„Sprache"

‚Gedanken'

/Zeichensprache/


Kapitel 5
Heero POV

Immer meiner Nase folgend gelangte ich schließlich in einen Raum, der wohl die Küche sein musste. Obwohl es auf J's Anwesen keine Küche gab, so wusste ich doch, wie eine solche aussah. Jedenfalls sah ich Duo an einer Art Tisch stehen, in der Hand eine Art flachen Topf mit langem Stiel, in dem etwas wirklich gut riechendes brutzelte. Ich blieb in der Tür stehen und betrachtete die Szene neugierig.

Ich hatte noch niemals vorher gesehen, wie Nahrung auf 'natürliche' Art und Weise zubereitet wurde – auf J's Anwesen hatte es nur Nahrungsreplikatoren gegeben. Aber bei den OZ gab es einige, die selbstzubereitetes Essen dem replizierten vorzogen, da es angeblich besser schmeckte – J gehörte nicht dazu, und ich selbst hatte deshalb in dieser Hinsicht noch keine Erfahrung gemacht, denn das einzige Mal, als ich eine Küche zu Gesicht bekommen hatte, war als J Trowa und mich mit zu dieser Konferenz mitgenommen hatte. Und damals hatten wir beide weder zusehen, wie dort etwas zubereitet wurde, noch davon kosten dürfen. Deshalb konnte ich nicht sagen, ob es wirklich stimmte. Ob J das replizierte Essen tatsächlich besser schmeckte oder ob es ihn im Grunde gar nicht kümmerte, wußte ich nicht. Vielleicht hatte er einfach nicht die Geduld darauf zu warten, bis das Essen zubereitet wurde – oder wollte nicht extra Sklaven deswegen beschäftigen.

Aber wie auch immer, nun hatte ich die Gelegenheit zum ersten Mal zu erleben, wie Essen zubereitet wurde. Ich hoffte nur, der Geschmack der Menschen hier würde sich nicht zu sehr von dem unterscheiden, was ich kannte. Andererseits, ich hatte inzwischen schon so lange nichts mehr gegessen, das ich wahrscheinlich alles ohne zu fragen verschlingen würde.

Duo schien meine Gegenwart zu spüren, denn er drehte sich um und schenkte mir ein fröhliches Lächeln.

„Nur nicht so schüchtern, komm ruhig rein, Heero," rief er und winkte mir mit dem Holzlöffel zu, den er in einer Hand hielt und mit dem er bis jetzt in seinem Kochgerät gerührt hatte.

Zögernd trat ich ein. Duo lächelte mich immer noch an, dann ließ er seinen Blick langsam über mich wandern. Von oben nach unten, und dann wieder nach oben. Mich überkam ein seltsames Gefühl bei diesem Blick. Ich spürte wie das Blut in mein Gesicht lief und mein Magen flatterte. Wahrscheinlich war das der Hunger, der sich da wieder meldete. Wieso allerdings mein Gesicht so heiß wurde, konnte ich nicht erklären, allerdings hatte ich auch noch niemals zuvor so lange gehungert. Vielleicht war das einfach eines der üblichen Symptome?

Duos unglaublich violetter Blick traf schließlich wieder auf meinen, und sein Lächeln veränderte sich leicht. Ich konnte nicht sagen, wie genau es sich veränderte, oder warum es so anders wirkte, aber auf einmal sah Duo anders aus. Strahlender. Und sein Blick bekam etwas hungriges.

Offenbar hatte Duo auch schon längere Zeit nichts mehr gegessen, genau wie ich, wie mich mein knurrender Magen in diesem Moment erinnerte. Duo hörte das Knurren ebenfalls, denn sofort war wieder das vertraute, fröhliche Grinsen in seinem Gesicht.

„Setz dich doch," sagte er, deutete auf den Tisch in der Mitte und wandte sich wieder der Zubereitung des Essens zu.

