Titel: Enjoy the Silence
Autor: Zanna
Disclaimer: siehe Kapitel 1
Beta: Laren 'knuddel'
Kommentar: So, das ist wohl das letzte Kapitel für die nächsten zwei Wochen, weil ich am Samstag nämlich in den Urlaub fahr. Aber ich werd trotzdem schön fleissig an den Geschichten arbeiten und vielleicht gibts ja dann nach dem Urlaub ein paar Kapitelchen mehr. ;-)
Kapitel 30
Quatre POV
Den Aufenthalt auf M's Hof einfach nur interessant zu nennen wäre sicherlich untertrieben gewesen. 'Interessant' traf es noch nicht einmal annähernd. Ich weiß gar nicht wo ich anfangen sollte zu beschreiben was es dort alles Neues und unbekanntes zu sehen gab.
Natürlich war das nicht wirklich der erste fremde Planet den ich besucht hatte, aber während meines kurzen Besuchs auf L1 hatte ich nicht wirklich Gelegenheit alles so deutlich in mich aufzunehmen wie hier.
Allein schon die Tatsache dass ich tatsächlich auf einem fremden Planeten war! Das war so unbegreiflich, dass ich manchmal das Verlangen hatte mich zu kneifen, nur um sicher zu gehen dass ich nicht träumte. Noch vor wenigen Wochen hätte ich es mir im Leben nicht träumen lassen dass ich jemals die Erde verlassen würde. Und nun war ich hier.
Komischerweise schien es den anderen nicht so zu gehen wie mir. Oder sie verbargen es einfach besser. Wie auch immer, ich hatte auf jeden Fall vor so vieles wie möglich über all dies hier zu lernen wie nur möglich. Wann würde sich schließlich je wieder eine solche Gelegenheit für mich bieten?
Politik und Geschichte hatte mich schon immer fasziniert, darum waren das auch zwei der Haupt-Fächer gewesen, die ich auf dem College belegt hatte. Und jetzt hatte ich die Möglichkeit nicht nur die Gesellschaftsstruktur einer völlig anderen Kultur zu studieren, sondern die einer völlig anderen Spezies! Ich konnte es kaum noch erwarten herauszufinden, was für Unterschiede es zwischen den OZ und uns Menschen von der Erde es gab. Und was für Gemeinsamkeiten. Und ob diese Unterschiede und Gemeinsamkeiten aufgrund der unterschiedlichen Spezies zustande kamen oder nicht. Und hier an diesem Ort, an dem M so viel Wissen gelagert hatte, hier hatte ich die Gelegenheit etwas darüber herauszufinden.
Doch da gab es natürlich ein kleines Problem. Ich konnte die Sprache der OZ weder sprechen noch lesen. Trowa hatte zwar in den paar Tagen die wir benötigt hatten um von L1 herzukommen versucht mir die Sprache beizubringen, aber es hatte nichts genützt. Wir hatten einfach nicht genügend Zeit gehabt.
Und so war ich auf entweder Heero oder Trowa angewiesen wenn ich etwas über die Geschichte der OZ lernen wollte. Und so schloss ich mich den beiden am ersten Tag unseres Aufenthalts auf M's Anwesen einfach an. Gut, um ehrlich zu sein, ich schloss mich eher Trowa an als Heero. Immerhin, ich konnte wohl kaum beiden gleichzeitig hinterherlaufen, oder? Und indem ich mich an Trowa hängte konnte ich auch gleichzeitig meinem Bedürfnis ihm nahe zu sein nachgeben.
Ich konnte deutlich sehen wie begeistert Heero über all das Wissen war, das M im Laufe der Jahre hier angesammelt hatte. Auch wenn er nicht so überschäumend war wie Duo wenn ihn etwas wirklich begeisterte – und mal ehrlich, wer konnte schon so überschäumend sein wie Duo ohne Drogen genommen zu haben? – so war es doch ein deutlicher Unterschied zu seinem sonst so ruhigen Äußeren.
Trowa hingegen – nun, ich hatte noch keine wirkliche Regung bei Trowa ausmachen können. Mal abgesehen von den wenigen Minuten unserer Flucht auf L1, als ich ihn mehr mit mir gezerrt hatte als dass er selbst gelaufen wäre, hatte ich ihn noch niemals das Gesicht verziehen sehen. Und selbst damals war es wahrscheinlich nur gewesen, weil er verletzt und völlig verwirrt gewesen war.
