Das Rudel
Das „Wolfsrudel", ein abgelegenes, kleines Gasthaus im schottischen Hochland, war abschreckend schmutzig und völlig verräuchert und insgeheim wunderte sich der Mann, der allein an einem Tisch im hintersten Winkel saß und seine grauen Augen wachsam umherschweifen ließ, wie die überraschenderweise recht zahlreichen Gäste überhaupt atmen konnten in diesem stinkenden Dunst aus Qualm und Ekel erregend intensiven, körperlichen Ausdünstungen. Außerdem stimmte irgendetwas offenbar mit dem Abzug des Kamins nicht. Und der zusätzliche Rauch unzähliger brennender Zigaretten – eine Muggelangewohnheit, der er im Gegensatz zu vielen anderen Zauberern noch nie etwas hatte abgewinnen können – machte es ihm fast unmöglich, von einem Ende des finsteren kleinen Gastraumes zum anderen zu sehen. Nicht dass es da viel zu sehen gab. Eine schmuddelige Bar und grobe Holztische mit schweren, eichenen Bänken davor, die fest mit dem abschreckend schmutzigen Boden verschraubt worden waren, damit die Gäste diese, wenn sie miteinander in Streit gerieten, nicht als Waffen oder Wurfgeschosse verwenden konnten. Und Streitereien und Schlägereien waren im „Wolfsrudel" an der Tagesordnung.
Die anwesenden Gäste entsprachen der dreckigen, schmierigen Einrichtung vollkommen. Wilde, gefährlich aussehende Gesellen in verschmutzter, ungepflegter Kleidung, mit verfilztem Haupt- und Barthaar, deren Unterhaltungen zumeist aus ein paar rüde dahin geknurrten Worten oder Satzfetzen bestand, es sei denn, es ergab sich eine Gelegenheit, ihren Aggressionen freien Lauf zu lassen. In diesem Fall schwoll der Geräuschpegel zu ohrenbetäubenden Gebrüll an, Zähne wurde kampflustig gefletscht und Fäuste flogen, während laut knackend Knochen brachen und Blut über den schmutzigen Holzfußboden floss.
Als er dieses obskure Gasthaus zum ersten Mal betreten hatte, war er mitten in eine wilde Prügelei hineingeraten. Nur mit Mühe hatte er es geschafft, ohne schwerere Blessuren davonzukommen. Und Remus Lupin hatte in dieser einen Nacht zwei wichtige Lektionen gelernt. Nummer eins: Stelle Dich nie zwischen zwei wütende Exemplare Deiner eigenen Art. Und Nummer zwei: Danke allen Göttern, dass dir selbst das Schicksal dieser Menschen erspart geblieben ist.
Das hier war Fenrir Greybacks Rudel. Männliche Werwölfe, als kleine Kinder absichtlich mit Lycantrophie infiziert und ihren Eltern fortgenommen, damit sie hier in den Highlands unter Ihresgleichen aufwuchsen. Viele von ihnen starben bereits im ersten Jahr an Krankheiten, Unterernährung oder ihren schweren Verletzungen, weil sie miteinander um ihre Nahrung kämpfen mussten. Schwache Kinder hatten in dieser Umgebung nicht die geringste Chance. Aber die anderen entwickelten sich genau nach Plan. Sie wuchsen heran und wurden wild, bösartig und absolut gewissenlos. Töten oder getötet werden. Fressen oder gefressen werden. Voldemorts kleine, private Armee finsterer Kreaturen.
Allein der Anblick dieser primitiven Bestien in Menschengestalt erinnerte ihn ständig daran, dass er das gleiche tödliche Potenzial in sich trug, das sich vermutlich auf genau die selbe Weise äußern würde, wenn seine Eltern nicht bis zum Letzten um ihn gekämpft und ihn dem Werwolf, der ihn verschleppen wollte, wieder abgejagt hätten. Ein Gedanke, der ihm beinahe unerträglich war, stieg mit schöner Regelmäßigkeit in ihm auf. War er nicht eigentlich genau so eine finstere Kreatur wie diese Kerle hier? Verwandelte nicht auch er sich in den Vollmondnächten in eine wilde, reißende Bestie? Sollten die Menschen nicht auch vor ihm geschützt werden?
Jahrelang hatte er nach diesem Prinzip gelebt, hatte sich am Rande der Gesellschaft bewegt und die selbst gewählte Einsamkeit ertragen, weil er sie eben ertragen musste. Und dann hatte Dumbledore ihn zurückgeholt. Zuerst als Lehrer nach Hogwarts, dann als Mitglied des Ordens des Phönix. Und in dessen Auftrag war er jetzt hier und riskierte jeden Tag sein Leben und seine Gesundheit.
Und dabei war alles, was er sich je vom Leben gewünscht hatte, in den letzten Wochen für ihn in greifbare Nähe gerückt. Das hatte er zumindest geglaubt … Er hatte sich – unter dem Schock über den Tod des verehrten Mannes stehend – zum ersten Mal seit vielen Jahren dazu durchringen können, eine feste Beziehung zu einer Frau einzugehen. Von einer eigenen Familie zu träumen. Vermutlich hauptsächlich deshalb, weil er dem Bedürfnis einfach nicht widerstehen konnte, Halt bei einem anderen Menschen zu finden.