Ich ging zum Tisch hinüber, zog einen der Stühle hervor und setzte mich vorsichtig hin. Und beobachtete weiter Duo. Dieser wandte sich soeben vom Herd ab und ging zu einem großen, weißen Schrank, so daß ich den Herd zum ersten Mal genauer betrachten konnte. Er sah natürlich ganz anders aus als die der OZ, aber ich erkannte dennoch sofort, worum es sich handelte.

Die Oberfläche war dunkel und schien aus irgendeinem sehr glatten Material zu bestehen. Vielleicht Glas? Auf diesem glatten Oberflächenmaterial waren vier runde Kreise aufgemalt, von denen zwei rot leuchteten. Auf diesen leuchtenden roten Kreisen standen zwei dieser flachen Töpfe. In einem der Töpfe brutzelte eine gelblich-weiße Masse, von der ich nicht sagen konnte, was sie war – aber was auch immer, es roch gut. Im anderen musste Fleisch braten, wie ich vom Geruch her erkannte, auch wenn ich noch niemals Fleisch in dieser Form gesehen hatte. Und noch ein anderer, sehr aromatischer Geruch hing in der Luft, aber ich konnte dessen Quelle nicht ausmachen.

Duo hatte inzwischen den weißen Schrank geöffnet und steckte seinen Kopf hinein. Ein Schwall kühler Luft entwich dem Schrank und driftete bis zu mir. Ich blickte erstaunt hinüber. Offensichtlich wurde das Innere des Schrankes auf irgendeine Art und Weise kühl gehalten. Was durchaus Sinn machte, wenn man das Essen aus frischen Nahrungsmitteln zubereitete. So würden die Lebensmittel länger haltbar sein.

„Ißt du gern Joghurt, Heero?" fragte Duo mich, ohne seinen Kopf aus dem gekühlten Schrank zu nehmen. Als ich nicht sofort antwortete – woher sollte ich wissen, ob ich gerne Joghurt aß oder nicht, wenn ich nicht einmal wußte, was Joghurt überhaupt war? – drehte er seinen Kopf und blickte mich über die Schulter fragend an. Ich schüttelte den Kopf. Solang ich nicht wußte, wer oder was ein Joghurt war, würde ich es nicht essen.

Duo zuckte mit den Schultern, dann wandte er sich wieder dem Inhalt des kühlen Schrankes zu. Er holte einige Dinge heraus und brachte sie zum Tisch, wo er sie abstellte. Danach holte er Geschirr, Teller, Tassen und Besteck für mehrere Personen hervor und legte vor jeden Stuhl ein Gedeck. Und die ganze Zeit über summte er vor sich hin.

Als ich das Summen zum ersten Mal wahrnahm, erschrak ich mich ziemlich. Schließlich wußte ich erst nicht, wo es herkam. Als dann Duo aus dem weißen Schrank auftauchte, erkannte ich, das er diese Töne produzierte. Sofort schimpfte ich mich einen Narren. Natürlich kamen diese Töne von Duo! Schließlich war er der einzige hier im Raum, der Singen konnte!

Aber das Summen hörte sich doch ganz anders an, als der Gesang des Vorabends. Nicht unangenehm, aber doch irgendwie gedämpfter. Und trotz allem sehr melodisch. Ich löste meinen Blick keine Sekunde von Duo.

Plötzlich hob dieser seinen Kopf und ertappte mich dabei, wie ich ihn anstarrte. Sofort überzog wieder eines dieser breiten, freundlichen Lächeln sein Gesicht. Und wie jedes Mal, traf es mich völlig überraschend. Ich glaube, ich hatte noch niemals zuvor einen Menschen gesehen, der so viel lächelte. Der so viel Lebensfreude ausstrahlte.

Ich spürte erneut, wie ich leicht errötete und wandte meinen Blick ab. Ich verstand einfach nicht, was mit mir los war. Warum ich immer so seltsam reagierte. So kannte ich mich gar nicht – und das verunsicherte mich noch mehr, als ich sowieso schon war.

Um mich abzulenken betrachtete ich das Geschirr und das Besteck vor mir. Den Teller und die Tasse erkannte ich sofort, denn schließlich, wie viele verschiedene Formen kann es schon geben, um als Behälter für Flüssigkeiten oder Nahrung zu dienen? Auch das Messer war kein Problem, ein Messer ist ein Messer, auch da gibt es keine großartigen Möglichkeiten, das Design zu variieren.

