riß verstehend die Augen auf. "Ach, deswegen... Deswegen diese komische Fragerei! Und das konntest du uns nicht früher sagen?" Sein Blick bohrte sich in den Harrys.

Dieser schluckte. "Ist doch nicht so wichtig, oder?"

Ron zog zweifelnd die Stirn kraus, sagte aber nichts mehr dazu. Viel wichtiger war ja: "Und, weißt du inzwischen, von wem das Band ist?"

Harry verzog das Gesicht. "Nein", antwortete er deutlich verstimmt, "keine Ahnung. Von Parvati oder Lavendar ist es auf jeden Fall nicht."

Ron kicherte leise. "Vielleicht ist es ja von Romilda Vane und mit einem Liebeszauber belegt, sodass sich der große Potter endlich in sie verliebt."

Harry warf ihm einen kühlen Blick zu. "Wohl kaum. Außerdem hab ich das Ding auf alle möglichen Flüche getestet."

Ron grinste immer noch. "Oder von Cho! Vielleicht hat sie inzwischen gelernt, nicht mehr beim Küssen zu Weinen... Oder von..." Ron brach in hysterisches Gelächter aus, "von Colin! Der hätte ja beinah einen Harry-Fan-Club gegründet!"

Harry schnaubte nur. "Wahrscheinlich von Malfoy, der seine heimliche Liebe zu mir entdeckt hat", spöttelte er, wobei sich seine Finger merkwürdigerweise um den Stoff seiner Robe krallten und sein Atem sich unwillkürlich beschleunigte.

"Oder von Goyle", erwiderte Ron japsend, "dann könntest du dich allerdings wirklich glücklich schätzen!"

Harry grinste schief. "Ich werde morgen mit Cho reden", nahm er sich vor, "dann wissen wir mehr."

Am nächsten Morgen beim Frühstück saßen die drei Gryffindors wieder in alter Eintracht beisammen, während Ron immer noch in sein Müsli kicherte sobald sein Blick in Richtung der Slytherin-Tische wanderte und Goyles stumpfsinniges Brüten bemerkte. Hermine gab es auf zu fragen, was ausgerechnet heute an ihm so lustig war und stellte Harry auch keine verfänglichen Fragen mehr über seinen Gemütszustand. Stattdessen vergrub sie ihre Nase in einem Buch über Quidditsch, was Ron ebenfalls sehr amüsierte - bis er herausfand, dass dieses Buch das Weihnachtsgeschenk Viktor Krums war.

Während sich die beiden anderen daraufhin zu streiten anfingen glitt Harrys Blick immer wieder zu Cho, die ihn komplett ignorierte. Er kräuselte die Lippen - wenn wirklich sie die anonyme Absenderin war, dann konnte sie ihr Interesse verdammt gut verbergen.

In diesem Moment flogen die Eulen in den Saal und überbrachten den Tagespropheten sowie einige verspätete Weihnachtsgeschenke. Zu Harrys Erstaunen landete auch eine kleine, zierliche Eule vor ihm und hielt ihm auffordernd ihre Kralle entgegen. Harry vergewisserte sich rasch, dass ihn niemand beobachtete und löste das kleine schwarze Kästchen von der Eule. Diese flatterte sofort davon und Harry sah ihr verwirrt hinterher.

Erst dann öffnete er das Kästchen.

Darin lag ein dünner Silberstreifen, der sich, als Harry ihn berührte, in die Luft erhob, auf Harrys Handgelenk zusteuerte und sich dann zielsicher um das Armband wand. Harry beobachtete das Geschehen fasziniert und lächelte, als sich das Silber schließlich entspannte und ein kompliziertes Muster auf dem Leder bildete. Ein weiteres Geschenk - und wieder ohne Absender! Aber es gefiel ihm, das konnte er nicht leugnen...

Er hob den Kopf und sah über die Tischreihen hinweg direkt in Draco Malfoys stahlgraue Augen, die ihn gespannt zu beobachten schienen. Malfoy lächelte ansatzweise und wandte dann den Kopf ab, Harry vollends in Verwirrung stürzend.

Denn dieser hatte gerade bemerkt, dass ihn das Silbergrau des Sees an Malfoys Augen erinnerte. Aber seit wann dachte er über Malfoys Augen nach!
Und seit wann lächelte Malfoy ihn an?
Und - was noch viel wichtiger war - seit wann dachte er über Malfoy, dass dieser wirklich ziemlich gut aussah wenn er lächelte!

Er stand ruckartig auf, sodass sein Stuhl nach hinten umkippte und rannte schier aus dem Saal, die verwunderten Blicke aller auf sich ziehend.