„Sprache"

‚Gedanken'

/Zeichensprache/


Kapitel 4
Heero POV

Keuchend schreckte ich aus dem Schlaf. Ich blieb mit geschlossenen Augen liegen und versuchte mich an meinen Traum zu erinnern. Nur noch verschwommene Bilder waren mir im Gedächtnis. Trowa, der rief das es zu spät sei. Ein langhaariger junger Mann, der eine silberne Kugel in der Hand hielt. Und das bedrohliche Summen eines Jägers.

Verwirrt schüttelte ich leicht den Kopf. Was sollte dieser Traum nur bedeuten? Doch dann schob ich diese Gedanken von mir. Ich hatte keine Zeit mir über irgendwelche Träume den Kopf zu zerbrechen; ich musste langsam aufstehen und mich fertig machen, J schätzte es gar nicht, wenn wir zu spät kamen.

Ich versuchte mich aufzusetzen, doch es ging nicht. Erschrocken öffnete ich die Augen. Ich lag auf der Seite in einem großen Bett in einem Zimmer, das ich nicht kannte. Verwirrt blickte ich mich umher. Wo war ich hier nur? Warum war ich hier? Und wie war ich hierher gekommen?

War ich etwa krank gewesen? Das könnte vielleicht eine Erklärung sein, denn ich hatte leichte Kopfschmerzen, mein Brustkorb schmerzte und ich fühlte mich auch sonst nicht besonders gut. Vielleicht war ich ja aufgrund einer Krankheit hierher gebracht worden.

Andererseits, die Einrichtung in diesem Zimmer sah nichts ähnlich das ich kannte. Ich war mir sicher, das es nirgends auf J's Anwesen ein solches Zimmer gab und ich musste es schließlich wissen. Erneut versuchte ich mich aufzusetzen. Und wieder klappte es nicht.

Ein Seufzen erklang hinter mir und ich wurde noch näher an den Körper hinter mir gezogen. Erstaunt ließ ich meinen Blick an mir hinuntergleiten und sah auf den Arm hinab, der um meine Mitte geschlungen war. Außerdem bemerkte ich einen weißen Verband, der um meinen Brustkorb gewickelt war und darüber drapiert lag ein dicker kastanienbrauner Zopf.

Schlagartig fiel mir alles wieder ein. Ich war geflohen! Vor J und den OZ geflohen! Ich hatte nicht nur J's Schiff gestohlen, sondern es auch noch auf einem fremden Planeten bruchgelandet. Auf einem Planeten, auf dem die Menschen scheinbar in der Lage waren zu singen. So wie der langhaarige junge Mann, den ich auf der Bühne gesehen hatte. Und der jetzt offensichtlich neben mir im Bett lag.

Vorsichtig versuchte ich mich herumzudrehen. Nach einigem hin und her gelang es mir schließlich. Forschend blickte ich auf den Langhaarigen. Er schlief noch immer, mein Gezappel hatte ihn scheinbar nicht geweckt. Und noch immer hatte er einen Arm um mich geschlungen.

Eine Weile lag ich einfach nur so da, dachte nach und betrachtete das Gesicht des Schlafenden. Wie sollte es jetzt weitergehen? Meine Pläne für die Flucht waren wirklich nicht sehr ausgereift gewesen. Ich hatte nie darüber nachgedacht, was ich denn tun sollte, wenn sie mir tatsächlich gelang. Wahrscheinlich hatte ich nie damit gerechnet, das ich es wirklich schaffen würde. Und falls doch, das es sowieso nirgendwo einen Ort gäbe, wo ich vor den OZ sicher wäre.

Aber das Unglaubliche war geschehen. Ich hatte einen sicheren Ort gefunden. Hier, auf diesem Planeten, dessen Bewohner Musik machen konnten, war ich garantiert in Sicherheit. Selbst wenn die OZ diesen Planeten jemals entdecken sollten, so würden sich diese Menschen mit Leichtigkeit vor den Jägern verteidigen können.

Und doch gab es noch so vieles, was ich rausfinden mußte. Da war zum einen das seltsame Verhalten des Jägers. Aus welchem Grund nur hatte er gestern – war es gestern gewesen? Ich hatte keine Ahnung – seinen Angriff abgebrochen? Und wie waren diese Menschen in der Lage ihre Stimmen so zu manipulieren, dass sie singen konnten? Diese Frage interessierte mich wirklich brennend. Wieder diese Neugier, die mich immer vorantreibt.

