Disclaimer: Siehe letztes Kapitel
A/N: Bald geht's endlich los in den Urlaub! Dann gibt's erst mal keine Updates und auch keine Reviews mehr von mir… aber ist ja nicht für lange:)
Er steht immer noch über mir, so dass ich mich nicht erheben kann. Ich hoffe es ist nur irgendein Diener mit einer überflüssigen Botschaft und nicht jemand wichtiges der dann möglicherweise entscheidet an unserer Aktivität teilzuhaben. Etwas verspätet kommt mir auch in den Sinn mich der doch recht eindeutigen Position zu schämen in der ich mich gerade befinde. Andererseits ist es wahrscheinlich nicht unbedingt unüblich in dieser Gesellschaft und widersetzen könnte ich mich ja doch nicht.
„Ich bringe eure Einladung zum Empfang Meister Shenjal."
Der Stimme nach könnte es einer der kleinen Jungen sein, die hier offenbar als eine Art Hausinterner Kurierdienst arbeiten. Sehen kann ich ihn erst als sich mein Meister vollends zu ihm umdreht und mir damit genug Raum gibt um mich etwas aufzusetzen.
„Ah sehr gut." Jegliche Gereiztheit scheint auf einmal wie weggeblasen. „Geh zur Schneiderin und hol das hier für mich ab."
Er drückt dem erleichtert wirkenden Jungen einen Zettel und ein paar Goldstücke in die Hand. Dann ist der Kleine auch schon wieder weg und nur das schnell verklingende Geräusch seiner schnell trippelnden Schritte hängt noch kurz in der Luft. Die Aussicht auf diesen Empfang scheint meinen Meister in äußerst gute Stimmung versetzt zu haben und ich bin froh darum, frage mich allerdings ob ich wohl auch mit muss zu diesem Ereignis, an dem bestimmt schrecklich viele andere Drow teilnehmen werden mit denen ich vorzugsweise nicht zusammentreffen möchte.
„Natürlich wirst du mitkommen. Sei nicht albern Häschen."
„Natürlich Herr." Murmle ich ergeben. Ich hatte sowieso nicht wirklich damit gerechnet darum herum zu kommen.
„Schließlich", sein Ton ist jetzt fast so süffisant wie der von Jarlaxle, während er beinahe neckend die geschwungene Linie meiner Wangenknochen entlang streichelt „bekommst du extra für diesen Anlass neue Kleidung."
Was kann das für Kleidung sein wenn sie ihn in derart gute Laune versetzt? Viel Stoff wird der Schneider dafür bestimmt nicht verbraucht haben denke ich unglücklich. Ein Grund mehr mich vor diesem Empfang zu fürchten.
„Danke Herr." Presse ich trotzdem heraus um mir nicht noch zusätzlichen Ärger einzuhandeln. Er lacht mich wieder einmal aus, schaut mich aber dann auf einmal prüfend an, so dass ich schon befürchte wieder einmal etwas vergessen zu haben.
„Wenn du dich gut benimmst zeige ich dir vielleicht wie du die Flamme beschwören kannst."
Dieses Angebot kommt so überraschend für mich, dass ich im ersten Augenblick glaube mich verhört zu haben und mir ein ungläubiges „Wirklich?" gerade noch verkneifen kann. Natürlich ist mir klar, dass er es wahrscheinlich nicht ernst meint, aber allein der Gedanke, dass er es mir möglicherweise zutraut lässt mein Herz höher schlagen. Ich bin mir sicher, in diesem Moment braucht er nicht einmal ansatzweise die Magie des Halsbandes zu benutzen um festzustellen wie sehr mich diese Aussicht gefangen nimmt. Ich bemühe mich zwar die Aufregung zu verbergen, aber mein Bedürfnis die Beschwörung auszuprobieren ist so groß, dass es mir schwer fällt.
„Was muss ich tun Herr?" frage ich eifrig, denn ich habe ehrlich gesagt nicht die geringste Ahnung wie man sich zu einer solchen Gelegenheit benimmt. Es gibt höchstwahrscheinlich viele seltsame Benimmregeln, die ich natürlich nicht kenne. Amüsiert hebt er eine Augenbraue. Offenbar erheitert es ihn wie leicht ich zu begeistern bin.