Neben dem Messer entdeckte ich ein anderes Gerät, es war etwa so lang wie das Messer, nur war es am oberen Ende leicht gebogen und hatte vier lange, dünne Spitzen. Ich dachte ein wenig nach und kam zu dem Schluß, das es wohl dazu benutzt wurde, um Nahrung aufzuheben, ohne diese in die Finger nehmen zu müssen. Ich hoffte nur, das ich mir bei Duo abschauen konnte, für welche Nahrung man dieses Gerät benutzte und für welche nicht.

Neben der Tasse lag ein kleiner Löffel (genau, ihr habt es erraten, auch hier gibt es nicht wirklich viele Variationsmöglichkeiten), doch wozu ich diesen brauchen sollte, war mir nicht ganz klar. Für die Tasse? Sicherlich war diese doch eher dazu gedacht, die Flüssigkeit direkt daraus zu trinken, oder? Und der Teller war ebenfalls nicht tief genug, um irgendeine flüssige Nahrung aufzunehmen. Wozu also brauchte ich einen Löffel? Aber ich würde es sicherlich schon noch herausfinden.

Duo schien inzwischen fertig zu sein mit seinen Vorbereitungen, denn er lehnte sich mit der Hüfte leicht an eines der niedrigen Schränkchen, verschränkte die Arme vor der Brust und richtete seinen Blick erwartungsvoll auf die Tür. Ich folgte seinem Blick, doch es war nichts zu sehen. Ich blickte stirnrunzelnd zurück zu Duo.

Er musste meinen verwirrten Blick wohl bemerkt haben, denn er grinste mich kurz an, dann öffnete er den Mund.

„Wirst es gleich sehen. Die beiden sind so pünktlich wie die Uhr. Fünf, vier, drei, zwei, eins."

In diesem Moment betrat der blonde junge Mann, den ich am Vorabend ebenfalls auf der Bühne gesehen hatte, den Raum.

„Guten Morgen!" rief er fröhlich und ließ sich auf einen der Stühle fallen. „Hm, das riecht lecker." Er schnupperte probeweise in der Luft. „Rührei? Und Würstchen und Speck? Wie kommen wir denn zu der Ehre?" fragend zog er eine Augenbraue hoch.

Bevor Duo noch antworten konnte, betrat erneut jemand den Raum, und zwar der junge Mann mit dem schulterlangen schwarzen Haar. Wie auch gestern trug er es zu einem festen, kleinen Zopf im Nacken gebunden. Er brummte nur ein leises „Guten Morgen," und ließ sich fast mürrisch auf einen Stuhl fallen.

Duo näherte sich dem Tisch. „Müde, Fei?" grinste er.

Der Schwarzhaarige hob den Kopf und funkelte Duo an. „Natürlich bin ich müde. Ich hab alles in allem vielleicht höchstens vier bis fünf Stunden geschlafen. Wie sollte ich da nicht müde sein? Und mein Name ist Wufei."

„Wieso bist du dann nicht einfach im Bett geblieben?" fragte Duo, griff sich eine Kanne aus Glas, in der sich eine schwarze Flüssigkeit befand und begann diese in die Tassen einzugießen.

„Und mir dieses Frühstück entgehen lassen?" fragte der Schwarzhaarige mit weit aufgerissenen Augen.

Duo grinste nur und schenkte auch ihm von dem schwarzen Gebräu ein. Dann wandte er sich meiner Tasse zu, stoppte aber kurz vorher.

„Daran hab ich jetzt gar nicht gedacht!" rief er und blickte mich an, „Trinkst du überhaupt Kaffee, Heero?"

Ich blickte verunsichert zurück. Ich hatte keine Ahnung, was ich jetzt sagen sollte. Die Farbe des Getränks war nicht gerade vertrauenserweckend – ich bitte euch, schwarz! Andererseits schienen die anderen drei es ohne Probleme trinken zu wollen, und außerdem merkte ich, das es wirklich gut roch. Der aromatische Geruch, der mir schon vorher aufgefallen war und den ich nicht hatte einordnen können. Ich entschloss mich, es einfach zu wagen, deshalb nickte ich Duo zu.

