Disclaimer: Ein Teil der vorkommenden Namen ist eingetragenes Warenzeichen von Paramount Pictures.

XV

5 Jahre früher...

Müde betrat Jean-Luc Picard sein Quartier und seufzte auf. Er war glücklich, endlich Dienstschluß zu haben und sich von einem anstrengenden Tag erholen zu können. Gedankenverloren knöpfte er seine Uniformjacke auf und schleuderte sie auf den nächstbesten Stuhl, ehe er sich erschöpft auf das Sofa sinken ließ. Noch bevor er sie sehen konnte, hörte er bereits weiche Schritte auf dem Teppichboden und wandte den Kopf instinktiv. Er lächelte leicht, als er Beverly endlich erblickte und richtete sich wieder etwas auf, während sie sich neben ihn setzte. "Hallo..." begrüßte sie ihn sanft. "Wie war dein Tag?" Er nahm sie in den Arm und zog sie ein wenig an sich. "Das fragst ausgerechnet du?" Vorsichtig legte er die Hand auf ihren Bauch und fühlte, wie sich das Kind bewegte. "Wie geht es dir?" Sie verzog ein wenig das Gesicht. "Wie soll es mir groß gehen? Madeleine wird von Tag zu Tag unruhiger, aber ich komme gut zurecht. Schau mich nicht so an, ich bin nicht todkrank!" "Nein, nur ein wenig blaß... aber wenn ich etwas für dich tun kann..." Sie lächelte. "Dann brauche ich es nur zu sagen, ich weiß. Aber jetzt ist das alles nur noch eine Frage von Tagen, bis das Kind zur Welt kommt, also habe ich es ja fast überstanden. Und du hast mir immer noch nicht gesagt, wie dein Tag war!" Sie legte die Hand auf seine und drückte sie leicht. "Ach, wie soll er schon gewesen sein? Du kennst das doch... es war anstrengend, aber nicht überfordernd. Nichts außergewöhnliches!" "Das will ich auch hoffen. Ich fände es schade, wenn die Enterprise die tollsten Entdeckungen macht, während ich hier in Mutterschaft festsitze." "Deinen Sarkasmus hast du dir jedenfalls bewahrt!" bemerkte er trocken. Sie grinste. "Wieso nicht?" Bevor er antworten konnte, wurde er von seinem Kommunikator unterbrochen. "Riker an den Captain!" Er tippte darauf. "Was gibt es, Nummer eins?" "Admiral Nechejev möchte Sie sprechen, Sir. Sie sagt es wäre dringend!" "Stellen Sie es in mein Quartier durch!" "Verstanden! Riker Ende!" Jean-Luc tauschte mit Beverly einen beunruhigten Blick und ging dann hinüber zu seinem Schreibtisch, wo bereits der Bildschirm seines Handcomputers erleuchtet war. Zu sehen war eine blonde, autoritär aussehende Frau. Jean-Luc zog den Computer zu sich heran. "Guten Abend, Admiral!" sagte er höflich und wartete dann ab, was Nechejev zu sagen haben würde. "Guten Abend, Captain Picard!" erwiderte sie den Gruß in einem strengen Ton. "Ich habe mit Ihnen eine Sache von höchster Wichtigkeit zu besprechen." "Ich höre!" Langsam wuchs seine Beunruhigung immer mehr. "Es gibt in letzter Zeit verstärkte Anzeichen für eine erhöhte Aktivität seitens der Neutralen Zone, die es nicht geben sollte..." "Die Romulaner.." "Präzise. Berichten unserer Außenposten zufolge sollen sie mehrere aggressive Akte gegenüber der Föderation begangen haben, auch wenn dies momentan noch nicht bewiesen ist. Kurz, wir stehen möglicherweise an der Schwelle zu einem Krieg, wenn sich herausstellen sollte, daß die Romulaner tatsächlich dafür verantwortlich sind. Daher