Titel: Enjoy the Silence
Autor: Zanna
Disclaimer: siehe Kapitel 1
Betadank: Wie immer Laren 'knuddel'

Kommentar: Gute Nachrichten, es gibt diese Woche noch ein weiteres Kapitel! Beinahe hätte ich es ja nicht geschrieben, weil ich ein echt traumatisches Ereignis hatte am Donnerstag. Mein Handy war auf einmal weg! Glücklicherweise hat sich am Freitag rausgestellt, das ich es nur im Labor liegengelassen hab und ein Freund hat es mitgenommen. Aber der Donnerstag Nachmittag war schrecklich! Ich konnte mich zu nichts aufraffen! 'ggg'

Aber jetzt ist mein Handy wieder da, ich hab das Kapitel geschrieben, und jetzt wart ich nur noch auf eure Kommis! ;-)


Kapitel 13
Heero POV

Wie erwartet wurden Quatre, Noin, Wufei und Duo nach der Implantation der Translatoren sehr rasch müde. Vielleicht sogar etwas schneller als erwartet. Ich konnte mich nicht erinnern, das ich damals so schnell so müde geworden war. Aber vielleicht war der Grund ja, das es schon so lange her war und meine Erinnerungen nicht mehr so genau waren. Oder es lag daran, das Duo und die anderen bereits erwachsen waren und deshalb heftiger auf die Implantation reagierten.

Wie auch immer, Quatres Vorschlag sich schlafen zu legen wurde von allen begeistert aufgenommen – soweit man von Begeisterung sprechen konnte, so sehr wie alle gähnen mußten. Und so folgte ich Duo in unsere gemeinsame Kabine. Ich war ein bißchen verunsichert; ich wußte einfach nicht was ich jetzt erwarten sollte.

Hatte Duo wirklich nichts mehr dagegen, mit mir im selben Raum, ja sogar selben Bett zu sein? Sein Verhalten in den letzten Stunden ließ es annehmen, aber ich konnte es dennoch nicht wirklich glauben. Dazu war mir seine Abweisung als Quatre die Kabinen verteilt hatte noch zu schmerzhaft bewußt. Ich konnte mir einfach nicht vorstellen, das er in so kurzer Zeit seine Meinung über mich geändert haben sollte.

Aber vielleicht hatte er ja gar nicht vor, im selben Bett zu schlafen? Vielleicht würde er seine Decken nehmen und sich einen Schlafplatz auf dem Boden suchen? Doch Duo zog sich aus, schweigend, da er viel zu sehr damit beschäftigt war zu Gähnen, und dann kletterte er ins Bett.

Ich zog mich etwas langsamer ebenfalls bis auf Boxershorts und T-Shirt aus. Was sollte ich tun? Vielleicht erwartete Duo ja, das ich mir einen Schlafplatz auf dem Boden suchte? Andererseits, er hatte sich nur auf einer Seite des Bettes zusammengerollt, so als wollte er mir genügend Platz lassen. Zögernd ließ ich mich auf das Bett nieder.

„Gute Nacht, Heero," sagte Duo und gähnte. „Schlaf schön." Dann schloß er die Augen, und schon Sekunden später war er offenbar eingeschlafen. Ich beneidete ihn um die Schnelligkeit, in der er Schlaf gefunden hatte. Allein den anderen beim Gähnen zuzusehen hatte mich noch müder gemacht – allerdings war ich selbst über das Stadium des Gähnens schon lang hinaus.

Vorsichtig streckte ich meine Hand aus und griff nach Duos Zopf, der irgendwie seinen Weg in die Mitte des Bettes gefunden hatte. Glücklicherweise war Duo so müde gewesen, daß er es nicht mehr mitbekommen hatte. Ich wußte nämlich nicht, ob es ihm recht wäre. Aber ich hatte ihn so sehr vermisst, nicht nur seine Anwesenheit sondern auch seine Berührung! Und sein Zopf war das einzige, was ich wagte ohne seine Erlaubnis anzufassen.

Ich lag dort im Dunkeln neben Duo im Bett, umklammerte seinen Zopf und hoffte, endlich wieder schlafen zu können. Immerhin, Duo lag wieder neben mir. Ich durfte ihn zwar nicht berühren, aber ich konnte seine Atemzüge hören. Und wenn ich den Zopf ganz nah an mein Gesicht zog, dann konnte ich sogar seinen Duft riechen. Das sollte doch wohl genügen, oder?