Doch vor allem anderen wollte ich mehr über den langhaarigen Mann erfahren, der hier neben mir im Bett lag. Offensichtlich hatte er sich um mich gekümmert, nachdem ich zusammengebrochen war – sonst würde ich wohl kaum hier neben ihm liegen.

Und warum lag ich überhaupt neben ihm? Wieso lag ich nicht allein in einem eigenen Bett? War das vielleicht so eine Art Brauch hier? Ich meine, es machte mir nichts aus, mit ihm ein Lager zu teilen. Es fühlte sich gut an. Ich fühlte mich seltsam sicher und beschützt. So hatte ich mich schon lange nicht mehr gefühlt – seit meiner Zeit im Hort nicht mehr. Und wenn ich ehrlich war, dann hatte ich mich nichtmal dort so sicher gefühlt wie jetzt hier. Es störte mich also nicht im geringsten, dass Bett mit dem Langhaarigen zu teilen. Aber es interessierte mich trotzdem sehr, den Grund zu erfahren.

Ich ließ meinen Blick über sein Gesicht wandern. Gestern hatte ich ihn gar nicht richtig sehen können – erst war ich zu weit weg gewesen, dann hatte das Licht hinter ihm mich zu sehr geblendet. Aber jetzt konnte ich ihn in Ruhe betrachten. Ein herzförmiges Gesicht, eine zierliche Stupsnase, lange Wimpern die dunkle Schatten auf seine Wangen warfen. Jeder einzelne dieser Gesichtszüge wirkte zart, fast feminin, doch trotzdem ließen sie ihren Besitzer in ihrer Gesamtheit keineswegs weiblich wirken. Ich war fasziniert.

Ein friedlicher Ausdruck lag auf seinem Gesicht. Er hatte die Lippen leicht geöffnet und atmete gleichmäßig. Die langen Ponyfransen, die ihm gestern in die Augen gefallen waren, waren jetzt zur Seite gerutscht. Ich bedauerte es wirklich, das diese Augen geschlossen waren. Ich hätte zu gern seine Augenfarbe gesehen. Alles was ich wußte, seine Augen waren erstaunlich groß.

Dann fiel mein Blick auf diesen unglaublich langen Zopf, der immer noch halb um mich gewickelt war. Vorsichtig streckte ich eine Hand aus und strich behutsam darüber. Wie weich er sich anfühlte! Ich warf einen schnellen Blick in das Gesicht des Langhaarigen, doch er hatte sich nicht gerührt – und auch sein Griff um mich war nicht lockerer geworden.

Dadurch beruhigt wurde ich mutiger und nahm den Zopf ganz in die Hand. Fasziniert ließ ich den langen Strang durch meine Finger gleiten, spielte damit und bewunderte ihn. Ich hatte noch niemals jemanden mit derartig langem Haar gesehen. Hatte es vielleicht irgendeine kulturelle Bedeutung das der junge Mann sein Haar so lang trug? Es konnte nicht einfach nur eine Modeerscheinung sein, denn alle Männer die ich sonst gesehen hatte, hatten ihr Haar sehr viel kürzer getragen.

Ich weiß nicht, wie lange ich mich mit dem Zopf beschäftigte, ich war so vertieft in meine Gedanken das ich jegliches Zeitgefühl vergaß. Doch plötzlich fiel mir auf, das die tiefen Atemzüge, die ich die ganze Zeit über gehört hatte, nicht mehr so tief waren. Erschrocken hob ich den Blick – und sah direkt in die geöffneten Augen des Langhaarigen.

Violett! Das war mein erster Gedanke. Seine Augen waren violett! Ich war so versunken in diese Feststellung, das ich ihn einfach nur anstarrte. Er war der erste, der den Blick abwandte. Er sah kurz nach unten auf meine Hand, die immer noch seinen Zopf festhielt, dann sah er wieder hoch und lächelte mich amüsiert an.

Schnell ließ ich den Zopf los. Wie konnte ich nur! Was hatte ich mir nur dabei gedacht? Vielleicht wollte er nicht, das irgend jemand einfach so sein Haar berührte! Und was wenn ich soeben irgendein kulturelles Tabu gebrochen hatte? Ich spürte wie ich leicht rot anlief. Den Langhaarigen schien das allerdings noch mehr zu amüsieren, denn jetzt gluckste er leicht.

Verlegen versuchte ich von ihm wegzurücken. Doch offenbar war ich erschöpfter als ich gedacht hatte, denn ich konnte mich nicht aus seinem Griff winden. Vielleicht war ich ja doch krank, denn ich konnte mich noch gut erinnern, das ich gestern einfach so eine Sicherheitskette hatte zerbrechen können. Möglich zwar das mir das Adrenalin zusätzliche Kräfte verliehen hatte, aber ich mußte dennoch um einiges stärker sein als die Menschen hier auf diesem Planeten, schließlich wurden wir seit Dutzenden von Generationen speziell auf Stärke gezüchtet.

