Huhu! Na, habt Ihr die Weihnachtsfeiertage alle gut verkraftet? Bereit für ein neues Kapitel? Wer hat da gerade „nein" gerufen? Sofort melden! Keiner? Na gut, dann kann es ja losgehen! Viel Spaß beim Lesen – von Bine und mir! Ach, und bevor ich es vergesse: Vergesst Ihr bitte den kleinen lila Knopf nicht, okay? Der petzt mir das nämlich! °Zwinker°
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Der Reanimus-Magicus-Zauber
Die gedrückte Stimmung, die nach Remus in schmerzlichem Ton gemurmelten Worten und Harrys unvermitteltem Abgang plötzlich in diesem merkwürdigen Haus am Grimmauldplatz herrschte, machte Evanna ziemlich zu schaffen, zumal sie heute noch nicht einmal mehr ein paar Antworten auf ihre drängendsten Fragen bekommen würde.
Remus Lupin – merkwürdig, dass sie im ihm nach der Unterhaltung vor diesem Portrait nicht mehr den Werwolf sondern nur noch den wirklich netten Menschen sah – hatte ihr zwar angeboten, sie auf den Stand der Dinge zu bringen, aber Molly Weasley hatte plötzlich wie aus dem Boden gestampft vor ihnen gestanden, als sie sich gemeinsam in die Küche zurückziehen wollten. Und einige lautstarke Minuten später war er mit deutlich ausgeprägter Leidensmiene in Richtung seines Zimmers verschwunden, allerdings nicht, ohne an diesem verdammten Portrait noch einmal stehen zu bleiben und es gedankenverloren anzustarren ...
Evanna spürte, wie ihr die Kehle bei der Erinnerung an den Schmerz und die Verzweiflung in seinem Blick eng wurde. Sein bester Freund. Getötet, ohne dass er in der Lage gewesen wäre, ihm zu helfen. Und dann wurde er hier – selbst nicht unerheblich verletzt – völlig unerwartet mit dessen Bildnis und den damit verbundenen Erinnerungen konfrontiert...
Nachdenklich sah sie ein weiteres Mal zu dem dunkelhaarigen Mann auf dem Bild hoch, der gerade wieder an der Mauer lehnte und mit diesem merkwürdig verschlossenen Gesichtsausdruck in einen Himmel starrte, den sie nicht sehen konnte. Kein Wunder. Nach allem, was sie bisher über Sirius Black in Erfahrung gebracht hatte, hatte er dieses Haus hier gehasst. Warum sollte er also aus dem Bild heraussehen, wenn ihm doch noch andere Möglichkeiten blieben?
Und dennoch – sie wünschte, er würde sie noch einmal ansehen, so wie gestern, als sie versehentlich gegen das Bild gestoßen war...
Beinahe zornig trat sie einen Schritt von dem Portrait zurück und drehte ihm dann entschlossen den Rücken zu. Verdammt, das war doch nicht normal, dass sie hier stand und einen ... einen Toten anschmachtete! Auf einen Blick von ihm hoffte wie ein Teenager, der seinem Popidol begegnete … Und dazu noch diese wirren, erotischen Träume der letzten Nacht ... Es wurde wirklich höchste Zeit, dass sie hier wegkam!
Entschlossen zog sie den Reißverschluss ihrer Trainingsjacke zu und zog ihr Haar aus dem Kragen. Sie würde sich jetzt endlich verabschieden und zusehen, dass sie wenigstens ein gewisses Maß an Normalität in ihr Leben zurückbrachte! Zumindest soweit das möglich war mit all den schwirrenden Gerüchten und den Todessern, die jetzt ganz offen auf den Straßen herumliefen und unschuldige Leute drangsalierten.