Aber offensichtlich genügte es nicht. Denn egal was ich auch versuchte, ich fand keinen Schlaf. Aus irgendeinem Grund war es jetzt sogar noch viel schlimmer als vorher. Duo lag zwar wieder neben mir im Bett – aber dennoch hatte sich nichts geändert.

Denn ich wußte, das er es nicht freiwillig tat. Das Quatre ihn dazu gezwungen hatte. Und der Gedanke, das Quatre ihn vielleicht auch dazu gezwungen hatte, wieder nett zu mir zu sein, lag wie ein Stein auf meinem Herzen. Ich wünschte fast, ich hätte weinen können. Aber meine Augen blieben trocken. Und offen.

Die nächsten Stunden lag ich neben Duo und beobachtete ihn im Schlaf. Ließ meinen Blick endlich wieder ungehindert über ihn gleiten, etwas das ich im Wachen schon seit Tagen nicht mehr gewagt hatte.

Ich blickte in das schöne, herzförmige Gesicht, die im Schlaf leicht geöffneten rosigen Lippen und mein Herz zog sich zusammen. Ich wurde in diesem Moment so stark an jenen ersten Morgen erinnert, als ich Duo ebenfalls im Schlaf betrachtet hatte, während ich seinen Zopf in der Hand hielt. Nur das Duo damals seinen Arm um mich geschlungen hatte und mich angelächelt hatte, als er aufgewacht war. Ich bezweifelte das er das jetzt auch tun würde.

Irgendwann hielt ich es nicht mehr aus und stand auf. Ich würde ja doch nicht schlafen können, und wer wußte schon wie lange Duo und die anderen noch schlafen würden. Ich konnte diese Zeit genauso gut auch in einem der Pilotensessel verbringen. Wo ich Duo und der Versuchung nicht mehr so nahe sein würde.

Und so saß ich zum zweiten Mal innerhalb eines Monats allein im Pilotensessel und betrachtete die draußen vorbeiziehenden Sterne. Und erinnerte mich zurück an die Zeit vor über zwei Wochen. An die Wünsche und Hoffnungen die mich damals bewegt hatten. Und wieviel seitdem geschehen war.

Es war fast gespenstisch. Wenn ich die Augen schloß, konnte ich mir sogar einbilden, ich wäre immer noch allein. Immer noch auf der Flucht vor J, statt auf dem Weg zurück zu ihm. Ich konnte mir vorstellen, die letzten zwei Wochen wären nie geschehen. Dann wäre ich jetzt nicht so ein völliges emotionales Wrack.

Doch diese Phase hielt nicht lang an. So sehr ich mir auch wünschen mochte, daß der Schmerz endlich vergehen würde, so würde ich die letzten zwei Wochen nicht missen wollen. Egal wie weh es mir jetzt auch tat, ich würde die kurze Zeit, in der ich Duos Freundschaft genießen durfte gegen nichts eintauschen.

Und ich war nicht mehr allein; selbst wenn Duos Freundschaft nie wieder dieselbe sein würde, ich hatte immer noch Quatre, Wufei und Noin. Auch sie waren meine Freunde, und ich war unendlich froh, daß ich diese Reise nicht allein antreten mußte. Ganz im Gegenteil zu meiner Flucht.

„Bist du nicht müde, Heero?"

Ich gestattete mir ein kleines Lächeln. Noch eine Sache, die so völlig anders war als während meiner Flucht. Damals hatte ich gegen Wing kämpfen müssen, und jetzt? Jetzt hegte ich Wing gegenüber sogar fast freundschaftliche Gefühle. Wenn mir jemand vor einem Monat gesagt hätte, das ich mit einer Schiffseinheit Gespräche führen und über die Kapriolen eines Jägers lachen würde, ich hätte denjenigen für verrückt erklärt.

„Doch, ich bin müde, Wing."

„Und warum schläfst du dann nicht, so wie die anderen?"

Ich seufzte. „Ich kann einfach nicht schlafen."

„Warum nicht?"

Ich zuckte mit den Schultern. „Ich weiß es nicht, Wing."