Der Langhaarige schien mein Unbehagen zu bemerken, denn er ließ mich endlich los und sofort rückte ich ein Stück von ihm ab. So sicher und geborgen ich mich auch fühlte, so konnte ich dennoch nicht abstreiten, das ich mich jetzt auch äußerst unbehaglich fühlte.

Der Langhaarige stützte sich auf seinen Ellbogen auf und sah lächelnd auf mich hinab. „Guten Morgen," sagte er. „Wie fühlst du dich?"

Ich blickte ihn lange an. Was sollte ich darauf antworten? Gut? Das wäre eine Lüge, denn ich fühlte mich definitiv nicht gut. Die Kopfschmerzen hatten sich verstärkt, und auch das Schwächegefühl war nicht sonderlich angenehm.

Der Langhaarige runzelte die Stirn. „Kannst du mich verstehen?" fragte er mich.

Ich nickte. Sofort begann er wieder zu lächeln. „Das ist gut. Mein Name ist Duo. Duo Maxwell. Wie heißt du?"

„Heero," antwortete ich zögernd.

Er legte den Kopf leicht schief. „Nur Heero?"

Ich nickte.

„In Ordnung, nur Heero," er grinste noch breiter, dann sah er mich abwartend an.

Ich starrte verunsichert zurück. Was sollte ich tun? Was sagen? Irgendwie mußte ich ihn dazu bekommen, mich hierzubehalten. Wenn er mich wegschickte, dann könnte ich nichts mehr in Erfahrung bringen. Und ich würde ihn nicht mehr beschützen können.

Denn ich machte mir nichts vor; ich wußte zwar nicht, warum der Jäger gestern auf einmal so friedlich geworden war, aber mir war klar, daß das nicht ewig andauern würde. Was wenn der Jäger auf einmal wieder aktiv werden und den jungen Mann – Duo – angreifen würde? Wenn er ihn verletzen würde? Es wäre meine Schuld. Ich hatte den Jäger hierher geführt, also war er meine Verantwortung.

„Kannst du dich erinnern, was geschehen ist?" fragte mich Duo.

„Ich... ich habe das Bewußtsein verloren..." sagte ich leise.

Duo nickte. „Weißt du warum? Du hast wirklich schlimm ausgesehen – und nimm es mir nicht übel, du siehst jetzt auch noch nicht besser aus. Was ist passiert? Woher hast du all diese Verletzungen? Hattest du einen Unfall? Woher kommst du? Sollen wir irgend jemand benachrichtigen? Deine Familie? Irgendwelche Freunde?"

Ich blinzelte verwirrt. Duos Redeschwall hatte mich geradezu überwältigt. Welche dieser Fragen sollte ich zuerst beantworten? Konnte ich überhaupt eine dieser Fragen wahrheitsgemäß beantworten. Wohl eher nicht. Wie würde Duo wohl auf die Aussage reagieren, ich hätte mir die Verletzungen bei einem Absturz mit einem Raumschiff zugezogen?

Doch Duo wartete eine Antwort gar nicht erst ab. Er lächelte entschuldigend und meinte, „Tut mir leid, ich hab dich wohl total überrumpelt. Das ist so eine Angewohnheit von mir. Denk dir nichts dabei. Wie wär's mit Frühstück, du bist sicher hungrig, und danach können wir uns in Ruhe unterhalten, in Ordnung?"

Frühstück! Wie zur Bestätigung von Duos Frage knurrte mein Magen laut. Ich hatte seit Tagen nichts mehr gegessen, und allein die Aussicht auf etwas eßbares ließ mir das Wasser im Mund zusammenlaufen. Ich nickte.

„Klasse!" rief Duo aus, setzte sich auf und schwang seine Beine über die Bettkante. Dann stand er auf und ich konnte ihn zum ersten Mal in Ruhe von oben bis unten betrachten. Er trug eine kurze, weite Hose die mit einer Art elastischem Band um seine Mitte oben gehalten wurde. Außerdem trug er noch ein Hemd aus einem weichen Stoff, auf dem scheinbar irgendwas geschrieben stand, aber ich konnte die Schrift nicht lesen. Mein Translator ließ mich zwar die Sprache dieser Menschen hier verstehen, aber deshalb konnte ich natürlich trotzdem nicht deren Schrift lesen oder schreiben.