Doch seit dem… Hatte ich Heero anfangs schon für stoisch und teilnahmslos gehalten, so galt das für Trowa umso mehr. Ich gebe zu, Heero hatte sich verändert im Laufe der Wochen – seine vorher so emotionslose Maske war aufgebrochen und jetzt konnte man ihn ab und zu sogar lächeln sehen. Was meiner Meinung nach allein Duos Verdienst war. Doch ob Trowas Maske ebenfalls so einfach zu knacken wäre… falls es sich überhaupt um eine Maske handelte.
Ich wurde einfach nicht schlau aus ihm. Ich hatte sonst niemals irgendwelche Schwierigkeiten andere Menschen zu verstehen. Selbst wenn sie sich noch so sehr verstellten und hinter irgendwelchen Mauern versteckten, ich konnte immer darüber hinweg auf ihr wirkliches Ich sehen. Gut, es war nicht immer leicht und manchmal dauerte es etwas bis ich alle Schutzmauern überwunden hatte, aber im Endeffekt hatte ich es bis jetzt immer geschafft.
Doch bei Trowa… Auch bei ihm hatte ich versucht hinter seine Maske zu sehen. Hatte versucht diese Mauern die er um sich errichtet hatte wenigstens teilweise niederzureißen. Doch was ich dahinter entdeckt hatte war… nichts. Völlig blank. So als hätte er nicht die geringsten Emotionen. Als wäre die Maske die er der Welt nach außen hin präsentierte tatsächlich sein wahres Ich.
Und das konnte ich nicht akzeptieren. Das wollte ich nicht akzeptieren. Und so machte ich es zu meiner persönlichen Aufgabe Trowa irgendeine Emotion zu entlocken. Ein Lächeln, Wut, irgendwas.
Doch Trowa ließ sich von nichts beeinflussen was ich tat oder sagte. Und zum ersten Mal in meinem Leben verfluchte ich die Tatsache dass jeder Mensch mich aufgrund meines Aussehens zunächst unterschätzte. Klar, ich gebe zu ich habe das bisher jedes Mal schamlos zu meinen Gunsten ausgenutzt, aber diesmal schien es mir nichts zu nützen. Es war als würde Trowa mich ansehen und als unwichtig abtun. Das tat weh. Und gleichzeitig ärgerte es mich ungemein.
„Nach was für Kategorien ist das hier eigentlich alles eingeteilt?" fragte ich. Jep, ich war immer noch dabei Trowa die Regalreihen entlang hinterherzulaufen. Und obwohl ich das schon seit etwa zwei Stunden tat, hatte Trowa meine Anwesenheit offenbar noch nicht wirklich zur Kenntnis genommen.
Trowa, an den meine Frage gerichtet war, warf mir nur einen kurzen Seitenblick zu und konzentrierte sich dann wieder auf das Regal, das er gerade inspizierte. Ich stieß einen kleinen frustrierten Seufzer aus.
„M hat es hauptsächlich nach Datum sortiert," warf Treize ein, der ein paar Meter von uns entfernt an einem anderen Regal stand. Ich warf ihm einen kurzen dankbaren Blick zu. Ich hatte zwar gehofft dass Trowa mir antworten würde, aber ich war dennoch dankbar, dass ich wenigstens überhaupt eine Antwort auf meine Frage bekommen hatte.
„Nach Datum?" fragte ich. „Nicht nach Themen?"
„Auch nach Themen," antwortete Treize.
„Eigentlich hat er es eher nach seinen persönlichen Vorlieben sortiert," ertönte auf einmal Zechs Stimme und ich drehte mich danach um. Der blonde Mann stand eine Regalreihe hinter uns und kramte in einer der dort stehenden Schachteln.
„Nach seinen persönlichen Vorlieben?" vergewisserte ich mich.
„Jep," nickte Zechs. „Das was ihn am meisten interessierte hat er ganz nach vorne gepackt und so weiter. Aber innerhalb dieser Abschnitte hat er die Sachen dann wieder nach Datum sortiert."
„Aber…" warf ich entsetzt ein, „… wie sollen wir in einem solchen System jemals irgendetwas finden?"
„Indem wir einfach alles durchlesen?" fragte Zechs und schaute von seiner Schachtel auf.
