Liguster Weg Nummer 4
Mit weit geöffneten Augen lag Harry Potter auf seinem Bett und starrte das Zifferblatt der Uhr auf seinem Nachtisch an. Nun ja, nicht SEIN Nachttisch. Oder sein Bett. Nein, es war Dudleys Nachttisch und Dudleys Bett. Hier in diesem Haus gehörten ihm nur der große Schrankkoffer neben der Zimmertür und die Kleider darin. Die Klamotten, in denen er grade steckte, gehörten ebenfalls seinem Cousin, einem rosagesichtigem, fetten Muggel, der für ihn nicht mehr übrig hatte als Häme und Schläge. Aber das würde bald vorbei sein.
Sein Herz schlug exakt unisono mit dem Sekundenzeiger der tickenden, billigen Uhr. Noch 1 Minute. Dann wäre er endlich frei! Volljährig und könnte endlich das tun, was offensichtlich seit seiner Geburt vorbestimmt war. Den größten und gefährlichsten Schwarzmagier aller Zeiten zu töten – und vermutlich selbst dabei zu sterben.
Die Aussicht auf seinen eigenen Tod schreckte den fast 17-jährigen nicht wirklich. Seitdem er 11 Jahre alt war, schwebte diese Möglichkeit wie das berühmte Damokles-Schwert über Harrys verwuschelten, unzähmbaren, dunklen Haarschopf. Und was würde er verlieren, wenn er starb? Seine Familie? Er hatte nicht einmal so etwas. Die Einzigen, die er als etwas Derartiges bezeichnen konnte, waren in diesem Haus und würden vermutlich drei Kreuze machen, wenn er endlich von hier verschwand und nie wiederkehrte!
Und sonst? Er hatte Freunde. Gute Freunde. Freunde, die ihr Leben für ihn opfern würden! Das wusste er. Und genau darin lag das Problem … Sie würden es vermutlich müssen, wenn er sich nicht von ihnen fern hielt.
Seinen Paten Sirius Black hatte dieses Schicksal bereits letztes Jahr kurz vor den Ferien ereilt. Sein Tod hatte den Jungen fast umgebracht! Zu sehen, wie das letzte Bindeglied zwischen ihm und seiner echten Familie, seinen Eltern einfach so verschwand, hatte ihm das Gefühl zu ersticken gegeben! Verflucht, Sirius war sogar mehr gewesen, als ein dummes Bindeglied zu einer Vergangenheit, die er nicht kannte und trotzdem so innig herbeisehnte. Sirius WAR seine Familie gewesen! Alles, was er jemals so hatte titulieren wollen! Jetzt war er tot. Genauso wie Lily und James Potter. Und in diesem Frühjahr war sogar Dumbledore, der Direktor seiner Schule und fast schon väterliche Freund, für ihn gestorben. Für SEINE Sache.
In Harrys Kopf hatte der Kampf gegen Voldemort mittlerweile etwas Persönliches bekommen. Alle starben, weil Harry sterben sollte. Doch dieses Jahr nicht! Dieses Jahr würde er dem Ganzen ein Ende setzten! Und wenn er dafür sterben musste, dann sollte es so sein! Aber er würde keine Unschuldigen mehr mit sich reißen!
Noch 15 Sekunden … 10 … 9 … 8 … 7 … 6 … 5 … 4 … 3 … 2 … 1 …
Er ertappte sich dabei, wie er die Augen fest zusammenkniff und auf etwas wartete. Irgendein Gefühl, eine Veränderung. Immerhin wurde diesem Moment der Volljährigkeit so viel beigemessen! Aber es geschah nichts. Gar nichts. Das Zimmer lag, weiterhin voller Schatten, ruhig vor ihm.
Harry schnitt eine Grimasse und schwang die Beine aus dem Bett. Sich das alte, abgewetzte, Kilometer zu große T-Shirt über den Kopf ziehend durchquerte er sein Zimmer, um seine eigenen Sachen hervorzukramen. Er wollte nichts von hier mitnehmen, wenn er dieses Haus verließ! Keiner sollte ihm sagen können, er schaffe es nicht allein.
Einen winzigen Augenblick blieb er so wie er war, das T-Shirt über den Kopf gezogen, Brust und Bauch nackt, und seufzte. Allein. Das, was er nie wieder hatte sein wollen.
