Halli, hallo! Ich weiß, ich weiß, es hat eine halbe Ewigkeit gedauert, aber hier geht es endlich weiter mit Bines und meiner Geschichte. Ich hoffe, Ihr seid mir nicht allzu böse, aber ich bin in letzter Zeit beruflich sehr eingespannt und komme kaum zum Schreiben. Tut mir Leid. Aber so ist das nun mal, wenn man selbständig ist und eine Arbeitszeit von 9 – 18 Uhr hat und zu Hause noch einen Ehemann, drei Kinder, einen Haushalt und einen kleinen Zoo. Ich werde mich bemühen, in Zukunft trotzdem etwas schneller zu sein, versprochen. Jetzt wünsche ich Euch erst mal viel Spaß. Und vergesst das Reviewknöpfchen nicht, okay? Damit ich weiß, dass Ihr mich jetzt nicht alle hasst...
Von Monstern und jenen, die sich dafür halten
Die Frau zu deren Füßen er lag, nachdem der Dunkle Lord endlich von ihm abgelassen und den Zauberstab gesenkt hatte, kam ihm vage bekannt vor. Sein vom Schmerz noch völlig umwölktes Hirn versuchte krampfhaft eine Verbindung herzustellen zwischen dem herrlich langen, dunkelroten Haar und den leuchtend grünen Augen, aber es wollte ihm einfach nicht gelingen.
Er wusste, dass er sich am Rande der Bewusstlosigkeit befand, ohne jedoch ganz über die Schwelle in das selige, schmerzfreie Vergessen zu gleiten. Voldemort hatte ein wirklich beachtliches Talent dafür, Anhänger, die ihn enttäuscht hatten, immer wieder dicht an jene Grenze zu treiben, ohne ihnen jedoch die Erleichterung einer vollständigen Ohnmacht zu gewähren. Er hatte es zu einer richtigen Kunstform entwickelt.
Ein leises Stöhnen entrang sich seiner Kehle. Er wollte diesen dunklen, kalten Trost der Bewusstlosigkeit! Er sehnte sich danach, wollte ihn mehr als alles Andere! Eine Weile nichts mehr fühlen zu müssen, nicht mehr denken zu müssen, erschien ihm in seiner Qual wie das größte Geschenk. Aber Voldemort hatte von ihm abgelassen, genau in dem Augenblick, bevor er diesen friedlichen, schmerzfreien Bewusstseinszustand erreicht hatte.
Vermutlich musste er ihm ja dankbar sein, dachte Severus Snape, während er sich mühsam aufzurichten versuchte, etwas, das seine zitternden Gliedmaßen fast unmöglich machten, dass seine Bestrafung nicht vor den versammelten Anhängern des dunklen Lords ausgeführt worden war, sondern lediglich diese fremde Frau hier Zeugin seiner Erniedrigung geworden war.
Die Frau mit den langen roten Haaren und den Augen wie Smaragden.
Die Frau, die aussah wie Lily Evans.
Endlich hatte sein Gehirn es geschafft, die Information auszuspucken, nach der er einige Minuten lang verzweifelt gesucht hatte.
Lily Evans.
Seine größte, verzweifeltste Hoffnung.
Seine größte, verletzendste Niederlage.
Sein größter Schmerz.
Mühsam riss er sich zusammen, verdrängte die quälende Erinnerung an eine Liebe, die nie eine Erwiderung erfahren hatte, und zwang seine Gedanken in ihre logische Abfolge und damit zu seinem Peiniger zurück. Warum hatte Voldemort ausgerechnet diese Frau als Zeugin seiner Bestrafung ausgewählt?
Dass der Dunkle Lord seinen zweiten Mann trotz seiner Wut auf ihn nicht vor der versammelten Todesserschaft hatte erniedrigen wollen, konnte Snape ja noch nachvollziehen. Immerhin würde er bei einer öffentlichen Folter sein Ansehen und seine Autorität einbüßen und das konnte Voldemort nicht Recht sein, wenn er ihm weiterhin seine anderen Anhänger unterstellen wollte. Also hatte er für seine Bestrafung einen etwas ... nun ja ... privateren Rahmen gewählt.
