Titel: Enjoy the Silence
Autor: Zanna
Disclaimer: siehe Kapitel 1
Betadank: Laren 'knuddel'
Kommentar: Freut mich echt, das euch allen das letzte Kapitel so gut gefallen hat. Ich hoffe, dieses hier gefällt euch auch so gut, auch wenn ich doch etwas damit zu kämpfen hatte. Es wollte sich einfach nicht so schreiben lassen, wie ich es gern gehabt hätte. Hat schon damit angefangen, das Heero einfach nicht aufstehen sondern an Duo gekuschelt lieben bleiben wollte. Ich sollte ihn in Zukunft keine Reviews mehr lesen lassen, da kommt er nur auf dumme Gedanken! 'g'
Kapitel 14
Heero POV
Langsam öffnete ich die Augen. Zum ersten Mal seit Tagen fühlte ich mich nicht mehr müde. Stattdessen fühlte ich mich warm. Geborgen. Duos Arme waren noch immer fest um mich geschlossen. Wir beide lagen noch genauso da, wie in dem Moment, als ich eingeschlafen war.
Ich hob vorsichtig meinen Kopf von Duos Schulter und sah in sein Gesicht. Er schlief. Ich legte meinen Kopf wieder auf seiner Schulter ab und seufzte zufrieden. Ich fühlte mich so gut. Nicht nur das ich endlich wieder einmal geschlafen hatte, nein, Duo war immer noch hier. Er war nicht einfach während ich schlief aus dem Bett gestiegen und hatte mich allein gelassen. Er war bei mir geblieben.
Vielleicht war ja doch nicht alles so hoffnungslos wie ich es befürchtet hatte. Vielleicht verabscheute Duo mich ja doch nicht. Ich konnte mir vorstellen, daß er nur auf Quatres Aufforderung hin mit mir die Kabine teilte. Ich konnte mir vielleicht sogar noch vorstellen, dass er nur auf Quatres Aufforderung hin wieder nett zu mir war.
Aber ich konnte mir nicht vorstellen, daß er sich nur weil Quatre es von ihm wollte gestern um mich gekümmert hatte. Ich weiß nicht was ich getan hätte, wäre Duo nicht gewesen. Aber er war da gewesen. Er hatte mich in den Arm genommen und mich einfach festgehalten. Er war so unglaublich liebevoll zu mir gewesen, hatte mir beruhigend über den Rücken gestrichen.
Und noch etwas anderes hatte er getan. Er hatte mit seinen Lippen mein Gesicht berührt. Meine Augen, meine Lippen. Und es hatte sich unglaublich schön angefühlt. Das konnte er doch nicht nur getan haben, weil Quatre ihn dazu überredet hatte, oder?
Nein, Duo hatte von sich aus gehandelt. Er hatte mich getröstet, weil er es wollte. Er hatte mich umarmt und hatte nicht versucht meine Wut und meinen Schmerz kleinzureden. Und dafür war ich ihm unendlich dankbar.
Und ich war froh darüber. Froh das Duo mich nicht mehr verabscheute. Denn das bedeutete, das wir zumindest wieder Freunde sein konnten. Auch wenn er nicht dasselbe für mich empfand wie ich für ihn. Aber ich durfte nicht zu gierig sein, ich wollte mich mit dem zufrieden geben, was ich bekommen konnte. Und wenn das nur Duos Freundschaft war, dann würde mir das genügen.
Ich biß mir auf die Unterlippe. Wem machte ich denn eigentlich etwas vor. Es würde mir nicht genügen. Ich wollte mehr. Ich wollte Duo immer so nahe sein, wie ich es im Moment war. Ich wollte ihn für den Rest meines Lebens nicht mehr loslassen. Wollte für immer in seinen Armen liegen bleiben.
Ich seufzte erneut und rieb mein Gesicht an Duos Schulter. Ich liebte seinen Geruch. Er roch nach Shampoo, warmer Haut und einfach nur Duo. Ich konnte davon gar nicht genug bekommen. Aber wie könnte ich Duo dazu bringen, mich ebenfalls zu lieben? Und konnte er jemanden wie mich überhaupt lieben?