Zum ersten Mal seit er bei den Dursleys in diesem Sommer angekommen war, blinzelte er echte Tränen fort – er würde nicht weinen. Egal, was geschah. Er würde endlich erwachsen sein!
Ein leises Klopfen riss Harry aus seinen Gedanken, er zog sich das T-Shirt endgültig über den Kopf und wandte sich blinzelnd um. Ohne seine Brille war er kurzsichtig wie eine Fledermaus. Er machte einen weißen Schatten vor dem Fenster aus und ging zurück, um dieses zu öffnen. Seine Schneeeule Hedwig flog ins Zimmer und klapperte begrüßen mit dem Schnabel.
„Hey, Hedwig!" Er schenkte ihr ein bei ihm recht selten gewordenes kleines Lächeln und wollte zurück zum Schrankkoffer, um ihr ein paar Eulenkekse zu spendieren, doch erneut klapperte die Eule mit dem Schnabel und hüpfte auf und ab.
„Was hast Du denn?" fragte Harry irritiert und griff nun doch nach seiner Brille. Als er sie aufsetzte, erkannte er den Grund für ihr Gebaren. Hedwig streckte ihm einen Fuß entgegen, an dem eine Pergament-Rolle befestigt war. Vermutlich ein Brief von Hermine oder Ron. Sie hatten ihm Unzählige geschrieben. Und er hatte sie kaum beantwortet, in der Hoffnung, dass sie irgendwann aufgeben würden. Leider hatte er nicht mit Hermines Sturkopf gerechnet – und auch Ron, normalerweise der Schreibfaulste von ihnen Dreien, war förmlich zu Höchstleistungen aufgelaufen, was Eulenpost betraf.
Seufzend löste er das Band, mit dem die Pergament-Rolle befestigt war und wollte sie recht achtlos auf sein Bett werfen, als ihm ein Siegel ins Auge stach. Schwarzes Wachs, aus dem ein großes, verschnörkeltes ‚B' ragte.
B?
Unwillkürlich hatte Harry das Gefühl, als versuche ihm sein Herz aus dem Hals zu springen, während er das Schreiben fixierte, als drohe allein von seiner Anwesenheit tödliche Gefahr. Vermutlich lag er damit nicht einmal falsch. Denn die Familie, der dieses Sigel gehörte, hatte nur eine Handvoll guter Menschen hervorgebracht. Es war das Familien-Siegel der Blacks.
Im ersten Impuls wollte er seinen Zauberstab darauf richten und es in Flammen aufgehen lassen. Von dieser Familie konnte nichts Gutes kommen! Gar nichts. Er hatte seinen Zauberstab bereits in der Hand. Seinen neuen. Nicht mehr der Bruder von Voldemorts Zauberstab, denn der war an dem Abend, an dem Dumbledore von Severus Snape getötet worden und Harry diesem gefolgt war, zerbrochen. Sein jetziger war aus schwarzem Ebenholz, mit einer Drachenherz-Faser. Doch etwas ließ ihn zögern. Oder, besser gesagt – seine Neugier ließ ihn zögern.
Fast zehn Minuten wanderte Harry im Raum auf und ab, beugte sich zu dem Pergament hinunter, hob es auf und warf es zurück auf die Bettdecke. Er fütterte Hedwig, zog sich eine seiner Hogwarts-Schuluniformen an – die einzige Kleidung, die ihm wirklich passte – und kehrte dann doch wieder zurück zum Bett. Nach diesen 10 Minuten seufzte er frustriert, schnappte sich das Ding und entrollte es. Es explodierte nicht. Also begann er zu lesen …
„Und Du glaubst wirklich, er hat Probleme?" Ängstlich wandte Hermine Granger sich um und suchte die Straße mit den Augen nach potentiellen Gefahren ab. Seitdem Dumbledore tot war, machten die Todesser kaum noch einen Hehl aus ihren Aktivitäten. Sie raubten und mordeten ganz offen. Es war keine gute Idee, in diesen frühen Morgenstunden allein auf offener Straße herumzulungern.