„Nun, da nur Heero und Trowa wirklich in der Lage sind die Texte hier zu lesen ist das vielleicht kein wirklich guter Plan," warf Treize ein. „Das würde noch Jahrzehnte dauern."
„Übertreib nicht," antwortete Zechs. „In der Zeit müssten wir es auch schaffen die Schrift zu lernen und dann können wir alle die Texte lesen. Wir würden vielleicht nur Jahre brauchen und keine Jahrzehnte."
Ich schwieg entsetzt. Ich hatte eigentlich nicht vor, die nächsten zwanzig oder dreißig Jahre hier zu verbringen! Überhaupt waren wir schon viel länger von der Erde weg als wir jemals vorgehabt hatten. Irgendwann würde meine Familie anfangen sich Sorgen zu machen.
„Das ist völlig unmöglich!" unterbrach ich Treizes und Zechs' Wortgeplänkel. „Wir können keine Jahrzehnte hier bleiben. Wir müssen unsere Suche einfach nur besser organisieren!"
Und mit diesen Worten stürzte ich mich in die Aufgabe. Am besten wäre es, wenn die Themengebiete zwischen Heero und Trowa aufgeteilt würden. Dann könnte sich jeder von ihnen in seine Gebiete vertiefen und müsste nicht jedes Mal aufs Neue anfangen sich mit etwas vertraut zu machen.
Nachdem ich Heero und Trowa von meinem Plan berichtet und Heero mir zugestimmt hatte, begannen Treize und Zechs damit, die jeweiligen Texte zu dem großen Tisch mit den Lesegeräten zu schleppen, während Trowa und Heero damit begannen, die Dateien durchzusehen.
Da ich ja leider nichts davon lesen konnte, setzte ich mich einfach neben Trowa und sah ihm zu. Da eines der Gebiete die Trowa durchsah die Politik war (dafür hatte ich schon gesorgt), stellte ich ihm immer wieder Fragen zu dem was er gerade las.
Seine Antworten waren meist kurz und sehr knapp. Und offenbar riss ihm irgendwann der Geduldsfaden, denn plötzlich schnappte er nach mir, „Warum willst du das alles eigentlich wissen? Das ist doch völlig egal!"
Ich blinzelte etwas überrascht, aber nicht unerfreut. Auch wenn es mir doch ein wenig peinlich war auf Duos Methoden – nämlich sein Gegenüber so lange zu nerven bis es explodierte – zurückgreifen zu müssen, so hatte es dennoch funktioniert.
„Es ist nicht egal," antwortete ich Trowa.
„Natürlich ist es das! Wen interessiert schon was für politische Ränkespielchen die OZ getrieben haben und noch immer treiben?"
Ich zuckte mit den Achseln. „Mich."
Trowa starrte mich an, ein ungläubiges Funkeln in seinem sichtbaren Auge. „Warum?" fragte er.
„Weil es wichtig ist. Wenn wir begreifen wollen, warum die Gesellschaft der OZ so ist wie sie ist, dann müssen wir wissen, wie sie funktioniert. Und warum sie so funktioniert. Und vor allem, wie es dazu gekommen ist dass sie so funktioniert."
Trowa starrte mich einen weiteren Moment einfach nur an, dann sagte er mit inzwischen wieder ruhiger Stimme, „Ich will nicht begreifen warum die OZ so sind wie sie sind. Mir reicht zu wissen WAS sie sind. Sie sind Sklavenhalter, sie sind brutal, sie sind herzlos, sie sind böse. Was gibt es daran schon zu begreifen?"
Ich blickte Trowa neugierig an. Das war mehr Reaktion von ihm in einer Minute als in all den vorherigen Tagen zusammen. Dieses Thema schien wohl ein wunder Punkt für ihn zu sein.
„Wenn dich das alles nicht interessiert, warum machst du das hier dann?" fragte ich.
„Weil es Heero interessiert und er mein bester Freund ist. Weil ich sonst nichts anderes zu tun habe und nirgendwo anders hin kann. Und weil," Trowa zögerte kurz, „weil dieses Geheimnis vielleicht so groß ist, dass es die OZ am Ende völlig vernichtet. Und nichts würde ich lieber sehen als das."
Ich betrachtete Trowa, achtete genau auf jede noch so kleine Regung in seinem Gesicht. „Ist es wirklich das was du willst? Die Vernichtung einer ganzen Spezies?"