möchten wir einige Schiffe zur Erkundung der Lage an die Grenze der Neutralen Zone bringen um so viel Aufklärungsarbeit wie möglich zu leisten, unter anderem auch die Enterprise als Flaggschiff der Sternenflotte." Picard nickte. "Ich verstehe!" "Dies ist aber noch nicht alles, Captain. Es gibt noch ein weiteres Problem, auch wenn Sie es vielleicht nicht als solches sehen wollen. Es könnte durchaus zu kriegerischen Handlungen kommen. Darum muß ich Sie bitten, Ihre Chefärztin, die unseren Berichten zufolge momentan nicht dienstfähig ist, auszutauschen." Jean-Luc sah aus dem Augenwinkel, wie Beverly tief Luft holte, dann aufstand und ein paar Schritte auf ihn zukam. "Wie habe ich diesen Befehl zu verstehen? Es gibt auf der Enterprise genügend kompetentes medizinisches Personal, das meine Frau ohne weiteres vertreten kann." Genervt rollte die Admiralin mit den Augen. Es schien als hätte sie genau gewußt, daß er so reagieren würde. "Captain, ich kann Ihre persönlichen Gefühle gut verstehen, dennoch ist es notwendig, daß sie speziell für diese Mission abgelöst wird. Ich habe vollstes Vertrauen in Ihre anderen Bordärzte und würde Ihnen unter normalen Umständen auch vollkommen freie Hand lassen. Doch dies sind keine normalen Umstände, ich betone es noch einmal, es könnte ein Krieg ausbrechen und falls ja, bräuchten wir jeden verfügbaren Arzt. Aus diesem Grund ist ein hochschwangerer Leitender Medizinischer Offizier ein Ding der Unmöglichkeit, ich hoffe das können Sie verstehen..." Jean-Luc nickte langsam. "Verstehen ja, aber einverstanden bin ich nicht. Wann soll die Enterprise in diesen Sektor beordert werden?" "Sobald alle nötigen Vorbereitungen getroffen worden sind, vielleicht in vier bis fünf Tagen. Bis dahin erhalten Sie noch einmal neue Instruktionen." Verzweifelt sah er zwischen dem Bildschirm und Beverly hin und her, die ihren Kopf traurig gesenkt hatte und mit beiden Händen ihren angeschwollenen Bauch hielt. Für sie mußten diese Befehle genauso ein Schlag ins Gesicht sein. Irgendwo in seinem Inneren verstand er die Denkweise des Admirals sogar, immerhin geriet Beverly damit sogar aus einer potentiellen Schußlinie, aber er konnte sie doch jetzt nicht im Stich lassen, nicht kurz vor der Geburt ihres Kindes. "In diesem Fall bitte ich um Erlaubnis mit meiner Frau gemeinsam die nächste Sternenbasis anzufliegen, da ich davon ausgehe, daß wir von dort auch den Austauscharzt bekommen werden. Die Enterprise ist in dieser Zeit in guten Händen, das versichere ich Ihnen und ich könnte dann gemeinsam mit dem neuen medizinischen Offizier zurückkehren," sagte er nach kurzem Nachdenken. Nechejev überlegte eine Weile und stimmte dann schließlich zu. "Ich denke dagegen ist nichts einzuwenden. Erlaubnis erteilt." Picard nickte dankbar und dann verabschiedete er sich förmlich von der Admiralin, da es nicht mehr zu sagen gab, momentan. Trotzdem gefiel ihm die ganze Sache nicht. Irgend etwas mußte tatsächlich passiert sein, sonst würde die Sternenflotte nicht solche Vorkehrungen treffen. Nachdenklich stand er von seinem Stuhl auf und sah zu Beverly, die nun direkt vor ihm stand. "Danke!" flüsterte sie und küßte ihn sanft.