Auch wenn er inzwischen ehrlich daran zweifelte, ob das wirklich klug gewesen war.
Ein kleines, grimmiges Lächeln huschte um seine Lippen, als er an Nymphadora Tonks dachte. Er mochte sie wirklich sehr, ehrlich. Er hatte sie schon immer gern gemocht – seit sie gemeinsam für den Orden des Phönix' tätig waren. Sie war um einiges jünger als er. Und sie arbeitete als Aurorin für das Zaubereiministerium, ein Job, der jetzt nach Dumbledores Tod noch viel fordernder und gefährlicher geworden war, als in den letzten zwei Jahren seit Voldemort zurückgekehrt war.
Vielleicht lag es ja daran, dass ihr Temperament in letzter Zeit immer öfter mit ihr durchging, dachte er seufzend. Sie war so daran gewöhnt, sich in schwierige, gefährliche Abenteuer zu stürzen, dass sie absolut nichts dabei fand, gelegentlich einfach mal bei ihm reinzuschneien, obwohl sie genau wusste, dass er Undercover in Greybacks Werwolfsrudel ermittelte. Und wenn er ihr deswegen Vorhaltungen machte, reagierte sie oftmals alles andere als rational. Himmel, sie war sogar rasend eifersüchtig! Auf jede Frau, die auch nur in seine Nähe kam! Als ob er keine anderen Sorgen hätte, als während einer verdeckten Ermittlung irgendwelche erotischen Abenteuer zu suchen, also bitte!
Er hob den Kopf und blickte in die schmutzigbraunen Augen von Grimm, Greybacks zweitem Mann, die ihn aufmerksam musterten. Remus wäre jede Wette eingegangen, dass der Kerl ihn insgeheim hasste, auch wenn er sich darauf verstand, den Anschein der Gleichmut zu wahren, wenn sie miteinander zu tun hatten. Eines war jedenfalls sicher – Grimm misstraute ihm. Und wenn Greyback ihn nicht im Schach halten würde, wäre es bestimmt schon zu einer blutigen Auseinandersetzung gekommen.
Remus griff nach seinem Bierkrug und prostete dem anderen Werwolf zu. Mit leichtem Ekel hob er das dreckige Trinkgefäß an die Lippen – oder tat zumindest so. Er würde gewiss keinen Tropfen Alkohol trinken, während er von mindestens zwanzig Kerlen umgeben war, die ihm – transformiert oder nicht – vermutlich mit Wonne den Kopf von den Schultern reißen würden, sobald er auch nur im Geringsten unvorsichtig wurde. Das Rudel duldete ihn lediglich hier, weil er selbst ebenfalls lycantroph war, sich bescheiden im Hintergrund hielt und weil Greyback der Meinung zu sein schien, dass seine ruhige Intelligenz ihnen zukünftig von Nutzen sein könnte. Aber das bedeutete noch lange nicht, dass ein falscher Schritt oder ein falsches Wort von ihm die Stimmung nicht augenblicklich umschlagen lassen würde.
Die Tür zum Schankraum öffnete sich und durch die dichten, wabernden Rauchschwaden sah Remus eine zerlumpte, schmutzige Gestalt eintreten, die sich suchend umblickte und dann mit raschen, zielgerichteten Schritten auf ihn zukam. Ihr Gesicht war eine schmutzige, narbige Maske. Und ihre Zähne ragten schwarz und faulig über die Unterlippe hinaus. Aber die Augen … Oh verdammt! Warum ausgerechnet heute? Sein Blick huschte durch den Raum auf der Suche nach Fenrir Greyback, aber der ältere Werwolf war nirgends zu sehen. Na, wenigstens etwas …
„Hallo Liebling!" Tonks ließ sich auf die Bank ihm gegenüber fallen und verbarg so ihre vordere Körperhälfte vor den anderen im Raum, während sie ihre morphmagischen Fähigkeiten nutzte, um ihr Gesicht in seinen Normalzustand zu versetzen, bevor sie Remus über den Tisch hinweg strahlend anlächelte. „Freust du dich, mich zu sehen?"
„Tonks, was zum Troll …" Remus sah sich unauffällig um und funkelte sie dann zornig an. „Habe ich dir nicht gesagt, dass Du nicht hierher kommen sollst? Ganz besonders nicht so kurz vor Vollmond? Das ist verdammt gefährlich!"
Sie schob schmollend die Unterlippe vor. „Ich wollte dich aber überraschen."