Dann drehte Duo sich um und reckte und streckte sich. Dabei hob sich das Hemd ein wenig und ich konnte einen Blick auf seinen Bauchnabel erhaschen. Ich stutzte und sah genauer hin. Tatsächlich, in Duos Bauchnabel blitzte etwas silbernes. War das Schmuck? Was auch immer es war, es machte mich neugierig. Doch bevor ich es genauer in Augenschein nehmen konnte, oder gar erkennen konnte, worum es sich bei der dunklen Zeichnung rund um den Bauchnabel handelte, senkte Duo seine Arme wieder und das Hemd verdeckte das kleine silberne Ding und die Zeichnung wieder.

„Warte hier, ich bin gleich zurück," sagte Duo, dann verschwand er aus der Zimmertür. Ich blinzelte wieder verwirrt. Dann setzte ich mich vorsichtig auf und lehnte mich gegen das Kopfende des Bettes. Neugierig ließ ich meinen Blick genauer durch das Zimmer wandern.

Außer der Tür durch die Duo soeben verschwunden war und die sich in der Wand links von mir befand gab es noch eine weitere Tür in diesem Zimmer, direkt gegenüber vom Bett, doch sie war geschlossen, so dass ich nicht erkennen konnte, was sich dahinter verbarg.

Rechts neben dem Bett war ein großes Fenster, durch das Sonnenstrahlen ins Zimmer fielen. Die Wand neben der geschlossenen Tür war verspiegelt, und es sah so aus, als wären diese Spiegel eine Art Schiebetüren. Ein weiterer Durchgang?

Links neben dem Bett stand ein großer Tisch, auf dem etliche Sachen herumlagen, Papier, Stifte, Bücher und andere Dinge, die ich nicht kannte. Auf dem Stuhl vor dem Tisch lagen einige Kleidungsstücke. Sie sahen so aus, als wären sie nach dem Ausziehen einfach hastig dorthin geworfen worden. Und überall an der Wand zogen sich Regale entlang, die voller Bücher standen. Sogar über dem Bett, hoch genug das man bequem darin sitzen konnte, war ein Regal angebracht.

Bewahrten diese Menschen etwa ihre Information tatsächlich noch auf diese altmodische Art und Weise auf? Bücher waren mir nichts unbekanntes, obwohl ich nur selten welche zu sehen bekommen hatte. Die OZ benutzten keine Bücher mehr, ihre Informationen waren alle irgendwo gespeichert, und wenn man irgendetwas lesen wollte, dann lud man sich die entsprechenden Dateien auf ein Lesepad herab. Aber J hatte einige alte Bücher besessen, Antiquitäten und äußerst kostbar. Und so hatte auch ich welche zu sehen bekommen, auch wenn ich sie natürlich niemals hatte anfassen dürfen.

Ich nahm eines der Bücher, das neben mir auf einem Nachtkästchen lag in die Hand und blätterte es durch. Ich wünschte mir wirklich, ich wäre in der Lage, diese seltsamen Zeichen und Symbole zu entziffern, die ich auf den Seiten erkennen konnte. Es wäre sicher aufschlußreich gewesen zu erfahren, was Duo interessierte.

„... das sein, Duo?" hörte ich plötzlich eine weibliche Stimme stöhnen, „Ich schwöre, wenn du mich noch einmal mitten in der Nacht aus dem Bett holst, dann erwürge ich dich höchstpersönlich."

„Ja, ja, schon klar," antwortete Duo, scheinbar nicht im geringsten beeindruckt von der Morddrohung, „Aber erstens ist es nicht mehr mitten in der Nacht und zweitens ist unser Gast aufgewacht. Ich dachte mir, daß du ihn sicher sehen willst."

Im nächsten Moment spazierte Duo auch schon wieder ins Zimmer, gefolgt von der schwarzhaarigen Frau, die ich ebenfalls auf der Bühne gesehen hatte. Sie hatte eine lange Hose und ein Hemd an, die aus dem selben Material zu bestehen schienen, wie Duos Hemd. In ihrer Hand trug sie eine schwarze Tasche. Sie murmelte etwas von „Verdammte Frühaufsteher," aber ich war mir nicht sicher, ob ich sie richtig verstanden hatte.

Dann trat sie neben mich an das Bett, setzte ihre Tasche ab und lächelte mich kurz an. „Hallo," sagte sie, und ihre Stimme klang deutlich freundlicher als eben noch, „Wie fühlst du dich? Geht es dir besser?"

