Beunruhigt betrat William Riker den Turbolift. "Brücke!" gab er den Befehl. Er wußte nicht, was es war, doch eine dunkle Vorahnung beschlich ihn. Er war auf dem Weg, seinen Dienst anzutreten, als man ihm gesagt hatte, eine dringende Nachricht vom Sternenflottenkommando warte auf ihn. Das allein war schon ungewöhnlich, denn normalerweise waren solche Nachrichten alleine für Captain Picard bestimmt. Als er auf der Brücke angekommen war, teilte man ihm mit, die Nachricht wäre auf den Handcomputer in Picards Bereitschaftsraum umgeleitet worden, da es sich um etwas Vertrauliches handele. Immer mehr schien sich Rikers düstere Vorahnung zu bestätigen. Etwas war hier im Gange, was ganz und gar nicht in Ordnung war. Er warf Deanna Troi, die ebenfalls schon auf der Brücke anwesend war, einen bekümmerten Blick zu, bevor er sich in den Bereitschaftsraum des Captains begab. Er zog sich den auf dem Tisch stehenden Handcomputer heran und betätigte die Taste zum Empfang der Nachricht. Auf dem Schirm erschien das Bild von Admiral Hayes. Ein ernsthafter, vom Leben gezeichneter Mann mit undurchsichtigen Augen. Er begann sofort zu sprechen: "Commander Riker?" Riker nickte kurz: "Der bin ich, was kann ich für Sie tun, Sir?" Es schien, als würde der Admiral sich nervös umsehen und er flüsterte fast. "Ich habe diesen Zeitpunkt gewählt, weil ich weiß, das Captain Picard seinen Dienst erst in einer Stunde antreten wird und ich befehle Ihnen ihm nicht das Geringste über den Inhalt unseres Gespräches zu erzählen, ist das klar?" "Aye, Sir!" Unmerklich versteifte Riker sich. Er hatte schon lange befürchtet, daß so etwas früher oder später passieren würde. Ihm war klar, worauf der Admiral hinaus wollte, und es war in Rikers Augen eine Gemeinheit. "Uns ist zu Ohren gekommen, daß Captain Picard nicht mehr zurechnungsfähig ist," ließ Hayes verlauten. "Nein, Sir, das kann man so nicht sagen. Er verrichtet nach wie vor vorbildlich seinen Dienst. Sein Privatleben geht uns nichts an," hielt der Commander sofort dagegen. "Natürlich, natürlich, aber Sie können bestätigen, daß er sich immer mehr zurückzieht und niemanden mehr an sich heranläßt!" "Auch das kann man so nicht sagen, Sir. Er kümmert sich rührend um seine kleine Tochter." "Seine Tochter? Ach ja richtig, man erzählte mir davon. Aber seinen Offizieren gegenüber schottet er sich ab, ist das richtig?" "Ja, das ist richtig!" "Nun, Sie können sich schon den Zweck meiner Nachricht denken. Ich werde in Kürze an Bord kommen und mir ein genaues Bild der Psyche des Captains machen, er befehligt immerhin das Flaggschiff der Föderation. Wir haben sein Verhalten nun über längere Zeit beobachtet und er scheint sich nicht mehr fangen zu können. Sollte er bei dem Test, den wir durchführen werden, versagen, ist Ihnen ja klar, daß wir ihn seinen Pflichten entbinden müssen. Hayes Ende!" Der Bildschirm des Handcomputers wurde schwarz. Wütend schlug Riker mit der Handfläche auf den Tisch. "Verdammt!" Man wollte den Captain auf ganz niederträchtige Weise abservieren und niemand hier auf dem Schiff konnte dagegen widersprechen. Es stand außer Frage, daß Picard nach dem Maßstab, der angesetzt werden würde, diesen Test auf keinen Fall bestehen konnte. Einen Moment lang war Riker versucht, ihm trotz seiner Befehle von dem Vorhaben des Admirals zu erzählen, doch damit