„Das ist dir gelungen", knurrte er leise, während seine Augen unablässig den Raum absuchten. „Hast du überhaupt eine Ahnung, was passiert, wenn Greyback dich hier sieht? Er kennt dich von dem Todesser-Angriff auf Hogwarts, ist dir das nicht klar? Ich habe ein paar Mal gehört, wie er mit mehreren Leuten aus seinem Rudel über diese Aurorin gesprochen hat, gegen die er beim Angriff auf die Schule gekämpft hat. Er will dich tot sehen! Was mich betrifft, so komme ich ihm zwar vage bekannt vor, aber er kann mich nicht einordnen. Aber wenn er uns zusammen sieht, wird es ihm wieder einfallen, verlass Dich darauf! Dann ist meine Tarnung aufgeflogen!"
„Remus, ich habe dich so furchtbar vermisst!" Ihre Unterlippe zitterte jetzt etwas. „Warum bist du denn überhaupt noch hier? Dumbledore hat dich zwar damals gebeten, Greyback und sein verdammtes Rudel im Auge zu behalten, aber Dumbledore ist tot! Also warum kommst du nicht endlich zurück und …"
„Weil die Informationen, die ich hier sammeln kann, noch immer wichtig für den Orden sind, Tonks!", erklärte er geduldig, so als hätte er ihr diese Antwort nicht schon unzählige Male gegeben. „Oder willst du jetzt nach Dumbledores Tod den Kampf gegen Voldemort einfach einstellen? Wohl kaum! Und weil niemand außer mir diese Informationen beschaffen kann, werde ich es auch weiterhin tun! Oder kennst du etwa noch einen Werwolf, der für den Orden des Phönix arbeitet?"
„Aber Rufus Scrimgeour sagt doch …"
Allein die Erwähnung des Ministers ließ ihm die Galle hochkommen. „Rufus Scrimgeour ist ein Bürokrat. Er ist in erster Linie Politiker und will um jeden Preis gut dastehen. Dumbledore war ihm dabei im Weg. Ich gebe einen Dreck auf das, was der Minister sagt!" Unwillkürlich hatte er die Stimme etwas erhoben, laut genug, dass sich mehrere Köpfe in ihre Richtung drehten, aber glücklicherweise immer noch leise genug, dass niemand seine Worte verstanden hatte.
„Das ist mir egal!" Auch Tonks war unwillkürlich etwas lauter geworden. „Ich will, dass du endlich wieder zurück nach London kommst! Ich will mit dir zusammen sein! Du hast noch immer dein Zimmer im Grimmauldplatz. Und du kannst ebenso gut dort für den Orden arbeiten!"
„Der Grimmauldplatz gehört inzwischen Harry, Tonks!", gab Remus mühsam beherrscht zurück. „Seit Sirius' Tod habe ich mich dort nur noch aufgehalten, wenn es sich überhaupt nicht umgehen ließ. Und allein der Gedanke, dorthin zurückzukehren … Nein." Er schüttelte vehement den Kopf, die Erinnerung an den Tod seines letzten richtigen Freundes quälte ihn noch immer, auch wenn das Ereignis schon über ein Jahr zurücklag. „Sirius hat den Kasten gehasst. Harry hasst das Haus ebenfalls. Und ich würde dort auch nicht leben wollen."
„Nicht einmal mit mir?", schmeichelte sie und legte eine kleine Hand über seine.
Remus entzog sich ihr und schüttelte nur den Kopf. Seine Lippen bildeten eine schmale, harte Linie.
„Ich weiß, warum du nicht zurückkommen willst!", stieß sie wütend hervor. „Da steckt eine andere Frau dahinter. Wer ist sie, Remus Lupin? Wer ist die Frau, für die du hier in diesem verdammten Drecksloch bleibst!" Ihre Stimme hatte sich zu einem wütenden Kreischen gesteigert.
Sämtliche Gespräche um sie herum erstarben und zwanzig zottige Kopfe drehten sich zu ihnen herum. Remus brauchte nur einen einzigen, kurzen Blick, um zu sehen, dass er aufgeflogen war.
Eine eisige Stimme, rau und kratzig, ertönte quer durch den Raum. „Ich wusste es! Ich wusste, dass du ein dreckiger Verräter bist, Lupin!" Ein schauriges Lachen folgte. „Was willst du jetzt tun, Schoßtier? Das bist du doch gewesen, nicht wahr? Dumbledores Schoßhündchen! Nun, zahmer Wolf, was glaubst du, was dir und deiner Auroren-Schlampe jetzt blüht?"
Zwanzig zottige Gestalten starrten gierig auf die beiden Menschen, die im hintersten Winkel des Raumes in der Falle saßen, während sie sich langsam von ihren Bänken erhoben.
Remus brauchte nicht mehr als den Bruchteil einer Sekunde, um zu erkennen, dass er und Tonks nie lebendig die Tür erreichen würden, in deren Rahmen jetzt Fenrir Greyback stand und sein fieses Grinsen grinste.
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Okay, dieses war derzweite Streich von mir (RemusBride). Das nächste Mal lest ihr wieder von unserer Bine. Und beide würden wir uns wahnsinnig über ein paar Reviews freuen! Schwarzlesen ist out, Leute! Nur wer uns schreibt, bekommt von uns auch eine Antwort!