„Nichts weiter." Erklärt er mit einem nachlässigen Schulterzucken. „Du bleibst dicht an meiner Seite, verhältst dich respektvoll und siehst hübsch aus. So wie die anderen Sklaven auch."
„Wie ihr wünscht Herr." Murmle ich und nutze die Gelegenheit um schnell den störenden Gegenstand zu entfernen, der sich zuvor so unangenehm in mein Fleisch gebohrt hatte, bevor es ihm einfällt fortzufahren mit dem was er begonnen hatte. Es war ein Stein. Er ist schwarz und sieht recht gewöhnlich aus. Wie ein ganz normaler Flusskiesel. Für einen Augenblick bin ich verwundert etwas so simples hier zu finden, sage mir aber dass er schon seine Gründe haben wird. Ich will ihn schon wieder weglegen, als mir das leichte, kaum spürbare Vibrieren auffällt das von diesem Kiesel ausgeht. Ob ihm wohl eine spezielle Kraft innewohnt?
„Was hast du da? Gib ihn mir, derartiges Spielzeug ist nichts für dich."
Und schon ist der Stein wieder fort, verschwunden in einer der zahllosen, abgrundtiefen Taschen der Robe meines Herrn. Nun gut ich muss mich demnach wohl damit abfinden nichts näheres darüber zu erfahren. Gerade drückt er mich mit sanfter Gewalt wieder hinunter auf den Schreibtisch, als sein Blick auf ein Manuskript neben meinem Kopf fällt und sich seine Miene wieder verdüstert. Wortlos tritt er zurück und bedeutet mir aufzustehen, dann kritzelt er eine kurze Nachricht auf ein ausgefranstes Stück Pergament und eröffnet mir, dass ich es zu Meister Essal bringen muss. Natürlich erinnere ich mich noch daran wie er damals dieses Manuskript herbrachte um es übersetzen zu lassen und auch an die zehn Tage die diese Tätigkeit angeblich dauern sollte. Jetzt sind leider aber schon sehr viel mehr als zehn Tage vergangen und es liegt noch immer hier. Völlig unangetastet.
Bei dem Gedanken diesem unheimlichen Meister allein gegenüberzutreten werden mir augenblicklich die Knie weich. Vor allem weil ich nun offenbar die wunderbare Aufgabe haben werde ihm die freudige Botschaft zu überbringen, dass seine Übersetzung wohl noch eine Weile brauchen wird. Wenn er auf diese Verzögerung auch so unwillig reagiert wie es mein eigener Meister tun würde, dann ziehe ich es fast vor noch einmal Ethin zu begegnen. Der warnende Blick aus den plötzlich schmalen, roten Augen sagt mir jedoch deutlich, dass ich lieber nicht versuchen sollte darum herum zu kommen, wenn ich nicht erhebliche Schmerzen riskieren will und so höre ich nur aufmerksam zu als er mir den Weg erklärt.
Auf meinem Weg gelange ich das erste Mal in die stärker von Schülern frequentierten Teile des Gebäudes und muss feststellen, dass es anstrengender ist als ich gedacht hätte ihnen allen respektvoll auszuweichen und gleichzeitig vorwärts zu kommen. Das wovon ich am meisten sehe ist der geflieste Boden, blankgescheuert von den Hunderten von Füßen die täglich hier Entlangeilen. Die neugierigen Blicke die sie mir zuwerfen sind unangenehm und ich bin froh bald wieder in weniger belebten Gängen anzugelangen. Einige der leise gezischten, anzüglichen Bemerkungen, die ich leider nicht überhören konnte, lassen mir eine Gänsehaut den Rücken hinunter laufen. Wieder einmal bin ich froh nicht frei verfügbar zu sein.
Langsam nähere ich mich der Tür von der ich denke, dass sie zu den Räumen Meister Essals führen muss. Ich bleibe jedoch entsetzt stehen, als ich Geräusche durch das dunkle Holz vernehme, die sich verdächtig nach Schmerzensschreien anhören. Die Hand die ich schon fast gehoben hatte um anzuklopfen bevor mich jeglicher Mut verlässt sinkt kraftlos zurück an meine Seite und ich versuche vergeblich den dicken Klos herunterzuschlucken, der sich auf einmal in meinem Hals gebildet hat.
