Kapitel 19

Blut

"Adrian?"

"Dyson, kannst du hier bleiben und auf Julia aufpassen?"

"Adrian, was…"

"Ich muss sie finden!" sagte Adrian und wandte sich zu seinem Cousin, die Kette in seiner Hand.

"Ich weiß nicht genau, was hier passiert ist, aber irgendjemand muss sie entführt haben und ich muss sie finden!"

"Du weißt doch gar nicht, wo sie ist. Wie lange sie weg ist. Im Schnee kannst du nichts erkennen!" sagte Marcus und versuchte Adrian davon abzuhalten sofort aus dem Haus zu stürmen.

"Sie kann noch nicht so lange weg sein. Und sie werden in den Wald gegangen sein, wo man sie nicht sofort sehen kann. Also werde ich dahin gehen."

"Du kannst nicht alleine gehen." Versuchte auch Dyson ihn zu überzeugen, aber Adrian hatte es sich bereits in den Kopf gesetzt.

"Ich komme mit dir." Erklärte Marcus und zusammen gingen sie hinaus in die Dunkelheit.


Es war kalt. Dieser Gedanke am ihr wieder und wieder in den Sinn. Der Saum ihres Kleides reichte in den Schnee als Fred sie mit sich zog und immer mal wieder schlug der nasse Stoff gegen ihre Beine und ließ sie am ganzen Körper zittern. Sie konnte ihre Hände kaum noch fühlen und sie konnte den Atem von Fred und seinen Freunden deutlich im Mondschein sehen.

Sie wusste, dass sie sie mit ihren ständigen Versuchen aus Freds Armen zu entkommen, zurückhielt, aber sie schaffte es nie, sich völlig zu befreien. Nun war ihre einzige Hoffnung, dass Adrian nicht zu lange weg war und ihr Verschwinden bemerken würde, sobald er nach Hause kam und die offenen Türen finden würde. Er war die einzige Hoffnung, die sie hatte um wieder nach Hause zu kommen. Und sie hielt an diesem Hoffnungsschimmer fest als sie versuchte nicht darüber nachzudenken wie es sich anfühlte zu erfrieren.

"Du hättest sie dort lassen sollen! Sie werden uns fangen! Und das alles nur, weil du verrückt geworden bist!" sagte einer von Freds Freunden ärgerlich und Angelina hegte die leise Hoffnung, dass sie sie jetzt zurücklassen würden. Irgendwie würde sie ihren Weg schon zurückfinden. Und sie musste schnell aus der Kälte raus. Der Schnee fiel in ihr Haar und die ersten nassen Strähnen klebten an ihrer Haut. Ihre Augen schmerzten von der Kälte und ihre Zähne klapperten unter Freds Hand. Sie wollte nach Hause, in ihr Bett, zu Adrian und nicht hier draußen mit einigen Wahnsinnigen sein.


"Hast du irgendeine Idee, wer sie entführt haben könnte?" fragte Marcus durch zusammengepresste Zähne, als er versuchte, das Zittern zu unterdrücken. Niemand, der eine Wahl hatte, wäre bei so einem Wetter draußen.

"Nein. Ich könnte mir einige vorstellen, die Angelina oder mich verletzen wollen, aber die würden subtilere Mittel wählen."

"Wie Camille?"

"Zum Beispiel."

"Denk einfach daran, dass für sie dieses Wetter in Zukunft wohl Sommer bedeutet."

Wäre er nicht so besorgt gewesen, hätte Adrian wohl gelacht, aber jetzt konnte er nur an Angelina denken. Wo sie war, wer sie entführt hatte. Und er fühlte sich schuldig, da er sie nicht beschützt hatte. Da er nicht da gewesen war, als sie ihn gebraucht hatte.

"Hast du schon mal die Möglichkeit in Betracht gezogen, dass wer auch immer sie entführt hat an irgendeinen netten, warmen Ort appariert hat, wie zum Beispiel Hawaii?"

Adrian hielt an und hob die Hand um Marcus zum Schweigen zu bringen.

"Hörst du das?"