Das mit dem Verabschieden erwies sich als nicht ganz einfach, da Molly, nun da Remus versorgt und zu neuerlicher Bettruhe gezwungen worden war, ihre beiden anwesenden Kinder zu einer wahren Putzorgie verdonnert zu haben schien. Sie schien fest dazu entschlossen zu sein, sämtlichem Ungeziefer und den noch verbliebenen schwarzmagischen Gegenständen im Haus den Garaus zu machen, bevor sie ihren Sohn auf Dauer hier zurückließ.
Hermine hatte sich – klugerweise, wie Evanna insgeheim dachte – in die Bibliothek zurückgezogen, um noch ein paar Zauber nachzuschlagen, mit dem sie dem neuen Portrait eine Stimme geben wollte – ein Unterfangen, dem Vanna mit äußerst gemischten Gefühlen entgegensah. Ihre einzige Hoffnung in dieser Hinsicht bestand darin, dass dieser Sirius Black sich letztendlich als ein Mann mit einer unmöglichen, lächerlichen Fistelstimme herausstellte. Wenn er stattdessen jetzt auch noch einen sinnlichen Bariton bekam ... Oh Himmel! Vielleicht sollte sie sich im St. Mungos schon mal ein Bett reservieren lassen!
Was Harry betraf, der hatte sich wahrscheinlich in seinem Zimmer verbarrikadiert. Die Tür war jedenfalls verschlossen und er war nirgends im Haus zu finden.
Der Junge tat ihr trotz seiner neuerdings so offen zur Schau gestellten Abneigung gegen sie schrecklich Leid. Offenbar hatte er wirklich sehr an seinem Paten gehangen. Kein Wunder also, dass er so ungnädig darauf reagiert hatte, dass sie ihre Furcht vor Remus Lupin erkennen ließ, als sie erfuhr, dass er ein Werwolf war. Dieser Mann war vermutlich das letzte Bindeglied zu Sirius Black, das ihm geblieben war ... Ganz abgesehen davon, dass Lupin tatsächlich ein unheimlich netter Kerl zu sein schien.
Ihr Mitleid änderte jedoch nichts daran, dass Harry Potter ihr nicht die Tür öffnete, als sie jetzt zaghaft anklopfte. Auch ein zweiter und dritter Versuch blieben erfolglos.
Also gab sie es auf und folgte als nächstes den Stimmen der Weasleys hinauf ins oberste Geschoss. Molly lächelte sie über ein riesiges Knuddelmuff-Nest hinweg an, welches sie gerade ausräucherte, und erinnerte sie noch einmal daran, dass sie versprochen hatte, regelmäßig vorbeizuschauen, ein Versprechen, welches Evanna auch sofort erneuerte. Ron schenkte ihr daraufhin ein dankbares und Ginny ein verschwörerisches Lächeln, als sie ihr fröhlich mit den Zauberstäben zuwinkten, mit denen sie eine ganze Armada von Staub- und Putztüchern zu dirigieren schienen.
Was Hermine betraf, so erwiderte sie Evannas freundlichen Abschiedsgruß, als diese den Kopf zur Bibliothekstür hineinstreckte, zwar höflich, aber Vanna hatte irgendwie das Gefühl, dass sie sie gar nicht richtig wahrnahm, so vertieft war sie in das offenbar sehr alte Buch, das sie in den Händen hielt.
Ihr lag schon die Frage auf der Zunge, wie sie in einem so alten Wälzer etwas darüber finden wollte, einer Fotografie eine Stimme zu verleihen, schließlich hatte es zu der Zeit, als dieses Buch geschrieben wurde, noch gar keine Fotos gegeben, aber sie schluckte sie herunter. Immerhin konnte es ihr schließlich nur Recht sein, wenn dieser Sirius Black sie nicht auch noch verbal in den Wahnsinn trieb...