Sollte ich vielleicht zu einem anderen Zeitpunkt wieder zurückkehren? Was wenn ich ihn gerade störe? Ich stehe noch beinahe fünf Minuten dort vor der Tür und kann mich weder dazu überwinden diesen Ort zu verlassen, noch dazu endlich anzuklopfen und die ganze Angelegenheit hinter mich zu bringen. Als ich gerade so weit bin zu überlegen ob ich versuchen sollte meinen Meister um Rat zu fragen spüre ich mehr als das ich es höre wie sich jemand schnellen Schrittes der Tür nähert. Ich wage nicht jetzt noch wegzurennen und warte nur mit schreckgeweiteten Augen.
Abrupt wird sie aufgerissen und gibt den Blick frei auf einen irritiert dreinschauenden Essal, der außerdem eine lange, bereits blutige und äußerst bösartig aussehende Peitsche in einer Hand hält. Unwillkürlich falle ich auf die Knie, aber bevor ich auch nur ein Wort der Entschuldigung herausgebracht habe blafft er mich bereits an.
„Was?!"
„I-ich bringe eine B-botschaft von meinem Meister Herr."
Mit zitternder Hand halte ich sie ihm entgegen, doch anstatt sie mir abzunehmen packt er mich kurzerhand am Kragen und zieht mich mit einem kraftvollen Ruck in den Raum. Nachdem er mich loslässt stolpere ich, durch den Schwung aus dem Gleichgewicht gebracht, hart gegen eine Tischkante. Es ist wahrscheinlich ein Glück für mich das dieser spezielle Tisch standfest genug ist um nicht unter meinem Gewicht umzukippen, andererseits bedeutet dies auch, dass ich einen sehr schmerzhaften Blauen Fleck dort haben werde wo ich gerade mit der unnachgiebigen Tischkante kollidiert bin. Ich tue mein Bestes um wenigstens halbwegs das Keuchen zu unterdrücken welches sich anschließt und falle wieder auf die Knie, wo ich regungslos verharre. Die wimmernden Geräusche die inzwischen statt den vorherigen Schreien aus einem Nebenzimmer dringen lassen mit einen kalten Schauer den Rücken hinunterlaufen.
„Kennst du den Inhalt dieser Botschaft Sklave?" Will er gereizt von mir wissen.
„Nein Herr." Murmle ich leise, was mir einen sehr unangenehmen Schlag in den Nacken mit dem harten Stil der Peitsche einbringt.
„Red gefälligst deutlich Sklave."
„Ja Herr." Antworte ich so klar und deutlich wie möglich, während ich versuche unauffällig die Tränen wegzublinzeln, die mir dieser Schlag in die Augen getrieben hat. Mehr als alles andere wünsche ich mir jetzt weit weg zu sein von diesem ungehaltenen Meister. Wieder halte ich ihm das ausgefranste Pergament entgegen und dieses Mal reißt er es mir unwirsch aus der Hand.
„Zeig her. Ich kann mir schon denken worum es sich handelt." Knurrt er und überfliegt rasch die paar Zeilen, wonach sich seine Miene nicht unbedingt aufhellt. Undeutlich höre ich ihn etwas von arroganter Bastard murmeln und dann erklärt er mürrisch: „Ich werde sehen was ich tun kann und jetzt raus hier, aber sofort."
„Ja Herr."
Meine Worte sind noch nicht verklungen da habe ich mich auch schon verbeugt und bin bereits fast aus der Tür. Erleichtert lehne ich mich im nächsten leeren Korridor an die kühle Steinwand. Hier in diesem relativ abgelegenen Seitengang gibt es keine aufwändigen Verzierungen, sondern nur das nackte Mauerwerk. Während ich tief durchatme und mich daran erfreue noch einmal mit dem Leben davongekommen zu sein, höre ich plötzlich wie jemand den Gang entlang auf mich zukommt. So einsam wie ich dachte ist es hier offenbar doch nicht. Der Tritt von harten Stiefeln ist für Drow unverhältnismäßig laut und das leise Klimpern von Schmuck untermalt dieses regelmäßige Geräusch. Ich kann nicht mehr rechtzeitig weg ohne dass meine Flucht bemerkt würde und so entscheide ich einfach mit respektvoll gesenktem Kopf stehen zu bleiben und zu hoffen dass wer immer dort kommt mich einfach ignorieren wird.