Jetzt wandten sich auch die Blicke der anderen beiden mir zu. Ich hatte mich schon gewundert, warum sie das nicht schon früher getan hatten. Ich konnte mir wirklich nicht vorstellen, das sie mich übersehen hatten als sie in die Küche gekommen waren. Aber aus irgendeinem Grund hatten sie davon Abstand genommen, mich sofort mit Fragen zu bestürmen, und ich war ihnen wirklich dankbar dafür.

Doch jetzt schien der Zeitpunkt für die Fragen gekommen zu sein. Seltsamerweise war es der Blonde, der das Reden übernahm. Ich hätte ja eher gedacht, das es der Schwarzhaarige sein würde, schließlich blickte dieser ziemlich finster drein – zuerst hatte es mich etwas verunsichert, aber dann war mir eingefallen, dass dieser jeden so anblickte und dieser Blick nicht unbedingt mit mir etwas zu tun hatte.

„Hallo," sagte der Blonde und lächelte mich freundlich an, „Mein Name ist Quatre Raberba Winner und das hier ist Wufei Chang. Duo hast du ja offensichtlich schon kennengelernt. Und wer bist du?"

Ich weiß nicht wieso, aber ich merkte wie ich mich sofort entspannte unter diesem freundlichen Lächeln. Nicht das ich mich in Duos Gegenwart unwohl gefühlt hatte, denn das hatte ich nicht, ich hatte mich wohl gefühlt wie noch nie zuvor in meinem Leben. Und auch sicher. Aber eben niemals entspannt. Ich weiß nicht wie ich es erklären sollte, aber irgendetwas an Duo ließ mich ständig so vieler Dinge bewusst sein – Entspannung war da einfach nicht möglich.

Quatre hingegen, er strahlte etwas so unschuldiges, etwas so liebenswürdiges aus, so dass man sich einfach sofort beruhigt fühlte. Ich hatte das Gefühl das ich ihm alles anvertrauen konnte, das jedes meiner Geheimnisse bei ihm gut aufgehoben sein würde. Ich musste wirklich stark mit mir kämpfen um diesem Drang zu widerstehen.

Stattdessen sagte ich einfach nur, „Heero."

Quatre legte den Kopf leicht schief und blickte mich fragend an. „Nur Heero?" hakte er nach.

Ich war kurz davor genervt aufzustöhnen. Wieso nur fragte mich jeder hier diese Frage? Ok, inzwischen war es selbst mir klar geworden, das wohl die meisten der Menschen hier zwei Namen besaßen – Quatre hatte sogar drei! – auch wenn ich nicht so ganz verstand, wieso. Offensichtlich wurde ja immer nur einer der Namen benutzt, wozu diente also dieser zweite Name?

Aber mussten sie mich trotzdem dauernd fragen? Ich hätte mir ja auch einfach irgendeinen zweiten Namen ausdenken können, nur um dieser ewigen Fragerei zu entgehen, da ich aber nicht wusste, was dieser zweite Name überhaupt bedeutete, ließ ich es lieber. Nicht das ich am Ende irgendwie was falsch und mich dadurch erst recht verdächtig machen würde.

Als er merkte, das ich ihm nicht antworten, sondern ihn wahrscheinlich eher noch stundenlang einfach stumm anstarren würde, lächelte Quatre wieder.

„Nur Heero also, hm? So wie Cher?" fragte er und grinste leicht

Duo fing sofort an zu kichern und gluckste leise vor sich hin, und sogar Wufei konnte ein Grinsen nicht unterdrücken. Nur ich war wieder der einzige am Tisch, der den Scherz – denn es war offensichtlich, das es sich um so etwas handeln musste – nicht verstand. Doch was konnte ich schon tun, außer verwirrt auf meinen Teller zu starren?