Blieben also nur noch Lupin und natürlich Harry, der sich auch bei ihrem nächsten Versuch weigerte, auf ihr Klopfen zu antworten. Evanna biss sich auf die Unterlippe, als sie die Treppe wieder hinab stieg. Offenbar hatte er beschlossen, nichts mehr mit ihr zu tun haben zu wollen … Also würde sie sich eben nur von seinem weitaus höflicheren, erwachsenen Freund verabschieden!
Aber als sie an der Tür des Krankenzimmers stand, hinter der kein Laut zu hören war, brachte sie es irgendwie nicht über sich anzuklopfen. Was, wenn Lupin gerade schlief? Die meisten Heiltränke hatten doch diese Wirkung, nicht wahr? Und er brauchte wirklich dringend Ruhe, wenn seine Rippe heilen und er sich erholen sollte, bevor er in der übernächsten Nacht diese offenbar äußerst schmerzhafte Transformation durchmachen musste … Also nahm sie die Hand wieder herunter, die sie schon zum Klopfen erhoben hatte und wendete sich zögernd zum Gehen. Immerhin könnte sie ja später noch mal vorbeikommen, nicht wahr? Ja, genau das würde sie tun! Sie würde in ein paar Stunden noch einmal herkommen und sich davon überzeugen, dass es allen gut ging! Und wenn sie dann gleich noch ein paar Lebensmittel-Vorräte mitbrachte, würde Harry vielleicht sogar wieder mit ihr reden!
Dass eben jener Harry auf dem oberen Treppenabsatz stand und sie beobachtete, bemerkte sie nicht, als sie die schwere Haustür einen Spalt weit öffnete und – nach einem prüfenden Blick in die Runde, schließlich hatte die Begegnung vom Vorabend sie Vorsicht gelehrt – ins Freie schlüpfte.
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Als die Tür hinter Evanna Brave ins Schloss fiel, atmete Harry zischend aus. Was hatte sie nur an sich, dass er sich einfach nicht entscheiden konnte, ob er sie lieber umarmen oder schütteln und anschreien würde? Als sie gestern Abend in sein Zimmer gekommen war und mit ihm über Ron und Hermine gesprochen hatte, da hätte er ihr am liebsten sein Herz ausgeschüttet und ihr alle seine Sorgen und Ängste anvertraut. Aber ihre Reaktion heute früh auf die Tatsache, dass Professor Lupin ein Werwolf war...
Verdammt, das mit dem Erwachsenwerden, war gar nicht so einfach!
Wenn er nämlich ganz ehrlich zu sich selbst war, musste er zugeben, dass er ihre Bedenken irgendwie nachvollziehen konnte. Noch immer kursierten in der magischen Gesellschaft die wildesten, blutrünstigsten Gerüchte über Werwölfe und andere Halbmenschen. Und da sie den Professor zu diesem Zeitpunkt ja noch nicht einmal gekannt hatte, war es wahrscheinlich etwas viel verlangt gewesen, dass sie ihn vorbehaltlos akzeptierte – das schafften schließlich nicht einmal alle Menschen, die mit ihm schon über Jahre zusammenarbeiteten ... Aber verdammt, sie hätte ihre Bedenken trotzdem nicht so offen zur Schau stellen müssen, nicht wahr?
Mühsam versuchte er seinen Zorn auf sie festzuhalten, Zorn war doch so viel besser als dieser Schmerz, der sein Inneres zu zerfressen drohte, seit er dieses verfluchte Haus wieder betreten hatte. Bisher hatte er es ganz gut geschafft. Den ganzen Tag über hatte seine Wut auf sie aufrechterhalten können, bis zu dem Augenblick als Professor Lupin diese unglückliche Bemerkung gemacht hatte ... über Sirius ... und der Schmerz wieder heiß und verzehrend in ihm aufgestiegen war.
Warum stimmte es eigentlich nicht, dass dieses quälende Gefühl des Verlustes irgendwann verblasste? Warum tat es hier in diesem verdammten Haus wieder so weh, als wäre sein Pate gerade eben durch diesen verfluchten Torbogen gestürzt?
