Disclaimer: Drow, Gottheiten und Setting zum xten mal immer noch nicht meine.
A/N: So. Demnächst muss ich von der Uni aus auf einige Exkursionen fahren und werde nicht sonderlich viel zu Hause sein. Mit dem nächsten Kap könnte es also etwas länger dauern.
An infallible method of conciliating a tiger is to allow oneself to be devoured.
Konrad Adenauer (1876-1967) German politician
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Mord am Morgen
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Ich habe kaum Zeit mich kurz nach der geheimnisvollen Person umzuschauen, da sehe ich bereits meinen Meister an der nächsten Straßenecke stehen.
„Wir gehen ins Badehaus." Verkündet er knapp sobald er mich erspäht hat und ist schon drei Schritte die Straße hinunter bevor ich auch nur ansatzweise bei ihm angelangt bin. Hastig verlängere ich meine Schritte um ihn einzuholen. Die Aussicht auf ein Bad ist zwar sehr verlockend, aber ich möchte eigentlich nicht unbedingt den ganzen Weg bis zu den Badehäusern rennen, weil ich größere Schwierigkeiten habe als er wenn es darum geht sich in dem Gedränge auf der Straße einen Weg zu bahnen und ich den Anschluss zu ihm verliere. Nachdem ich endlich in der üblichen Distanz von ungefähr drei Schritten hinter ihm bin sind wir zu weit weg um noch weiter Ausschau nach irgendwelchen Fremden zu halten. Wahrscheinlich war es niemand der etwas mit uns zu tun hatte, versuche ich mich abzulenken, aber ein schwaches, hartnäckiges Gefühl der Beunruhigung bleibt dennoch zurück.
Das wir wegen einem Bad zum wiederholten mal durch die halbe Stadt laufen, lässt mich annehmen dass mein Meister mehr im Sinn hat als nur simple Reinigung. Die hätte er auch im Haus von Menar bekommen können, wenn dessen einigermaßen annehmbarer Reinlichkeitszustand als Hinweis auf vorhandene Einrichtungen gewertet werden kann. Offensichtlich weiß mein Herr sehr genau wie er sich in dieser Stadt zurechtfindet. Ob er schon einmal hier gewesen ist, bevor er Aufträge des Rates erfüllen musste? Wieder einmal wird mir klar wie wenig ich eigentlich über ihn weiß, selbst nachdem ich nun monatelang praktisch Tag und Nacht an seiner Seite verbracht habe.
Ich bin froh als wir nach einiger Zeit endlich in Sichtweite eines großzügig angelegten Gebäudes kommen, über dessen Türe ein Schild hängt, dass es eindeutig als unser angestrebtes Ziel ausweist. Meine Schultern fangen bereits an zu schmerzen von dem Gewicht der eilig gepackten Tasche. In meiner Hast und der Sorge etwas zu vergessen war ich gründlicher als nötig und habe bestimmt einiges zu viel eingesteckt.
Neben der Türe stehen zwei massige, mit eleganten Lanzen und zwei weniger dekorativen, aber dafür praktischen Schwertern bewaffnete Männer. Sie bewegen sich keinen Zentimeter als mein Meister mit gewohnter Arroganz an ihnen vorbeirauscht und sich am Empfang aufbaut. Ein wenig überrascht bin ich allerdings schon, als der gepflegte, junge Mann hinter dem Tresen aus samtig glänzendem Rosenholz sogleich dienstbeflissen fragt, ob er den üblichen Raum herrichten und jemanden Namens Eilan holen lassen soll.
„Den Raum wie immer," entgegnet mein Herr kühl „aber einen Sklaven habe ich heute selber mitgebracht."
„Wie ihr wünscht."
Mit einer, für meine Augen, ungewohnt knapp ausfallenden Verbeugung geleitet uns der Mann zu einem Tisch, wo wir offenbar bei einer kleinen Erfrischung auf die Fertigstellung des verlangten Raumes warten werden. Ich kann mir leider nur zu genau denken wer dieser Eilan ist, dessen Dienste der Angestellte so eilfertig angeboten hat und zu meinem Leidwesen ruft die Vorstellung einen heftigen Stich der Eifersucht in mir hervor. Ich versuche zwar es zu verbergen, weiß aber genau, dass mein Herr in diesem Fall nicht einmal unsere Verbindung anstrengen musste um bescheid zu wissen, denn der böse Blick, den ich dem unwissenden Mann hinterherwerfe sobald er uns den Rücken zukehrt, hat mich sofort verraten. Am liebsten würde ich mich abwenden und in einer Ecke verkriechen um nicht das befriedigte Grinsen meines Herrn sehen zu müssen, aber ich weiß natürlich dass eine solche Unaufmerksamkeit ihn nur verärgern würde. So sehr ich ihn brauche und mich gleichzeitig dafür hasse, er ist doch mein Herr und ich bin dafür zuständig mich um ihn und seine Bedürfnisse zu kümmern, nicht irgendein dahergelaufener Mensch in einem zweitklassigen Badehaus!