Könnte ein Mensch, der so voller Leben und Freude steckte, mit jemandem wie mir glücklich sein? Ich gebe zu, ich war nicht gerade der beste Gesprächspartner. Oft wußte ich nicht, was ich sagen sollte. Das lag einfach daran, das ich bisher niemals viel geredet hatte – mein Leben bei J hatte das auch gar nicht zugelassen.
Aber ich wollte so gerne das sein, was Duo brauchte. Ich wollte derjenige sein, der ihn glücklich machte. Nur wie sollte ich das schaffen? Ich hatte keine Ahnung, wie so etwas ging. Ich hatte nicht viel Erfahrung mit diesen Gefühlen, mit Liebe. Einige der anderen Sklaven in J's Besitz hatten ab und zu davon erzählt. Was Liebe war und wie es sich anfühlte. Denn auch wenn es nicht gerne gesehen wurde und ab und zu vehement dagegen vorgegangen wurde, so entwickelten sich doch hin und wieder Beziehungen zwischen den Sklaven. Und wieso auch nicht? Wir hatten so wenig, da war es nur zu verständlich das manche untereinander Trost suchten und fanden.
Und ab und zu hatte ich heimlich gelauscht, wenn die anderen Sklaven von diesen Gefühlen erzählten. Das ein anderer Mensch plötzlich der Mittelpunkt des Lebens wurde und man nie wieder ohne ihn sein wollte. Ich wusste also was Liebe war, wenn bisher auch nicht aus eigener Erfahrung. Aber wie man dann mit dieser Liebe umging, das wußte ich nicht.
Also, wen sollte ich fragen? Duo? Besser nicht. Ich konnte ihn wohl kaum fragen, wie ich ihn dazu bringen könnte, mich zu lieben. Vielleicht Quatre. Oder Noin.
Erneut hob ich meinen Kopf ein wenig, um Duo anzusehen. Noch immer schlief er absolut friedlich. Ich runzelte die Stirn. Ich war es gar nicht gewohnt, das Duo so lange schlief. Er stand normalerweise immer früh auf, genauso wie ich.
Andererseits, ich hatte keine Ahnung, wie lange ich geschlafen hatte. Ich hatte immerhin fünf schlaflose Nächte nachzuholen gehabt. Ich lächelte leicht. Duo mußte mich stundenlang so gehalten haben, bevor er schließlich auch eingeschlafen war.
Am liebsten wäre ich jetzt einfach liegengeblieben und hätte gewartet, bis Duo aufwachen würde. Aber ich wußte noch immer nicht, was ich zu ihm sagen oder was ich unternehmen sollte. Und außerdem hatte ich wirklich unglaublich großen Hunger. Deshalb wand ich mich vorsichtig und langsam, Millimeter für Millimeter aus Duos Umarmung und stand auf. Ich hoffte, das einer der anderen wach wäre, damit ich meine Fragen stellen konnte.
Doch ich hatte kein Glück; außer mir war niemand wach. Das Schiff war totenstill und nach einem kurzen Kontrollgang sah ich, das scheinbar alle gerade schliefen. Ich seufzte auf, holte mir etwas zu Essen und ließ mich in einen der Pilotensessel fallen. Ich hatte also völlig umsonst mein behagliches Bett und Duos Umarmung verlassen. Ich überlegte gerade, ob ich einfach wieder zurückkehren sollte, als mir etwas einfiel.
„Wing?" fragte ich. „Was weißt du über Sex?" Ich hatte zwar auch vorgehabt, einen der anderen danach zu fragen, aber solange sie schliefen konnte ich das nicht tun. Und ich war wirklich neugierig. Warum waren deswegen alle so aufgeregt gewesen? Beziehungsweise, warum hatte allein die Befürchtung, sie hätten die Drogen der OZ zu sich genommen haben sie dermaßen aufgebracht?
„Das Wort hat mehrere Bedeutungen. Welche meinst du?"
„Ich meine die Bedeutung, die etwas mit der Droge zu tun hat, die OZ uns ins Essen und Trinken mischt."