"Höre ich was? Alles, was ich höre, ist der Sturm …"

"Da waren Stimmen. Da entlang." Und Adrian eilte bereits in die Richtung, aus der er die Stimmen gehört hatte.


"Au!" Fred zog seine Hand von Angelinas Mund und sie schaffte es endlich, sich aus seinem Griff zu befreien.

"Warum hast du das getan?" fragte Fred und sah auf seine Hand.

"Bist du verrückt?" fragte ihn Angelina aufgebracht.

"Ich will nach Hause. Ich gehe sofort nach Hause!" Sie wandte sich ab doch Fred griff nach ihrem Arm und zerrte sie herum.

"Ich weiß, dass du lügst, Angie. Ich weiß, dass du mich noch liebst." Er sah sie mit flehenden Augen an.

"Siehst du nicht, dass das unsere Chance auf ein Leben in Freiheit ist? Wir können zusammen weggehen und ein glückliches Leben zusammen führen."

"Du bist wirklich verrückt. Ich würde niemals mit dir weggehen!"

"Angie."

"Hör auf Fred."

"Haltet endlich die Klappe!" Dave wandte sich an Fred, der Angelina anstarrte, als sie sich wegdrehte.

"Ich hab dir gesagt, es war ein Fehler ihr nachzulaufen." Er trat einen Schritt auf Angelina zu und ergriff ihre Schulter.

"Oh nein, du wirst jetzt nicht gehen."

Die Anspannung des Abends verließ Angelina als ihre Wut ein Ventil suchte.

"Lass mich los du verfluchter …"

"Schnauze du Schlampe!" Dave schlug Angelina und sie fiel auf den gefrorenen, schneebedeckten Boden.

"Du machst für Todesser gern die Beine breit, du kleine Hure?" fragte Dave verärgert und kniete sich neben ihr in den Schnee. Die Kälte schien ihn nicht zukümmern, als er nach ihrem Rock griff.

"Dave!"

"Halt die Klappe Bryan! Sie ist eine Schlampe, also wird sie auch wie eine behandelt."

Bryan fluchte während Fred wie gebannt auf Angelinas stillen Körper starrte. Seine Augen blickten direkt auf die dünne, rote Spur im Schnee neben ihrer Schläfe. Das Mondlicht schien auf ihr Blut und er sah wie ihre Augen versuchten, sich auf etwas zu konzentrieren.

Er sah, wie Dave von einem grünen Lichtstrahl getroffen wurde und neben ihr auf den Boden fiel, bevor er in der Lage gewesen war, ihren Rock von ihrem Körper zu ziehen. Er fühlte sich selbst von Bryan von der Szene fort gezogen und folgte ihm.

Angelina hörte, wie etwas neben ihr in den Schnee fiel und sah, wie Fred davonrannte. Nur fühlte sie dieses Mal keinen Schmerz bei dem Gedanken, dass er sie zurückließ. Wenn es nur nicht so kalt wäre…

Gerade als sie dies dachte, wurde sie von einem Paar starker Arme aufgehoben. Sie spürte, wie Adrian ihren Kopf küsste und sie enger an sich zog. Als er sich umdrehte fiel ihr Blick auf Marcus, der an der Stelle kniete, an der sie gerade noch gelegen hatte. Er sah auf einen Mann – Dave – der im Schnee lag.

"Ist er…" flüsterte sie und versuchte in Adrians Augen zu sehen.

"Er hat dich verletzt." War die einzige Antwort, die er ihr gab. Ihr Kopf schmerzte. Sie konnte sich nicht erinnern, jemals solche Schmerzen gehabt zu haben. Oder vielleicht verstärkte ja auch die Kälte die Schmerzen.

"Ich wollte nicht gehen." Versuchte sie zu sagen, aber es war kaum hörbar. Als Adrian versuchte sie zu fragen, was sie gesagt hatte, war sie in seinen Armen bereits ohnmächtig geworden. Und so gab es für ihn nichts mehr zu tun, als sie nach Hause zu tragen und zu hoffen und zu beten, dass sie in Ordnung war. Der Gedanke daran, dass sie ihre Augen nicht mehr öffnen würde war beängstigender als er es je für möglich gehalten hätte.