Den Rest der erstaunlich kurzen Wartezeit verbringe ich mit dunklen Gedanken und einem überaus amüsierten Meister, der meinen Zwiespalt sehr zu genießen scheint, während ich diese pompöse Halle samt sprudelndem Springbrunnen und den ganzen teuren Marmor, den der Architekt dieses Gebäudes wohl von Herzen lieben muss, zu den neun Höllen wünsche.
Das Zimmer, zu dem wir schließlich von einer überaus hübschen, aber glücklicherweise größtenteils stummen Dienerin geleitet werden, ist ebenfalls großzügig angelegt und nur spärlich beleuchtet. Eine Maßnahme die den empfindlichen Drowaugen sehr entgegenkommt und gleichzeitig durch geschickte Platzierung der Lichtquellen das bereits eingelassene, duftende Bad in der riesigen, fast schon teichartigen Vertiefung in der Mitte des großen Raumes noch besser zur Geltung bringt.
„Sehr gut." Murmelt mein Herr, hauptsächlich zu sich selbst und schnuppert genießerisch, was mir die nötige Zeit gibt um unsere Kleider schnell auf einem leeren Regal zu platzieren, bevor ich mich auf sein leichtes Kopfnicken hin daran mache ihn zu entkleiden. Dass er jedoch gleichzeitig damit beginnt auch meine Kleidung abzustreifen überrascht mich völlig. Normalerweise ist dies ebenfalls meine Aufgabe. Noch verunsicherter bin ich als er mir befiehlt zuerst in die Wanne zu steigen und dann langsam um den Rand und damit auch um mich herumschleicht wie eine Katze um die Maus. Erst als er schließlich sagt: „Menar scheint unerwartet rücksichtsvoll zu dir gewesen zu sein Häschen." Kann ich endlich vermuten was der Grund für dieses seltsame Benehmen ist.
„Er war sehr leicht zufriedenzustellen Herr." Wiederhole ich die Erklärung, die ich bereits Meister Essal gegeben habe, diesmal ohne zu stocken.
„Sehr leicht?"
„Er... er hat mich kaum berührt Herr." Sage ich sehr leise und senke beschämt den Kopf, eine ähnliche Reaktion wie die des anderen Meisters fürchtend. Als jedoch alles was folgt eine auffordernde Handbewegung ist, gebe ich eine Kurzfassung der Ereignisse, schließend mit einem recht unsicheren, kläglichen: „...und dann schickte er mich weg Herr."
Während der endlosen Sekunden der Stille die nun folgen warte ich angespannt auf seine Reaktion. Das er nichts sagt macht mich unruhig und als ich an den leichten Bewegungen des Wassers erkenne, dass er hinter mir inn die Wanne geglitten ist, muss ich hart darum kämpfen auch weiterhin völlig still zu stehen.
„Wo hat er dich berührt?"
Zwei dunkle Arme schlingen sich langsam um meine Mitte und die Gänsehaut die folgt lässt meine Nasenflügel beben. Ich bin und hergerissen zwischen dem Wunsch mich einfach an den warmen Körper hinter mir zu lehnen und einer ungewissen Anspannung, weil ich noch nicht genau erahnen kann wohin diese Befragung führen wird.
„Meinen Rücken Herr." Flüstere ich nun fast, unvorbereitet auf das plötzliche Gefühl eines weichen, nassen Schwammes der als nächstes über meine Schulterblätter gleitet und von dort mit langsamen methodischen Bewegungen weiter nach unten wandert. Er wäscht den Menschen von mir ab, schießt es mir auf einmal durch den Kopf. Der Gedanke ist gleichzeitig erniedrigend und erleichternd. Einerseits bin ich froh den letzten Rest dieses Geruches loszuwerden, der hartnäckig an mir zu kleben scheint, aber andererseits schmerzt es mich auch dass ich nach dem Kontakt mit Menar ganz offensichtlich als beschmutzt angesehen werde. Hätte ich eine Wahl gehabt wäre ich niemals freiwillig zu ihm gegangen. Bevor ich es unterdrücken kann ist mir ein kaum hörbarer Seufzer entschlüpft. Kaum hörbar heißt bei meinem Meister leider dass er ihn auf jeden Fall wahrgenommen hat. Unbewusst verspanne ich mich bei diesem Gedanken.
„Traurig weil du mich zwingst dich zu bestrafen Häschen?" Fragt er spöttisch. Ich starre stumm auf die dunkelroten Rosenblätter die vor mir im heißen Wasser schwimmen. Leicht beunruhigt von dem schwachen Gefühl des Trotzes das dabei in mir aufsteigt. Ich weiß ich sollte solche Gefühle nicht haben, aber es ist so schwer sie zu unterdrücken.