Ich warf Duo einen verunsicherten Blick zu, dann zuckte ich leicht mit den Schultern. Offensichtlich hatte Duo meinen Blick zu deuten gewußt, denn er sagte, „Keine Sorge, Lu ist Ärztin. Sie möchte dich nur untersuchen. Ist das in Ordnung?"

Nach einem Moment des Nachdenkens nickte ich. Ich war mir nicht sicher, ob ich diese Untersuchung wirklich zulassen sollte – was wenn sie etwas bemerkte? Das wäre gerade mein Glück, wenn sich diese Menschen in mehr als nur ihrer Fähigkeit zu singen von mir unterschieden. Und außerdem war mir auch aus anderen Gründen ein bisschen mulmig wegen der Untersuchung. Erstens einmal kannte ich keine menschlichen Ärzte – wenn einer der Sklaven krank war, dann kümmerte sich normalerweise ein OZ-Arzt um ihn – mal ganz davon abgesehen, das wir sowieso so gut wie nie krank wurden. Und die Medizin der OZ war mit Sicherheit sehr viel weiter fortgeschritten als hier auf diesem Planeten. Ich hatte also keine Ahnung, was mich jetzt erwarten würde.

Und zweitens ließ mich das Wort 'untersuchen' sofort an J denken. Und was er mir und Trowa im Laufe der Jahre, in denen er uns als Laborratten missbraucht hatte so alles angetan hatte. Aber ich hatte auch kaum eine andere Wahl. Ich fühlte mich immer noch nicht gut, und falls ich tatsächlich krank sein sollte, so wäre es sicher besser, wenn ich es früher als später erfahren würde.

Die Frau lächelte mich an und sagte, „Mein Name ist Lucrezia Noin, aber alle – außer einer gewissen Person – " sie warf einen Seitenblick auf Duo, der nur unschuldig grinste, „ – nennen mich Noin. Wie heißt du?" Dann setzte sie sich neben mich aufs Bett und zog eine Art Schlauch aus ihrer Tasche. Der Schlauch war in der Mitte gegabelt und hatte drei Enden, von denen sie sich zwei in die Ohren steckte. Am anderen Ende befand sich eine runde, silberne Scheibe, die sie kurz anhauchte und mir dann auf die Brust setzte.

Ich blickte ihr verwundert zu. Ich hatte so etwas noch niemals gesehen. Offenbar wurde dieses Gerät dazu benutzt, im ins Innere des Körpers zu lauschen. Eine sehr simple, aber dennoch effektive Methode. Ich sah ihr neugierig zu.

Offensichtlich war Noin zufrieden mit dem was sie hörte, denn sie setzte das Gerät ab, nahm mein Handgelenk in die Hand und fühlte meinen Puls. Sie sah mich abwartend an, und mir fiel ein, das ich ihr noch immer nicht auf ihre Frage geantwortet hatte.

„Heero," sagte ich.

Sie zog eine Augenbraue hoch. „Nur Heero?" stellte sie mir die selbe Frage wie Duo vorher. Bevor ich ihr antworten konnte, mischte sich Duo ins Gespräch.

„Jep, nur Heero," sagte er und warf sich bäuchlings auf das Bett. „So wie Madonna." Er grinste breit. Noin warf ihm einen schnellen Blick zu und gluckste leise. Ich warf den beiden irritierte Blicke zu. Wer oder was war ein Madonna? Und was war daran so lustig?

Inzwischen hatte Noin meine Hand wieder losgelassen und tastete jetzt meinen Brustkorb ab. Ich sog zischend die Luft ein. Sie warf mir einen mitfühlenden Blick zu. „Tut mir leid, aber es muß sein. Du hast Glück gehabt, die Rippen sind zwar gebrochen, aber sie haben sich nicht verschoben und irgendwelche inneren Organe punktiert. Es wird wohl noch eine Weile wehtun, aber sie sollten ohne Probleme wieder zusammenwachsen."

Duo grinste fröhlich, und auch ich war erleichtert. Nicht nur das Noin nichts bemerkt hatte, sondern sie hatte mir auch versichert, das ich früher oder später wieder in Ordnung kommen würde. Doch seltsamerweise sah sie nicht so zufrieden aus.

Sie runzelte die Stirn, dann holte sie eine kleine Lampe aus ihrer Tasche und leuchtete mir in die Augen. Ich zuckte zurück und mußte stark blinzeln. Ich hatte keine Ahnung, wozu das wohl gut sein sollte, doch was immer Noin auch hatte erfahren wollen, das Ergebnis schien sie zu verwirren, denn sie schüttelte leicht den Kopf und runzelte wieder die Stirn.