Schließlich schien Duo mein Unbehagen aufzufallen, denn er hörte auf zu glucksen und sagte, „Genug, lasst den armen Heero in Ruhe." Dann stand er auf, nahm einen der flachen Töpfe vom Herd und kam zurück zum Tisch. Er begann damit, die gelbe Masse auf die verschiedenen Teller zu verteilen.

Bei mir angekommen blickte er mich fragend an. „Rührei?" fragte er.

Wieder nickte ich nur. Ich würde einfach alles nehmen, was auch die anderen nahmen. Essbar schien es auf jeden Fall zu sein, und ob es mir schmeckte oder nicht, würde ich schon früh genug herausfinden.

Als Duo schließlich fast den gesamten Inhalt der beiden flachen Töpfe verteilt hatte – offensichtlich ließ er einen Rest für Noin übrig, die sich uns nicht zum Essen anschloss – setzte er sich wieder an den Tisch und wir alle begannen zu essen.

Ich hob vorsichtig meine Gabel – ich hatte gehört, wie Wufei das Gerät so genannt hatte – und beobachtet genau, was die anderen damit machten. Offensichtlich diente es dazu, die gelbe Masse – das Rührei – zu sich zu nehmen.

Zögernd hob ich etwas von dem Rührei zu meinem Mund und steckte es hinein. Und ich wurde angenehm überrascht. Es schmeckt wirklich gut! Und ich merkte, das außer dem wohl tierischen Produkt, das dem Gericht die allgemeine gelbe Farbe verlieh, auch noch Gemüse mit untergemischt worden war. Ich konnte kleine rote Stücke erkennen, glasige fast durchsichtige Stückchen und etwas größere, dunkelbraune Stücke, die eine wirklich interessante Form hatten. Eine Art dicker kleiner Stamm, auf dem ein rundes Oberteil saß, fast wie ein kleiner Hut. Aber alles davon schmeckte wirklich hervorragend.

Auch das Fleisch in dieser komischen Form schmeckte gut. Würstchen hatte Quatre sie genannt. Bei meinem ersten Bissen erkannte ich schnell, dass diese Form offensichtlich nicht natürlich war, sondern künstlich hergestellt wurde. Aber es schmeckte wie gesagt sehr gut, und ich war viel zu sehr damit beschäftigt, mich endlich mal wieder satt zu essen, um allzu sehr über die Herkunft des Essens nachzugrübeln.

Aber die größte Überraschung war wirklich der Kaffee. Ich hatte beobachtet, wie die anderen mit dem kleinen Löffel ein weißes Pulver in das Getränk schaufelten – Wufei und Quatre nur sehr wenig, Duo hingegen schien die halbe Dose des weißen Pulvers in seine Tasse schütten zu wollen. Als Quatre das sah, verdrehte er nur die Augen.

Da ich nicht wusste, was das für ein weißes Zeug war, folgte ich lieber Quatre und Wufeis Beispiel und nahm nur einen Löffel davon. Sollte ich es wollen, würde ich mir später immer noch etwas mehr davon nehmen können.

Außerdem goss Duo sich auch noch eine weiße Flüssigkeit aus einem hohen, eckigen Karton in das Getränk, was diesem eine sehr schöne, cremig braune Farbe verlieh. Da ich allerdings was das weiße Pulver anging schon Quatres Beispiel gefolgt war, beschloss ich auch was die weiße Flüssigkeit anging dasselbe zu machen. Und da Quatre nichts davon nahm, nahm ich auch nichts.

Nachdem ich dann umgerührt hatte nahm ich meinen ersten zögernden Schluck. Und riss meine Augen weit auf. Der Geschmack war mit nichts zu vergleichen, was ich kannte. Es schmeckte bitter, hatte aber dennoch einen leicht süßlichen Unterton. Und es war stark. Es hatte eine unglaublich belebende Wirkung. Ich war erstaunt, das ein solch starkes Aufputschmittel einfach so frei zugänglich war.

Eine Weile aßen wir relativ schweigend. Irgendwann merkte ich, dass Wufei mich erstaunt anblickte. Ich hörte auf zu essen und blickte erschrocken zurück. Hatte ich etwas falsch gemacht? Was sollte ich tun?