Wing schwieg eine Weile. „Heero..." sagte sie dann, „... es tut mir leid. Ich hatte nicht andeuten wollen, das ich dir die Droge weiterhin ins Essen gemischt hätte, nur weil du ein Sklave warst."
Ich verzog mein Gesicht. „Vergiß es. Das ist jetzt nicht mehr wichtig."
Wing schwieg. Ich seufzte. „Erzähl mir lieber, was es jetzt mit dieser Droge genau auf sich hat. Du hast erwähnt, das sie den Sexualtrieb unterdrückt. Aber ich habe keine Ahnung was das bedeutet."
„Der Sexualtrieb ist nötig, wenn Menschen sich auf natürliche Art und Weise fortpflanzen wollen."
„Auf natürliche Art und Weise fortpflanzen? Was bedeutet das?"
„Wenn sie Kinder haben wollen."
Ich blinzelte erstaunt. „Wenn sie Kinder haben wollen?" Ich hörte mich an wie ein Papagei, aber ich verstand einfach nicht, worauf Wing hinaus wollte.
„Auch wenn die OZ schon seit Jahrhunderten alle Kinder, egal ob Menschen oder ihren eigenen Nachwuchs, in Brutautomaten heranreifen lassen, so war das nicht immer so, Heero. Die natürliche Art und Weise der Fortpflanzung besteht darin, das die Eizelle im Körper der Frau befruchtet wird und das Kind dann auch dort heranwächst, bis es schließlich reif für die Geburt ist."
Ich starrte Wing mit großen Augen an. „Im Körper der Frau?" Ich konnte mir nicht vorstellen, wie sowas gehen sollte. Und wie sollte ein Kind im Körper eines anderen Menschen wachsen können? Da war doch gar nicht genügend Platz!
Wing bejahte meine Frage und erklärte mir anschließend die Mechanik dieses Vorgangs. Ich schüttelte ungläubig den Kopf.
„Und das ist also Sex?" Ich konnte es immer noch nicht wirklich glauben.
„Ja," bestätigte Wing.
„Und das machen Menschen, wenn sie Kinder haben wollen?"
Wing zögerte. „Nun... nach meinen Nachforschungen im Internet der Erde zu schließen machen die Menschen es nicht nur, um Kinder zu zeugen."
„Nicht?"
„Nein. Sie scheinen es eher die ganze Zeit zu machen. Ständig. Offenbar dient der Sex nicht nur der Zeugung von Kindern, denn es scheint auch von Menschen gleichen Geschlechts durchgeführt zu werden. Und aus derartigen Verbindungen können auf keinen Fall Kinder hervorkommen. Und auch bei heterosexuellem Sex scheint es eher selten um Kinder zu gehen. Es gibt sogar spezielle Mittel und Methoden um eine Schwangerschaft zu vermeiden."
Jetzt war ich völlig verwirrt. „Das verstehe ich nicht. Hast du irgendwas von den Daten noch gespeichert, Wing?"
„Ja."
„Dann zeig sie mir bitte." Ich wollte das jetzt mit eigenen Augen sehen. Vielleicht würde es mir ja so gelingen, etwas Licht in die Angelegenheit zu bringen. Doch als ich mich schließlich Stunden später zurücklehnte war ich nicht schlauer als vorher. Im Gegenteil, wohl eher noch verwirrter.
Ich hatte nun Unmengen von Informationen zum Thema Sex. Doch ich hatte noch immer keine Ahnung, warum jemand so etwas freiwillig tun sollte. Der Akt schien bestenfalls unangenehm, wenn nicht sogar schmerzvoll zu sein. Aber wenn er es wäre, dann würden doch nicht so viele Menschen es so oft tun wollen, oder? Irgendwie hatte ich das Gefühl, als würde mir eine wichtige Information fehlen.
„Wing, das hat mir alles überhaupt nicht weitergeholfen," seufzte ich schließlich. „Ich weiß immer noch nicht, warum man das machen sollte. Oder was daran Spaß machen sollte."
„Es tut mir leid, Heero, aber ich kann dir dabei auch nicht helfen," erwiderte Wing. „Vielleicht solltest du besser einen der anderen fragen."