„Ja!" Trowa ballte seine Hände zu Fäusten, das einzig sichtbare Zeichen seiner Erregung. „Und wieso sollte ich nicht? Schließlich haben sie auch nicht gezögert MEINE komplette Spezies zu versklaven! Da hätten sie uns auch genauso gut gleich vernichten können, dass wäre auf das selbe hinausgelaufen! Glaub nur nicht dass ich Mitleid habe mit den OZ! Sie sind der Feind, nichts weiter!"
„Nun, dann ist es um so wichtiger dass du herausfindest warum die OZ so sind wie sie sind," antwortete ich. „Wenn du den Feind besiegen willst, dann musst zu allererst einmal herausfinden, wie dieser Feind denkt. Sonst wirst du niemals gewinnen können."
Trowa antwortete mir nicht sondern starrte mich weiterhin mit diesem ausdruckslosen Gesichtsausdruck an. Ich konnte deutlich sehen, dass er eigentlich noch etwas erwidern wollte, doch statt es zu tun biss er nur die Zähne aufeinander und blieb stumm.
„Denk darüber nach, Trowa," sagte ich und stand auf. „Finde heraus wie die Gesellschaft der OZ zu dem geworden ist was sie heute ist. Und vielleicht findest du dabei auch noch heraus, dass nicht jeder OZ böse ist. Das nicht jeder einzelne von ihnen dein Feind ist." Und damit verließ ich die Bibliothek.
Draußen angekommen hielt ich an und seufzte kurz. Ich hatte tatsächlich geschafft was ich vorgehabt hatte. Ich hatte es geschafft Trowas stählerne Fassade zu durchbrechen und ein Gefühl dahinter zu entdecken. Nur dass es nicht das gewesen war was ich erwartet hätte.
Bitterkeit. In Trowa war so viel Bitterkeit. Es hatte mich ein wenig erschrocken das so unverhohlen zu sehen. Und gleich darauf hatte ich mich gefragt, warum ich so erschrocken darüber war. Sicherlich war es nicht allzu erstaunlich – immerhin, Trowa hatte sein ganzes Leben als Sklave verbracht, und sein 'Herr' hatte nicht gerade zu der freundlichen Sorte gehört. Ich wollte mir gar nicht vorstellen wie ein solches Leben wohl ausgesehen hatte. Es war also kein Wunder das Trowa verbittert war, er hatte jedes Recht dazu.
Und doch… Bei Heero hatte ich niemals eine derartige Verbitterung bemerkt – und Heeros Leben hatte genauso ausgesehen wie Trowas. Warum also waren ihre Reaktionen, ihre Gefühle derart unterschiedlich? Es war ein Rätsel, ein faszinierendes Rätsel, und ich gedachte die Lösung zu diesem Rätsel zu finden.
Aber nicht jetzt. Jetzt würde ich Trowa erst ein wenig Freiraum geben. Raum um über seine eigenen Gefühle und über das, was ich zu ihm gesagt hatte nachzudenken. Also machte ich mich auf die Suche nach den anderen.
Den einzigen den ich fand war Pargan. Und da ich ohnehin keine allzu genauen Pläne hatte, entschloss ich mich einfach dem alten Mann Gesellschaft zu leisten. Wie sich herausstellte wusste Pargan eine Menge interessanter Dinge. Ich erfuhr eine Menge von ihm. Er erzählte mir von den 'guten, alten Zeiten', als M's Anwesen noch so vor Leben gestrotzt hatte, erzählte mir von dem Einfluss den M's Familie einst besessen hatte und unbewusst erzählte er mir damit ein wenig, wie die Gesellschaft der OZ so funktionierte. Es war unglaublich faszinierend und interessant.
Irgendwann gesellte auch Duo sich zu uns, doch er beteiligte sich nur spärlich an den Gesprächen und schien eher zuzuhören. Die nächsten Tage verliefen in einem ähnlichen Schema – Pargan und ich unterhielten uns über alles mögliche und Duo saß einfach daneben und langweilte sich.
Oh, er wusste es gut zu verbergen – zumindest für seine Verhältnisse. Aber ich kannte Duo gut genug um die Anzeichen richtig zu deuten. Duo war gelangweilt, und wenn er nicht bald etwas zu tun bekäme, dann würde es irgendjemand von uns ausbaden müssen. Gewöhnlich war das Wufei, der dann immer Oper eines von Duos Streichen wurde.