Unruhig stand Jean-Luc Picard in der Shuttlerampe und wartete auf Beverly. Er hatte eine kleine Tasche um die Schultern geschlungen und wanderte nachdenklich auf und ab. Die Sache hatte sich noch mehr verkompliziert, als er ursprünglich geglaubt hatte und es waren noch andere Probleme aufgetreten, die Nechejev in ihrem Gespräch vor drei Tagen noch nicht wissen konnte. Dies war der Grund, warum sowohl er, als auch seine Frau noch nicht aufgebrochen waren, denn ihre Planung hatte sich ein wenig verschoben. Vor zwei Tagen hatte die Enterprise zwar alle an Bord befindlichen Zivilisten auf einem der Föderation zugehörigen Planeten abgesetzt, da das Oberkommando keine unschuldigen Leben aufs Spiel setzen wollte, doch Beverly war nicht unter diesen Leuten, noch nicht. Wenigstens war durch diese Tatsache eine weitere Begründung gegeben, wie er im Nachhinein erkannte, warum man Beverly nicht gestattete an Bord zu bleiben. Immerhin war es sehr wahrscheinlich, daß das medizinische Personal in einem Kriegsfall anderes zu tun hatte, als aktive Geburtshilfe zu leisten und das konnte er rational nachvollziehen. Nun war das Schiff auf dem Weg zu einer Werft um sich noch einmal generalüberholen zu lassen, bevor man in die Nähe der Neutralen Zone flog. Doch erst jetzt, würde er, wie mit Nechejev ursprünglich ausgemacht, mit Beverly zu der Sternenbasis in der Nähe des Planeten fliegen, auf dem die Zivilisten zeitweilig untergebracht waren, um die Austauschärztin in Empfang zu nehmen, denn sowohl sie, als auch er hatten vor ihrem Aufbruch noch einige wichtige Vorbereitungen zu treffen gehabt. So hatte Beverly noch einmal mit ihrem medizinischen Personal alles Wichtige besprochen und Ihnen ein wenig mehr Einblick in ihre Ordnung gegeben. Jean-Luc seufzte auf und lehnte sich an eines der Shuttles, auf dessen weißer Metallhülle in der für Starfleet gebräuchlichen Lettern ‚Explorer' geschrieben stand. Das kleine Schiff war schon für den Start vorbereitet, die einzige Person, die noch fehlte, war seine Frau, doch er konnte es ihr nicht verdenken. Die Tür der Shuttlerampe öffnete sich mit einem leisen Zischen, das jedoch durch die Größe des Raumes verstärkt wurde und regelrecht widerhallte und automatisch blickte er in diese Richtung. Tatsächlich betrat Beverly den Raum. Sie hatte, wie er, eine kleinere Tasche um den Körper geschlungen, trug jedoch, im Gegensatz zu ihm, Zivilkleidung, obwohl sie nach wie vor ihren Kommunikator anheften hatte. Trotz ihrer Schwangerschaft hatte sie sich einen aufrechten, ja fast stolzen Gang bewahrt und so widerstand er der Versuchung, ihr die Tasche abzunehmen – sie hätte es wahrscheinlich als Beleidigung angesehen. Sie hatte ihm mehr als einmal deutlich gemacht, daß sie gut alleine zurechtkam, auch wenn sie Vieles mehr anstrengte und sie unter einer nicht zu leugnenden Kurzatmigkeit litt. "Mußtest du lange auf mich warten?" war das erste, was sie fragte, als sie ihn erblickte. "Eigentlich nicht!" entgegnete er. "Ich habe mir das alles noch einmal durch den Kopf gehen lassen." Er sah sie noch einmal an, sie war noch immer blaß und betrachtete ihren Bauch. "Glaubst du, wir erreichen die Sternenbasis noch, bevor es ‚soweit' ist?" Sie nickte. "Natürlich. Ich war noch einmal auf der Krankenstation und habe mich in dieser Hinsicht vergewissert, deswegen hat es auch etwas länger gedauert." Er atmete auf. "Gut!" Denn der Gedanke, mit ihr alleine zu sein, wenn die Wehen einsetzten, hatte ihn mehr als beunruhigt. Sie lächelte matt. "Wollen wir?" Er nickte kurz und öffnete das Schott des für sie bereitgestellten Shuttles. Er ließ ihr den Vortritt und bewunderte sie dafür, wie souverän sie sich trotz allem noch bewegen konnte, bevor er ihr folgte und die Luke wieder verschloß. Im Inneren jedoch half er ihr, sich auf eine der an den seitlichen Wänden befindlichen Bänke zu legen, bevor er sich an die Kontrollkonsole setzte. "Explorer an Enterprise, bitten um Starterlaubnis!" "Erlaubnis erteilt!" ertönte Commander Rikers Stimme aus dem Komlautsprecher. Das kleine Shuttle erhob sich ein wenig, durchdrang das trennende Kraftfeld der Shuttlerampe und glitt in den leeren Raum, womit es die USS Enterprise bald hinter sich zurückließ.