Ich nickte und beschloss genau das zu tun. Ich holte mir noch etwas zu Essen aus dem Replikator und setzte mich wieder in den Pilotensitz, um auf die anderen zu warten.
Während ich da saß und wartete ließ ich noch einmal all die Informationen durch meinen Kopf gehen, die ich soeben erhalten hatte. Ich war zwar immer noch nicht wirklich viel schlauer was Sex anging, aber ein paar Dinge hatte ich doch erfahren.
So wurde zum Beispiel oft erwähnt, das Gefühle dabei eine große Rolle spielten. Anscheinend wurde es vorgezogen diesen Akt nur durchzuführen, wenn man der anderen Person tiefere Gefühle entgegenbrachte. Ich war zwar auch auf Hinweise gestoßen, daß dies nicht immer der Fall sein mußte, wenn man Sex haben wollte, aber die meisten schienen es vorzuziehen.
Und noch etwas hatte ich herausgefunden. Ich wußte nun was es damit auf sich hatte, als Duo seine Lippen auf meine gepresst hatte. Man nannte das 'küssen'. Und auch für diese Handlung schienen meistens tiefere Gefühle vorausgesetzt zu werden. Auch hier schienen die selben Regeln zu gelten wie für den Sex: Gefühle waren zwar keine zwingende Notwendigkeit für einen Kuß, aber meistens bedeutete ein Kuß das Gefühle im Spiel waren.
Ich hatte also viel Stoff zum Nachdenken. Duo hatte mich geküßt; ich war mir sicher. Wenn ich die Augen schloß konnte ich seine Lippen noch immer auf meinen spüren. Konnte ihn fühlen und ihn schmecken. Und es hatte mir gefallen. Ich hätte nichts dagegen, es wieder zu tun. Und ich wußte jetzt, dass es sogar eine passende Methode war um meine Gefühle für Duo zu zeigen.
Aber welche Gefühle hatte Duo mir durch diesen Kuß zeigen wollen? Ich wünschte ich könnte davon ausgehen, das er mich ebenfalls liebte, aber ich hatte auch gelesen, dass ein Kuß auch tröstend sein konnte. Und Duo hatte mich gestern getröstet. Also, war der Kuß nun ein Ausdruck seiner Liebe gewesen, oder hatte er mich nur beruhigen und trösten sollen? Ich seufzte.
„Guten Morgen Heero."
Ich drehte mich leicht in meinem Sessel herum. „Guten Morgen Quatre."
Quatre holte sich etwas zu essen und setzte sich dann neben mich in den anderen Pilotensitz. „Ich brauche wohl nicht zu fragen, ob du geschlafen hast. Du siehst heute schon sehr viel besser aus."
Ich lächelte ihn leicht an. „Ich habe tatsächlich schlafen können. Ich habe sogar sehr gut geschlafen."
Quatre lächelte zurück. „Und sehr lange."
Ich sah ihn etwas erstaunt an.
Quatres Lächeln wurde zu einem Grinsen. „Du hast einen ganzen Tag verschlafen, Heero. Es ist bereits Dienstag. Naja, zumindest nach der Zeiteinteilung der Erde ist jetzt Dienstag."
Ich starrte ihn mit großen Augen an. „Ich habe einen ganzen Tag verschlafen?" Kein Wunder das niemand wach gewesen war. Und kein Wunder das ich so hungrig gewesen war.
„Du hast offenbar eine Menge Schlaf nachholen müssen." Quatre sah mich durchdringend an, aber ich beschloß nicht auf die unausgesprochene Frage zu antworten. Stattdessen überlegte ich, wie ich Quatre am besten über Sex ausfragen könnte. Doch bevor ich dazu kam taumelte Noin verschlafen aus ihrer Kabine, dicht gefolgt von Wufei.
Die beiden holten sich ebenfalls was zu essen, dann schlossen sie sich mir und Quatre an. Ich sah ein bißchen besorgt zur Tür meiner Kabine. Ich war es gar nicht gewohnt, das Duo so lange schlief. Er war sonst immer vor allen anderen wach. Doch bevor ich meiner Sorge Ausdruck verleihen konnte, öffnete sich die Tür zu unserer Kabine ebenfalls und Duo kam heraus.