Eine Weile schwiegen wir beide. Dann fragte ich plötzlich, „Bereust du es?"

„Was soll ich bereuen?"

„Naja, das wir dich praktisch gezwungen haben, uns zu helfen."

Wing war so lange still, das ich schon dachte, sie würde gar nicht mehr antworten. Schließlich sagte sie, „Nein."

„Wirklich nicht? Warum nicht?"

Darauf antwortete Wing tatsächlich nichts. Nach einer Weile mußte ich über mich selbst den Kopf schütteln. Wing war eine KI. Sie konnte gar nichts bereuen. In den letzten Tagen hatte ich mich immer öfter dabei ertappt, daß ich diese Tatsache völlig vergessen hatte. Doch es gab noch eine Frage, die mich wirklich interessierte.

„Wenn du die Wahl hättest, würdest du zu J zurückgehen?"

Diesmal war Wings Antwort prompt. „Nein."

Ich lächelte leicht. „Ich bin froh." Das war ich wirklich. Es wäre nämlich ziemlich schlecht, wenn Wing uns zwar nach L1 bringen würde, aber dort dann plötzlich entscheiden würde, das sie zu J zurück wollte. Das wäre ein nicht unerhebliches Problem gewesen.

„Es gibt nichts, was mich zu J zurückzieht. Du brauchst dir keine Sorgen machen, daß ich euch im Stich lasse."

Ich spürte wie ich leicht rot wurde. Ich hätte nicht gedacht, das Wing mich durchschauen würde. Sie war für eine KI wirklich erstaunlich einfühlsam.

Die nächsten Stunden unterhielten wir uns über alles mögliche. Über J und wie teilweise unterschiedlich sein Verhalten auf uns beide gewirkt hatte. Was für eine Umstellung es für Wing gewesen war, als sie von der Jägereinheit zur Schiffseinheit aufgestiegen war. Über meinen ersten Flug mit ihr, damals als ich erst fünf Jahre alt gewesen war.

Als Wing jenen Flug erwähnte, mußte ich unwillkürlich sofort an Odin denken. Und mir kam der Gedanke, ob es vielleicht möglich wäre, ihn wiederzusehen. Wing kannte die Koordinaten meines Hortest; sie hatte mich damals immerhin dort abgeholt. Es wäre also kein Problem den Hort anzufliegen. Und es wäre schön, Odin wiederzusehen, wenn er noch am Leben wäre. Er war der einzige Vater gewesen, den ich je gekannt hatte.

Aber das war nicht der einzige Grund, warum mir dieser Gedanke durch den Kopf ging. Ich wollte Odin zeigen, das er Unrecht hatte in seiner glühenden Verehrung der OZ. Das es Menschen gab, die frei waren. Die ihr ganzes Leben in Freiheit gelebt hatten und nichts anderes kannten. Das wir keine Haustiere waren, die von ihren 'Herren' beschützt werden mussten!

Ich wünschte mir so sehr, das er mich verstehen würde! Und vielleicht könnte ich sogar... Doch dann schüttelte ich den Kopf. Es wäre ein zu großer Umweg. Und wer wußte schon, ob Odin überhaupt noch dort wäre? Und vor allem, ob er sich jemals überzeugen lassen würde? Wir konnten es nicht riskieren. Das beste wäre wirklich, Trowa zu holen und danach so schnell wie möglich zur Erde zurückzukehren.

Ich merkte gar nicht, wie schnell die Zeit verging, so gut unterhielt ich mich mit Wing. Aber irgendwann kamen die anderen verschlafen aus ihren Kabinen getaumelt. Erstaunlicherweise war Noin die erste, die auftauchte. Ich hob überrascht eine Augenbraue. Ausgerechnet Noin, die sonst immer am längsten von allen schlief!

„Morgen, Heero," murmelte sie, dann wandte sie sich an Wing. „Wenn du auch nur das geringste Mitgefühl für mich empfindest, dann replizier mir doch bitte eine große Tasse des stärksten Kaffees den du hast."

Bevor wir losgeflogen waren hatte Wing sich noch etliche Daten aus dem Internet der Erde heruntergeladen. Duo hatte ihr das vorgeschlagen, damit Wing ihnen die gewohnten Speisen und Getränke zubereiten konnte. Und so konnte Wing Noins Wunsch erfüllen, und mit einem glücklichen Seufzer, die Tasse Kaffee fest umklammert ließ sich Noin neben mich in den Pilotensitz fallen.