konnte er im Zweifelsfall mehr zerstören als gut machen. Sollte es durch irgendeinen Zufall bekannt werden, daß Picard schon vor dem Eintreffen des Admirals von diesem Test gewußt hatte, würde er sofort als durchgefallen gewertet werden und das durfte auf keinen Fall geschehen. Irgendwie mußte man dem Captain helfen, das stand außer Frage, doch wie? Er wußte nicht, wieviel Zeit noch blieb, aber er mußte sich etwas einfallen lassen, soviel war sicher. Nachdenklich kehrte er auf die Brücke zurück, und nahm auf dem Sessel des Captains Platz, da er bis zum Dienstantritt von Captain Picard das Kommando über die Enterprise hatte. Eine neugierige Stimme riß ihn aus den Gedanken, es war der Androide Data: "Sir, wieso war die Nachricht nicht für den Captain bestimmt?" "Ich darf darüber nicht sprechen, Data, aber eines kann ich Ihnen versichern: es ist eine große Gemeinheit im Gange." Riker stutzte einen Moment. Der Admiral hatte ihm nur befohlen, dem Captain nichts zu sagen, von den Führungsoffizieren war nicht die Rede gewesen. Vielleicht konnte man gemeinsam eine Lösung finden. "Wenn ich es mir recht überlege, kann ich es doch sagen. Man will den Captain einem Psychotest unterziehen, weil er immer noch nicht über den Tod seiner Frau hinweggekommen ist. Aber wenn Sie mich fragen, ist das nichts Ungewöhnliches. Der Captain ist doch ein fühlender Mensch, wie jeder von uns und auch wir vermissen Beverly. Tatsache ist, daß er seine Arbeit nach wie vor zufriedenstellend erledigt und wir uns nicht beklagen können. Trotzdem sage ich es ganz offen: er wird diesen Test nicht bestehen, dazu sind die Anforderungen einfach zu streng. Ganz abgesehen davon kennen ihn die Prüfer nicht, wie wir ihn kennen. Wenn er durchfällt, wird ihm das Kommando entzogen und das möchte ich auf jeden Fall verhindern." Data nickte kurz. "Ich glaube ich verstehe, Sir, aber was können wir tun? Der Captain hat jedes Mal abgeblockt, wenn wir versucht haben, ihm zu helfen und er hat sich immer mehr zurückgezogen, insofern hat der Admiral schon recht, aber ihm fehlt das Wissen, das wir haben und die vertraute Zusammenarbeit über viele Jahre." Riker runzelte die Stirn. "Genau darüber denke ich auch die ganze Zeit nach. Es wäre einfach gut, wenn Captain Picard sich seinen gesamten Kummer von der Seele reden würde, aber er hat es die ganze Zeit nicht getan, warum sollte er nun damit anfangen. Ich darf ihm leider nichts von dem Test erzählen, das ist das Problem."
Jean-Luc Picard war gerade dabei sein Quartier zu verlassen, als
ihn eine helle Stimme zurückhielt. Es war Madeleine, die wohl
doch schon wach war, obwohl er sie noch hatte schlafen lassen wollen.
"Vati, warte!" Picard drehte sich schnell um. "Was
ist, mein Schatz?" "Wohin gehst du?" Liebevoll
lächelte er. "Du weißt doch, daß ich arbeiten
gehen muß." "Ist es schon so spät?" "Aber
ja, du hast eben fest geschlafen..." "Ich hab auch was
Schönes geträumt.." "Tatsächlich? Erzähl
es mir heute abend, wenn ich von der Arbeit komme und schlaf noch ein
Weilchen, Madeleine. Ich muß jetzt gehen, sonst komme ich zu
spät." "Naja... bis später Papi!" "Bis
später, mach's gut, mein Schatz!" Zischend schloß
sich die Tür zu Picards Quartier, als er es verließ und
seine Tochter alleine zurückließ. Er seufzte leise und
wieder überkam ihn der unsagbare Schmerz der Vergangenheit.
