Kapitel 2/11


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2. Ahnungslose gibt es überall

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Zwei Tage später im Ministerium für Magie

Die Geschehnisse der vorletzten Nacht nahmen den größten Platz in der Presse ein. Schlagzeilen wie:

Diebstahl im Louvre, wertvolle Kunstgestände von Unbekannten gestohlen!

Verkohlte Überreste eines der Täter entdeckt!

Warum die Diebe die Mona Lisa verschonten!

und ähnliche lösten sich in der Muggelpresse ab. Selbst diverse Zeitungen der Zaubererwelt berichteten von den Ereignissen und titelten ähnlich.

Lang verschollenes Artefakt der Zauberwelt gestohlen!

hieß es in der Hexenwoche. Jedoch war nirgends zu lesen, dass es sich bei dem Artefakt um eine Kiste mit dem Namenszug "Rowena Ravenclaw" handelte.

"Ich verstehe nicht, warum niemand von uns wusste, welche Geheimnisse der Louvre in sich barg", schimpfte Cornelius Fudge. "Die Truhe der Rowena Ravenclaw! Warum wusste das hier niemand! Warum hat die Magische Vereinigung Französischer Zauberer nichts davon erwähnt!"

Seine Sekretärin, eine zierliche kleine Hexe mit großen braunen, scheuen Augen, zuckte verängstigt die Schultern. "Ich weiß es nicht, Herr Vizeminister?", stammelte sie.

Fudge warf ihr einen versöhnlichen Blick zu und meinte väterlich: "Das, meine Liebe, brauchen Sie gar nicht erst zu betonen. So und nun seien Sie ein lieben Kind und schreiben einen Brief an Dumbledore. Schließlich betrifft es Hogwarts, warum sollen wir uns damit abmühen? Beruhigen Sie wie immer die Reporter vom Tagespropheten und der Hexenwoche; wir arbeiten daran, stehen kurz vor Lösung des Falls und selbstverständlich wusste wir von Aufbewahrungsort des Artefaktes... etc. etc. bei weiteren Fragen sollen sie sich an Dumbledore wenden. Den Klitterer ignorieren Sie, wie immer, er ist der Mühe nicht wert."

"Ja Herr Vizeminister!", erwiderte die junge Hexe und verschwand.

Fudge war alleine im Büro und strich sich durch das perfekt gefönte Haar, das danach nicht mehr ganz so perfekt saß. Wer hat Interesse an einer alten Truhe? Auch wenn sie einer Hogwartsgründerin gehörte, ist mir das unbegreiflich, fragte er sich. Immer wieder kam er zum gleichen Schluss. Er hatte keine Ahnung. Innerhalb der nächsten fünf Minuten überzeugte er sich davon, dass auch seine direkte Vorgesetzte, Griselda Marchbanks, derzeitige Zaubereiministerin, auch nicht anders gehandelt hätte, als die Verantwortung in Dumbledores Hände zu legen. Zu dumm, dass sie auf Abenteuerurlaub war.

Suche Atlantis und erlebe ein Abenteuer auf Muggelart, dachte Fudge, schüttelte den Kopf und schwor sich, dass er, sollte er Zaubereiminister werden, alles besser machen würde.

Zur gleichen Zeit auf dem Landsitz der Malfoys in Wilthshire

"Lucius Malfoy! Wo bist du gewesen! Das ist jawohl eine Unverfrorenheit von dir, mich mit deinem Sohn alleine zu lassen! Der Junge fabriziert mit seiner Zauberei ein halbes Chaos und kein Vater da, der ihn in seine Schranken weist! Wo zum..."

Weiter kam Narzissa Malfoy, geborene Black, nicht. Ihr Gatte, den sie so schmerzlich vermisst hatte, stand dicht vor ihr, hob eine Augenbraue und sah nur verächtlich auf sie herab. Schließlich zischte er: "Aus dem Weg! Ich bin in der Bibliothek. Goyle! Bring sie da rein und dann kannst du gehen!"