Der große, schlaksige, rothaarige Junge warf ihr einen kurzen Blick von der Seite zu. „Du hast ja keine Ahnung, Mine. Diese bekloppten Muggel hatten GITTER vor seinen FENSTERN! Wer weiß, was die sich jetzt haben einfallen lassen! Ich werde nicht rumsitzen und warten. Wenn Harry meine Hilfe braucht, dann kriegt er sie!"
„Ich wollte auch nicht damit sagen, dass es bei mir anders aussieht! Aber er ist erst seit ungefähr 3 Stunden volljährig! Vielleicht will er sich ja verabschieden …" Sie unterbrach sich selbst, als ihr bewusst wurde, was für einen Blödsinn sie grade im Begriff war zu sagen. „Vermutlich hast Du Recht, Ron", seufzte sie niedergeschlagen. „Er würde keine überflüssige Sekunde bei ihnen bleiben." Harry hatte solche herzlosen Verwandten einfach nicht verdient … Das Leben war manchmal so ungerecht!
Ron Weasley nickte nur mit düsterem Gesichtsausdruck, ehe er weiter die Straße entlang stapfte. Als Hermine jedoch erneut einen ängstlichen Blick über die Schulter warf, grinste er sie an.
„Hilft es Dir, wenn ich verspreche, Dich zu beschützen?" fragte er mit einem Funkeln in den braunen Augen und prompt errötete sie so heftig, dass es selbst in der schummrigen Straßenbeleuchtung zu sehen war. Er brach in schallendes Gelächter aus, während sie ihn anfunkelte.
„Ooooh, Du bist soo doof, Ronald!"
Diese Äußerung verursachte einen weiteren Heiterkeitsanfall ihres Freundes und sie schnaubte nur.
Etwa 10 Minuten später bogen sie in den Liguster Weg und suchten Nummer 4. Als sie es endlich gefunden hatten, warf Hermine einen zweifelnden Blick auf die Tür.
„Und Du bist sicher, dass es das richtige Haus ist? Es sieht so – normal aus." So wie Ron die Dursleys beschrieben hatte und was sie von Harry her wusste hatte sie kein kleines Reihenhaus erwartet, sonder eher die Marke „Schloss mit Feuer speiendem Drachen" alias Tante Petunia davor.
Ron zuckte die Schultern. „Du bist doch die große Briefe-Schreiberin. Und Du sendest sie alle an Nummer 4, oder!"
Sie nickte ergeben, ehe sie leise fragte: „Und was machen wir jetzt?" Zweifelnd sah sie das Haus an. Alle Fenster waren dunkel – kein Wunder, waren es doch grade mal Drei Uhr in der Nacht. Sie hätten wirklich bis zum Morgen warten können – denn sie konnten ja jetzt schlecht klingeln, oder?
Während sie noch in diesem Gedanken gefangen war, war Ron bereits einen Schritt nach vorn getreten und hatte seinen Zauberstab aus der Umhangtasche gezogen. Sein „BOMBADA!" hallte durch die ganze Straße, genauso wie das Geräusch der zersplitternden Tür.
Harry, eine Etage höher, fuhr aus seinen Gedanken hoch. Was war das? Verfluchter Mist! Er war noch nicht einmal einen Tag volljährig und schon stürmten die Todesser das Haus der Dursleys, das ihm die letzten Jahre Schutz geboten hatte? Er ergriff seinen Zauberstab, während er Tante Petunias erschrockenen Schrei hörte, und stürzte aus dem Zimmer! Er würde kämpfen bis zum Tod, wenn es sein musste!
Draußen starrte Hermine die zertrümmerte Haustür an, bevor sie völlig fassungslos fragte: „Bist Du jetzt vollkommen übergeschnappt, Weasley!"
Ron schien eine Antwort nicht wirklich für nötig zu halten, denn er ergriff ihr Handgelenk und stieg mit ihr zusammen einfach über die Holzsplitter. „Harry?" rief er laut, doch im nächsten Moment zischte ein Fluch auf ihn zu.
„Pristori!" schrie Hermine und der Fluch knallte gegen die Wand neben ihnen. Sie nahmen eine Bewegung neben sich wahr und schossen beide Lähmzauber in diese Richtung. Ihr Gegner wich ihnen geschickt aus, sprang über das Treppengeländer und kam vor ihnen auf dem Boden auf. Ein dreifaches „STU…" hallte durch den Flur, ehe das Licht aufflackerte und Hermine und Ron sich blinzelnd Harry gegenübersahen. Alle drei wirkten, als ständen sie grade einem Geist gegenüber.