Erst als ich den Verursacher dieser Geräusche schließlich aus dem Augenwinkel sehen kann fällt mir auf, dass es sich in Wirklichkeit um zwei Leute handelt. Es ist Jarlaxle in Begleitung eines entnervt dreinschauenden Lehrlings, der aussieht als würde er sich bereits dem Ende seiner Ausbildung nähern und wohl meint das diese Begleittätigkeit viel zu viel von seiner kostbaren Zeit in Anspruch nimmt. Das unaufhörliche, geradezu unnatürlich laute klapp klapp der Stiefel tut wahrscheinlich sein übriges dazu sein Nervenkostüm weiter zu beanspruchen. Ich verstehe ihn sogar. Jarlaxle ist meiner Meinung nach auf Dauer nur schwer auszuhalten. Bitte lass sie einfach vorbeigehen bettle ich im Stillen, aber wie immer in letzter Zeit legt niemand viel Wert auf meine Wünsche und Jarlaxle bleibt vor mir stehen.
„Oh, wen haben wir denn da, dass ist doch Elarn's Sklave."
Er klingt hocherfreut mich zu sehen und ich kann den Lehrling fast unmerklich zusammenfahren sehen angesichts der respektlosen Anrede meines Meisters mit dessen Vornamen. Wahrscheinlich ist der kahlköpfige Drow nur stehen geblieben um den Anderen weiter zu verärgern, aber ich wünschte wirklich er würde sich eine andere Gelegenheit aussuchen um dies zu tun. Vorzugsweise eine bei der ich nicht involviert bin. Schweigend bleibe ich stehen und schaue weiter zu Boden.
Ich muss mich sehr zusammennehmen um weiterhin reglos zu verharren, als er ohne Vorwarnung auf einmal einen Arm um meine Schultern legt.
„So schüchtern?" Lacht er und meine Unruhe steigt noch, denn ich kann deutlich fühlen wie er mir völlig beiläufig geschickt etwas kleines, kratziges in den Kragen schiebt. Was soll das hier? Verdammt ich hasse diese Spielchen! Unwillig presse ich leicht meine Lippen zusammen, reagiere aber sonst in keiner Weise. Seiner guten Laune tut das jedoch keinen Abbruch und er fährt unbeeindruckt fort, während er sich wieder von mir löst: „ Nun denn junge Schönheit, vielleicht treffen wir uns ja noch einmal nach dem Empfang nicht wahr."
Der Lehrling schaut mich höchst abweisend an und eigentlich nur aus diesem Grund werfe ich Jarlaxle noch ein schnelles einladendes Lächeln zu, bevor ich meinen Blick wieder senke. Wann bekomme ich sonst schon die Gelegenheit mal einen Drow gefahrlos zu verärgern, selbst wenn es nur ein Lehrling ist? Und wirklich, er schaut gleich noch ein ganzes Stück griesgrämiger drein. Jarlaxle scheint positiv überrascht und zwinkert mir verschlagen zu, dann sind die beiden auch schon wieder weg und ich höre nur noch das Geräusch der Stiefel das langsam in der Distanz verklingt.
Wunderbar, als ob mein Leben nicht schon kompliziert genug wäre, aber nein jetzt muss ich auch noch den Botenjungen für diesen komischen Kerl spielen, bei dem ich noch immer nicht weiß was ich überhaupt von ihm halten soll. Sobald ich sicher bin, dass sie wirklich weg sind klaube ich ein penibel auf minimale Größe gefaltetes Stück Pergament aus meinem Kragen. Das war es also was er mir zugesteckt hat. Schnell stopfe ich es in meine Tasche ohne einen einzigen Blick darauf zu werden. Mit dieser Angelegenheit will ich so wenig wie möglich zu tun haben. Rasch kehre ich zurück zu meinem Meister.