Doch diesmal schien sich Duo eine andere Methode der Unterhaltung ausgedacht zu haben, denn irgendwann am fünften oder sechsten Tag unserer Anwesenheit fragte er Pargan plötzlich, ob er sich im Haus nach nützlichen Dingen umsehen dürfte. Und nachdem Pargan ihm die Erlaubnis dazu gegeben hatte, verschwand er auch sofort wie ein geölter Blitz und ließ sich für den Rest des Tages nicht mehr blicken.
Am nächsten Morgen erschienen sowohl Duo als auch Heero spät zum Frühstück. Und die ganze Zeit über machten die beiden einen sehr abwesenden Eindruck, sie antworteten kaum oder nur zerstreut auf Fragen, und sobald sie mit dem Essen fertig waren verschwanden sie ohne ein Wort. Allerdings waren die beiden nicht die einzigen die an diesem Morgen sehr fahrig wirkten.
Trowa saß wie immer stumm auf seinem Platz, den Blick nur auf seine Mahlzeit gerichtet, und da sein üblicher Gesprächspartner Heero sehr abgelenkt zu sein schien, war Trowa noch stiller als sonst.
Und auch Wufei und Noin schienen mit ihren Gedanken ganz weit weg zu sein. Es war fast schon frustrierend von jedem, den ich heute ansprach einfach nur ignoriert zu werden. Nur Treize, Zechs und Pargan waren so gesprächig wie üblich, aber das sonderbare Verhalten der anderen ließ trotzdem eine sehr seltsame Stimmung aufkommen.
Nach dem Frühstück blieb ich zurück, um Pargan in der Küche zu helfen, aber er scheuchte mich hinaus mit der Begründung, ich solle mich den anderen jungen Leuten anschließen und nicht meine ganze Zeit mit einem alten Mann wie ihm vergeuden. Ich protestierte zwar, aber Pargan war unnachgiebig.
Also fügte ich mich und wanderte hinaus auf den Hof. Wenn ich drinnen schon nichts tun konnte, so nahm ich mir vor, würde ich mir das Anwesen mal etwas genauer ansehen. Als ich den Garten hinter dem Haus erreichte, fand ich Duo.
Ich blieb stehen und betrachtete das Bild vor mir lächelnd. Nun wusste ich zumindest, warum Duo vorher so abwesend gewirkt hatte. Er saß mitten in einem Haufen Müll – Verzeihung, alter Geräte – und strahlte wie ein kleines Kind das gerade eine riesige Kiste voller Spielzeug gefunden hatte. Und ich schätze, genauso fühlte er sich auch.
Ich schüttelte leicht den Kopf. Bis Duo mit diesem Haufen durch war konnten Stunden oder sogar Tage vergehen. Er würde sich auf jeden Fall nicht mehr so schnell langweilen. Was für uns andere nur gut war. Ich dachte mit Schaudern daran was für Streiche er sich mit all den futuristischen Geräten der OZ ausdenken konnte.
Da ich wusste dass Duo mich sowieso nicht wahrnehmen würde, wenn ich ihn nun ansprechen würde, zog ich mich zurück. Schließlich bestand das Anwesen aus noch viel mehr unerforschten Bereichen – mehr als genug für mich zu entdecken.
Allerdings kam ich nicht weit in meiner Entdeckungstour als ich auf den nächsten meiner Freunde stieß. Und zwar Wufei, der im Schneidersitz auf einem Stück Rasen saß, nur ein paar Minuten Fußmarsch von Duos Position entfernt. Es wunderte mich nicht, Wufei hier zu finden, denn seit wir auf M's Anwesen angekommen waren hatte er sein Training unverdrossen wieder aufgenommen. Ich nahm an, dass es ihm auf dem Schiff doch ziemlich gefehlt hatte.
Doch irgendetwas war seltsam an dem Bild. Statt die Bewegungen zu üben saß er einfach nur so da, das Katana auf seinem Schoß und starrte geradeaus in die Ferne. Ich ging ein bisschen näher.
„Wufei?" fragte ich und runzelte die Stirn.
Wufei zuckte leicht zusammen und drehte seinen Kopf abrupt in meine Richtung. Sein überraschter Blick verwandelte sich schnell in Erkennen, als er mich sah. „Quatre," sagte er und nickte mir zu.