Aber warum diese Frau? Warum war gerade sie Zeugin seiner Bestrafung geworden, warum musste ausgerechnet sie zusehen, wie Voldemort ihn mit dem Cruciatus verfluchte, weil es ihm nicht gelungen war, diese Catherine Spencer und damit das Medaillon Slytherins ausfindig zu machen und seinem Herrn zu Füßen zu legen?
Sein Blick klärte sich allmählich und er konnte immer mehr Einzelheiten ausmachen. Eine schlanke, biegsame Gestalt in einem schlichten dunklen Umhang, hoch aufgerichtet mit energisch gestrafften Schultern. Ein kleines, willensstarkes Kinn, stur vorgeschoben. Volle, jetzt störrisch zusammengepresste Lippen. Ohne eine Spur von Furcht zu zeigen, starrte sie den Dunklen Magier über die gesamte Breite des Raumes hinweg an – eine Provokation vom Scheitel bis zu Sohle.
Voldemort schien das ähnlich zu empfinden. Seine Stimme zischte noch mehr als gewöhnlich, als er die Frau zornig anfuhr: „Das, Miss Rabastan, geschieht mit Anhängern, die sich mir widersetzen. Halten Sie es tatsächlich für klug, weiterhin auf Ihrer Weigerung zu beharren?"
Der Name Rabastan ließ endlich die fehlenden Puzzleteile in Snapes Gehirn einrasten. Jetzt wusste er, wer sie war. Lorenzo Rabastan hatte zu den glücklosen Todessern gehört, die den Kampf im Ministerium mit einer Auroren-Eskorte in Richtung Askaban beendet hatten. Dies hier war dann wohl seine Tochter Ricarda, die bisher in Spanien gelebt hatte und erst vor kurzem nach England zurückgekehrt war, um ihre kranke Mutter zu pflegen.
Die Frage war nur, was Voldemort von ihr wollte.
Bei jedem anderen hätte Snape auf schlichtes sexuelles Interesse getippt, diese Frau war schließlich außerordentlich attraktiv, obwohl auch dieser Ausdruck ihr nicht gerecht wurde, wenn auch für seinen Geschmack zu stur und selbstbewusst, aber er hatte noch nie erlebt, dass der Dunkle Lord Interesse für eine Frau bekundet hatte. Jedenfalls nicht in dieser Hinsicht. Er schloss keine Freundschaften, ließ niemanden an sich heran und gestattete sich schon gar nicht, solche Gefühle wie Zuneigung. Wahrscheinlich kannte er so etwas überhaupt nicht. Die Muggel hatten ein Wort, mit dem sie Leute mit Voldemorts Wesenszügen beschrieben: Soziopathen.
Nein, Das Interesse des Dunklen Lords an der Tochter seines eingekerkerten Anhängers musste sich auf etwas Anderem begründen.
Diese Gier in den rot funkelnden Augen war nicht auf die Frau selbst gerichtet, sondern auf etwas, das er sich von ihr versprach. Aber was war das? Was hatte eine behütet aufgewachsene Frau wie Ricarda Rabastan, was Voldemort unbedingt wollte?
Diesmal widersetzten sich seine Glieder nicht seinem Versuch, wieder auf die Beine zu kommen und Snape taumelte endlich auf die Füße zurück, musste sich gleich darauf aber haltsuchend an die Wand lehnen, um nicht sofort wieder zusammen zu brechen.
Voldemort streifte ihn mit einem kurzen, gleichmütigen Blick, bevor er seine Aufmerksamkeit wieder der störrischen Miss Rabastan zuwendete.
Die Frau andererseits schien ihn überhaupt nicht zu bemerken. Ihr störrischer Blick war noch immer direkt auf das entstellte Gesicht des dunklen Lords gerichtet, ihre Lippen noch immer fest zusammengepresst. Und auf ihren Wangenknochen brannte eine hektische, zornige Röte, während es hinter den grünen Augen zu brodeln schien. Dann schien sie eine Entscheidung getroffen zu haben.