Zornig auf sich selbst, weil er einfach nicht aufhören konnte, an Sirius zu denken, stieg er die Treppe hinunter und stieß die Tür zum Salon auf. Hasserfüllt starrte er den weißen Fleck an der Wand an, wo noch gestern dieser verfluchte Wandteppich mit dem Stammbaum der Blacks gehangen hatte, aus dem die alte Sabberhexe Sirius, seine Cousine Andromeda und seinen Onkel Alphard einfach ausgelöscht hatte.
In seiner Erinnerung stand er mit Sirius hier, der ihm über seine Familie berichtete, während sich Hermine und die Weasleys über den Teller mit Sandwiches hermachten, den Mrs. Weasley gerade hereingebracht hatte. Die Vorhänge waren voller Doxys gewesen, Kreacher war schimpfend und Beleidigungen vor sich hinmurmelnd herumgeschlichen und in einem Sessel hatte ein blutbeschmierter Sack mit toten Ratten darin gestanden, weil Sirius gerade Seidenschnabel gefüttert hatte, den er oben im Schlafzimmer seiner Mutter untergebracht hatte … Und dennoch – so finster und deprimierend das Haus damals auch noch gewirkt hatte, jetzt, ohne Sirius, war es noch viel trostloser.
Im letzten Jahr hatte er sich ständig mit irgendetwas von seiner Verzweiflung ablenken können. Er hatte zwar einen verdammt traurigen Sommer bei den Dursleys verbracht, aber dort war er ohnehin immer ziemlich deprimiert gewesen, so dass das eigentlich nichts Besonderes gewesen war. Und dann hatte Dumbledore ihn ja glücklicherweise dort weggeholt, zum Fuchsbau … Dann hatte die Schule wieder begonnen und zwischen Unterricht, Hausaufgaben, Snapes permanenten Boshaftigkeiten, dem Quidditchtrainung, der Notwendigkeit, Malfoy im Auge zu behalten, und den Privatstunden bei Professor Dumbledore hatte er glücklicherweise nicht viel Zeit gehabt, seiner Trauer um Sirius nachzuhängen.
Und dann war die Schule überfallen worden, Snape, dieser verdammte Verräter, hatte den Schulleiter getötet … Und er hatte mit einem Schlag mal wieder alles verloren – bis auf seinen Hass, der seit diesem Tag in ihm tobte. Aber Hassen schien eine Menge Energie zu verbrauchen, denn er fühlte sich innerlich so leer, so wund …
Wenn er doch mit jemandem darüber reden könnte! Aber mit wem? Ron? Sicher, er war sein bester Freund, aber er hatte nie diesen alles verzehrenden Schmerz verspüren müssen, hatte nie solche Verluste verkraften müssen … Würde er ihn überhaupt verstehen?
Und Hermine? Seine Probleme waren gewiss nichts, was man mit der Lektüre einiger Bücher lösen konnte. Und außerdem war sie ein Mädchen. Und Mädchen reagierten meist ganz anders, als man es von ihnen erwartete …
Professor Lupin fiel ihm ein. Der würde ihn sicher verstehen. Schließlich wusste er, was es bedeutete, seine besten Freunde zu verlieren. Er hatte das alles schließlich schon selbst erlebt. Aber gerade der lag jetzt in seinem Krankenbett mit einer gebrochenen Rippe, etlichen Prellungen und Blutergüssen, nachdem er dem Tod nur knapp entronnen war, und ihm stand in der übernächsten Nacht mal wieder eine schmerzhafte, Kräfte zehrende Transformation bevor … da konnte er ihn doch nicht auch noch mit seinen Problemen belasten!
Wenn Sirius doch noch am Leben wäre … Wenn er wenigstens noch ein einziges Mal mit Sirius sprechen könnte …
Nun, vielleicht könnte er das ja tatsächlich, fiel ihm ein. Immerhin arbeitete Hermine ja gerade daran, dem Portrait auch eine Stimme zu geben!