„Ist alles in Ordnung?" fragte ich und kam noch ein Stück näher.
„Was? Ja klar, warum nicht," Wufei nickte, dann stoppte er plötzlich mitten in der Bewegung und seufzte tief. „Ich weiß nicht," sagte er schließlich.
Das ließ mich aufhorchen. Offenbar war nicht alles in Ordnung, und dass Wufei das zugegeben hatte, zeigte dass er mit irgendjemandem darüber reden wollte. Also ließ ich mich neben ihm auf dem Rasen nieder.
„Was ist los?" fragte ich und beugte mich leicht vor.
Wufei seufzte erneut. „Das ist schwer zu erklären…"
Ich erwiderte nichts und blickte ihn weiter nur erwartend an. Wufei musste erst noch nach den richtigen Worten suchen, und ich würde ihm diese Zeit lassen, ohne ihn zu drängen.
„Ich… ich fühle mich… zu Treize hingezogen."
Ich legte den Kopf schief. „Und ist das schlimm?"
„Nein! Ja! Nein!" Wufei brach ab und schüttelte frustriert den Kopf. „Ich habe kein Problem damit das ich mich zu einem Mann hingezogen fühle, das weißt du."
„Und wo ist dann das Problem? Erwidert Treize diese Gefühle nicht?"
„Ich weiß nicht," antwortete Wufei. „Ich habe ihn nicht gefragt."
„Du hast ihm noch nicht gesagt was du fühlst?" fragte ich. Wufei schüttelte den Kopf.
„Warum nicht? Immerhin musst du dir keine Sorgen wegen dieser komischen Droge machen. Treize ist ihr schon seit Jahren nicht mehr ausgesetzt gewesen."
„Genau das ist ja das Problem!" rief Wufei aus und seufzte tief auf.
Ich runzelte die Stirn. „Ich verstehe nicht…"
„Treize und Zechs sind beide dieser Droge nicht mehr augesetzt gewesen, seit sie mit M abgestürzt sind. Die beiden, ganz allein auf einem Planeten, die Hormone die plötzlich anfangen verrückt zu spielen – ich bin sicher, du kannst dir den Rest denken!"
Ich blinzelte ein paar Mal. „Du meinst, Treize und Zechs sind ein Paar?" vergewisserte ich mich. „Sie haben nicht den Eindruck auf mich gemacht, wie kommst du darauf? Haben sie selbst es gesagt?"
„Nicht direkt," antwortete Wufei. „Aber von dem was ich ihren Unterhaltungen entnehmen konnte haben sie durchaus einige… Experimente in dieser Hinsicht durchgeführt als sie ganz allein auf diesem Planeten waren."
Ich starrte Wufei eine Sekunde einfach nur an, dann schüttelte ich den Kopf. „Wufei, du hast irgendwelche Bruchstücke einer Unterhaltung gehört und reimst dir jetzt irgendwas daraufhin zusammen. Mag sein dass die beiden vor zwei Jahren ein wenig miteinander herumexperimentiert haben. Aber das ist auch nur zu verständlich, schließlich war ja niemand anderes da mit dem sie etwas über ihre Sexualität hätten lernen können. Aber machen die beiden jetzt auf dich den Eindruck eines Paares? Mal ganz ehrlich?"
Wufei sah mich an und schüttelte dann zögerlich den Kopf. „N… nein."
„Auf mich auch nicht. Die beiden sind nur Freunde, ich bin mir sicher. Du solltest mit Treize reden," sagte ich und legte eine Hand auf Wufeis Schulter. „Und selbst wenn sich herausstellt dass Treize doch mit Zechs zusammen ist, dann weiß du wenigstens woran du bist."
Wufei sah mich eine Weile schweigend an, dann nickte er. „Du hast Recht. Danke."
Ich lächelte ihm zu, dann stand ich auf, streckte mich kurz und klopfte mich das Gras von meiner Kleidung. Anschließend nahm ich meinen kleinen Spaziergang wieder auf.
Doch es sollte offenbar nicht sein, dass ich heute das Anwesen erkundigen konnte, denn kurz darauf kam mir Noin entgegen. Sie kam aus der Richtung der Schiffe, und als sie mich sah blieb sie überrascht stehen und starrte zu mir her.
„Hey Noin!" rief ich und winkte ihr zu.