Mit vor Trotz funkelnden Augen hob sie ihr energisches Kinn noch etwas höher. „Es ist mir gleich, was Ihr mir antun könntet. Ich werde diesen Fenrir Greyback nicht heiraten, um ihn für seine bisherige treue Gefolgschaft Euch gegenüber zu belohnen und ihn weiterhin an Euch zu binden! Wenn ich mich entschließe, eine Ehe einzugehen, dann werde ich mir meinen Partner selbst auswählen. Und in dem erbärmlichen Haufen Eurer Anhänger, die ich bisher kennen gelernt habe, ist nicht ein Einziger dabei, der für mich infrage käme!"
Und mit diesen Worten drehte sie sich auf dem Absatz herum und verließ hoch erhobenen Hauptes den Raum.
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Eine der verhassten Nebenwirkungen seines verhassten Werwolfsdaseins war der Umstand, dass Remus Lupin in der Nacht vor einer Transformation nur sehr selten Schlaf fand. Selbst nach fast fünfunddreißig Jahren Lycantrophie kreiste sein Verstand in diesen Nächten noch immer ständig um das, was ihm unmittelbar bevorstand. Der Wolfsbanntrank hatte ihm letztlich zwar einen Teil der Anspannung genommen, aber nicht genug, um einfach die Augen zu schließen und in einen friedlichen Schlummer zu fallen.
Es war nicht einmal der beunruhigende Gedanke an die ihm bevorstehenden, fürchterlichen Schmerzen, der ihn sich ruhelos im Bett herumwälzen ließ, sondern die heimliche Befürchtung, dass ES diesmal passieren könnte. Dass er dieses Mal die Kontrolle verlieren könnte. Dass der Trank dieses eine Mal vielleicht wirkungslos sein könnte und er das Leben seiner Freunde in Gefahr brachte.
Diese Angst war in den Nächten vor Vollmond sein ständiger Begleiter.
Doch heute hatte seine Ruhelosigkeit auch noch andere Gründe als gewöhnlich. Die letzten paar Tage waren wirklich das gewesen, was man mit typisch britischem Understatement als „recht ereignisreich" zu bezeichnen pflegte...
Zuerst war seine Tarnung in Fenrir Greybacks Wolfsrudel aufgeflogen und er hatte daraufhin einen lebensgefährlichen Kampf ausfechten müssen, ganz zu schweigen von einer Flucht, auf der er sich beinahe umgebracht hätte, und war nur mit dem Leben davongekommen, um sich plötzlich in diesem verhassten Haus am Grimmauldplatz wieder zu finden und festzustellen zu müssen, dass seine Beziehung zu Tonks in die Brüche gegangen war.
Eine weitere in einer ganzen Reihe von gescheiterten Beziehungen. Ein Werwolf war wohl tatsächlich nicht dazu bestimmt, mit Frau und Kindern glücklich zu werden…
Dann hatte er, fassungslos und mit wild klopfendem Herzen vor Sirius' Portrait stehend, Evanna Brave kennen gelernt – eine sehr nette junge Frau übrigens, die ihre Vorurteile gegen seine lycantrophe Seite schnell überwunden zu haben schien, hatte erlebt, wie zuerst Hoffnung und dann Schmerz Harry erfasst hatten – und war kurz darauf von Molly energisch ans Bett gekettet worden. Harry hatte diesen merkwürdigen Reanimus-Magicus-Zauber ausgegraben und ihre Auseinandersetzung darüber hatte dazu geführt, dass er schuldbewusst und äußerst deprimiert aus dem Haus geschlichen – und prompt in eine Auseinandersetzung mit vier Todessern hineingeraten war. Es war ihm gelungen, Catherine Spencer und ihren kleinen Sohn zu retten. Aber dass ausgerechnet Severus Snape ihnen geholfen hatte ... Der Mörder Albus Dumbledores! Der Verräter! Remus begriff es einfach nicht.
Genauso wenig, wie er begriff, warum er Snape nicht betäubt und den Auroren übergeben hatte, als er die Möglichkeit dazu hatte.
Stattdessen war er mit seinen zwei Schutzbefohlenen zum Grimmauldplatz zurückgekehrt – immerhin hatte diese völlig verstörte Miss Spencer eine Nachricht für Harry und außerdem hätte er sie und das Kind unmöglich schutzlos da draußen lassen können – und ... SIRIUS WAR ZURÜCK! ER WAR TATSÄCHLICH ZURÜCK!