Madeleine sah ihrer Mutter einfach so ähnlich und es tat ihm
irgendwo weh, sie immer alleine lassen zu müssen. Leider ging es
aber nicht anders. Fast unmerklich schüttelte er den Kopf, er
mußte lernen die Vergangenheit ruhen zu lassen, schon um seiner
Tochter willen, denn ohne das Mädchen hätte er sich vor
fünf Jahren schon längst aufgegeben. Wenn es nur nicht so
unglaublich schwer wäre. Seit Beverlys Tod vor fünf Jahren
hatte er niemandem erzählt, was genau passiert war, er hatte so
kurze und knappe Angaben wie möglich gemacht und die
Geschehnisse die ganze Zeit über in sich hineingefressen ohne je
wirklich darüber hinweg zu kommen. Er hatte immer geglaubt, daß
es niemanden etwas anginge, was passiert war, doch vielleicht war das
ein Irrtum, ein Fehler, wie so vieles was er getan hatte. Madeleine
war noch so jung, er erkannte, sie brauchte ihren Vater. Ihr
gegenüber hatte er sich zwar nie so traurig und gebrochen
gezeigt, wie er es tatsächlich war, doch sicher spürte sie
es, sie war immerhin recht intelligent. Wie oft hatte er dagesessen,
wenn sie eingeschlafen war und darüber nachgedacht, wie sein
Leben verlaufen wäre, wenn Beverly noch leben würde, doch
immer war er zu der Erkenntnis gekommen, daß er es nicht
rückgängig machen konnte. Er bewegte sich gedanklich im
Kreis und manchmal war seine Trauer sehr nahe dran gewesen ihn zu
überwältigen. So konnte es auf Dauer nicht weitergehen, das
war sicher. Langsam bewegte er sich auf den Turbolift zu und dabei
faßte er einen Entschluß. Er würde seine
Erinnerungen mit jemandem teilen, das war der einzige Weg nach fünf
Jahren endlich von den Geistern des Vergangen loszukommen.
Bekanntlich war geteiltes Leid, nur halbes Leid. Es würde ihm
sicher sehr schwer fallen, die komplette Geschichte in Worte zu
fassen, aber das war es womöglich, was ihm die ganze Zeit über
gefehlt hatte: Jemand, der ihm zuhörte und ihm Mut machte. Er
hatte sich viel zu lange abgeschottet.
Der Turbolift kam zum
Stehen und seine Türen öffneten sich sofort, Picard den
Blick auf die Brücke freigebend - seine Kommandobrücke, auf
der er so viel Zeit verbracht hatte, so viele Missionen gelöst
und doch war es nicht mehr dieselbe Brücke für ihn, wie vor
zwölf Jahren, als er das Schiff übernommen hatte. Die
gesamte Fröhlichkeit und die Bereitschaft zu einem lustigen
Spruch, die es früher gegeben hatte, war fort, weil er sie
langsam, aber stetig durch seine Traurigkeit vertrieben hatte. Er
erkannte, welch eine unerträgliche Atmosphäre hier
herrschte und die ganzen letzten fünf Jahre geherrscht hatte,
aber trotzdem waren ihm seine Offiziere treu geblieben, in der
Hoffnung ihm irgendwie helfen zu können. Er hatte sie nie an
sich heran gelassen, statt dessen immer zurückgewiesen und doch
waren sie immer noch für ihn da. Er fand es erstaunlich. Niemand
wollte sich trotz allem von seinem Posten versetzen lassen. Er hatte
es zwar immer zur Kenntnis genommen, aber niemals richtig bemerkt.