Quatre, Wufei und Duo ließen nicht lange auf sich warten. Sie alle ließen sich von Wing Kaffee replizieren und nach den ersten Schlucken sahen sie dann tatsächlich auch wieder wacher aus.

„Wie lang haben wir geschlafen?" fragte Quatre.

„Achtzehn Stunden," antwortete Wing.

Die anderen rissen ihre Augen weit auf. „Achtzehn Stunden?" rief Wufei.

Ich nickte.

Quatre warf mir einen prüfenden Blick zu. „Und wie lang bist du schon wach, Heero?"

Ich murmelte etwas undeutliches und wandte meinen Blick ab. Ich wollte Quatre nicht belügen, aber ich hatte jetzt auch keine Lustüber meinen Mangel an Schlaf zu reden.

Glücklicherweise bestand Quatre nicht auf einer genaueren Antwort, und ich war noch einmal davongekommen. Die anderen zerstreuten sich bald, Noin setzte sich an eine der seitlichen Konsolen und fing an mit Wing über die Techniken der Genmanipulation der OZ zu diskutieren, Quatre ließ sich von Wing Daten über die Geschichte und Politik der OZ geben und Wufei zog sich zurück, um mit seinem Katana zu trainieren.

So blieben nur Duo und ich zurück. Da ich noch immer nicht wußte, woran ich eigentlich war, vermied ich es, ihn direkt anzusehen. Doch ich beobachtete ihn aus den Augenwinkeln, und ich konnte sehen, wie er des öfteren zu sprechen ansetzte, dann jedoch den Mund wieder schloß, ohne etwas gesagt zu haben.

„Heero, ich habe nachgedacht," sagte Duo schließlich.

Ich schluckte trocken und richtete meinen Blick sofort starr geradeaus aus dem Sichtfenster. Das hörte sich nicht gut an.

„Ich hab mir gedacht..." Duo zögerte. „Wenn wir auf L1 unterwegs sind, um deinen Trowa zu retten, was ist wenn wir getrennt würden? Und wenn du von Jägern angegriffen würdest?"

Ich drehte meinen Kopf erstaunt zu Duo. Damit hatte ich jetzt nicht gerechnet.

Duo sah mich ernst an. „Du könntest dich dann nicht verteidigen und wärst den Jägern hilflos ausgeliefert, nicht wahr?"

Ich nickte. „Ich kann ja nicht singen, und die Jäger reagieren nur auf Gesang."

Duo lächelte. „Ich möchte es dir beibringen."

Ich starrte ihn aus großen Augen an. „Was?"

„Das Singen. Ich will es dir beibringen, damit du nicht so hilflos bist."

Ich schüttelte abwehrend den Kopf. „Das geht nicht," flüsterte ich heiser. „Ich kann nicht singen, das habe ich dir doch schon gesagt!"

„Ich weiß, du redest nicht gern über das Thema, Heero. Aber es ist wichtig. Warum denkst du, das du nicht singen könntest?"

Immer noch starrte ich Duo einfach nur an. „Warum? Ich kann es einfach nicht. Ich habe es noch nie gekonnt. Glaubst du denn, ich wäre so lange J's Sklave geblieben, wenn ich singen gekonnt hätte?" Ich spürte wie ich ärgerlich wurde.

Duo legte mir eine Hand aufs Knie. „Heero, werd bitte nicht wütend. Ich sage das nicht, weil ich dich quälen will oder so. Sondern weil ich dir helfen will. Ich bin ehrlich der Meinung, das du es lernen könntest."

In sekundenschnelle war meine Wut verraucht und ich fühlte mich wieder ruhig. Doch nicht einmal so sehr wegen dem, was Duo gesagt hatte, sondern vielmehr, weil er bereit war, mich zu berühren. Freiwillig. Ich war mir sicher, daß diese Berührung seiner Hand auf meinem Knie freiwillig war; es war eine völlig unbewußte Geste gewesen, ich bezweifelte, das es Duo überhaupt wirklich bemerkt hatte das er mich berührte. Sein Blick war ernst und konzentriert auf mein Gesicht gerichtet. Aber diese Geste zeigte mir, daß seine Abneigung gegen mich tatsächlich nicht mehr so groß sein konnte – diese Geste und die Tatsache, das er mir das Singen beibringen wollte.