„Was ist los, Wuffles?" fragte Duo, dem unser Blickaustausch offenbar aufgefallen war.

Wufei schüttelte nur den Kopf und wandte sich Duo zu. „Nichts. Ich hätte nur nicht gedacht, das es tatsächlich jemand gibt, der mehr essen kann als du."

Ich spürte schon wieder, wie ich rot anlief. Verdammt, das wurde hier langsam zur Gewohnheit. Doch glücklicherweise schienen Quatre und Duo das nicht so ernst zu nehmen, denn die beiden lachten bei diesen Worten nur auf und aßen einfach weiter.

Ich schloss mich ihnen an, versuchte aber jetzt, mich etwas zurückzuhalten. Schließlich wollte ich meine Gastgeber nicht vor den Kopf stoßen. Und wer wusste, vielleicht konnten sie es sich gar nicht leisten, so viele Lebensmittel an mich zu verschwenden? Ich wollte mein Glück lieber nicht überstrapazieren.

Ich war ja immer noch erstaunt darüber, das noch immer keiner der drei mich gefragt hatte, was ich denn eigentlich von ihnen wollte. Und warum sie mich so offen und freundlich in ihr Haus aufgenommen hatten, mich, einen völlig Fremden.

Und als hätte ich es geahnt, sobald sie die Mahlzeit beendet hatten wandte Quatre sich wieder an mich.

„Also Heero," begann er, „Dir geht es wieder besser, ja?"

Ich nickte zögernd. Vielleicht hätte ich besser sagen sollen, das es mir nicht besser ginge, damit ich bleiben könnte, aber ich fühlte mich nicht wohl dabei, die anderen anzulügen. Und nach einem Blick aus Quatres großen, unschuldigen Augen konnte ich es erst recht nicht.

„Warum bist du zusammengebrochen?"

Ich blickte mich schnell im Raum um. Ich war wieder etwas erstaunt, das Duo und Wufei es ausgerechnet dem jüngsten und unschuldigsten unter ihnen überließen, mich auszufragen, aber die beiden sahen so aus, als ob sie es voll und ganz Quatre überlassen würden. Also richtete ich meine Aufmerksamkeit wieder auf ihn.

„Bist du vielleicht krank? Irgendwas chronisches? Sollen wir deine Familie benachrichtigen?"

Schnell schüttelte ich meinen Kopf. „Nein," sagte ich, „Ich war nur erschöpft."

„Erschöpft?"

Verdammt. Das hätte ich vielleicht besser nicht sagen sollen. Aber ich war von der Vorstellung, dass sie irgendeine imaginäre Familie von mir suchen wollten so erschrocken, das ich ohne nachzudenken sofort mit der Wahrheit herausgeplatzt war.

„Warum warst du erschöpft?"

Ich kaute nervös auf meiner Unterlippe. Was sollte ich sagen? Ich wagte es kaum, Quatre anzublicken, denn ich war mir sicher, nur ein Blick in dieses offene, unschuldige Gesicht und ich würde ihm alles erzählen.

„Noin hat mir erzählt, das du ein paar üble Prellungen hast, Heero."

Ich hob erstaunt meinen Kopf. Und auch Duo sah Quatre überrascht an. Offensichtlich war Noin nachdem sie mich untersucht hatte zu Quatre gegangen und hatte diesem davon berichtet.

„Hast du irgendwelche Schwierigkeiten, Heero?"

Schwierigkeiten? Oh ja, das konnte man durchaus sagen. Ich nickte zögernd.

„Bist du vor irgendwas auf der Flucht?"

Wieder nickte ich. Verdammt, dieser Quatre war echt ganz schön hartnäckig. Aber ich würde versuchen, so lange wie möglich einer direkten Antwort auszuweichen.

„Und warum hast du dich gestern an uns gewandt?"