„Heero," begann sie, zögerte kurz und fuhr dann fort, „Ich muß dich das fragen, auch wenn es dir vielleicht unangenehm ist. Nimmst du irgendwelche Drogen?"

Ich starrte sie überrascht an. Drogen?

„Drogen?" hörte ich wie ein Echo Duo fragen. „Wieso willst du das wissen, Lu?"

„Nun, du erinnerst dich sicher in was für einem Zustand er heute Nacht war, Duo," erwiderte Noin.

Duo riß die Augen weit auf und sagte, „Oh."

Ich blickte fragend von einem zum anderen. Drogen? Was für ein Zustand? Was war mit mir losgewesen?

Noin blickte mich wieder an. „Nun?" fragte sie.

Ich schüttelte den Kopf. „Keine Drogen," sagte ich.

„Hm," machte Noin und runzelte die Stirn. Langsam wurde ich unruhig.

„Was ist los?" fragte ich besorgt.

„Du hattest heute Nacht ein paar seltsame Symptome – sie wirkten fast wie Entzugserscheinungen. Aber jetzt ist davon nichts mehr zu merken," sagte Noin. „Keine Erweiterung der Pupillen, sie reagieren völlig normal. Und auch sonst kann ich keine Anzeichen für Drogenmißbrauch erkennen."

Verwirrt schüttelte ich den Kopf. Ich hatte noch niemals in meinem Leben Drogen genommen – zumindest nicht freiwillig. Was J mir und Trowa ab und zu eingeflößt hatte stand auf einem anderen Blatt, aber auch das war in den letzten Monaten nicht vorgekommen. Und in den letzten Tagen hatte ich sowieso fast gar nichts zu mir genommen. Allerdings fühlte ich mich schon eine ganze Weile nicht so gut – es hatte bereits auf dem Schiff begonnen. Vielleicht brütete ich ja tatsächlich irgendeine Krankheit aus.

Oder es war einfach nur der Hunger – vielleicht würde es reichen, wenn ich endlich mal wieder etwas richtiges essen würde. Wie auf Kommando meldete sich mein Magen wieder und knurrte laut. Duo lachte kurz auf und auch Noin schmunzelte. Ich wurde leicht rot.

„In Ordnung," sagte Noin und erhob sich, „So wie es aussieht geht es unserem Gast ganz gut." Sie bückte sich, hob ihre Tasche hoch und wandte sich zum gehen. „Aber Heero," sie blieb an der Tür stehen und wandte sich nochmal an mich, „Sollte irgendwas sein, sei es das du dich nicht gut fühlst oder so, sag mir bitte gleich Bescheid, ok?" Und damit verschwand sie aus dem Zimmer.

Zurück blieb nur Duo, der immer noch bäuchlings, den Kopf auf beide Hände gestützt auf dem Bett lag und mich amüsiert anfunkelte. Ich erwiderte seinen Blick.

„Ok, dann sollten wir dich mal füttern, oder?" sagte Duo und zwinkerte mir zu. Dann sprang er energiegeladen vom Bett und näherte sich der verspiegelten Wand. Mit einem Ruck schob er einen Teil der Wand beiseite und bestätigte so meine Vermutung einer Schiebetür. Das dahinter liegende kleine Zimmer wurde offensichtlich zum aufbewahren von Kleidung benutzt.

Duo spazierte hinein, murmelte leise vor sich hin und wühlte in etlichen Schubladen. „Du hast doch ungefähr dieselbe Größe wie ich, oder Hee-chan?" rief er und ich blinzelte verwirrt. Hee-chan? Meinte er damit mich? Offensichtlich schon, denn er steckte den Kopf aus dem Schrank und blickte mich fragend an. Ich zuckte mit den Schultern. Ich hatte wirklich keine Ahnung, ob wir die selbe Größe hatten oder nicht. Ich mußte am Abend zuvor wirklich erschöpft gewesen sein, dass mir das nicht aufgefallen war.

Doch Duo schien das nicht zu stören. „Na macht nichts, wird schon ungefähr passen," rief er und verschwand wieder im Schrank. Nach einer Weile kam er heraus und legte mir einen Stapel Kleidung auf das Bett.

„Ähm..." druckste Duo herum und zum ersten Mal schien er um Worte verlegen zu sein. „Wenn du willst kannst du die Sachen behalten. Als Entschädigung... Also ich meine, es tut mir leid, aber ich fürchte ich habe deine Sachen ein bißchen... hm... beschädigt... als ich dich gestern ausgezogen hab." Eine leichte Röte überzog sein Gesicht.