„Was hat er gesagt?" Will dieser auch gleich wissen, kaum das ich durch die Tür bin. Einen Moment verwirrt mich diese Frage, die Begegnung mit Meister Essal hatte ich schon fast wieder vergessen nachdem ich so unerwartet mit Jarlaxle konfrontiert worden bin, aber dieser Augenblick dauert nur kurz und schnell habe ich mich wieder gefangen.
„Er wird sehen was er tun kann Herr."
„Aha." Mein Meister scheint nur mäßig beeindruckt. „Nun ja das war wohl zu erwarten."
Er wendet sich wieder dem Manuskript zu, an dem er nun doch zu arbeiten scheint.
„Herr?"
Eine gehobene Augenbraue zeigt, dass das was ich zu sagen habe besser wichtig sein sollte. Ich strecke ihm das Pergament entgegen.
„Jarlaxle hat es mir zugesteckt Herr."
Die Braue hebt sich augenblicklich noch ein Stück höher.
„Dieser Sohn einer räudigen Spinne! Verdammt kann der mich nicht aus seinen verworrenen Spielchen heraushalten!"
Er nimmt das Pergament und liest, wobei sich sein Gesichtsausdruck kontinuierlich verfinstert. Kaum ist er am Ende der überraschend langen Nachricht angelangt versinkt er in angestrengtes Nachdenken. Ich stehe noch immer neben dem Schreibtisch und beginne mich langsam zu fragen wie lange er wohl so verharren wird.
Er beachtet mich überhaupt nicht und ich lasse meinen Blick ziellos über den großen unordentlichen Schreibtisch schweifen. Eines der Bücher die herumliegen trägt den verschnörkelt in den ledernen Einband eingebrannten Titel: „Die Kräuter des Waldes". Es lässt mich an Grün und Licht denken und daran wie ich früher selber losgeschickt wurde um gewisse Kräuter zu sammeln.
Auf einmal fühle ich mich wieder sehr einsam. Normalerweise gelingt es mir recht gut alles was mich an mein früheres Leben erinnert zu verdrängen, aber manchmal wird die Sehnsucht nach der damaligen Einfachheit und Geborgenheit einfach übermächtig. Im Geiste höre ich wieder das helle Lachen meiner Nichte und sehe wie sie mit kindlich überschwänglichem Eifer in den Wald stürmt um einem besonders hübschen Vogel zu folgen, meine Schwester… der Schmerz in meiner Brust hat nichts mit körperlicher Pein zu tun, dennoch muss ich mich in diesem Augenblick beherrschen um meine Arme dort zu lassen wo sie sind und sie nicht einfach um mich zu schlingen, verzweifelt mein Gesicht in den Händen zu bergen.
Ich muss mich irgendwie ablenken! Das alles ist unwiederbringlich vorbei und nichts kann sie je zurückbringen, aber ich schaffe es nicht wirklich die Bilderflut aufzuhalten die sich jetzt meiner bemächtigt. Warum gerade jetzt? Frage ich mich selbstquälerisch. Wieso nicht zu einem geeigneteren Zeitpunkt. Natürlich war mir klar, dass ich nicht ewig vor meiner Vergangenheit davon laufen kann, aber sie unter allem anderen tief zu begraben hat mir zumindest vorrübergehend ein wenig Ruhe vor den quälenden Gefühlen, dem Zweifel und den Seelischen Schmerzen gegeben. Anscheinend hat mein Geist diesen aller ungünstigen Augenblicke gewählt um mich wieder damit zu konfrontieren. Alles was ich so lange versucht habe zu vergessen drängt nun wieder auf mich ein, wahllos vermischt mit den in den letzten Wochen erlebten Grausamkeiten. Ich kann meinen eigenen Gedanken nicht entkommen. Es ist zu viel! Wie soll ich das aushalten? Ich muss hier weg, schießt es mir durch den Kopf, aber ich kann nicht…
Ein leises, klägliches Wimmern reißt mich wieder ein Stück weit zurück in die Gegenwart. War ich das? Mein Meister unwillkürlich aus seinem Gedankengang gerissen schaut ärgerlich auf.