Es hatte Remus nur einen einzigen, raschen Blick gekostet, um die Erklärung dafür zu finden – das Buch Salazar Slytherins lag achtlos fallengelassen auf dem Fußboden vor diesem verdammten Portrait, dessen Anblick ihm in den letzten zwei Tagen immer wieder die Luft abgeschnürt hatte. Er hatte es entdeckt, gleich nachdem Padfoot und er Miss Spencer und ihren kleinen Sohn in eines der bereits halbwegs hergerichteten Gästezimmer getragen und anschließend Molly informiert hatten, dass da eine weitere Patientin ihre Hilfe benötigte.
Einen Augenblick lang hatte er – Remus – beim Anblick des verdammten Buches tatsächlich befürchtet, Harry hätte all seine Bedenken kurzerhand über Bord geworfen und den Zauber dennoch ausgeführt ... Ein Gedanke, der seine Wiedersehensfreude ziemlich getrübt hatte, wie er sich selbst eingestehen musste...
Es hatte allerdings Mollys Bemerkung über die bewusstlos aufgefundene Evanna nicht einmal bedurft, um ihn davon zu überzeugen, dass es nicht Harry gewesen war, der Sirius ins Leben zurückgeholt hatte. Der Junge hätte den Grimmauldplatz um keinen Preis verlassen, wenn er die Hoffnung gehegt hätte, mit seinem Paten reden zu können. Niemals!
Tja und dann war irgendwie alles drunter und drüber gegangen, erinnerte Remus sich verschwommen. Zuerst hatte Molly ihre neue Patientin untersucht und dann hektisch und äußerst besorgt nach Madam Pomfrey geschickt, die jetzt, nach der Schließung von Hogwarts, erst einmal im St. Mungos arbeitete und inständig darauf hoffte, dass die Schule irgendwann doch wieder eröffnet werden würde.
Es war den beiden Frauen schließlich gelungen, die von starken Schmerzen geplagte Catherine Spencer zu stabilisieren und eine drohende Frühgeburt zu verhindern, fast ein kleines Wunder nach dem, was die junge Frau in den letzten Tagen durchgemacht haben musste. Jetzt lag Miss Spencer in einem Bett in einem anderen trostlosen Zimmer ganz am Ende des Ganges, dort wo es am ruhigsten war, und schlief tief und fest. Der Heiltrank, den Madam Pomfrey ihr unter gutem Zureden verabreicht hatte, würde vermutlich dafür sorgen, dass nicht einmal ein Erdbeben sie in dieser Nacht würde aufwecken können, und das war gut so. Sie brauchte jedes Quäntchen Kraft, jedes bisschen Erholung, wenn sie nicht doch noch eine Frühgeburt erleiden sollte.
Ihr kleiner Junge lag ebenfalls in seinem Bettchen. Sirius hatte sich an das alte, reich verzierte Kinderbett auf dem Dachboden erinnert und Ron und Hermine hatten es in das Erdgeschoss befördert, es gründlich mit Reinigungszaubern belegt, Matratze und Decken magisch gelüftet und frisch bezogen und es dann leise in das Zimmer der schlafenden, jungen Mutter geschafft, damit Josh, der noch immer völlig erschöpft neben seiner Mommy schlief, über Nacht sein eigenes Bettchen hatte.
Und erst nachdem er friedlich schlafend in demselben lag, war es Molly – die bisher emsig hin und her geflattert war, viel zu beschäftigt, um auch nur einen klaren Gedanken zu fassen, der nichts mit Krankenpflege zu tun hatte, – aufgefallen, dass außer Harry nun auch noch Ginny verschwunden war.
