°
5. Ein verwegener Plan
°
Lucius hatte sich, seit er denken konnte, für Salazar Slytherin interessiert. Die Begeisterung kam zwar nicht von ungefähr, schließlich war die Familie Malfoy stets auf Reinblütigkeit bedacht und seit Generationen im Hause Slytherins, jedoch war Lucius mit einem Enthusiasmus der nahezu an Fanatismus grenzte, von allem angetan, was auch nur im Entferntesten mit ihm hätte zu tun haben können. Bestand auch nur der geringste Verdacht, dass Salazar seine Finger im Spiel hätte haben können, war seine Aufmerksamkeit geweckt.
Als vor nicht ganz fünf Jahren bei Sotheby ein alter Codex aus der zweiten Hälfte des 10. Jahrhunderts im Versteigerungskatalog auftauchte, hatte er ein gewisses Prickeln verspürt. Er war nach New York gereist, nur um einen Blick auf dieses ominöse Manuskript zu werfen und es eventuell in seine Hände zu bekommen. Schon der erste Blick auf das unscheinbare Buch hatte ihn davon überzeugt, dass mehr dahinter steckte. Es hatte förmlich nach ihm geschrieen. Lucius hatte so eine Ahnung gehabt, dass dieser Codex das lange verschollene Zauberbuch Salazars sein könnte, und sie hatte ihn nicht getäuscht. Wohlweislich hatte er sich bei der Versteigerung im Hintergrund gehalten, da er nicht auffallen wollte. Lucius wusste, dass die meisten Bieter sich kannten. Viele ersteigerten im Auftrage reicher Geldgeber oder spezieller Institutionen kleine und weniger kleine Kostbarkeiten. Die vermögenden Kunstliebhaber und Sammler blieben unerkannt, so vermieden sie unnötiges Interesse an ihrer Person.
Lucius beobachtete das Geschehen damals genau. Er erkannte, dass sich nur wenige für das einfach, und dennoch so einzigartige Buch interessierten. Den Zuschlag erhielt ein versierte, arrogant dreinschauender Anzugträger, der im Auftrage eines, wie er sagte, bibliophilen und sehr zurückgezogen lebenden Milliardärs die verschiedensten Codices ersteigerte.
Lucius hatte es geschafft, ihn kurz nach der Auktion in ein Gespräch zu verwickeln. Ein kleiner Imperiusfluch und der Mann gab bereitwillig das Buch aus der Hand. Malfoy hatte über das Leder gestrichen und Wärme gespürt. Gerade noch bevor sich der Einband verändern konnte, hatte er es mit leuchtenden Augen dem Käufer zurückgeben. Nach einem kurzen anregenden Gespräch hatte er aus dem Mann den Namen seines Auftraggebers herausbekommen.
Wieder zurück in England, hatte er seine Kontakte spielen lassen und dafür gesorgt, dass er stets wusste, was der Milliardär tat und wo er sich aufhielt. Lucius Malfoy war damals noch fest davon überzeugt, nach dem endgültigen Sieg des Dunklen Lords ohnehin in den Besitz des Manuskriptes zu gelangen.
Das Schicksal hatte es jedoch anders gemeint und der Sieg war in weite Ferne gerückt. Aber es lag nicht in Lucius' Natur zu resignieren. Er hatte die Überwachung des Milliardärs er nie eingestellt, erst nach dessen Tod vor knapp einem Jahr. So wusste er nun genau, wo sich das Zaubertränkebuch des Salazars befand, im Getty-Museum in Los Angeles Kalifornien.
Lucius schmunzelte, es würde ein Leichtes sein, das Manuskript zu stehlen, leichter, als den Dunklen Lord wieder zur alten Macht zurück zu verhelfen.
In weniger als einer Viertelstunde hatte Lucius Crabbe informiert. Er verzichtete darauf, Goyle noch einmal zu behelligen, zu deutlich war dessen Unfähigkeit gewesen. Rasch hatte er einen Transatlantikportschlüssel für zwei "organisiert". So stand seiner Reise nach Los Angelese nichts mehr im Wege.
"Du willst was?", entfuhr es Crabbe. Er war am späten Abend in Malfoy Mansion erschienen und hatte Lucius' Ausführungen in der Bibliothek aufmerksam gelauscht. "Moment! Nur, dass ich es auch begreife", begann der korpulente Mann. "Wir sollen nach Amerika, genauer gesagt nach New York per Transatlantikportal. Dann apparieren wir nach Los Angeles und brechen in eines der am besten bewachten und gesicherten Museen ein, um eine alte unwichtige Handschrift zu stehlen, die du haben willst, weil sie dir in deiner Sammlung fehlt?"
Lucius nickte knapp, schlug die Beine über einander und prostete Crabbe mit seinem Whiskeyglas zu. "Genau das werden wir tun. Zigarre?"
Er deutete auf den Humidor (1), aber Crabbe ignorierte die Einladung seines Gastgebers und mokierte sich weiter.