"Wie geht es dir?" Besorgnis erklang aus Jean-Lucs Stimme, als er ein leises Aufstöhnen aus der Richtung seiner Frau hörte. Sie waren nun gut einen Tag unterwegs und würden die Sternenbasis in gut acht Stunden erreicht haben, worüber er sehr froh war. Langsam bereitete ihm die beengte Atmosphäre, auch um Beverlys willen, Unruhe. Er hatte die Steuerkontrollen auf Autopilot gestellt und trat nun zu ihr heran. Sie war noch ein wenig bleicher, als sie es vorher schon gewesen war und an ihrer Unterlippe waren deutliche Bißspuren zu sehen. "Gut!" sagte sie mit zittriger Stimme, aber sie beide wußten, daß es nicht stimmte. Sie richtete sich etwas auf und blickte ihm in die Augen. Ihr Blick war ernst, aber zuversichtlich und entschlossen. "Die ersten Wehen haben eingesetzt!" erklärte sie ihm schließlich und er erschrak. "Wie lange schon?" "Ist schon eine Weile her..." "Oh..." Sanft strich er über die Wange und wünschte, er könnte ihr etwas von dem abnehmen, was ihren Zustand verursachte, den Schmerz, die Unbeholfenheit. Es schien, als hätte sie seine Gedanken erraten, denn sie setzte ein mattes Lächeln auf. "Mach dir keine Sorgen, es ist nicht meine erste Geburt. Damals, bei Wesley fühlte ich mich viel elender. Es ist einfach so, es gehört dazu." "Bist du dir sicher, daß wir es bis zur Sternenbasis schaffen werden? Ich meine..." Er brach ab, als er ihre Hand spürte. "Ja..." sagte sie. "Das ist erst der Anfang. Es dauert noch ein paar Stunden, bis die richtigen Wehen einsetzen." "Achso..." Er fühlte sich hilflos und fragte sich, wie sie ihm das alles mit medizinischer Gelassenheit erklären konnte. "Ich bewundere dich!" gestand er ihr. Sie kam nicht mehr dazu, ihm etwas auf dieses Kompliment zu erwidern, denn das Shuttle erbebte. Jean-Luc hatte große Schwierigkeiten, sich im Gleichgewicht zu halten. "Was zum...!" rief er, als das Schiffchen von einem erneuten Beben ergriffen wurde. Er taumelte zurück und bekam gerade noch die Wand zu fassen. Auf der Konsole blinkten einige Warnleuchten und ein penetrantes Piepsen erinnerte ihn ständig daran, daß etwas nicht in Ordnung war. So schnell es ging ließ er sich in den Pilotensessel gleiten und überprüfte den momentanen Status. Seine Gedanken rasten, er mußte die ganze Zeit an Beverly und das ungeborene Kind denken. Hastig suchte er die Anzeigen nach der Ursache der Erschütterungen ab, während er bemerkte, daß der Primärantrieb einige Beschädigungen davongetragen hatte. "Jägergeschosse!" stieß er ungläubig hervor. Seine Finger eilten über die Schaltflächen, den hoffnungsvoll – verzweifelten Versuch unternehmend das Schiffchen aus der Gefahrenzone zu manövrieren. Wieder erbebte das Shuttle und ein weiteres schrilles Piepen kam hinzu. Die Schilde waren ausgefallen. Wer auch immer diese Geschosse in diesen Teil des Weltraums plaziert hatte, er konnte sicher sein, daß