Ich blinzelte verwirrt. Zum ersten Mal fiel mir auf, das ich nicht mehr J's Hausuniform trug. Ich blickte an mir hinab und bemerkte, das ich genauso eine lockere Hose trug wie Duo auch. Und auf dem Boden, neben dem Bett lagen einige Fetzen, die mich von der Farbe her stark an den Anzug erinnerten, den ich gestern getragen hatte. Ich runzelte die Stirn.

„Es tut mir wirklich leid," wiederholte Duo und jetzt war sein Gesicht völlig rot, „Aber ich wußte nicht, wie ich das Teil sonst aufkriegen soll. Da war kein Reißverschluß oder sowas in der Art. Ich hoffe du bist mir nicht zu böse."

Ich schüttelte schnell den Kopf. Nein, ich war ihm nicht böse. Im Gegenteil, ich war überaus froh, nicht mehr in diesen Anzug schlüpfen zu müssen. Zum einen hatte ich ihn seit über einer Woche getragen, und dementsprechend schmutzig war er auch. Zum anderen war er ein Zeichen dafür, das ich J gehörte. Aber ich war jetzt frei und nichts würde mich dazu bringen, dieses Symbol der Sklaverei wieder anzuziehen.

Und wie konnte ich Duo überhaupt böse sein? Offensichtlich war dieser Planet technologisch noch nicht so weit fortgeschritten, kein Wunder das er den Öffnungsmechanismus nicht erkannt hatte.

Duo grinste mich erleichtert an, dann schnappte er sich den zweiten Stapel Kleidung. „Dort drüben ist das Badezimmer," wandte er sich an mich und zeigte zu der zweiten, geschlossenen Tür. „Ich werde heute mal das große Bad auf dem Flur benutzen, damit du dir soviel Zeit lassen kannst wie du willst. Wenn du fertig bist, dann folge einfach dem Geruch." Er zwinkerte mir erneut zu, grinste zum Abschied und verschwand durch die Tür.

Ich seufzte einmal tief auf. So weit, so gut. Bis jetzt lief es ganz gut, keiner hatte irgendwelche Anstalten gemacht, mich rauszuwerfen. Vorsichtig schob ich die Beine über die Bettkante und stand dann langsam auf. Leicht schwankend blieb ich stehen, bis ich sicher war, das ich nicht gleich wieder umfallen würde. Dann bewegte ich mich langsam auf das Badezimmer zu.

Ich war wirklich gespannt. Ich hoffte nur, das die sanitären Einrichtungen auf diesem Planeten sich nicht allzusehr von denen unterschieden, die ich kannte. Das würde sonst zu einigen wirklich sehr peinlichen Momenten führen. Ich öffnete die Tür und betrat das Bad.

Ich kam in einen großen Raum, der hauptsächlich Weiß gefliest war. Nur die der Tür genau gegenüberliegende Wand war absolut in Schwarz gehalten, was einen wirklich faszinierenden Eindruck schuf. An der schwarzen Wand befand sich ein Spiegel, allerdings war es ein dunkler Spiegel, nicht so hell und klar wie die verspiegelte Schrankwand. Direkt unter dem Spiegel befand sich ein Becken aus Metall, und als ich mich ihm näherte, erkannte ich das es wohl ein Waschbecken sein mußte, denn es befand sich eine Art Wasserhahn mit Hebel daran.

Probeweise bewegte ich den Hebel ein wenig und stellte fest, wenn ich den Hebel nach oben drückte, kam Wasser aus dem Hahn in der Mitte. Bewegte ich den Hebel nach rechts, war das Wasser kalt, drehte ich ihn nach links, wurde es heiß. Simpel aber faszinierend.

An der Wand daneben konnte ich eine große, fast runde Wanne erkennen. Auch dort befand sich solch ein Wasserhahn. Gleich daneben war ein weiteres, sehr flaches Becken in den Boden eingelassen. Außerdem war um das Becken herum eine fast durchsichtige Plastikwand errichtet, die an einer Seite zu öffnen war, so dass man diese Kabine betreten konnte. Ich konnte mir nicht vorstellen, wozu das wohl dienen könnte, deshalb beschloss ich, lieber die Finger davon zu lassen.

In einer Ecke fand ich schließlich, wovon ich hoffte das es die Toilette war. Ich mußte nämlich inzwischen wirklich dringend, und ich wollte nicht unbedingt Duo fragen müssen, wo sich die Toilette befand. Ich mußte ihn ja schließlich nicht gerade gleich am Anfang mit der Nase darauf stoßen, das ich nicht von diesem Planeten stammte.