Als Commander Riker ihn erblickte, räumte er sofort den Sessel
des Captains, ohne ein Wort zu sagen. Picard nickte seinem ersten
Offizier zu und nahm auf dem ihm angebotenen Sessel Platz. Riker
lieferte ihm noch den Bericht, aber es gab keine ungewöhnlichen
Vorfälle zu melden und so versank die gesamte Brücke wieder
in Schweigen. Niemand sagte einen Ton, nur das regelmäßige
Piepsen der Konsolen war zu hören. Picard blickte zu Boden. Dies
waren normalerweise die Momente, in denen er am traurigsten war und
auch jetzt war er wieder nahe dran in Trauer zu versinken, wie schon
so oft. Doch etwas hinderte ihn in diesem Augenblick. Er sah auf und
blickte in die großen dunklen Augen von Counselor Troi, die ihn
sehr bekümmert ansah. Er hatte diesen Blick noch nie auf diesen
Weise wahrgenommen und er wußte, wenn er sie jetzt nicht
ansprach, würde er es niemals mehr über sich bringen.
"Counselor?" Überrascht zuckte sie zusammen, als er
die erdrückende Stille brach. "Captain?" "Ich
wollte Sie nicht erschrecken, aber ich muß mit Ihnen sprechen.
Es geht um etwas, was ich schon längst hätte tun sollen.
Könnten Sie bitte für ein paar Minuten mit in meinen
Bereitschaftsraum kommen?" Sie nickte kurz, aber er sah ihr
deutlich eine Mischung aus Neugier und vielleicht sogar Erleichterung
an, als sie von ihrem Sessel aufstand. Er wies mit der Hand kurz in
Richtung seines Bereitschaftsraumes und begab sich dann dorthin. Sie
folgte ihm schnell und kurze Zeit später waren sie beide allein
in seinem Raum. "Bitte setzen Sie sich doch!" sagte er und
deutete auf die Couch, die an der Wand stand. Sie leistete seiner
Bitte sofort Folge und auch er setzte sich neben sie. Dann herrschte
wieder Stille. Von weitem konnte man die Maschinen des Schiffes
vernehmen und in der Nähe war der leise Atem des Counselors zu
hören, doch ansonsten war es ruhig. Nervös knetete er seine
Finger und sah zu Boden. Wo sollte er beginnen? Troi blickte ihn
beruhigend an, denn sie wollte ihn, da sie deutlich seine
Zerrissenheit spürte, nicht drängen. Sie legte ihre Hände
auf die Oberschenkel und wartete ab. Es war schon ein gutes Zeichen,
daß er überhaupt mit ihr sprechen wollte. Langsam hob er
nun den Kopf und sah sie an. "Ich... ich habe Ihnen niemals die
Wahrheit erzählt, über Beverlys Tod. Ich war der Meinung,
es wäre meine Privatsache, aber ich mache immer noch Vorwürfe
deswegen. Es ist alleine meine Schuld. Sie könnte noch leben,
wenn ich nicht so viele Fehler begangen hätte, aber alleine
komme ich nicht darüber hinweg. Ich brauche Ihre Hilfe,
Counselor!" Deanna Troi legte tröstend den Arm um ihren
Captain, der wieder apathisch zu Boden starrte. "Sie dürfen
sich keine Vorwürfe machen, Captain. Sie haben es nur gut
gemeint und Sie haben sie geliebt, das ist das Wichtigste. Ich kann
mir nicht vorstellen, daß Sie ihren Tod wirklich zu
verantworten haben. Beverly war eine erwachsene Frau und konnte für
sich die volle Verantwortung tragen und wenn sie hier wäre,
würde sie Ihnen das auch sagen!" "Sie ist aber nicht
hier. Ich trage eine Schuld daran Counselor. Sie wissen nicht, was
wirklich passiert ist. Aber ich möchte es Ihnen erzählen,
vielleicht hilft es mir, wenn jemand zuhört." Er seufzte.
"Es ist eine sehr lange Geschichte und sie beginnt nicht bei
Beverlys Tod, sondern viel früher. Sie haben ja keine Ahnung,
wie alles begann. Es hat nicht mit dem Kongreß auf Pallonia IV
angefangen, wie Sie alle glauben, sondern ganz anders, aber ich
sollte wohl von Anfang an beginnen. Ich hoffe Sie haben Zeit
mitgebracht..."