„Glaubst du das wirklich?" fragte ich leise. Ich konnte einen leichten Hoffnungsschimmer nicht unterdrücken. Allein die Vorstellung, das ICH singen könnte... Ich rang nach Luft.

Duo nickte. „Ja, ich bin mir sicher. Du hast doch Stimmbänder, nicht wahr? Alles was du jetzt noch brauchst ist die richtige Technik, und die kann ich dir beibringen."

Ich schluckte und sah Duo hoffnungsvoll an. Ich erwartete nicht, jemals so gut singen zu können wie Duo, niemand konnte das, aber wenn ich wenigstens ein paar kleine Töne rausbringen könnte...

„Also was ist?" fragte Duo.

Ich nickte.

„Danke Heero!" rief Duo und lächelte mich so strahlend an, als hätte gerade ich ihm angeboten, ihm zu helfen, statt umgekehrt. Ich blinzelte überrascht.

„Was muß ich tun?" fragte ich.

Duo legte den Kopf schief. „Hm, lass mich kurz überlegen. Oh ich habs. Steh auf."

Ich gehorchte, und auch Duo stand von seinem Sessel auf. Dann holte er Shini aus seiner Hosentasche und legte ihn auf dem Sessel ab.

„Damit wir sehen, ob es klappt," sagte Duo mit einem Lächeln auf meinen fragenden Blick. Dann legte er eine Hand auf meinen Rücken und die andere flach auf meinen Bauch, ein kleines Stück oberhalb meines Bauchnabels.

„In Ordnung," sagte Duo, „jetzt sag einfach 'aaaaaaaa'."

Ich starrte ihn groß an.

„Na los, aaaaaaaa!" Duo legte den Kopf schief. Als ich immer noch nicht reagierte, seufzte er. „Du mußt schon mitmachen, Heero. Vertrau mir einfach."

Ich seufzte ebenfalls. Ich konnte mir einfach nicht vorstellen, wie das klappen sollte. Aber ich würde Duo den Gefallen tun. Also öffnete ich gehorsam den Mund und sagte, „A."

Duo rollte mit den Augen. „Heeeeero! Du mußt es schon länger sagen, mindestens zehn bis fünfzehn Sekunden. Schau, so: aaaaaaaaaaaaaaaa."

Ich nickte und öffnete erneut den Mund, und diesmal machte ich es so, wie Duo es mir gesagt hatte. „Aaaaaaaaaaaaaaaaaa."

Auf einmal, ohne mich vorzuwarnen oder etwas in der Art drückte Duo mit der Hand, die auf meinem Bauch lag zu. Und etwas geschah. Der gesprochene Vokal veränderte sich ein wenig. Nicht viel, aber scheinbar genug, das Shini reagierte. Oh, nicht das er so reagierte wie er auf Duo reagierte. Das wäre zu viel verlangt gewesen. Aber er zuckte. Und ich sah es.

Völlig geschockt klappte ich meinen Mund zu und starrte zuerst erschrocken auf Shini, dann auf Duo. Duo grinste mich glücklich an. „Siehst du, ist doch ganz einfach."

Ich schüttelte den Kopf.

„Du glaubst es nicht?" Duo legte den Kopf schief. „Na los, wir probieren es nochmal. Und diesmal, merk dir genau wie es sich anfühlt, wenn der Ton sich verändert."

Sofort öffnete ich den Mund wieder und gab den langgezogenen Vokal von mir. Auch wenn ich es noch nicht wirklich fassen konnte, so wollte ich es dennoch wieder probieren.

Und auch diesmal drückte Duo auf meinen Bauch, und wieder kam der Ton anders aus meinem Mund. Doch diesmal passte ich genau auf, und ich merkte, das ich die Luft von unten richtig herauspressen mußte, um diesen gesungenen Ton zu erzeugen.

Shini zuckte wieder ganz kurz, und diesmal war ich mir sicher. Ich hatte gesungen. Ich hatte gesungen! Zwar nur einen einzigen Ton, und nur mit Duos Hilfe, aber ich hatte gesungen!