Ich näherte mich der Einrichtung. Es sah aus wie eine Art runder Stuhl, auf dem sich ein Deckel befand. Ich hob den Deckel hoch und sah, das es ebenfalls eine Art Becken war, in dem ein wenig Wasser stand. Ich beäugte die Einrichtung und kam zu dem Schluß, dass man sich da wohl draufsetzte, um sein Geschäft zu verrichten. Und nachdem ich ein bißchen rumprobiert und ein paar Knöpfe gedrückt hatte, fand ich auch heraus, wie man hinterher hinter sich sauber machte.

Erleichtert benutzt ich die Einrichtung, danach versuchte ich so gut es ging am Waschbecken mit Hilfe eines der Tücher, die daneben hingen den Dreck von einer Woche abzuspülen und mir so ein wieder halbwegs menschliches Aussehen zu verleihen. Die große Wanne wollte ich nicht benutzen – erstens wusste ich nicht, ob es Duo überhaupt recht sein würde, und zweitens hatte ich mich noch niemals auf diese Art und Weise gesäubert. Bei den OZ säuberten sich die Sklaven mit Schallduschen. Ein richtiges Bad mit Wasser zählte als großer Luxus und stand demnach nur den OZ zu. Anschließend ging ich wieder hinaus in das Schlafzimmer.

Vor dem Bett blieb ich stehen und beäugte die dort liegende Kleidung kritisch. Hoffentlich fand ich heraus, wie man diese korrekt anlegte. Ich hob eines der Stücke hoch und entdeckte, das es ein ähnliches Hemd war, wie das das Duo vorhin getragen hatte. Froh schlüpfte ich hinein und nach einem falschen Versuch, bei dem ich mich fast erwürgte, fand ich sogar heraus, wo vorne und wo hinten war. Dann wandte ich mich der Hose zu, die auf dem Bett lag.

Sie war in einem dunklen Blau gehalten. Der Stoff fühlte sich ziemlich rauh und steif an, und ich war mir nicht sicher ob das wirklich bequem sein konnte. Aber ich hatte nichts anderes anzuziehen, und so wollte ich nicht pingelig sein.

Konzentriert wandte ich mich dem Schließmechanismus zu. Er bestand aus zwei Reihen Metallzähne, die sich am Rande der Öffnung gegenüberstanden, und ganz oben wurde die Öffnung mit einem Knopf geschlossen. Den Knopf bewältigte ich schnell, aber bis ich herausfand, wie genau die Metallzähne zu schließen waren, das dauerte ein bißchen länger.

Als ich schließlich dahinterkam, betätigte ich ihn ein paarmal fasziniert. Wenn man den kleinen Hebel nach oben zog, dann schlossen sich die Metallzähne ineinander, so dass kein Loch mehr zu sehen war. Fuhr man den kleinen Hebel nach unten, so öffneten sie sich wieder. Man konnte es immer und immer wieder machen. Es war fast wie die molekulare Verschmelzung, die die OZ für ihre Kleidung benutzten – nur natürlich auf einem etwas primitiveren Niveau.

Dann schickte ich mich an, die Hose anzuziehen. Einen Moment lang überlegte ich, ob ich die kurze Hose vorher ausziehen sollte, entschied mich dann aber dafür, sie lieber anzulassen. Sie fühlte sich sehr angenehm auf der Haut an, und ich war nicht wirklich wild darauf, den rauhen Stoff der Hose direkt an meiner Haut zu spüren. Ich zog die Hose hoch, betätigte den Schließmechanismus und stellte fest, das Duo Recht gehabt hatte. Die Kleidung passte mir wirklich gut.

Dann entdeckte ich noch etwas auf dem Bett, was vorher von der Hose verdeckt gewesen war. Zwei kleine Stoffteile lagen dort, und bei genauerer Betrachtung stellte ich fest, das sie die ungefähr Form von Füßen hatten. Ich sah hinab auf meine nackten Zehen und nickte verstehend. Es machte durchaus Sinn. Ich setzte mich auf das Bett und nach einigen Versuchen gelang es mir, die Teile richtig anzuziehen. Ich blickte mich suchend um und entdeckte meine Stiefel schließlich halb unter dem Bett.

Schnell zog ich sie an, dann ging ich zögernd aus dem Zimmer. Ich blieb stehen und versuchte mich zu orientieren. Wo sollte ich jetzt hingehen? Duo hatte gesagt, ich sollte einfach dem Geruch folgen. Also schnupperte ich probeweise. Und tatsächlich, ein wirklich köstlicher Duft lag in der Luft! Weiterhin schnuppernd ging ich die Treppe hinab und folgte diesem Duft.