sie einwandfrei funktionierten, im Gegensatz zu den Systemen dieses Shuttles. "Verdammt!" fluchte er, zunehmend die Kontrolle verlierend. Er wollte lediglich seine Frau zu einer Sternenbasis bringen und nicht irgendwelchen vergessenen heimtückischen Waffen entkommen. Es schien, als hätten sie auf ihrem Kurs ein bisher wenig bis gar nicht befahrenes Gebiet gewählt, denn sonst hätte man diese Geräte schon längst entfernt. Er erschauerte. Jägergeschosse waren eine inzwischen längst verbotene Waffe, wurden sie in früher tobenden Kriegen der Tod vieler nichtsahnender Piloten, doch es erschien logisch, daß es immer noch im All treibende, nicht entdeckte Überbleibsel von ihnen gab. Die Geschosse verhielten sich ruhig, bis sie die Energiesignatur eines vorbeifliegenden Schiffes registrierten und waren ab diesem Zeitpunkt auf gnadenlose Verfolgung und Zerstörung programmiert. Einem großen Schiff, wie der Enterprise mochte dies in heutigen Zeiten keinen allzu großen Schaden mehr zufügen, doch ein kleines Schiff, wie die Explorer war ein fast wehrloses Ziel. Nur warum, warum nur mußte ausgerechnet er mit seiner hochschwangeren Ehefrau in einen solchen Schwarm hineinmanövrieren? "Merde!" Er hämmerte seine Faust auf die Konsole und dachte über einen möglichen Ausweg aus dieser Situation nach, denn allzu lange konnte das Shuttle nicht mehr standhalten. Eine weitere Erschütterung bestätigte seine schlimmsten Vermutungen. Und nun schaltete sich auch noch die weibliche Stimme des Computers ein: "Warnung! Schwere Schäden an der Äußeren Hülle!" Per Knopfdruck ließ er sich die Aufzeichnungen der Sensoren auflisten und versuchte so viel wie möglich davon zu erfassen. Endlich hatte er das gefunden, was er gesucht hatte. Es gab kein Lichtjahr von ihnen entfernt einen unbewohnten Klasse M Planeten, auf dem sie notlanden konnten, denn anders gab es keine Möglichkeit, zu entkommen. Hastig programmierte er den Kurs, schickte noch schnell ein Notsignal in den interplanetaren Äther und sprang dann auf. Beverly blickte ihn besorgt an, sagte jedoch kein Wort, wofür er ihr äußerst dankbar war. Er griff ihren Arm und zog sie auf die Füße. Wieder erbebte das Shuttle und in diesem Moment erkannte Jean-Luc, daß es ihnen niemals gelingen konnte, das Schiff als Ganzes auf dem Planten zu landen. "Warnung! Integrität der Hülle auf kritischem Niveau!" informierte der Computer. Beverly krallte sich instinktiv an seiner Uniform fest, um nicht hinzustürzen und er gab ihr seine Hand. Ein letzter Blick auf die noch funktionierenden Anzeigen, bestätigten ihm, daß sie in Transporterreichweite waren. Schnell gab er dem Computer die am nächsten gelegenen Koordinaten und dann entmaterialisierten sie. Sekundenbruchteile später zerbarst ein kleines Sternenflottenshuttle mit dem vielversprechenden Namen ‚Explorer' aufgrund eines weiteren Treffers.