„Meister!" Ich höre überdeutlich den panisch-hysterischen Ton meiner Stimme. „Meister Bitte!" Er scheint nicht einmal sonderlich überrascht, vielleicht weiß er sogar besser als ich worum ich überhaupt bitte. Die kurze, federleichte Berührung seines Geistes nehme ich in meinem überreizten Zustand in seltsamer Klarheit wahr, fast wie einen körperlichen Kontakt.
„Was bitte?"
Will er dennoch gleich darauf wissen. Scheinbar wird er nicht ganz schlau aus meinem inneren Auffuhr.
„M-meister, ich kann… kann nicht…" als wäre ein Damm gebrochen schaffe ich es nun nicht einmal mehr aufrecht stehen zu bleiben, sondern sinke bereits schluchzend zu Boden. Er schaut abwartend zu.
„Ich kann nicht… ich…" Jetzt hat er offenbar genug greift beide Schultern und fängt an mich zu schütteln.
„Was!?" Zischt er.
„…nicht vergessen!" heule ich. „Bitte helft mir vergessen Herr!"
Das letzte was ich von ihm höre ist ein wütendes Knurren und dann stehe ich in Flammen. Es ist schrecklicher als alles andere was ich bis jetzt durch das Halsband erfahren habe. Mein eigener Schrei gellt mir in den Ohren, aber ein Teil von mir begrüßt diese Tortur. Endlich muss ich nicht mehr denken, der Schmerz beherrscht alles. Und verdiene ich es nicht? Schließlich versuche ich alle zu vergessen die mich je geliebt, mir bedingungslos vertraut haben. Ich habe sie verraten, ihr Andenken, ihr Leben. Es gibt niemanden außer mir der sich noch an sie erinnert und ich tue mein Bestes diese Erinnerung auszulöschen, ist es nicht als würde ich sie ein weiteres Mal töten? Dafür verdiene ich mehr als nur Schmerzen.
Undeutlich nehme ich wahr dass er auf meinem Brustkorb sitzt und mich zu Boden drückt. Es ist egal. In diesem Zustand würde es mich auch nicht kümmern wenn ich die halbe Einrichtung zertrümmerte. Das Gefühl meine Haut würde mir Zentimeterweise abgezogen überlagert zeitweise alles andere. Irgendwann erlahmt meine Kraft und mein Widerstand lässt nach. Meine Stimme ist schon fast nicht mehr da und mein Hals schmerzt vom langen Schreien, da sind auf einmal alle Schmerzen weg. Verschwommen sehe ich durch einen Tränenschleier wie mein Meister mir forschend in die Augen blickt.
„Danke." Röchle ich noch bevor ich schließlich doch ohnmächtig werde.
Ich weiß nicht genau wie viel Zeit vergangen ist als ich wieder erwache. Ich liege noch immer neben dem Schreibtisch auf dem Boden, mir ist kalt und mein ganzer Körper fühlt sich völlig zerschlagen an, weswegen ich entscheide vorerst keine überflüssigen Bewegungen zu machen. Die Panik von vorher ist wieder einigermaßen unter Kontrolle und ich versuche mich langsam an den Gedanken zu gewöhnen, dass ich irgendwann aufstehen muss. Leise Schritte nähern sich mir aus Richtung Schlafzimmer.
„Endlich erwacht."
Es ist keine Frage.
„Ja Herr."
Ich erschrecke ein wenig als ich das heisere Flüstern höre welches im Moment meine Stimme ist und versuche mich aufzusetzen. Es scheint langsam zur schlechten Gewohnheit zu werden mich hier vom Boden pellen zu müssen. Gerade habe ich mich zu einer einigermaßen aufrechten Position hochgearbeitet und lehne erschöpft mit dem Rücken an einem Tischbein, da hält mein Meister mir einen Becher vor die Nase.
„Trink das."