„Ich habe gesungen!" wiederholte ich atemlos meine Gedanken und lächelte Duo glücklich an. In diesem Moment hatte ich alles vergessen, all mein Unglück darüber, Duos Freundschaft verloren zu haben, meine Schlaflosigkeit, alles.

„Das hast du, Heero," sagte Duo und lächelte mich warm an. Sein Blick ließ mich nicht los und ich glaubte, in seinen violetten Augen zu ertrinken. Wie lange hatte er mich nicht mehr so angelächelt? Es kam mir wie eine Ewigkeit vor.

Duos linke Hand lag noch immer auf meinem Rücken, seine rechte noch immer auf meinem Bauch. Ich konnte meinen Blick nicht von ihm lösen. Immer näher kam sein Gesicht, und ich spürte wie mein Atem sich beschleunigte.

„Hey Heero, bist du auch in so einem Hort aufgewachsen?"

Noins lauter Ruf riß mich aus meiner Versunkenheit, und auch Duo zuckte zusammen. Sofort ließ er mich los und trat einen Schritt zurück. Ein Gefühl der Enttäuschung überkam mich, genauso wie Ärger auf Noin. Ich runzelte die Stirn. Ärger? Warum war ich ärgerlich auf Noin? Sie hatte doch gar nichts getan. Schließlich schien Duo ja mit seinem Gesangsunterricht für heute fertig zu sein, wieso also fühlte ich mich so, als wäre ich bei etwas unterbrochen worden?

„Was?" fragte ich und drehte mich zu Noin um.

„Wing hat mir gerade von den Horten erzählt. Ist es wahr, das ihr alle in solchen Horten aufwachst?"

Ich nickte und ging näher an Noin heran, damit sie nicht weiter durch das ganze Schiff brüllen mußte. Nicht das es sie aufgehalten hätte. Ich merkte, wie Duo mir etwas langsamer folgte.

„Ihr habt keine Eltern, keine Geschwister, gar nichts?"

Wieder schüttelte ich den Kopf. „Möglich das es irgendwo Menschen gibt, die genetisch mit uns verwandt sind, aber meistens kennen wir sie nicht. Und auch unsere Eltern kennen wir nicht. Die OZ wählen das genetische Material aus, aus dem ein Kind mit den gewünschten Eigenschaften entstehen soll, und dann wird es in den Horten miteinander verschmolzen und das Kind herangezüchtet."

„Du meinst, alles spielt sich nur im Labor ab?" Noin schien fast entsetzt zu sein.

Ich nickte.

„Nur im Labor?" fragte Duo. „Wo bleibt denn da der Spaß?"

„Spaß?" ich sah ihn fragend an. Ich konnte nicht erkennen, was an der Entstehung von Kindern spaßig sein sollte.

„Naja, ich meine, Sex in der Petrischale klingt nicht gerade spannend."

„Sex?" Ich hatte keine Ahnung, wovon Duo da eigentlich sprach.

Duo starrte mich an. „Na Sex halt. Horizontaltango. Das was man macht, wenn man Kinder will. Oder auch keine Kinder will, je nachdem."

Ich blinzelte. Ich hatte kein Wort von dem verstanden, was Duo da gerade gesagt hatte.

„Willst du etwa sagen, du hast keine Ahnung, was Sex ist?" Duo starrte mich mit offenem Mund ungläubig an.

Ich schüttelte den Kopf. Dieses Wort kannte ich nicht, ich wußte nur, das es in Duos Sprache ein Synonym für Geschlecht war. Die andere Bedeutung die ich dafür gefunden hatte, 'Fortpflanzung', hatte ich nicht verstanden.

„Aber... aber wie kann das sein?" Duo schien völlig fassungslos.

„Duo, wenn die OZ all ihre Sklaven tatsächlich im Labor heranzüchten, dann ist es nur zu verständlich, das Heero nicht weiß was Sex ist," warf Noin ein. Aber auch sie wirkte überrascht.

„Aber was ist mit dem Sexualtrieb? Du kannst mir nicht erzählen, daß ein normaler, hormongeplagter Teenager nicht früher oder später mal nen feuchten Traum hat!"

Ich blickte verwirrt von einem zum anderen. Sexualtrieb? Hormongeplagt? Feuchter Traum?