„Auch wieder unter den Lebenden?" rief Wufei in Duos Richtung.
Duo grummelte nur, dann ging er zum Replikator, holte sich riesige Portionen Frühstück und kam dann zu uns rüber. Eine Weile waren die drei nur damit beschäftigt ihr Essen runterzuschlingen und darum herrschte eine gewisse Stille.
Noin beendete ihr Frühstück als erste. „So, dann werde ich mich mal wieder an die Arbeit machen," sagte sie und stand auf.
„An die Arbeit?" fragte Duo und blickte fragend zu ihr auf.
Noin nickte. „Wing und ich arbeiten an einem Gegenmittel für diese Droge. Wir wissen nicht worauf wir auf L1 stoßen werden und wie lange wir uns auf diesem Planeten aufhalten müssen. Und ich glaube nicht, das einer von uns Lust hat, dieser Droge ausgesetzt zu werden."
Duo erschauerte sichtbar. „Darauf kannst du wetten."
Noin grinste kurz, dann ging sie wieder zu einer der Seitenkonsolen hinüber und begann dort zu arbeiten. Ich warf Duo einen neugierigen Blick zu. Anscheinend war für ihn die Vorstellung dieser Droge ausgesetzt zu sein wirklich erschreckend.
Doch Duo hatte seinen Blick inzwischen wieder auf sein Essen gesenkt und schien völlig darauf konzentriert zu sein es zu verspeisen. Ich runzelte leicht die Stirn. Seit Duo aus der Kabine aufgetaucht war hatte er es vermieden mich direkt anzusehen. Ich konnte mir das nicht erklären. Hatte ich etwas falsches getan? War er etwa böse auf mich? Aber warum?
„Wie lange werden wir noch brauchen?" fragte Wufei.
„Hn?" Ich schrak hoch.
„Wie lange wir noch bis L1 brauchen werden," wiederholte Wufei.
„Hm... ich bin mir nicht sicher. Wir sind jetzt seit drei Tagen unterwegs. Ungefähr nochmal drei Tage, würde ich sagen." Auf Wufeis erstaunten Blick zuckte ich entschuldigend mit den Schultern. „Ich bin nicht so ganz sicher wie lange ich von L1 bis zur Erde gebraucht habe. Etwa eine Woche, aber ob es jetzt sechs oder sieben Tage waren weiß ich nicht mehr. Die Tage sind alle irgendwie ineinandergeflossen – ich hatte völlig mein Zeitgefühl verloren."
„Und hast du schon irgendeinen Plan wie wir Trowa dort rausholen wollen?" fragte Quatre.
Ich drehte meinen Kopf zu ihm und zuckte hilflos mit den Schultern. „Nein, ich... ich habe keinen Plan. Ich dachte ja nicht, das ich ihn jemals würde retten können."
„Na macht nichts, kein Problem," sagte Quatre und klatschte fröhlich in die Hände. „Ich werde mir schon etwas ausdenken."
„Gott steh uns bei," murmelte Duo.
„Beachte ihn gar nicht," sagte Quatre und streckte Duo die Zunge raus. „Also, lass uns gleich loslegen mit der Planung. Am besten erzählst du mir alles über L1, J's Anwesen und Trowas Tagesroutine was du weißt, Heero."
Duo murmelte erneut irgendetwas, doch diesmal war es nicht zu verstehen. Noch immer vermied er es, mich anzusehen, und statt zu bleiben und bei der Planung mitzuhelfen stand er auf und schlenderte zu Noin hinüber.
Ich blickte ihm hinterher, dann seufzte ich einmal tief auf und wandte mich wieder Quatre zu. Ich erzählte ihm alles was ich wußte. Unterstützt von Wing stellten wir einen äußerst genauen Tagesplan auf, auch wenn wir natürlich nicht wußten, inwiefern sich die Routine seit meiner Flucht geändert hatte.