Eisiger Wind und Schneeflocken wehten Jean-Luc Picard ins Gesicht, kaum daß sie auf der Oberfläche des Planeten materialisierten. Schützend legte er die Hand vor die Augen, um die kalten Flocken abzuwehren und versuchte einen klaren Gedanken zu fassen. Wenn er es nicht besser wüßte, könnte man sagen sie waren sprichwörtlich vom Regen in die Traufe geraten, denn nur mit den Kleidern, die sie am Leib trugen, hatten sie diesem Wetter nicht sehr viel entgegenzusetzen. Am besten war es wohl, einen Unterschlupf zu suchen und darauf zu hoffen, daß man das Notsignal recht bald auffing, doch wie wollten sie in dieser Eiswüste einen finden? Er hätte es wissen können, als er die Koordinaten für die nördliche Hemisphäre dieses Planeten eingegeben hatte, doch mit einem solchen Schneesturm hatte er nicht gerechnet. Unruhig sah er sich nach Beverly um, die es noch einmal schwerer haben mußte als er. Sie hatte die Arme um den Körper geschlungen und zitterte. Schon um ihretwillen mußten sie eine geschützte Stelle finden. Er kniff die Augen zusammen und versuchte trotz des tobenden Sturmes, etwas zu erkennen. Nicht allzu weit entfernt von ihnen schien es Berge zu geben, denn die Sichtweite war zu getrübt, als daß es weiter entfernt sein konnte. Vielleicht konnten sie zwischen Felsen Schutz suchen, doch selbst dann war fraglich, wie sie gegen diese Kälte ankommen wollten. Sanft nahm er Beverly in den Arm und versuchte sie ein bißchen zu wärmen. Sie sah ihn einfach nur an, sagte aber kein Wort und er vermutete, sie litt unter Schmerzen. "Nicht allzu weit von uns, scheint es Berge zu geben. Vielleicht kommen wir dort unter!" schrie er, gegen das Heulen des Windes ankämpfend. Sie nickte und sah dann in die von ihm angegebene Richtung. Gemeinsam stapften sie los, wobei er sie nach wie vor im Arm hielt und stützte. Er wußte, sie würde ihm nicht sagen, wie sie sich wirklich fühlte. Für sie würde es kein: ‚Das schaffe ich unmöglich in diesem Zustand' geben, sie biß die Zähne zusammen und versuchte mitzuhalten. Er schob den Gedanken daran, wie lange sie das durchhalten mochte zur Seite und tröstete sich damit, daß sie sich in einem späteren Unterschlupf ausruhen konnte – sofern sie einen fanden.

Nach einem ungefähr halbstündigen Fußmarsch hatten sie den Fuß der Berge erreicht, welche nicht mehr als nackte Felsen zu sein schienen. Mit wachsender Besorgnis betrachtete Jean-Luc die Frau neben sich. Sie wäre auf dem Weg hierher mehrere Male fast gestürzt, wenn er sie nicht gehalten hätte und nun stand sie da, hatte die Hände zu Fäusten geballt und zitterte. Sie schien sich an etwas klammern zu wollen, um ihren Körper vor einem Kollaps zu bewahren, doch es gelang ihr nur zum Teil. Ihre Atmung war beschleunigt um nicht zu sagen, sie schnappte regelrecht nach der Luft, und ihre Bleiche war nach wie vor vorhanden. Der Sturm tobte weiterhin um sie und die Felsen waren schon längst mit einer dünnen Schneeschicht bedeckt. Frierend rieb Jean-Luc sich die Arme um ein bißchen Wärme zu ergattern und betrachtete sich die Umgebung. Einige Meter vor ihnen, schien es eine kleine Vertiefung in der Felswand zu geben. Er wollte Beverly gerade darauf hinweisen, als er sah, daß sie im Schnee lag. "Oh Gott, nein!" Panik erfaßte ihn und er kniete sich zu ihr herunter, strich ihr die Haare aus dem Gesicht. Eine kalte Hand ergriff die seine und sie sah ihn erschöpft an. "Jean-Luc..." Ihre Stimme bebte und es war das erste Mal, seitdem sie hier gestrandet waren, daß sie mit ihm sprach. "Alles wird gut..." flüsterte er. "Wir haben es gleich geschafft. Du bist unglaublich tapfer.." Sie schlug die Augen nieder – und öffnete sie nicht mehr. Die Anstrengung war einfach zu viel für sie gewesen. Er hob sie behutsam hoch und trug sie das letzte Stück, mehr schlecht als recht.