Noin winkte zurück und kam zögernd näher.
„Du warst bei den Schiffen?" fragte ich. „Wieso?"
Noin starrte mich eine Sekunden lang an, dann lief sie knallrot an und senkte den Blick. Ich blickte sie überrascht an.
„Noin? Was ist los?"
Noin murmelt etwas Unverständliches – das einzige Wort das ich heraushören konnte war 'Zechs'.
„Ist etwas mit Zechs? Hat er sich seinen Arm wieder verletzt oder wieso warst du bei den Schiffen?"
Noin schloss die Augen, seufzte einmal tief und blickte mich anschließend direkt an. „Nein, er hat sich nicht verletzt. Zumindest nicht das ich wüsste. Ich…" Sie brach ab und biss sich auf die Lippen.
„Was?"
„Oh musst du immer alles wissen?" rief Noin aufgebracht und wedelte mit den Armen. Ich trat einen Schritt zurück und sah sie erstaunt an.
„Gut, ich gebe es zu, ich war auf dem Schiff! Ich wollte nur kurz etwas überprüfen, ist das etwa verboten?" Noin stemmte ihre Arme in die Seiten und funkelte mich herausfordernd an.
„Nein, natürlich ist das nicht verboten," antwortete ich Noin, riss meine Augen weit auf und blickte sie mit unschuldig-erschrecktem Blick an. „Tut mir leid. Ich hab mir nur Sorgen um dich gemacht, ich wollte dich nicht verärgern." Ich riss meine Augen noch ein kleines Stück mehr auf, und da ich seit Beginn der ganzen Augen-Aufreiß-Aktion auch noch nicht geblinzelt hatte, fingen meine Augen langsam an zu Tränen.
Noin blickte mich bestürzt an. „Oh! Bitte nicht, Quatre! So habe ich das nicht gemeint! Ich wollte dich nicht so anfahren, es ist nur…"
„Nein, nein, kein Problem," sagte ich und winkte tapfer ab. „Ich versteh das."
„Es tut mir leid! Es war mir nur so peinlich dass du mich beim rumschnüffeln erwischt hast, das ist alles!"
AHA! Diese Masche zog doch wirklich jedes Mal. Es war fast schon zu einfach. Ich unterdrückte das kleine, zufriedene Grinsen dass ich jetzt eigentlich am liebsten aufgesetzt hätte und widmete mich stattdessen lieber Noins Aussage. Sie hatte als im Schiff rumgeschnüffelt.
„Du hast was?" rief ich, als ich komplett realisierte was sie soeben gesagt hatte.
Noin blickte mich mit weit aufgerissenen erschrockenen Augen an, die Hände vor den Mund geschlagen.
„Warum hast du auf dem Schiff rumgeschnüffelt?" fragte ich ungläubig.
Noin ließ die Schultern und den Kopf hängen und seufzte. „Ach was soll's," sagte sie schließlich. „Es ist wegen Zechs. Ich… ich wollte nur rausfinden ob er und Treize immer noch was am laufen haben oder nicht."
Ich starrte sie ungläubig an. Das konnte doch wohl nicht sein, oder? Sie nicht auch noch. „Moment!" sagte ich und hob abwehrend die Hand. „Lass mich raten. Du hast durch Gesprächsfetzen rausgefunden das Treize und Zechs ein kleines Techtelmechtel laufen hatten als sie so ganz allein auf diesem Planeten festsaßen. Und jetzt willst du wissen, ob das immer noch so ist oder ob du freie Bahn auf Zechs hast. Hab ich recht?"
Noin starrte mich mit offenem Mund an. „Ja! Aber woher…"
„Das ist doch egal," unterbrach ich sie. „Es gibt nur eine Methode wie du das rausfinden kannst! Frag Zechs! Wie schwer kann das schon sein? Du bist doch sonst nicht so schüchtern!"
Noin verengte die Augen zu Schlitzen. „Das sagt der richtige! Wenn ich mich recht entsinne dann weichst du Trowa auch schon seit Tagen aus statt mit ihm zu reden, oder?"
Jetzt war es an mir sie mit offenem Mund anzustarren. „Was… wie… woher…"
„Bitte!" sagte Noin und verdrehte die Augen. „Woher ich das weiß? Das ist doch offensichtlich. Außer Trowa kann das jeder deutlich sehen. Naja, außer Heero und Duo vielleicht, aber bei denen liegt es nur daran, dass sie viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt sind als dass ihnen aufgefallen wäre, wie du Trowa wie ein liebeskrankes Hündchen hinterherläufst."