Sicherlich hatte J die Sicherheitsvorkehrungen inzwischen verstärkt. Es würden garantiert eine Menge mehr Jäger auf seine Anwesen patrouillieren. Und inzwischen dürfte er auch Ersatz für Wing gefunden haben – möglicherweise hatte er sogar etliche Schiffe im Orbit plaziert. Wir mußten auf alle möglichen Eventualitäten gefasst sein. Quatre, Wufei und ich gingen einige Szenarien durch, und ich war wieder einmal erstaunt über Quatre.
Es war wirklich einfach, sich von Quatres kindlichem Äußeren täuschen zu lassen. Er wirkte so jung, so unschuldig und beinahe naiv mit diesen großen Augen und den kindlichen Gesichtszügen. Aber hinter diesem unschuldigen Blick verbarg sich ein messerscharfer Verstand und ein erstaunliches taktisches Talent. Eines war klar, wer auch immer so dumm wäre sich mit Quatre anzulegen würde garantiert den kürzeren ziehen.
Der Plan den Quatre schließlich entwickelte hatte zwar noch einige Schönheitsfehler, aber die würden wir beheben sobald wir vor Ort wären. Die groben Grundzüge sahen so aus, das Wing auf dem Planeten landen würde, wir uns alle in J's Hausuniform kleiden und uns dann unter die Sklaven mischen und nach Trowa suchen würden. Sobald wir ihn gefunden hätten würden wir wieder verschwinden.
Das größte Problem dabei war die Möglichkeit, das J tatsächlich Schiffe im Orbit stationiert hätte. Wie wir an diesen vorbeikommen sollten wußten wir nicht. Aber Quatre war zuversichtlich das uns schon etwas einfallen würde.
Als Noin mir etwas zu Essen in die Hand drückte blickte ich erstaunt auf. Mein Magen knurrte tatsächlich schon wieder. Ich hatte gar nicht bemerkt, wie die Zeit vergangen war während ich mit Wufei und Quatre Strategien besprochen hatte.
Die anderen hatten ebenfalls etwas zu Essen in den Händen und auch Duo hatte sich unserer Runde wieder angeschlossen.
„Heero, du hast mir immer noch nicht erzählt, wie das Leben in diesen Horten war," sagte Noin plötzlich.
Ich sah sie erstaunt an. Ich hatte die Frage, die vor zwei Tagen meinen Wutausbruch ausgelöst hatte schon vollkommen vergessen.
„Oder macht es dir etwas aus darüber zu sprechen?" Noin legte den Kopf schief.
„Nein," ich schüttelte den Kopf. „Wir leben bis zum Alter von ungefähr fünf Jahren in den Horten. Dann bekommen wir die Translatoren und werden anschließend von irgendwelchen OZ ausgewählt."
„Das ist alles?" hakte Noin nach als ich nicht weitersprach. „Wer kümmert sich um euch solange ihr noch Säuglinge seid? Wer bringt euch das Laufen und Sprechen bei? Machen das die OZ?"
Ich schnaubte verächtlich. „Nein, die OZ geben sich damit nicht ab. In jedem Hort gibt es erwachsene Menschen, die sich um die Kinder kümmern. Sie bringen uns alles bei, was wir bis zum Zeitpunkt wenn die OZ uns holen wissen müssen."
„Ah," Noin nickte wissend. „Ich hatte mich schon gewundert."
„Was?" fragte Duo und sah sie stirnrunzelnd an. „Worüber hast du dich gewundert?"