Ich ergreife das Gefäß mit beiden Händen um es nicht gleich wieder fallen zu lassen und schaue, während ich langsam trinke, vorsichtig zu ihm auf um herauszufinden ob er wohl sehr verärgert ist über diesen Zwischenfall. Er fängt meinen Blick auf und sagt: „Das nächste mal such dir gefälligst einen günstigeren Zeitpunkt für einen Zusammenbruch aus. Ich habe keine Lust mich damit herumzuärgern wenn eigentlich wichtigere Dinge zu tun sind."
„Ja Herr. Es tut mir leid Herr."
Schuldbewusst senke ich den Blick. Doch trotz seiner ärgerlichen Worte habe ich den Eindruck, dass er gar nicht so unzufrieden ist mit der Situation. Wieso sollte er auch, denke ich bitter. Ich habe ihn ja praktisch angebettelt mir Schmerzen zuzufügen und meine Abhängigkeit von ihm damit nur noch vergrößert. Er ist im Moment der einzige der mich vor mir selbst retten kann. Sonst interessiert sich ja auch niemand dafür wie es mir geht. Das Gefühl meiner eigenen Unwichtigkeit überwältigt mich für eine Sekunde fast und aus einem verzweifelten Bedürfnis nach Zuwendung und Trost heraus wünsche ich mir beinahe er würde mich jetzt in sein Bett beordern, wo ich wenigstens körperliche Nähe erfahren könnte. Ich bin so unglücklich wie schon lange nicht mehr.
Der Becher muss einen Heiltrank enthalten, denn schon bald kann ich spüren wie ich wieder etwas kräftiger werde und obwohl ich am liebsten zusammengerollt hier auf dem Boden liegen geblieben wäre stehe ich nun vollends auf.
„Geh dich waschen Häschen. Schließlich sollt du ja heute präsentabel sein auf dem Empfang."
„Wie ihr wünscht Herr."
Mit nur noch leicht schwankenden Schritten begebe ich mich zur Wanne. Das warme, duftende Wasser ist wunderbar entspannend und wenn ich mich stark genug konzentriere schaffe ich es für kurze Zeit alle anderen Gedanken auszuschließen und meinen Geist nur auf dieses Gefühl der Ruhe zu richten.
Auf einem Stuhl finde ich die Kleidung, die offenbar in der Zwischenzeit gebracht worden sein muss. Es ist nicht ganz so schlimm wie ich erwartet hatte. Die schlichte, rotweinfarbene Tunika die dort liegt, ist zwar extrem kurz und an den Seiten und den Schultern wird sie nur durch Verschnürungen zusammengehalten, so dass fast handbreite Lücken dort klaffen, aber wenigstens bedeckt sie das Wichtigste und ist nicht auch noch durchsichtig. Ich habe keine Ahnung wie diese Schneider an meine Maße gekommen sind, aber sie sitzt perfekt und passt sich jeder meiner Bewegungen an wie eine zweite Haut. Dazu kommt ein Paar zierlicher Sandalen, die bis zu den Knien hochgeschnürt werden. Beides ist mit dezenten silbernen Ornamenten verziert, die wahrscheinlich glitzern werden, sollte es bei diesem Empfang Kerzenlicht geben.
Ich wage es noch immer nicht in den Spiegel zu schauen und begebe mich deshalb etwas unsicher wieder zurück zu meinem Meister. Er stockt kurz als er mich sieht, grinst anzüglich und sagt dann: „Zieh dir noch etwas drüber Häschen, sonst lenkst du mich zu sehr ab." Bevor er sich wieder diesem Manuskript widmet.
Erleichtert dass er zufrieden ist wende ich mich gerade ab um eine Decke zu holen, da wird mir klar, dass ich mich vielleicht nur ein wenig anbieten müsste um doch noch ein wenig Aufmerksamkeit zu bekommen. Ist es das was ich will? Brauche ich ihn schon so sehr? Die Einsamkeit nagt an meinem Geist mir ist klar, dass diese unvollkommene Erfüllung meiner Bedürfnisse das einzige ist was ich erwarten kann, das einzige ist was mich ablenken kann außer den Schmerzen und die möchte ich so bald nicht wieder ertragen müssen.