„Das tue ich überhaupt nicht!" empörte ich mich. Doch in einem musste ich Noin Recht geben – ich hatte Trowa tatsächlich seit Tagen ignoriert, länger als ich eigentlich vorgehabt hatte. Ich seufzte.
„Lassen wir das," sagte ich und hob eine Hand. „Wir wissen beide was wir falsch gemacht haben und was wir jetzt zu tun haben, stimmts?"
Noin nickte.
„Gut. Dann lass uns zurückgehen."
Gemeinsam marschierten Noin und ich zum Haus zurück, doch dort trennten sich unsere Wege wieder. Keine Ahnung was Noin vorhatte – und wie sie es anstellen wollte, Zechs in eine Ecke zu treiben und zu befragen (und ich war mir sicher dass es genau so ablaufen würde) – aber ich suchte zuerst einmal nach Pargan.
Natürlich, ich erinnerte mich noch an mein Vorhaben mit Trowa zu sprechen. Aber erstens wollte ich mir noch genau überlegen, worüber ich mit ihm sprechen wollte, und zweitens wollte ich ihn nicht im Beisein all der anderen überfallen. Das war einfach nicht mein Stil.
Also blieb ich bei Pargan in der Küche und unterhielt mich weiter mit dem alten Mann. Was auch ganz gut war, denn irgendwann am Nachmittag kam Duo plötzlich durch die Küche gesaust, Shini ihm immer dicht auf den Fersen. Es bedurfte wirklich meines gesamten Einfühlungsvermögens und all meiner Überzeugungskraft um Pargan davon zu überzeugen, dass Shini kein feindlich gesinnter Jäger war. Das nicht irgendein OZ herausgefunden hatte was hier vor sich ging und jetzt darauf aus war, uns alle zu bestrafen.
Doch irgendwann hatte ich den alten Mann schließlich wieder beruhigt und ich machte mich auf die Suche nach Duo, um zu erfahren, was ihn denn so sehr aufgeregt hatte. Ich fand ihn schließlich in der Bibliothek, wo er ein dünnes, bildschirmartiges Gerät in der Hand hielt und durch die Luft schwenkte.
„Seht euch das hier an!" rief er aufgeregt und schwenkte das Gerät noch etwas heftiger.
„Was ist das?" fragte Heero und stand von seinem Platz auf, um Duo entgegenzugehen.
„Das ist eines der Geräte die ich auf dem Dachboden gefunden habe," antwortete Duo und schlang einen Arm um Heero, um ihn begeistert an sich zu drücken. „Und ich habe es wieder zum laufen gebracht!"
„Wirklich?" fragte Heero und drehte den Kopf, um einen Blick auf das noch immer wild umherwedelnde Gerät zu werfen. „Und was ist es?"
„Scheint irgendeine Art von Lesepad oder so was zu sein. Vielleicht auch ein Buch oder so. Jedenfalls ist da irgendwas drin gespeichert. Vielleicht ja sogar was Nützliches! Du musst unbedingt einen Blick hinein werfen, Hee-chan!"
Duo schien kaum stillhalten zu können, so aufgeregt war er. Heero blickte ihn mit einem kleinen Lächeln an und auch ich musste schmunzeln. Duo war einfach unwiderstehlich wenn er so aufgeregt war. Wie ein kleines Kind. Einfach nur süß. Allerdings würde ich es niemals wagen ihm das ins Gesicht zu sagen – das Gejammer würde ich mir sonst tagelang anhören müssen.
Heero schaffte es schließlich nach dem Gerät zu greifen und wollte es gerade aktivieren, als plötzlich sein Kommunikator einen Signalton von sich gab. Heero runzelte die Stirn, legte das Gerät auf dem Tisch ab und fischte den Kommunikator aus seiner Hosentasche – was gar nicht so einfach war, da Duo noch immer an seinem anderen Arm hing.
„Wing?" fragte Heero als er es schließlich geschafft hatte. „Was ist los?"
„Wir haben ein Problem," antwortete Wing. „Ich habe ein Schiff geortet, das sich diesem Planeten nähert. Das Schiff trägt J's Kennung."