"Lucius! Beim Barte des Merlin! Du willst ins Getty-Museum einbrechen. Das wäre so als würdest du in den Tower von London einsteigen, nur um einen Blick auf die Kronjuwelen zu werfen, weil du außerhalb der Öffnungszeiten kommst. Das wird..."
"... ein Kinderspiel. Glaub mir", unterbrach Lucius Crabbe. Den Vergleich fand er zwar treffend, dennoch lächelte er darüber.
Crabbe schüttelte den Kopf, griff mit der plumpen Hand nach dem Cognacschwenker und stürzte den Inhalt in einem Zuge hinunter.
"Lucius, bei allem dir schuldigen Respekt. Du kannst nicht so ohne Weiteres ins Getty-Museum eindringen, die Vitrine finden, sie aufbrechen, das Manuskript an dich bringen und wieder zum Frühstück zu Hause sein. Das ist unmöglich."
Lucius warf dem Sprecher einen amüsierten Blick zu und erwiderte süffisant: "Unmöglich? Ich bin ein Malfoy, nichts ist mir unmöglich. Ich bekomme immer, was ich will."
Er erhob sich und schlenderte zum Sessel des Freundes. Mit beiden Händen stützte er sich auf der Rückenlehne ab und beugte sich vor. Leide flüsterte er in Crabbes Ohr: "Aber genauso wird es sein, denn anders als die lieben Europäer haben die Amerikaner keinen magischen Schutz. So wird es in der Tat einem Kinderspiel gleichen."
Crabbes Augen wurden groß. Von der Seite her musterte er mit leuchtenden Augen Lucius: "Du? Du warst das im Louvre? Du hast das Artefakt?" Seine Augen schienen deutlich zu fordern: Zeig es mir. Ich will es sehen! Aber Lucius tat, als verstünde er nicht. Stattdessen schlenderte er zum Schreibtisch und lehnte sich gegen die Platte.
"Vor etwa fünf Jahren hat mich ein ... sagen wir, Informant auf einen alten Codex aufmerksam gemacht, der bei Sotherby versteigert werden sollte. Ich war dabei. Ich habe ihn gesehen und sofort erkannt. Der Mann, der ihn ersteigert hat, starb vor knapp einem Jahr und hat seine gesamte umfassende Sammlung dem Getty-Museum vermacht. Mein Informant erzählte mir von der Arbeitsweise der Muggel und meinte, dass das Buch sicher noch unberührt und unbeschrieben in einem Tresorraum liegen würde. Also, wir finden den Tresorraum, bringen das Buch an uns und verschwinden. Niemand wird wissen, dass es gestohlen wurde, erst wenn sich die Muggel mit dem Nachlass beschäftigen. Dann werden die Spuren jedoch nicht mehr sichtbar sein. Was sagst du?", setzte Lucius nüchtern hinzu.
Doch Crabbe war noch immer nicht überzeugt. Es kribbelte zwar in seinen Finger, jedoch war Crabbe von Natur aus eher ein sehr vorsichtiger Mann. Feige würde er sich nicht nennen, vorsichtig passte eher zu seinem Verhalten, wie er glaubte. Er startete einen letzten Versuch, Lucius davon abzubringen: "Lucius, du kannst nicht..."
"Ich kann nicht? Was kann ich nicht! Ich bin ein Malfoy, ich kann alles. Und du wirst mir helfen. Oder soll ich dem Ministerium einen Hinweis geben, dass du und deine Frau doch nicht unter Einfluss eines Fluches standen und dem Dunklen Lord freiwillig dienten?"
Crabbe zuckte zusammen. Er kann Lucius lange genug um zu wissen, dass dieser keine leeren Drohungen aussprach und er wusste auch, dass man ihm glauben würde, er konnte, wenn er wollte, sehr überzeugend sein. "Wann geht's los?", fragte Crabbe daraufhin so ruhig und gelassen, wie es ging.
Wieder die Ruhe in Person studierte Lucius seine Taschenuhr und meinte lax: "Jetzt ist es 23 Uhr. In Los Angeles ist es folglich 15 Uhr. Was für uns heißt, dass wir noch ein wenig Zeit haben. Wir werden um 18 Uhr Ortszeit den Portschlüssel benutzen, eine Verabredung zum Diner in New York, du verstehst. Den Rest erfährst du, wenn es soweit ist. Um 7 Uhr früh, werden wir wieder hier in Malfoy Mansion sein. Schließlich habe ich um 8 Uhr eine Verabredung im Ministerium."
Crabbe hatte aufmerksam gelauscht, war jedoch nicht überzeugt davon, dass der Plan auch gelingen würde. So schenkte er sich noch einen Cognac ein und nahm die Einladung zu einer Zigarre an. Beim Paffen dachte er über den Wahnwitz des Unternehmens nach und konnte nur den Kopf schütteln. Das war schon wieder so verrückt, dass es funktionieren könnte.
°
tbc
(1) Das ist ein Behältnis, in dem Zigarren aufbewahrt werden.