„Harry?"
„Ron? Hermine?"
„Geht es Dir gut?"
„Was macht ihr hier? Verflucht, fast hätte ich euch die Köpfe abgehext!"
„WAS GEHT HIER VOR?" ertönte eine vierte, donnernde Stimme und Vernon Dursley erschien am oberen Treppenabsatz. Sein Gesicht war puterrot und der Walross-Bart zitterte gefährlich, während er die Treppe halb hinunter kam! Er starrte seine zertrümmerte Tür an, ehe er kreischte: „Petunia! Ruf die Polizei! Sofort!"
Harry konnte hören, wie seine Tante etwas schluchzte, was wie „Die schöne Tür" klang. Er verdrehte innerlich die Augen.
„Was macht ihr hier?" wiederholte er seine bereits gestellte Frage, ohne auf das verdächtig nach Herzinfarkt aussehende Gebaren seines Onkels zu achten.
„Wir retten Dich", erklärte Ron mit vor Stolz leicht geschwellter Brust. „Wir haben uns gewundert, dass Du nicht sofort um 12 im Fuchsbau aufgetaucht bist. Mum und Dad erwarten Dich und wir Anderen genauso! Mine und ich dachten, Du hättest vielleicht Probleme mit diesen Muggeln." Er warf Onkel Vernon einen vernichtenden Blick zu, was das dunkle Rot seines Gesichtes nur noch verstärkte.
„Warte nur, Bürschchen", polterte er, allerdings wie üblich den Zauberstab in Rons Hand nicht aus den Augen lassend. „Gleich ist die Polizei hier! Und dann werden Du und Deine kleine Freundin dafür bezahlen, dass ihr die Türen von rechtschaffenen Bürgern zerstört!"
Gelangweilt erwiderte Ron den Blick des Erwachsenen, während Hermine sich beeilte mit einem leisen „Reparo" die Tür zu erneuern. Aber anstatt dass Mister Dursley die neue Tür zu schätzen wusste, schien ihn Hermines Zauber endgültig zur Weißglut zu treiben.
„NICHT IN MEINEM …", begann er erbost. Harry, den Rons Satz seltsam wütend gemacht hatte wirbelte herum und funkelte seinen Onkel an.
„Halt den Mund, VERNON!" Bewusst ließ er das Wörtchen „Onkel" aus. Diese Familienbande würden ebenfalls heute Nacht gelöst werden. Also sah er keinen Sinn darin, so zu tun als wäre Alles wie vorher.
Sein Satz schien offenbar seine Wirkung nicht zu verlieren, denn Vernon Dursley klappte den Mund wieder zu und starrte seinen Neffen als, als habe er ihn noch nie zuvor gesehen …
Harry wandte sich zu Ron und Hermine um und funkelte nun auch die Beiden an.
„Ach so! Ihr rettet mich! Wieder typisch. Die gesamte Zauberer-Welt verlässt sich auf mich, dass ich Voldemort platt mache – aber meine besten Freunde müssen mich vor meinen Muggel-Verwandten retten?" Seine Stimme troff nur so vor Sarkasmus. „Ich danke euch herzlich!"
Betroffen blickten beide ihn an. Ohne ein weiteres Wort wandte sich Harry um, hob seinen Zauberstab und erklärte laut: „Accio Schrankkoffer und Hedwigs Käfig!" Beides schwebte die Treppen hinunter, etwas, was Mister Dursley ängstlich an der Wand kauern ließ.
„Ich danke für die Gastfreundschaft", erklärte er mit einem weiteren Blick auf seine Tante und seinen Cousin, die beide ängstlich am Treppenabsatz kauerten. „Lebt wohl!" Mit diesen Worten wandte er sich endgültig ab und blickte Hermine mit auffordernd hochgezogener Augenbraue an.
„Darf ich?" fragte er gereizt und wies auf die Tür. Schnell machte sie den Weg frei und er drängte sich an ihr und Ron vorbei zur Haustür, öffnete sie mit einer Hand und ging dann hinaus. Der Koffer und der Käfig mit der thronenden Hedwig folgten ihm.