„Naja, Säuglinge und auch kleine Kinder brauchen eine Menge Zuwendung, insbesondere emotionaler Art," erklärte Noin. „Sie brauchen vor allem eine emotionale Bezugsperson. Es reicht nicht einfach nur aus ihnen genügend zu Essen zu geben und ihnen die Windeln zu wechseln. Es gab im 19. Jahrhundert ein paar unschöne Experimente. Sie wurden an verwaisten Säuglingen durchgeführt. Den Kindern hat es was materielle Dinge angeht an nichts gefehlt, sie bekamen regelmäßig zu essen, wurden sauber gemacht und so weiter. Aber es wurde ihnen jegliche emotionale Zuwendung entzogen; das Personal das sich um die Säuglinge kümmerte durfte sie nicht im Arm halten oder mit ihnen sprechen oder ihnen sonst irgendeine Aufmerksamkeit schenken. Die Kinder sind alle gestorben." (1)
Schweigen herrschte in der Runde. Nach einer Weile fuhr Noin fort, „Ich nehme an, die OZ wissen das oder haben es nach einigen Versuchen herausgefunden. Deshalb haben sie Menschen in den Horten die sich dort um die Kinder kümmern sollen. Die den Kindern genau diese Art von Zuwendung und Liebe geben die diese brauchen um gesund zu bleiben. Allerdings kann das nicht leicht sein für sie. Weder für die Kinder, die von ihren Bezugspersonen weggerissen werden, noch für die Erzieher, die jedem Kind regelmäßig Liebe und Zuneigung schenken, und die dann immer wieder von diesen Kindern getrennt werden."
Ich dachte an Odin. Noin hatte Recht. Odin war für mich diese Bezugsperson gewesen. Auch wenn ich nicht mit all seinen Einstellungen einverstanden war, so war er doch der einzige Vater den ich jemals gekannt hatte. Und es hatte weh getan ihn zu verlassen; es tat sogar jetzt noch weh daran zu denken. Und es waren seitdem schon zwanzig Jahre vergangen.
„Warum bleiben die Erzieher nicht einfach bei ihren Schützlingen?" fragte Quatre. „Indem sie den Kindern zu ihren neuen Besitzern folgen oder etwas in der Art."
„Den Erziehern ist es nicht gestattet, die Horte zu verlassen," warf Wing in die Unterhaltung ein.
Noin nickte. „Das macht Sinn."
„Das macht Sinn?" Ich blickte sie fragend an.
„Ja," Noin nickte. „Die emotionale Bindung zwischen Eltern und Kind ist eine der stärksten. Um ihren Nachwuchs zu schützen würden die meisten Eltern Dinge tun, die sie niemals in der Lage wären zu tun, wenn es nur um ihr eigenes Leben ginge. Ich nehme an, das ist auch einer der Gründe warum die OZ euch diese Droge geben. Sie wollen nicht nur verhindern das ihr euer 'genetisches Potential' verschwendet, sondern auch diese Eltern-Kind-Bindung verhindern. Andererseits ist aber genau diese Bindung nötig, zumindest in den ersten Lebensjahren, damit die Kinder gesund und normal aufwachsen. Also sperren sie die Bezugspersonen in den Horten praktisch ein. Um zu verhindern das diese etwas 'dummes' tun."
Duo schüttelte fassungslos den Kopf. „Diese OZ sind wirklich kaltblütige Bastarde," sagte er zwischen zusammengebissenen Zähnen. „Wenn ich die in die Finger kriege drehe ich ihnen den Hals um."
Wufei nickte düster und murmelte, „Ungerechtigkeit." Quatre jedoch legte den Kopf schief. „Ich weiß nicht, Duo. Du kannst sie nicht einfach alle über einen Kamm scheren. Die meisten werden wahrscheinlich ganz normale Leute sein wie du und ich."
„Wie kannst du das sagen, Q?" rief Duo aufgebracht. „Hast du nicht gehört was Lu gerade erzählt hat? Oder was Heero uns über die OZ erzählt hat? Ihre gesamte Gesellschaft stützt sich auf Sklaverei!"
„Genau, Duo. Und das schon seit Jahrhunderten. Ich bezweifle, das die meisten OZ überhaupt jemals darüber nachdenken, was das für die Menschen bedeuten muß. Ich will damit nicht sagen, das es in Ordnung ist," Quatre hob seine Hand beschwichtigend als Duo wieder aufbegehren wollte. „Alles was ich sagen will ist das sie es nicht anders wissen und es nie anders gewusst haben. Es ist die einzige Art zu Leben die sie kennen. Sowas kann man nicht von einem Tag auf den anderen verändern."