Goyle gehorchte aus Gewohnheit. Er tat es, seit sie gemeinsam Hogwarts besucht hatten und zusammen im Haus des einzig "wahren" Zauberers unter den Gründern gelebt hatten; in dem Haus, das den Dunklen Lord hervorgebracht hatte, im Haus Salazar Slytherins. Und so schleppte Goyle die schwere Kiste in die Bibliothek. Schließlich verschwand er und ließ eine verwirrt dreinschauende Narzissa zurück, an deren ausladendem Rock ein zorniger, quengelnder Draco mit hochrotem Kopf hing. Der Junge weinte und machte einen Rabatz für zehn von seiner Sorte. Narzissa rang überfordert die Hände und übergab genervt ihren Sohn dem Kindermädchen.

Sie hatte Wichtigeres zu tun, als auf einen Zweijährigen aufzupassen. Schließlich erwartete man Gäste zum Tee.

Lucius dachte in seiner Bibliothek offenbar ähnlich. Er hatte sich eingeschlossen, den Umhang abgelegt und begutachtete nun seine neueste Errungenschaft. Die "Schatztruhe" der Rowena Ravenclaw sah bei Licht betrachtet keineswegs mehr so spektakulär aus, wie er anfangs vermutet hatte. Er suchte etwas ganz Bestimmtes, einen Hinweis auf einen Gegenstand, der einst in Händen eines weiteren Gründers gelegen hatte. Worum es sich bei diesem Gegenstand handelte, wusste er selbst noch nicht. Den ersten Tipp hatte er durch Zufall erhalten. Das frühe Kindermädchen hatte seinem verweichlichtem Sohn ein altes Kinderlied vorgesungen, das er selbst aus seinem Gedächtnis verbannt hatte.

Nervtötend, mehr fiel ihm zu dem Singsang dieser penetranten Hexe nicht ein. Nur einen Augenblick lang hatte er die Kontrolle über sich verloren und sie ausgerechnet in diesem Moment der Schwäche verflucht. Er hatte sie schlicht und einfach verstummen lassen; natürlich ein Unfall, der leider nicht mehr rückgängig zu machen war. Schließlich hatte er diese aufmüpfige Person doch noch entlassen müssen. Wie konnte man von einer stummen Kinderfrau erwarten, dass diese in der Lage sei sein Kind, seinen Erben zu erziehen. Das neue Kindermädchen war leicht zu lenken und recht attraktiv, eine nette Abwechslung zum immer griesgrämiger werdenden Gesichtsausdruck seiner Gattin, wie Lucius fand.

Lucius trank eine Tasse Tee und schlich grübelnd um die Truhe herum. Aber nichts, er war nicht einen Deut weiter gekommen. Die Kiste war noch immer geschlossen. Gestresst ließ er sich in einen Sessel fallen, nur um erschreckt wieder aufzuspringen. Er hatte etwas in seinem Rücken gespürt. Mit gerunzelter Stirn nahm er den Mantel von der Sessellehne und zog aus einer verborgenen Tasche die geschrumpfte Leinwand hervor.

"Dich habe ich total vergessen", murmelte er. Eigentlich wusste Lucius nicht mehr, warum er das Gemälde mitgenommen hatte. Was ihn nur dazu bewogen! Kurz entschlossen brachte er das Bildnis wieder in seine ursprüngliche Form und hielt es in die Höhe.

"Wingardium Leviosa!", flüsterte er. Die Leinwand schwebte in Richtung Fenster und verharrte in der Luft. Die Augen der Frau waren nach wie vor unbewegt, aber irgendetwas war anders. Hatte sie nicht zuvor das Kinn in die linke Hand geschmiegt? Wieso ruhte nun ihre Wange in ihrer rechten Hand? Lucius war irritiert. Er ließ das Bild fallen und wischte sich die Augen.

"Jetzt halluziniere ich schon!", schimpfte er leise. Er näherte sich dem Bild, als plötzlich...

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tbc