„Hättest du mir eine andere Wahl gelassen wäre es nicht so geschehen." Stellt er dann überaschend ernsthaft fest. „Eigentlich bist zu viel zu schade für so ein ungehobeltes Schwein."
Mir steht fast der Mund offen vor Staunen. So nah an etwas das auch nur entfernt einer Entschuldigung gleicht ist er bisher niemals gekommen! Bevor ich mich von diesem Schock erholt habe, dreht er mich bereits herum und küsst mich besitzergreifend. Unfähig mich in diesem Moment mit einer derart ungewöhnlichen Äußerung auseinanderzusetzen flüchte ich mich in die bekannte Routine des Sex und verdränge das eben gesagte.
Als wir zu unserer Unterkunft zurückkehren ist es bereits früher Mittag und zum ersten Mal seit längerer Zeit bekomme ich wieder die volle Kraft der Sonne zu spüren. Genießen kann ich es allerdings nicht wirklich, denn aufrgund der Wärme und den beengten Verhältnissen in dieser Stadt, die eine adäquate Abfallentsorgung offenbar nicht zulassen, ruft die zunehmende Hitze auch eine Geruchsentwicklung hervor, die mich angewidert die Nase kräuseln lässt. Was zuvor noch erträgliche Ausdünstungen waren entwickelt sich durch die günstige Wetterlage zu einem ausgewachsenen Gestank. Ich vermeide es zwar genauer hinzuschauen, aber ich bin mir sicher, täte ich es würde ich auch unzählige Ratten ausmachen können, die zwischen den Haufen aus Unrat herumkriechen, die sich überall auftürmen.
Ausnahmsweise ist mein Meister davon völlig unbeeindruckt. Wie es aussieht hat unser Bad seine Laune so sehr verbessert, dass er über solche Kleinigkeiten hinwegsehen kann. Ich wünschte das wäre auch bei mir der Fall. Tagsüber ist das Gedränge sogar noch größer und meine Zehen beginnen zu schmerzen nachdem mir zum dritten mal ein grobschlächtiger Mensch auf die Füße getreten ist. Meine generell schon vorhandene Abneigung gegen große Ansammlungen von Leuten verstärkt sich nur noch und ich bin unglaublich erleichtert als endlich das große Haus aus roten Ziegeln in Sichtweite kommt. Die dicht gedrängte Masse von Lebewesen erweckt in mir den Wunsch weit weg zu rennen und die Gewissheit dass ich ihr nicht wirklich entkommen kann verstärkt dieses Gefühl nur noch.
Gerade als die Erleichterung darüber in mir aufsteigt bald wieder in einer angenehm leeren Umgebung zu sein, werde ich auf einmal besonders heftig angerempelt und muss plötzlich darum kämpfen überhaupt auf den Beinen zu bleiben. Als ich meine Balance soweit zurückerlangt habe, dass ich mich umschauen kann um zu sehen wer es war der mich da beinahe von den Füßen gerissen hat, sehe ich nur noch die Rückseite eines schwarzen Kapuzenmantels wie ihn die Drowsoldner tragen, unter dessen Kapuze eine einzelne Strähne silbrig weißen Haares hervorblitzt.
Missmutig fasse ich die Tasche, in der nun unsere schmutzige Kleidung ist, fester und beeile mich meinen Meister wieder einzuholen. Normalerweise beschränken die Soldaten sich eher auf verbale Angriffe wenn mein Herr in der Nähe ist, aber in der praktischen Anonymität der Masse ist scheinbar das Wagnis nicht so groß ihrer Feindseligkeit auch auf andere Weise Luft zu machen. Wenigstens ist dieser Soldat allein gewesen, stelle ich nach einer hastigen Kontrolle meiner näheren Umgebung fest, bei der ich zum Glück bis auf meinen Meister nur noch Menschen und einen einzelnen Zwerg entdecke.
Ich versuche ein weiteres Mal einen besseren Halt der Tasche zu bekommen und gleichzeitig weiter zu gehen, muss aber feststellen, dass irgendetwas hartes unangenehm auf meinen Oberschenkel drückt. Mit zusammengebissenen Zähnen ertrage ich dieses störende Ding bis mein Meister endlich am Eingang des Hauses innehält und mir damit Zeit gibt nachzufühlen was sich da gerade so ungünstig positioniert hat. Zu meiner Überraschung muss ich bemerken, dass es keinesfalls etwas in unserem Gepäck, sondern ein Klumpen in meiner eigenen Hosentasche war der mir solche Probleme bereitet hat. Bevor ich jedoch dazu komme ihn herauszuholen hat sich die Tür geöffnet und mein Meister tritt ein.