Noin zuckte mit den Schultern. „Das kann ich dir auch nicht erklären."

„Ich kann es erklären," ertönte auf einmal Wings Stimme.

„Tatsächlich?" fragte Noin.

„Ja. Du hättest es auch selbst herausgefunden, wenn du die Daten weiter durchgelesen hättest. Die OZ wünschen es nicht, das sich ihre Sklaven willkürlich fortpflanzen und so ihr genetisches Potential vergeuden. Oder zu enge Bindungen zu anderen Sklaven eingehen. Deshalb wird überall, in jede Speise und jedes Getränk, das die Sklaven zu sich nehmen, eine Droge gemischt, die den Sexualtrieb unterdrückt. In manchen Gegenden ist diese Droge sogar der Atemluft beigemischt."

„WAS?" rief Duo entsetzt. „Willst du damit etwa sagen, daß wir seit wir hier an Bord sind irgendeine impotent machende Droge bekommen haben? Ohne unser Wissen?"

„Was für eine Droge? Worüber redet ihr hier?" Inzwischen waren auch Quatre und Wufei hinzugekommen.

„Q, Wing hat uns irgendwelche schreckliche Drogen verabreicht! Damit unser Sexualtrieb unterdrückt wird!"

„Das habe ich nicht," war Wings kühle Erwiderung.

„Hast du nicht?" fragte Duo verblüfft.

„Nein. Ich... hielt es nicht für richtig. Ihr seid keine Sklaven der OZ."

„Aber ich bin einer, nicht wahr?" sagte ich zwischen zusammengebissenen Zähnen. Dann drehte ich mich um und stürmte in meine Kabine. Ich mußte jetzt einfach allein sein.

Ich hatte der Unterhaltung der anderen schweigend gelauscht. Und ich war inzwischen wütend. Sehr wütend. Ich wußte zwar immer noch nicht, was Sex oder ein Sexualtrieb war, aber eines wußte ich. Die OZ verabreichten all ihren Sklaven Drogen. Ohne deren Wissen. Weil es ihnen gerade in den Kram passte.

Ich ballte wütend die Fäuste. Ich hatte es zwar schon früher gewußt, das wir nicht mehr als dumme Haustiere für die OZ waren, aber das hier... das zeigte es wieder einmal aufs deutlichste. Es war ihnen völlig egal! Wir waren ihnen völlig egal! Es war ihnen völlig egal, das wir keine richtigen Familien hatten! Keinen Vater, keine Mutter, keine Geschwister! Hauptsache sie konnten uns mit den gewünschten Eigenschaften heranzüchten!

Und dann, wenn wir 'alt genug' waren, rissen sie uns aus der einzigen Familie, die wir kannten. Wir wurden aus unseren Horten geholt und ausgewählt, wie Vieh! Fehlte nur noch, das sie uns in den Mund blickten, um unsere Zähne zu untersuchen! Aber das war ja nicht nötig, sie konnten ja einfach unser genetisches Profil einsehen!

Und als wäre das nicht auch schon genug, verabreichten sie uns auch noch irgendwelche Drogen! Die weiß der Geier was in unseren Körpern verursachten! Ich hatte zwar keine Ahnung, was genau das war, aber der Reaktion der anderen nach zu schließen war es etwas schlimmes.

Mein Atem ging immer heftiger und ich lief immer schneller auf und ab. All die unterdrückte Wut der letzten Jahre, die ich auf die OZ und vor allem auf J empfunden hatte, und auch all der Schmerz der letzten Tage, das alles zerrte an mir und wollte gleichzeitig an die Oberfläche. Ich hatte das Gefühl als würde ich gleich platzen. Ich schrie wütend auf und grub meine Nägel in meine Handfläche.

„Heero?"

Ich hielt in meinem Umherwandern kurz inne und blickte auf. Duo stand an der Tür unserer Kabine und sah mich unsicher an. Ich nahm mein Auf- und Abgerenne wieder auf.

„Heero, was ist los?" Duo kam nun endgültig hinein und schloß die Tür hinter sich.