Nur Sekunden später wusste es allerdings das ganze Haus und vermutlich auch ein Gutteil der Nachbarschaft. Wenn Remus geglaubt hatte, dass Molly ihr Lungenvolumen bereits bei ihrem Du-gehörst-ins-Bett-Remus-Lupin – Vortrag am Vormittag ausgeschöpft hatte, so sah er sich jetzt eines Besseren belehrt. Erst Hermines zögernder Hinweis auf die erschöpfte Schwangere und ihr traumatisiertes Kind in ihren Betten vermochten es, die besorgte Mutter wenigstens zur Dämpfung ihrer Stimme zu bewegen, auch wenn sie natürlich nicht aufhörte, zu jammern und verzweifelt vor sich hinzuschluchzen. Harry und ihre kleine Ginny waren irgendwo allein dort draußen! Und das in solch gefährlichen Zeiten, in denen die Todesser ganz offen herumliefen und unschuldige Leute angriffen ...
Remus konnte Mollys Befürchtungen gut nachvollziehen. Und auf Sirius' Gesicht spiegelte sich die gleiche Angst und Besorgnis, die unaufhörlich Tränen über das runde, gutmütige Frauengesicht rinnen ließen. Er war – hitzköpfig wie er nun einmal war – sogar schon drauf und dran gewesen, das Haus zu verlassen und seinen Patensohn zu suchen – und natürlich auch Ginny – als sein rechtes Bein ihm endgültig den Dienst versagte und er mit einem wüsten Fluch kurz vor der Haustür zusammengebrochen war. Die Tatsache, dass Molly sich nicht einmal über seine schockierende, von Askaban geprägte, Ausdrucksweise beschwerte, sprach Bände.
Offenbar war Bellatrix' Schocker nicht die einzige, ernsthafte Verletzung gewesen, die Sirius bei diesem Kampf im Ministerium im letzten Sommer davongetragen hatte. Und ein starker Lähmzauber pflegte nun einmal einige Wochen nachzuwirken. Und da für ihn im Augenblick seines Sturzes durch diesen Torbogen die Zeit stehen geblieben war, würde sein Bein ihn wohl noch einige Zeit zu schaffen machen, trotz all der Tränke und Heilzauber, die er von Madam Pomfrey heute verabreicht bekommen hatte.
Und was ihn – Remus – selbst betraf, so war er mal wieder durch sein altes Leiden gehandicapt. Er konnte schließlich unmöglich einen Tag vor Vollmond losziehen, um zwei unvorsichtige Teenager zu suchen, so gerne er sofort aufgebrochen wäre. Das Einzige, was er hatte tun können, war zwei eilige Eulen an Alastor Moody und Kingsley Shacklebolt zu schicken und sie zu bitten, alle verfügbaren Ordensmitglieder anzuweisen, die Augen nach Harry und Ginny offen zu halten. Und natürlich Hedwig mit einem Brief an ihren Herrn auf die Reise zu schicken und zu hoffen, dass dieser schlaue Vogel Harry schnell finden würde.
Verdammt sei seine Lycantrophie, die ihn einmal mehr so unerträglich nutzlos machte!
Und verdammt sei auch seine Logik, durch die Harry vermutlich erst auf die Idee gekommen war, sich allein auf die Suche nach den Horkruxen zu machen! Er selbst hatte doch dafür gesorgt, dass die Prioritäten des Jungen sich geändert hatten! Er selbst hatte ihm doch erst klar gemacht, dass er seine Zauberkraft nicht aufgeben dürfe, wenn er Voldemort besiegen wolle. Warum hatte er dann nicht auch weitergedacht, zum Teufel? Natürlich hatte Harry sich auf den Weg gemacht, um diese schwarzmagischen Objekte zu zerstören, die Voldemorts Unsterblichkeit begründeten. Er wollte sie zerstören und Voldemort vernichten, nicht nur, um die Zauberer und Muggel vor ihm zu beschützen, sondern auch um anschließend seinen geliebten Paten zurückholen zu können! Dann, wenn er seine Zauberkraft nicht mehr brauchte! Wenn er nicht mehr durch diese Prophezeiung und seinen ungewollten Status als Auserwählter gebunden wäre ... Dann, wenn er frei sein würde, endlich auch einmal etwas für sich selbst zu tun! Sich ein Stück Familie zurück zu holen… Ein Stück Liebe und Geborgenheit – Dinge, die er so lange schmerzlich vermisst hatte.