Er wirbelte auf dem Absatz herum und eilte durch die große Halle in Richtung Bibliothek, weil er plötzlich unbedingt wissen musste, ob sie schon die entsprechenden Zauber gefunden hatte. Im Laufen zog er den Zauberstab und richtete ihn auf das Bild der alten Sabberhexe, die daraufhin ihren Mund, den sie schon aufgerissen hatte, um eine ihrer üblichen Tiraden loszulassen, lieber wieder zuklappte. Komisch eigentlich, denn als dieses Haus noch Sirius gehört hatte, hatte sie derartige Rücksicht nicht walten lassen …
Als er die Tür zur Bibliothek aufstieß, fand er Hermine erwartungsgemäß hinter einem hohen Bücherstapel verborgen vor. Nur ihr Haarschopf mit den unzähmbaren Locken war zu sehen, selbstverständlich über ein Buch gebeugt, in das sie so vertieft war, dass sie ihn erst bemerkte, als er schon direkt vor ihr stand.
Sie zuckte heftig zusammen und schlug das Buch zu, um es unter einem Blatt Pergament zu verbergen, eine Reaktion, die Harry gelinde gesagt etwas übertrieben fand. Schließlich würde er sie bestimmt nicht anbrüllen, weil sie sich – statt an Sirius Portrait zu arbeiten – vermutlich mal wieder in diesen alten Wälzer von Salazar Slytherin vertieft hatte … Und diese hektischen roten Flecken auf ihren Wangen … Hatte sie etwa ein schlechtes Gewissen?
„Was liest du denn da?"
„Was ich … Oh. Nichts Besonderes. Ich habe nur …"
Ihr Blick wich seinem aus und Harry hatte plötzlich das gleiche miese Gefühl in der Magengrube, wie zu der Zeit im vierten Schuljahr, als Ron sich weigerte, mit ihm zu sprechen, weil er dachte, dass er ihn hintergangen und seinen Namen heimlich in den Feuerkelch geworfen hätte. Aber er schob diesen Gedanken energisch beiseite. Er würde nicht länger alle Anderen unter seiner miesen Laune leiden lassen! Es tat ihm sowieso schon Leid, dass er Evanna nicht ermöglicht hatte, sich von ihm zu verabschieden, schließlich war sie eigentlich ganz nett. Und Hermine war nicht nur das, sie war seine beste Freundin!
„Ich wollte eigentlich nur fragen, ob du mit dem Portrait weitergekommen bist", erklärte er und ließ sich in den Sessel ihr gegenüber fallen. Und beschloss spontan, ganz offen mit ihr zu reden, vielleicht würde sie ihn ja doch verstehen. „Ich würde so gerne mit ihm reden, Mine. Es gibt da Dinge, die ich ihn fragen will, Dinge, von denen ich glaube, dass nur er sie wirklich verstehen kann …"
Merkwürdigerweise schienen sich die hektischen, roten Flecken auf Hermines Gesicht daraufhin sogar noch zu vertiefen. Sie mied noch immer seinen Blick, als sie den Kopf schüttelte. Und ihre Stimme klang ziemlich gepresst, als sie leise erklärte: „Tut mir Leid, Harry. Ich habe die entsprechenden Zauber noch nicht gefunden!"
„Schade", seufzte er und griff nach dem obersten Buch auf dem Stapel. „Magie in Wort und Bild" stand auf dem relativ neuen Ledereinband. „Ich hatte gehofft, du hättest inzwischen eine Möglichkeit gefunden. Ich vermisse ihn, Hermine", fügte er zu seinem eigenen Erstaunen leise hinzu. „Ich vermisse ihn mehr, als ich sagen kann. Wenn ich doch bloß mit ihm sprechen könnte …"
„Ich werde sofort weitermachen, Harry!", versprach Hermine mit noch immer gesenktem Blick. „Ich verspreche Dir, dass ich eine Möglichkeit finden werde … Um dem Bild eine Stimme zu geben, meine ich!"