Mist. Jetzt würde ich antworten müssen. „Ich... ich habe mich nur versteckt..." Ok, das war so nah wie möglich an der Wahrheit, ohne wirklich gelogen zu sein. Ich hatte mich schließlich versteckt, oder? Und das ich die Frage nicht wirklich beantwortet hatte – nun, ich hoffte einfach, dass das niemandem auffallen würde.

„Hm." Quatre sah mich grübelnd an. „Und was willst du jetzt tun? Wo willst du jetzt hingehen?"

Ich senkte meinen Kopf. „Ich... es gibt keine Ort, an den ich gehen könnte," sagte ich leise. Ich hatte versagt. Quatre wollte mit diesen Fragen ganz offensichtlich andeuten, das ich nicht länger bei ihnen bleiben konnte.

„Keine Familie? Keine Freunde?" Quatres Stimme klang ebenfalls leise.

Ich schüttelte den Kopf. „Ich... ich denke, ich werde dann jetzt wohl besser gehen." Immer noch mit gesenktem Kopf begann ich aufzustehen. Doch eine Hand auf meinem Arm hinderte mich daran. Erstaunt blickte ich auf und sah direkt in Duos violette Augen.

„Das ist doch Unsinn, Heero," sagte er mit bestimmter Stimme. „Du hast selbst gesagt, das du niemanden hast. Wo willst du also hingehen?"

Ich zuckte nur mit den Schultern.

„Du bleibst hier," sagte Duo, und es klang nicht im geringsten wie eine Frage, sondern wie eine Feststellung. „Du kannst so lange bei uns bleiben, wie du willst. Nicht wahr, Q?"

Ich blickte zu dem Blonden hinüber und sah dessen Blick mitfühlend auf mir ruhen. „Natürlich kann er bleiben," antwortete er.

Ich blickte hoffnungsvoll von einem zum anderen. Konnte es wirklich sein? Konnten sie mich wirklich so einfach, ohne Hintergedanken bleiben lassen? Ich wagte kaum zu atmen, aus Angst das ich mich nur verhört hatte.

„Siehst du, Hee-chan?" Duo schenkte mir ein strahlendes Lächeln. „Du kannst hierbleiben, solange du willst."

Da war er wieder, dieser seltsame Name, den Duo schon einmal benutzt hatte, um mich anzusprechen. Aber mir war schon vorher aufgefallen, das Duo eigentlich eher selten die richtigen Namen benützte. Er kürzte sie ab oder verzierte sie mit irgendwelchen Anhängseln.

Quatre schien es nicht groß zu stören, das Duo ihn nie beim richtigen Namen nannte, und auch Noin hatte nicht so gewirkt, als würde es sie stören. Wufei grummelte zwar immer und korrigierte Duo, wenn er dessen Namen nicht richtig aussprach, aber ich hatte nicht das Gefühl, das es ihn wirklich störte.

Und mich selbst störte es ebenfalls nicht. Diese Abänderung meines Namens gab mir ein sehr gutes Gefühl – auch wenn ich nicht wusste, was es bedeutete. Es gab mir das Gefühl, dazuzugehören. Duo behandelte all seine Freunde so, und das er mit mir genauso umging, gab mir ein schönes Gefühl. Es machte mir Hoffnung, das wir vielleicht auch Freunde werden könnten. Denn das wollte ich wirklich sehr, Duos Freund sein.

Ich hielt einen Augenblick erstaunt inne, als ich merkte, wie sehr ich es mir wünschte. Ich hatte noch niemals zuvor ein so starkes Verlangen wegen irgendetwas gespürt. Nicht einmal mein Wunsch nach Flucht, nach Freiheit war so stark gewesen wie mein Wunsch, von Duo als Freund angesehen zu werden.

Und jetzt hatte ich die Chance erhalten, das wahr zu machen. Ich würde hier bleiben können. Ich würde ein Auge auf den Jäger haben können. Ich würde meine neuen Freunde – ich beschloss sie, als solche zu sehen – vor dem Jäger beschützen, koste es was es wolle. Und ich würde Duo dazu bringen, mich als einen Freund zu sehen. Und vielleicht... vielleicht würde ich ihm sogar irgendwann die Wahrheit über mich erzählen können.