Mit fest zusammengebissenen Zähnen starrte Remus zum Fenster hinüber, hinter dessen Scheibe der fast volle Mond am Himmel stand – ein Anblick, den er kaum ertragen konnte. Er hasste den Mond! Er hasste seine Lycantrophie! Und im Moment hasste er sich selbst am allermeisten!
Beinahe wünschte er, am Abend Padfoots frustrierte Einladung zu einem gemeinsamen Besäufnis angenommen zu haben. Mit einer Flasche Feuerwhisky im Blut, die das Denken außer Kraft setzte, bräuchte er sich jetzt keine Gedanken darüber zu machen, ob mit Harry und Ginny alles in Ordnung war. Mit einer Flasche Feuerwhisky im Blut brächte er sich überhaupt keine Gedanken zu machen. Dann läge er in seligem Schlaf, würde mit Padfoot um die Wette schnarchen und seine Schuldgefühle würden ihn nicht in den Wahnsinn treiben. James, Lily, es tut mir so schrecklich Leid. Er ist zu mir gekommen. Er ist zu mir gekommen und ich konnte ihm nicht die Hilfe geben, die er brauchte. Ich habe versagt. Und euer Sohn ist jetzt irgendwo da draußen ...
Verdammt!
Ja, er hätte sich definitiv mit Sirius betrinken sollen! Der schlief nämlich inzwischen tief und fest, wie sein lautes Schnarchen im Nebenzimmer bewies. Allerdings gab es keinerlei Erkenntnisse darüber, wie im Übermaß genossener Alkohol sich auf die Wirksamkeit des Wolfsbanntrankes auswirkte, und Remus hatte noch nie das Bedürfnis verspürt, derjenige zu sein, der nachwies, dass die Wirkung des Trankes von Feuerwhisky außer Kraft gesetzt wurde.
Dann schon lieber nüchtern, schlaflos und von Schuldgefühlen geplagt.
Mit einem leisen Ächzen, seine Rippe hatte ihm die heutigen Abenteuer noch nicht so ganz verziehen, drehte er sich um – wandte dem Mond trotzig den Rücken zu, als könne er ihn damit zum Verschwinden bringen. Hinter der Wand zum Nebenraum schien auch Sirius gerade seine Position geändert zu haben, denn das Schnarchen verstummte. Vorerst. Obwohl die daraufhin eintretende Stille auch nichts Tröstliches hatte. Im Gegenteil, der Schlaf war ihm nie ferner gewesen.
Remus hatte oft genug in diesem alten Haus übernachtet, um die Geräusche zu kennen, die hier nachts zu hören waren. Das Knacken der alten Holzbalken. Das Geräusch des Windes in den Kaminen. Er wusste, welche Treppenstufen knarrten, wenn man darauf trat, welche Türen quietschten, welche Dielen knarrten. Er hatte jedes dieser Geräusche schon so oft gehört, dass er sie inzwischen mühelos zuordnen konnte.
Aber da war auch ein Geräusch, das er noch nicht kannte. Ein ganz leises Geräusch, ziemlich weit entfernt, das ihn an das Miauen eines kleinen Kätzchens erinnerte. Angestrengt lauschte er in die Dunkelheit. Da! Jetzt hörte er es wieder. Ein leises Wimmern, fast wie ein ... Kind? Himmel, was war er doch für ein begriffsstutziger Idiot!
Rasch stieg er aus dem Bett, schlüpfte in die Schuhe und zog sich den Morgenrock über. Als er seine Zimmertür öffnete, war das Kinderweinen vom anderen Ende des Ganges schon etwas lauter geworden. Er eilte den Gang entlang, streckte die Hand nach der Türklinke aus ... Und zögerte. Er konnte doch zu nachtschlafender Zeit nicht einfach so in ein fremdes Schlafzimmer gehen! Auch wenn die Bewohnerin in einem von Heiltränken hervorgerufenen Tiefschlaf lag! Andererseits ...
Das Weinen wurde jedoch noch etwas lauter und verzweifelter und das gab schließlich den Ausschlag. Behutsam öffnete Remus die Tür und betrat den Raum.