„Komm ja nicht wieder", brüllte Mister Dursley ihm hinterher. Ron hob mit brennendem Blick erneut den Zauberstab, offenbar in dem Bestreben diesem fetten Muggel einen gehörigen Fluch auf den Hals zu hetzen, doch dieses Mal war Hermine schneller.
„Porkus obgilius!" fauchte sie und sofort verwandelte sich der Kopf des Dursleys in den eines Schweins und er begann zu grunzen. Im nächsten Moment waren auch die Beiden verschwunden und Tante Petunia konnte ungehemmt in lautes Jammern ausbrechen.
Eine ganze Weile folgten die beiden Freunde Harry stumm und im gebührenden Abstand. Sie waren mittlerweile lang genug befreundet, dass sie wussten, dass er meist erst einmal einen Moment Ruhe brauchte, ehe man wieder vernünftig mit ihm sprechen konnte. So war es zumindest früher gewesen.
Ziemlich ratlos nach einem unverfänglichen Beginn für ein Gespräch suchend, kaute Hermine auf ihrer Unterlippe. Schließlich straffte sie entschlossen die Schultern und holte Harry ein. Ron folgte ihr.
„Ähm …" sie räusperte sich probehalber, um herauszufinden in wieweit der eine ihrer zwei besten Freunde immer noch kochte. Harry begann nicht wieder zu schreien – ein gutes Zeichen. Allerdings sah er sie auch nicht an.
Genauestens ihre Worte abwägend erklärte sie: „Ich … ich will Dir ja gar nichts vorschreiben, Harry – nur … könntest Du eventuell den Tarnumhang über den Koffer und Hedwig werfen?" Jetzt hatte sie offenbar seine Aufmerksamkeit, denn widerwillig wandte er den Kopf und sah sie mit gerunzelter Stirn an.
„Ich meine ja nur …" Sie zuckte mit den Schultern. „Es ist zwar noch recht früh … Aber die hier lebenden Muggel könnten es eigenartig finden, dass hinter uns ein riesiger Koffer und ein Käfig mit einer Schneeeule schweben, meinst Du nicht auch?"
Harry schwieg einen Moment störrisch, fand aber einfach nichts, um diese unbestechliche Logik zu entkräften. Er warf einen Blick über die Schulter, seufzte dann leise, ließ den Koffer und Hedwigs Käfig zurück zu Boden gleiten und öffnete dann endlich die Schlösser, um den silbrigen Tarnumhang seines Vaters hervorzufischen.
Als er den Stoff berührte, biss er fest die Kiefer zusammen. Nein, er würde nicht an seine Eltern denken! Er musste einen kühlen Kopf bewahren!
Hermine bemerkte sein Zaudern und trat einen Schritt vor, nahm ihm den Stoff aus der Hand und warf ihn dann schließlich über den wieder geschlossenen Koffer und Hedwig, die leise schuhute. Ihr einen Seitenblick zuwerfend wusste Harry nicht recht, ob er wütend über diese Bevormundung sein sollte – oder eher dankbar, dass sie seine Misere verstanden hatte …
Mine hatte das schon immer gut gekonnt.
Er entschied sich für keines von Beidem, richtete den Zauberstab wieder auf den Koffer und Hedwig, die jetzt unsichtbar unter dem Tarnumhang verborgen waren und murmelte: „Lokomortis." Dann wandte er sich wieder um und stapfte die Straße entlang.
„Wo gehen wir eigentlich hin?" versuchte nun Ron, die Aufmerksamkeit seines Freundes zu gewinnen.
„Ich hab´ keine Ahnung, wo ihr hingeht", erwiderte Harry wenig freundlich. „Ich hab´ was zu erledigen."
Seine recht offene Zurückweisung ignorierend fragte Ron: „Was denn?"
Harry schwieg wieder einen Moment, während er mit dem Wunsch kämpfte, von der Pergament-Rolle zu erzählen, die er heute Nacht erhalten und achtlos in seinen Koffer gestopft hatte. Irgendwann verlor er diesen Kampf allerdings …
„Ich muss nach London", erklärte er mürrisch.