Die Stelle im Fels, in der sie vorläufig Unterschlupf gesucht hatten, als solchen zu bezeichnen war ein Witz. Der Stein war kalt und spitz, und auch sonst war es zugig und ungemütlich, doch zumindest bewahrte es sie vor dem Sturm und dem Schnee und das war alles, womit sie sich begnügen konnten. Nachdenklich blickte Jean-Luc auf seine bewußtlose Ehefrau und fragte sich, wie sie aus dieser Lage entkommen wollten. Es würde nicht mehr allzu lange dauern, bis sie beide erfroren waren, wenn es ihm nicht irgendwie gelang ein Feuer zu machen, zudem war es nur noch eine Frage der Zeit, bis das Kind zur Welt kam. Er wünschte sich an jeden anderen Ort, als diesen verdammten Planeten. Warum nur hatte er sie nicht irgendwohin anders transportieren können? Er hatte in Panik gehandelt, das Shuttle war angegriffen worden, doch auch in dieser Situation konnten sie nicht allzu lange überleben. Ein Tag war das Maximum, wenn sich die Bedingungen nicht bald änderten. Falls sie es taten, möglicherweise länger, doch dann brauchten sie immer noch Nahrung und unter Umständen medizinische Versorgung. Ihm grauste es, als er auf Beverlys Bauch blickte. Wie sollte erst das Kind überleben, geschweige denn die geschwächte Mutter?

Ungefähr drei Stunden später hatte sich die Situation minimal verbessert. Der Sturm hatte aufgehört zu toben und Jean-Luc war es gelungen, eine richtige Höhle ausfindig zu machen, die doch mehr Schutz vor kommendem Wetter bot, als eine reine Felsvertiefung. Beverly hatte das Bewußtsein wiedererlangt, doch sie lag noch immer dort, wo er sie nach der Entdeckung der Höhle hingebracht hatte. Die Kälte hatte inzwischen jede Faser seines Selbst durchdrungen und er war bereits soweit, sie nicht mehr zu spüren. Er konnte kaum noch seine Finger bewegen und die im Sturm durchnäßte Kleidung war inzwischen fast steif gefroren. Bekümmert sah er zu seiner Frau, die teilnahmslos vor sich hinstarrte. Ihre Lippen waren blau angelaufen und daraus schloß er, daß es seine ebenso sein mußten. Ihm gefiel diese Entwicklung nicht. Normalerweise neigte Beverly nicht zu dieser Art Apathie. Plötzlich sah sie zu ihm auf und seufzte. Ihre Augen blickten müde und hatten ihren früheren Glanz verloren. Sie focht Kämpfe aus, die er nur erahnen konnte, aber sicher hatte sie Schmerzen. Trotzdem verlor sie kein Wort der Klage. "Geht es noch?" fragte er. Sie nickte und schluckte. Sanft küßte er sie und legte sich neben sie, um ihr ein wenig Wärme zu spenden. Wie lange sollte das so anhalten? Bekümmert legte er die Arme um ihren Körper und zog sie an sich. Wie lange?