Catherine Spencer lag tatsächlich schlafend in dem riesigen Bett mit dem geschnitzten Kopfteil. Das helle Mondlicht umfloss ihre zierliche Gestalt mit dem von der Schwangerschaft gewölbten Leib unter den Laken und zauberte bläuliche Lichtreflexe auf ihre langen, dichten schwarzen Locken auf dem weißen Kopfkissen. Und jetzt, wo sie nicht mehr angstvoll, gequält von Schmerzen und völlig erschöpft aussah, wirkte sie beinahe überirdisch schön. Das schmale, zarte Gesicht war zwar immer noch sehr blass, aber es wirkte jetzt entspannt und friedlich. Die vollen Lippen waren leicht geöffnet und an ihrem zarten, weißen Hals – dort, wo das Haar nach hinten auf das Kopfkissen geglitten war – konnte er ihren Puls sehen. Er ging langsam und regelmäßig. Dem Himmel sei Dank.
Etwas raschelte leise im Kinderbett.
Remus riss sich von dem entzückenden Anblick los, der ihn einen Augenblick lang gefangengenommen hatte, und entzündete rasch ein paar Kerzen, bevor er sich dem kleinen Jungen mit den tränennassen Wangen zuwendete. Josh hatte bei seinem Eintreten aufgehört zu weinen und blickte ihn aus großen, feuchten Augen neugierig an. Blauen Augen mit langen, dunklen Wimpern drum herum. Wenn er erst mal groß war, dachte Remus mit leisem Lächeln, würde er Padfoot mit diesen Augen sicherlich ernsthafte Konkurrenz machen, was das Brechen von Frauenherzen anging...
„Hallo Josh!", sagte Remus leise mit sanfter Stimme und ging langsam neben dem Bett in die Hocke, damit der kleine Junge ihn durch das kunstvoll geschnitzte Gitter hindurch auf gleicher Höhe ansehen konnte. „Du brauchst doch nicht zu weinen, kleiner Mann. Keiner tut dir hier etwas."
„Mommy." Die Unterlippe des Knirpses zitterte bedenklich. „Will meine Mommy!"
„Deine Mommy schläft gerade", erklärte Remus ihm freundlich. „Schau mal, sie liegt dort drüben im Bett. Siehst du sie?"
Nicken. Noch immer mit zitternder Unterlippe.
„Deine Mommy ist wirklich sehr, sehr müde, weißt du? Sie hat dich gestern ganz schön weit getragen, stimmt´s? Und du bist doch schon ein ziemlich großer Junge, nicht wahr? Und dann musste sie auch noch ganz schnell rennen. Deshalb ist sie heute Nacht so furchtbar müde und muss sich richtig ausschlafen."
„Hab' Durst!", verkündete das Kind weinerlich.
Remus musste lächeln. Da der süße Fratz vor lauter Erschöpfung das Abendessen verschlafen hatte, plagte ihn wahrscheinlich nicht nur das Verlangen nach etwas zu trinken. „Was hältst du davon, wenn wir zusammen in die Küche hinunter gehen und nachschauen, ob wir nicht ein Glas Milch für dich finden? Und vielleicht auch noch ein paar Kekse?"
Einen Augenblick lang befürchtete er fast, dass der Kleine sich weigern und wieder zu weinen beginnen würde, aber Milch und Kekse schienen genau das richtige Mittel zu sein, um den Jungen zu beruhigen, denn Josh streckte nach kurzer Überlegung plötzlich die Ärmchen nach ihm aus und ließ sich vertrauensvoll aus dem Bett heben. Er legte seine kleinen Hände um den Nacken des fremden Mannes und brachte seinen Mund ganz nah an dessen Ohr. „Muss Pipi. Ganz doll!"
Tja, dachte Remus mit innerlichem Seufzen, es schien, als würde er in dieser Nacht so einige Herausforderungen zu bewältigen haben. Hoffentlich würde er sich dabei nicht allzu dumm anstellen …
Mit einem letzten Blick auf die friedlich schlafende junge Mutter machte Remus sich mit seiner warmen, anschmiegsamen Last auf den Weg in Richtung Badezimmer.
Und dass er ein winziges Bisschen schneller ging als nötig, war bestimmt keine Absicht.