Duo grummelte noch immer vor sich hin, und auch Wufei schüttelte mißbilligend den Kopf. Aber beide widersprachen Quatre nicht. Und es gab im Grunde auch nichts zu widersprechen. Quatre hatte Recht. Man konnte es nicht von einem Tag auf den anderen ändern. Vor allem weil auch viele der Menschen es gar nicht geändert haben wollten. Sie zogen ein sicheres Leben in der Gefangenschaft der Freiheit vor.
Ich unterdrückte ein trauriges Lächeln. Eigentlich stimmte das nicht. Das Problem war, das sie einfach nicht wußten was Freiheit war. Freiheit war für sie das Unbekannte. Und die meisten Menschen fürchteten das Unbekannte. Sie würden das was sie kannten mit Händen und Füßen verteidigen, selbst wenn es die Sklaverei war, einfach weil es sicherer war als die Ungewißheit.
Für eine Weile saßen wir noch schweigend beieinander, dann stand Quatre auf und sagte, „Ich weiß nicht was ihr jetzt vorhabt, aber Wing hat mir ein paar interessante Daten über die OZ-Politik gegeben. Ich schätze, das werd ich mir jetzt mal durchlesen."
Noin nickte und stand ebenfalls auf. „Tu das, Quatre. Ich werde noch etwas mit Wing am Gegenmittel weiterarbeiten." Damit verschwand sie wieder in ihre Ecke.
Was Wufei tat bekam ich nicht mehr mit, denn ich hatte gesehen, wie Duo nachdenklich in unsere Kabine gewandert war. Ich folgte ihm langsam.
Ich blieb zögernd in der Tür der Kabine stehen. Ich wußte nicht genau, ob ich es tun sollte – und wie. Vielleicht würde Duo ja ärgerlich reagieren? Nachdem er mich heute den ganzen Tag kein einziges Mal angesehen hatte war ich wieder vollkommen verunsichert.
War Duo böse auf mich? Ich hatte mich das schonmal gefragt. Aber mir wollte einfach kein Grund einfallen, weshalb er das sein sollte. Und obwohl er es vermied mir in die Augen zu sehen, war es doch anders als noch vor einigen Tagen, als er mich vollkommen ignoriert hatte.
Ich seufzte leise. Die ganze Zeit über, als ich mit Quatre und den anderen geredet hatte, war mir dennoch diese eine Frage nicht aus dem Kopf gegangen. Was hatte es mit dem Sex auf sich? Warum wollte jeder es ständig tun und warum war Duo so entsetzt gewesen, als er von der Droge erfahren hatte? Es war mir ein Rätsel, und ich wusste, ich würde erst wieder Ruhe finden können, wenn ich dieses Rätsel gelöst hätte. Und da laut meinen Recherchen Sex oft mit Gefühlen wie Liebe in Verbindung gebracht wurde, hatte ich beschlossen, das ich Duo danach fragen würde.
Ich gab mir einen Ruck und betrat die Kabine vollends. Duo stand an einem der Fenster und sah hinaus auf die vorüberziehenden Sterne.
„Duo?"
„Hm?" Duo drehte seinen Kopf. „Oh... Heero... du bist es." Erneut senkte er schnell seinen Blick.
Ich schluckte, doch ich beschloss an meiner Entscheidung festzuhalten. Ich würde ihn jetzt fragen, völlig egal wie seine Reaktion aussehen würde. Ich war vor J geflohen, hatte es ganz allein mit einer Schiffseinheit, einem Jäger und der Ungewißheit aufgenommen. Ich würde jetzt keine Angst vor einer simplen Frage haben.
„Kannst du mir zeigen was Sex ist?"
(1) Diese Experimente wurden tatsächlich durchgeführt, mit genau diesem Ergebnis. Die Kinder sind tatsächlich alle gestorben, sie sind praktisch verkümmert weil ihnen die emotionale Zuwendung gefehlt hat. Allerdings bin ich mir über den Zeitpunkt nicht mehr ganz sicher; ich denke es war im 19. Jahrhundert. Sollte irgendjemand von euch den genauen Zeitpunkt wissen, so darf er mich gerne verbessern. -)