„Wieso?" fragte Ron verblüfft und auch Hermine runzelte die Stirn.
„Hast Du die Liste für Hogwarts dieses Jahr etwa schon bekommen?"
Harry schüttelte den Kopf und warf seiner Freundin einen Blick zu, der deutlich machte, dass er es höchst seltsam fand, dass sie im Bezug auf London nur auf so etwas kam, wie Schulbücher zu kaufen …
Da weder sie noch Ron offenbar Ruhe geben würden, bis er es ihnen erzählte, seufzte er erneut – dieses Mal recht laut und ungehalten. „Ich muss zum Grimmauldplatz. Mein ‚Erbe' annehmen."
„Aber hast Du das nicht letztes Jahr mit Dumbledore schon getan?" fragte Hermine erstaunt. „Der arme Kreacher gehört doch jetzt Dir, oder! Obwohl ich ja immer noch nicht fassen kann, dass Du ihn nicht befreit hast, Harry Potter! B. Elfe. R tritt schließlich …"
„Halt die Klappe, Hermine!" fauchte Ron entnervt. „Wenn Harry den Stinker gehen lässt, rennt der doch sofort zu dieser Lestrange-Kuh oder zu den Malfoys und plappert alles über den Orden aus!"
Harry nickte bekräftigend und versuchte die Überraschung darüber, dass ausgerechnet Ron sich darüber im Klaren war, so gut es ging zu verbergen. Hermine schwieg mit fest aufeinander gepressten Lippen.
„Und das heißt also was?" nahm Ron den Faden wieder auf und sah Harry gespannt von der Seite an.
„So wie es aussieht, muss ich dorthin und ‚das Blutsband erneuern' – was auch immer das heißen mag …"
„Dann gehen wir mit Dir." Beide nickten bekräftigend.
„NEIN!" Harry blieb stehen und funkelte seine beiden Freunde wütend an. Das hatte er befürchtet. „Ihr werdet nach Hause gehen und aufhören, mir Briefe zu schreiben oder mit mir zu sprechen, oder … am Besten vergesst ihr komplett, dass ich existiere!"
Der Blick, den Hermine und Ron ihm zuwarfen, drückte deutlich aus, was beide dachten.
„Spinnst Du?" fragte Ron auch prompt, während sein bester Freund störrisch das Kinn vorreckte. „Wir werden sicher nicht vergessen, dass es Dich gibt! Haben Dir die Muggel einmal zu viel auf Deinen Dickschädel gehauen!"
„Ich werde euch nicht in Gefahr bringen!"
„Wer redet denn von Gefahr?"
„Die Todesser werden hinter mir her sein, Ron!"
„Stimmt. Und genau deshalb brauchst Du unsere Hilfe!" fauchte nun auch Hermine. „Wir werden Dich begleiten, ob Du willst oder nicht!"
Sie funkelte Harry an, als wolle sie auch ihm liebend gern den Porkus-Fluch auf den Hals hetzen – so, wie eben Onkel Vernon. „Du glaubst doch nicht allen Ernstes, dass Ron und ich brav im Fuchsbau sitzen bleiben, während Du diese Horcruxe suchst!"
„Es ist mein Kampf!"
„Nein! Es ist UNSER Kampf! Und jetzt halt Deine verflucht große Macho-Klappe, bevor ich richtig sauer werde!"
„Hermine, ihr werdet nicht …!"
„Oh doch, werden wir! Muffliato!"
Dumpfes Brummen erfüllte Harrys Ohren, während er seine Freundin vollkommen entsetzt anstarrte. SIE hatte grade diesen Zauber gesprochen? Im letzten Schuljahr hatte sie sofort gezetert wie eine Wahnsinnige, wenn er diesen Zauber des Halbblut-Prinzen benutzt hatte!
Hermine und Ron packten ihn beide am Arm – der Eine links, der Andere rechts – und zerrten ihn die Straße entlang, sich über irgendetwas unterhaltend. Und Ron sah aus, als mache er sich gleich in die Hosen vor Lachen.
Okay, dieses war der erste Streich von mir (BineBlack). Meine Co-Autorin RemusBride wird den Nächsten folgen lassen! Ich hoffe, ihr seid schon sehr gespannt und lasst uns eine Review da. Bitte?