Während Harry sich noch fragte, warum sie es für nötig hielt, das extra zu betonen, streckte Mrs. Weasley ihren Kopf zur Bibliothek hinein. „Oh, Harry, mein Lieber, hier bist du ja! Evanna hat dich vorhin gesucht, sie wollte sich verabschieden! Und Hermine ist auch hier, wunderbar! Könntest du mir bitte mal schnell zur Hand gehen? Ron und Ginny sind noch dabei, die Möbel im Obergeschoss abzustauben. Und ich glaube, dass in der alten Truhe auf dem Dachboden ein Irrwicht eingezogen ist. Und nach dem, was mir das letzte Mal passiert ist, als ich versucht habe, eines dieser kleinen Mistviecher zu vertreiben …"
„Selbstverständlich, Mrs. Weasley!" Hermine sah irgendwie erleichtert aus, das Gespräch über Sirius beenden zu können. Ihr Blick zuckte noch einmal kurz zu dem Buch unter dem Pergament hinüber, ein kurzes Zögern, dann eilte sie zur Tür hinaus.
Harry sah ihr nachdenklich hinterher. Irgendetwas stimmte da doch nicht! Ausgerechnet Hermine, die ihm sonst ständig irgendwelche Bücher aufs Auge drücken wollte und ihn und Ron pausenlos dazu aufforderte, doch endlich mal etwas zu lesen, versteckte ein Buch vor ihm?
Mit einem Blick in Richtung Bibliothekstür zog er das Buch unter dem Pergament hervor. Es war tatsächlich der alte Wälzer von Salazar Slytherin. Nachdenklich musterte er den brüchigen Ledereinband. Dass sie den darin beschriebenen Zauber zum Auffinden schwarzmagischer Gegenstände nicht ausführen konnten, stand nun einmal fest. Weshalb also war diese verdammte Schwarte Hermine so wichtig, dass sie sie sogar vor ihm verstecken wollte?
Nun, wie es aussah, hatte er im Moment nichts anderes vor. Also könnte er ja mal einen Blick in dieses Buch werfen, auch wenn der Verfasser ihm alles andere als geheuer war, überlegte er. Vorzugsweise natürlich auf die Seiten, die Hermine markiert hatte, indem sie kleine Pergamentschnipsel hineingelegt hatte …
Mit dem Buch in der Hand verließ er die Bibliothek und stieg die Treppe zu seinem Zimmer hinauf.
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„Harry! Um Himmels Willen, ist etwas passiert?" So schnell seine gebrochene Rippe es zuließ, schwang Remus seine Beine aus dem Bett und griff nach dem Morgenmantel, den Molly ihm über die Stuhllehne gelegt hatte, und seinem Zauberstab.
So aufgelöst wie im Moment hatte er den Siebzehnjährigen noch nie gesehen. Nicht in jener Nacht in der heulenden Hütte, als er noch dachte, Sirius hätte seine Eltern verraten und glaubte, er – Remus – würde mit dem vermeintlichen Mörder unter einer Decke stecken. Und auch nicht vor ein paar Wochen, kurz nachdem Snape vor den Augen des Jungen Dumbledore getötet hatte. Hektische rote Flecken brannten auf seinen Wangen und sein Atem kam in kurzen, abgehackten Stößen.
„Was ist los, Harry?", fragte er nochmals beunruhigt, als der Junge ihn nur ganz aufgeregt ansah, ohne jedoch zu antworten. „Ein Todesserangriff?"