Blut! Es bedeckte die Felsen, es war überall. Überall Blut! Beverly hatte bei der Geburt des Kindes mehr verloren, als es normalerweise der Fall sein sollte. Langsam bekam es Jean-Luc wirklich mit der Angst zu tun. Ihr Zustand verschlechterte sich von Minute zu Minute. Sie war bereits geschwächt gewesen durch die Tatsache der Schwangerschaft, doch inzwischen kamen Kälte und dieser enorme Blutverlust hinzu. Wenn man nicht bald ihr Notsignal aufschnappen würde... Sie sah zu ihm hoch, hatte das Neugeborene an ihren Körper gedrückt. Aber der Ausdruck ihrer Augen hatte sich nicht verändert. Natürlich war sie noch bei vollem Bewußtsein – sie hatte ihm, als die Geburtswehen eintraten, genau gesagt, was er zu tun hatte, doch sie war entkräftet. Er rückte ein Stück näher an sie heran und schlang seine Uniformjacke, auf der sie jetzt lag um ihren Unterleib. Die Jacke war ebenfalls blutgetränkt, wie er betroffen bemerkte. Das durfte doch nicht sein! Sanft strich er Beverly über die Wange und lächelte sie, trotz seiner sorgenvollen Gedanken an. Er hatte sich die ganze Zeit über gewünscht, dabei zu sein, wenn sie Madeleine zur Welt brachte, ihre Hand zu halten ihr zu sagen, wie sehr er sie bewunderte, doch niemals hätte er es sich träumen lassen, daß das Kind in eisiger Kälte geboren wurde, mit ihm als einzigen Anwesenden und Helfer. Das war einfach nicht richtig. Seine Frau hatte so viel besseres verdient. Er seufzte. Sie war stark gewesen, tapfer. Natürlich hatte er in ihrem Gesicht sehen können, wie sie sich fühlte, doch sie hatte kein einziges Mal geschrien. Nun war das Kind da und es ging ihr noch miserabler als zuvor. "Jean-Luc!" Ihre Stimme war leise, fast unhörbar. "Ja?" Es kostete ihn große Anstrengung mit seinen steifen Fingern, aber es gelang ihm trotzdem ihr über die Haare zu streichen. "Ich bin so müde..." "Du darfst jetzt nicht schlafen..." "Ich weiß..." Sie schluckte. Jedes Wort bereitete ihr Mühe. "Madeleine... pass auf sie auf, versprich es..." Er nickte. "Ich verspreche es..." Sie lächelte matt. "Danke..." Sie sah zu dem Kind auf ihrem Bauch, zugedeckt mit einem Stoffetzen, der ebenfalls von seiner Jacke stammte und dann noch einmal zu ihm hoch. "Jean-Luc,... ich... liebe... dich...!" Ihr Kopf sackte zur Seite. "Beverly?" Sie zeigte keine Reaktion. Plötzliche Übelkeit überkam Jean-Luc, ausgehend von Stunden voller Sorge zu denen sich jetzt eine schleichende Panik gesellte. Seine Stimme klang trocken und heiser, doch er rief sie ein weiteres Mal beim Namen, dieses Mal lauter. Wieder reagierte sie nicht. Er schüttelte sie, er schrie ihren Namen, doch sie blieb stumm, nicht so das Kind. Die Schreie der kleinen Madeleine mischten sich unter die ihres verzweifelten Vaters, doch die Mutter rührte sich nicht mehr. Es dauerte bis die Erkenntnis zu Jean-Lucs Bewußtsein vorgedrungen war, doch dann wußte er: Beverly würde sich nicht mehr bewegen, sie war tot. Wahrscheinlich hatte sie es schon die gesamte Zeit geahnt und hatte ihm das Herz nicht unnötig schwer machen wollen. Er hob das schreiende Kind hoch und drückte es fest an sich, Tränen liefen seine Wangen herunter. Ihre letzten Worte... Es war das erste und einzige Mal gewesen, daß sie dies zu ihm gesagt hatte. Er hatte es immer gewußt, aber sie hatte es ihm niemals gesagt. "Nein!" Er wußte nicht, zu wem er dies noch sagte. "NEIN!" Der Schrei eines verzweifelten Mannes. Dann brach er schluchzend zusammen.