„Was los ist?" rief ich. „Ich habe es einfach satt! Ich habe es satt, wie ein dummes, unwissendes Kind behandelt zu werden! Ich habe es satt, nicht für vollwertig genommen zu werden! Ich habe es satt, das Versuchskaninchen für irgendwelche Experimente zu spielen! Ich will das alles nicht mehr! Ich kann nicht mehr! Ich will den Schmerz nicht mehr! Hat es denn nicht gereicht, das sie uns Versklavt haben? Mußten sie uns auch noch jegliche emotionale Bindung, jegliche Familie nehmen? Ich will... Ich will doch nur..."

Ich bekam kaum noch Luft. Ich war so wütend. Wütend auf OZ, die uns wie Tiere behandelten, wütend auf die Ungerechtigkeit des Universums und auch wütend auf Duo, der mich nicht so akzeptieren konnte, wie ich war.

Auf einmal spürte ich Duos Arme um mich. „Sch, ist ok Heero. Atme ganz tief ein." Beruhigend streichelte er über meinen Rücken. Ich klammerte mich an Duo fest und versuchte meinen Atem zu beruhigen.

„Ich wollte doch nur..." flüsterte ich mit gebrochener Stimme und spürte, wie mir endlich, endlich, nach all den Jahren, die Tränen kamen. „Ich wollte doch nur eine Familie, die mich liebt. Eltern. Geschwister. Ich will..." Ich wollte das Duo mich liebte.

Mit einem Aufschluchzer vergrub ich mein Gesicht in Duos Nacken und klammerte mich noch fester an ihn. Ich wollte das er mich liebte! Wieso hatte ich das nicht früher erkannt? Deshalb tat seine Abweisung so unglaublich weh! Nicht weil ich seine Freundschaft verloren hatte, sondern weil ich ihn liebte! Und weil ich wollte, das er mich ebenfalls liebte!

Und so weinte ich. Ich weinte um all die Menschen, die nie die Freiheit gekannt hatten. Die nie eine Familie gehabt hatten, die sie liebte. Ich weinte um mich und meine schreckliche Kindheit. Aber vor allem weinte ich, weil ich jegliche Chance auf Duos Liebe verloren hatte.

Die ganze Zeit hielt Duo mich im Arm – so wie ich mich an ihn klammerte hätte er sich auch kaum von mir lösen können – und streichelte mir beruhigend über den Rücken. Und machte beruhigende Geräusche.

Irgendwann spürte ich, wie er mich hochhob und auf dem Bett ablegte. Ich verstärkte meinen Griff um ihn. Ich war noch nicht bereit, ihn loszulassen. Doch Duo schien das gar nicht vorgehabt zu haben, denn er legte sich sofort neben mich und hielt mich weiterhin beruhigend im Arm.

Und dann, nach Minuten oder Stunden, ich konnte es nicht sagen, ließ mein Schluchzen schließlich nach. Ich fühlte mich erschöpft wie niemals zuvor in meinem Leben. Und noch immer hielt mich Duo in seinen Armen, streichelte mir über den Rücken und murmelte unsinnige Worte.

Ich lag einfach nur da, halb auf ihm und lauschte seiner Stimme. Ab und zu entkam mir noch ein leiser Schluchzer, doch im großen und ganzen hatte ich mich beruhigt. Ich genoß es einfach nur, endlich wieder Duos Nähe zu spüren, seine Wärme zu fühlen.

Langsam begannen meine Augen zuzufallen. All die vielen schlaflosen Nächte, sie forderten wohl endlich ihren Tribut. Ich war schon beinahe eingeschlafen als ich plötzlich Duos Lippen auf meiner Stirn fühlte. Federleicht pressten sie sich nur für Sekundenbruchteile immer wieder auf meine Haut.

Erstaunt drehte ich meinen Kopf ein wenig nach oben und nun wanderten Duos Lippen tiefer. Sie berührten meine Augen, meine noch immer tränenfeuchten Wangen und schließlich meinen Mund.

Ich seufzte leise. Diese Berührungen fühlten sich wunderbar an, vor allem Duos Lippen an meinen. Ich konnte fühlen, wie zart seine Lippen waren, wie weich und warm. Ich spürte seinen Atem auf meinem Gesicht, schmeckte das Salz meiner eigenen Tränen. Ich seufzte erneut, dann verstärkte ich meine Umarmung um Duo noch einmal und kämpfte nicht länger gegen den Schlaf an.