Noch unentschlossen kehre ich schließlich, eingewickelt in die Decke, zurück und knie mich mit gesenktem Kopf neben ihn, ohne das er meine Rückkehr überhaupt zur Kenntnis nimmt. Eine Weile starre ich nur blicklos vor mich hin und versuche meinen Gedanken Herr zu werden, die sich immer nur im Kreis zu drehen scheinen. Es gelingt mir nicht wirklich und irgendwann gebe ich mit einem innerlichen Seufzer auf und beginne damit langsam, Millimeter für Millimeter die Decke von meiner Schulter rutschen zu lassen, während ich hoffe dass es wie zufällig aussieht.
„Was tust du da?" Fragt er nach einigen Minuten und ich kann den milden Spott in seiner Stimme kaum überhören. Schuldbewusst beiße ich mir auf die Lippe.
„Nichts Herr." Sage ich leise, meine Stimme immer noch heiser, aber es ist zu spät. Er hat sich bereits erhoben und steht nun dicht hinter mir.
„Glaube bloß nicht du könntest mich manipulieren Sklave." Sagt er gefährlich leise und zieht mich nun hart an den Haaren hoch, so dass ich ihm ins Gesicht schauen muss. Was ich dort sehe jagt mir auf der Stelle wahnsinnige Angst ein. Verachtung und kalte Wut sind deutlich zu erkennen und ich bedaure bereits sehr eine so dumme Idee gehabt zu haben.
„Um das zu schaffen musst du noch sehr viel lernen, aber ich warne dich. Noch ein derartiger Versuch wird dir schlecht bekommen. Wie würde es dir gefallen taub, blind und gefesselt tagelang in einer winzigen Kammer eingesperrt zu sein? Deinen Schuldgefühlen hilflos ausgeliefert ohne Nahrung, ohne Wasser."
Entsetzt erblasse ich und starre ihn nur aus großen, scheckgeweiteten Augen an.
„Du kannst froh sein das ich heute besseres zu tun habe als noch einen weiteren Heiltrank an dich zu verschwenden." Faucht er, lässt mich schließlich los und begibt sich wieder an die Arbeit. Voller Angst ziehe ich die Decke dicht um mich und wage es für die nächsten beiden Stunden nicht mich auch nur einen einzigen Zentimeter zu bewegen.
Als es dann an der Türe klopft fahre ich erschrocken zusammen. Der Diener der daraufhin eintritt ist beladen mit einer Vielzahl an Tiegeln, Pinseln und Kämmen und hat, wie ich bald feststelle, die Aufgabe sich um unsere äußere Erscheinung zu kümmern. Mechanisch gehorche ich allen seinen Anweisungen und lasse das herrische Gepinsele und Gekämme still über mich ergehen. Der Schock von vorhin sitzt mir noch immer in den Knochen. So sehr, dass ich sogar abwesend in den Spiegel schaue ohne wirklich irgendetwas wahrzunehmen und völlig vergesse wie sehr ich mich eigentlich davor fürchte. Nachdem der quirlige Mann fertig ist, sind meine Augen von eleganten schwarzen Linien umrahmt und meine Haare glitzern, weil er mich mit irgendeinem seltsamen Pulver eingestäubt hat. Den tieferen Sinn des Restes der umfangreichen Vorbereitungen bekomme ich nicht so ganz mit, denn ich bin zufrieden die Ereignisse fürs Erste einfach an mir vorbei rauschen zu lassen.
Mein Meister steht seine eigene, noch viel längere Behandlung mit bemerkenswerter Geduld durch und ich muss zugeben, dass er hinterher wirklich atemberaubend aussieht. Sein natürliches gutes Aussehen wird auf unaufdringliche Weise sehr vorteilhaft unterstrichen, was gut zu der schlichten aber eleganten schwarzen Robe passt, die er für diesen Anlass ausgesucht hat. Ebenso wie meine eigene Ausstattung ist sie mit feinen Silberfäden durchwirkt.
Ein letzter kritisch prüfender Blick und der Diener ist entlassen. Ich frage mich ob er heute auch noch zu den anderen Gästen gerufen werden wird, die zum Empfang geladen sind.