„Was? Oh … nein, natürlich nicht … Ich habe die Lösung, Professor Lupin! Ich weiß jetzt … Oh Professor … hier, dieses Buch … lesen Sie selbst!" Aufgeregt wedelte Harry mit dem alten Wälzer herum, den Remus zuvor schon in Hermines Händen gesehen hatte. „Sirius … wir können … Es gibt eine Möglichkeit…" Er brach nach Atem ringend ab, hielt seinem ehemaligen Lehrer allerdings weiter das bereits aufgeschlagene Buch entgegen und seine Augen glänzten beinahe unnatürlich vor Begeisterung.
Automatisch griff Remus nach dem Buch und vergaß sogar Harrys Anrede seiner Person zu korrigieren, als sein Blick auf die altertümlich verschnörkelte Überschrift fiel, auf die Harrys Zeigefinger deutete. „Der Reanimus-Magicus-Zauber", stand da in dicken, silbriggrünen Lettern. Und darunter:
„Leben und Tod sind auf ewig verbunden.
Doch nicht für immer verloren ist, was entschwunden.
Zurück in das Leben, wieder heimwärts ins Licht,
wird der gebracht, für den man die Formel spricht.
Mit Liebe und Blut, so wie wir geboren,
holst Du Dir zurück, was schien auf ewig verloren.
Besiegst den Tod mit magischer List
um das, was längst sein eigen ist.
Gib Dein menschliches Blut aus freiem Willen,
ein Tropfen genügt, um die Gier zu stillen,
den zu besänftigen, der die Seelen bewacht,
hinter dem Vorhang in ewiger Nacht.
Brennt das Blut dann in grünem Feuer,
erscheint in den Flammen, welcher Dir ist so teuer,
sofern die Formel Du nicht verschweigst,
Du den Mut zu diesem Spruche zeigst.
Reanimus Magicus – das ist das Wort,
welches nimmt dem Tod die Beute fort.
Sprich es aus mit Mut und Bedacht
und den Namen dessen, der soll werden gebracht."
Remus hob den Kopf, die Augen fassungslos aufgerissen. Sollte es wirklich so einfach sein? Das konnte er beim besten Willen nicht glauben! Und dennoch … So viele der alten magischen Weisheiten waren im Laufe der letzten Jahrhunderte verloren gegangen, ausgelöscht von der Inquisition, dem so genannten Zeitalter der Aufklärung oder schlicht der Zeit …
Er blätterte um und las die restlichen sechs Zeilen:
„Doch bedenk' gut das Wagnis, versuchst Du Dein Glück!
Ist es einmal getan, gibt es kein Zurück!
Denn nur wahre Liebe kann den Tod bezwingen,
kann das Verlorene Dir wieder bringen!
Erst wenn Herz und Magie aus freiem Willen gegeben,
wird die verlorene Seele wieder leben!"
Geräuschvoll stieß er den Atem aus. Verdammt, er hatte gewusst, dass diese Sache einen Haken hatte – einen Haken haben musste!
„Dieser Zauber nützt uns nichts, Harry", murmelte er mit rauer Stimme, in der seine ganze Verzweiflung angesichts dieser Feststellung mitschwang. „Ich verstehe vollkommen, dass du dir Sirius zurück wünschst, glaub mir, ich tue es auch, aber ich kann diesen Zauber hier trotzdem nicht ausführen. Mein Blut ist nur halbmenschlich und darum …"
„Aber ich kann es doch tun!", unterbrach Harry ihn hitzig und mit glänzenden Augen. „Mein Blut ist menschlich! Zu hundert Prozent! Und niemand kann daran zweifeln, dass ich Sirius wie einen Vater liebe! Also kann ich es tun, Professor! Ich kann ihn wirklich ins Leben zurückholen …"
„ … und deine Magie dabei verlieren!" Entsetzt sah Remus ihn an.
„Na und?" Harry warf gleichgültig die Hände in die Luft. „Ich würde noch viel mehr aufgeben, um Sirius zurück zu bekommen! Es gibt nichts, was ich nicht dafür tun würde! Ich bin unter Muggeln aufgewachsen! Ich kann ohne Zauberkräfte leben! Und Sirius zurückzubekommen, wäre mir jedes Opfer wert …"
„Wäre es Dir auch wert, Voldemort den Sieg schenken?" Das Herz schmerzte Remus, als er sah, wie das begeisterte Leuchten in Harrys Augen angesichts seiner leisen Frage erlosch und zuerst Schock, dann Erkenntnis und zu guter Letzt tiefer Resignation Platz machte, als dieser begriff, was sein Opfer wirklich bedeuten würde.
„Du könntest Sirius zurückholen, ja", sagte er leise in das angespannte Schweigen hinein und sein Herz krampfte sich zusammen angesichts des Anblicks den Harry bot, als er sich plötzlich kraftlos gegen die Wand lehnte und die Augen gegen die aufsteigenden Tränen schloss. „Aber sein Schicksal könntest Du auf Dauer nicht ändern, Harry. Er würde der gleiche Sirius sein, der er immer war. Und jetzt, da das Zaubereiministerium weiß, dass er unschuldig ist und die Auroren nicht mehr nach ihm suchen, würde ihn nichts mehr in diesem Haus halten, Harry. Nicht wenn draußen der Kampf gegen Voldemort tobt. Er würde kämpfen. Und letztendlich würde er wieder fallen, genau wie viele Andere ... Weil dann nämlich niemand mehr da wäre, der den Schwarzen Lord besiegen könnte."
„Aber ..." Harry brach ab und presste die Handballen auf seine Augen, während er um seine Beherrschung rang.
„Er würde es mir nie wirklich verzeihen können!", flüsterte er dann tonlos. „Er würde nicht wollen, dass ich sein Leben gegen das so vieler Anderer eintausche ... Den Tod meiner Eltern sinnlos mache …"
Remus wollte ihm tröstend eine Hand auf die Schulter legen, aber Harry wich vor ihm zurück. Er würde diese Berührung jetzt nicht ertragen! „Ich hatte gehofft ... mir so sehr gewünscht, dass es einen Weg gäbe ... dass ich nicht immer all die Menschen verlieren muss, die mir etwas bedeuten. Zuerst meine Eltern ... dann Sirius ... und jetzt auch noch Professor Dumbledore ... Warum sterben immer die Menschen, die mir etwas bedeuten, Professor? Warum scheine ich jedem den Tod zu bringen, den ich liebe?"
„Um Himmels Willen, Harry ..." Hilflos brach Remus ab. Was sollte er einem verzweifelten Siebzehnjährigen antworten, der schon mehr Schicksalsschläge hatte verkraften müssen, als jeder Andere, den er kannte? Was konnte er überhaupt sagen – ohne dass es wie eine billige Floskel klang?
„Professor Dumbledore hatte Unrecht!", stieß Harry plötzlich hervor.
„Was? Wie meinst Du ..."
„Er sagte, dass Voldemort derjenige sei, der an die Prophezeiung gebunden wäre, weil er sich entschieden hätte, an sie zu glauben. Dass diese Prophezeiung ihn letztendlich nur deshalb zu Fall bringen könne, dass ich ihn nur deshalb zu Fall bringen könne, weil er selbst mich daraufhin als ihm ebenbürtig gekennzeichnet hätte. Dumbledore sagte, dass ich immer eine Wahl hätte, ob ich diese Prophezeiung für mich anerkennen würde, oder nicht." Er ergriff das Buch, welches Remus auf sein Bett gelegt hatte, ging mit müden Schritten und hängenden Schultern zur Tür und öffnete sie.
„Er hat sich geirrt!", erklärte er auf der Schwelle stehend, ohne sich jedoch noch einmal umzudrehen mit einer so ton- und hoffnungslosen Stimme, dass Remus unwillkürlich die Brust eng wurde. „In Wirklichkeit hatte ich nie eine Wahl, nicht wahr?"