Nachdem er zügig die Treppe hinaufgegangen ist hält er oben auf einmal mitten im Schritt inne und streckt einen Arm aus, in den ich prompt hineinrenne. Der plötzlich so angespannte Ausdruck auf seinem Gesicht jagt mir einen Schrecken ein und lässt mich nur stumm zurückstarren.
Jemand ist im Zimmer.
Ertönt seine Stimme in meinem Kopf.
Gib mir die Tasche und geh vor. Falls du angegriffen wirst schlag zurück.
Damit händigt er mir einen kleinen Kristall aus, dessen relativ simple Anwendung ich bereits vor einiger Zeit erlernt habe. Auf ein bestimmtes Kommandowort hin entläd sich eine bedingt steuerbare Energiewelle, die einen Gegner im günstigstens Falle einige Meter zurückwirft.
Mit unvermittelt laut klopfendem Herzen nicke ich und befolge die beunruhigenden Befehle. Irgendwie hatte ich nicht erwartet, dass der Warnspruch den mein Meister auf die Zimmertür gelegt hat tatsächlich einmal zum Einsatz kommen würde. Dass dies jetzt offensichtlich doch der Fall ist lässt mich an der Harmlosigkeit des Unbekannten in der Gasse zweifeln. Zu meinem Glück ist mein Herr zu beschäftigt um diese Gedanken mitzubekommen, da alle seine Sinne in diesem Moment auf die potentielle Bedrohung gerichtet sind.
Mit meiner Rolle als lebender Schutzschild bin ich nach wie vor nicht sehr glücklich, aber natürlich bleibt mir kaum eine andere Wahl. Lieber nehme ich die unbekannte Gefahr vor mir in kauf als den sicheren Zorn meines Herrn, der mich bei ein Verweigerung treffen würde!
Mit feuchter Hand umklammere ich den kleinen durchsichtigen Kristall und versenke ihn vorerst in meiner Tasche. Die pulsierende Energie, die ich darin fühle beruhigt mich ein wenig. Sie gibt mir die Gewissheit mich wenigstens ein bisschen verteidigen zu können. Trotzdem geht mein Atem schneller als ich auf die Tür zutrete und noch während ich die Klinke herunterdrücke das Kommandowort für den Energiezauber stumm in den Vordergrund meines Bewusstseins rufe.
Bevor ich allerdings auch nur eine einzige Silbe über die Lippen bringe werde ich grob am Kragen gepackt und durch die kaum geöffnete Tür gezerrt. Nur eine Sekunde später setzt mir jemand von hinten einen Dolch an die Kehle. Kurz erstarre ich voller Entsetzen, aber sobald ich den Körper des anderen hinter mir spüre reagiere ich halb aus instinktiver Gewohnheit, halb aus einer verrückten Hoffnung heraus ihn damit abzulenken und presse mich gegen meinen Angreifer, genau gegen die richtigen Stellen reibend.
Ein überraschtes Zischen ist mein Lohn. Für Sekundenbruchteile ist er wirklich überrumpelt und der gefährliche Druck auf meine Arterie lässt nach. Diese Zeit reicht mir um den Arm so weit wegzudrücken, dass ich mich in seinem Griff halb umdrehen kann und dann mit einem einzigen Wort aus nächster Nähe die Energie des Kristalls zu entfesseln, woraufhin wir beide auseinander geschleudert werden. Er jedoch mit sehr viel mehr Wucht als ich.
Mit einem dumpfen Geräusch prallt der Eindringling an die Wand. Leider aufgrund der kurzen Entfernung zu dem Hinderniss nicht hart genug als das er dabei das Bewusstsein verlieren würde, aber der Aufprall reicht um ihm für kurze Zeit die Luft aus der Lunge zu treiben und die Kapuze des dunkelbraunen Mantels von seinem Kopf gleiten zu lassen.
Entsetzt starre ich in grüne Augen. Ethin! Ist mein erster, geschockter Gedanke, doch gleich darauf fallen mir kleine Unterschiede auf. Die Frisur stimmt nicht. Ethins Haare sind zwar ebenfalls blond, aber sehr viel kürzer und die Statur meines Gegenübers ist auch ein wenig zu muskulös um zu dem Sklaven zu gehören den ich kenne. Außerdem fehlt dieser Wahnsinn, der Ethin wie ein Schatten anzuhaften scheint und in stetiger Angriffslust aus seinen Augen glitzert.
Der seltsame Doppelgänger schnappt heftig nach Luft, starrt mich dabei durchdringend an, entscheidet dann jedoch nach einem Blick über meine Schulter auf einmal sein Heil in der Flucht zu suchen und hechtet mit wenigen Sätzen quer durch den Raum und aus dem dafür eigentlich viel zu klein scheinenden Fenster. Zu verwirrt um ihm zu folgen starre ich lediglich auf die kleine Öffnung und versuche meiner wild wirbelnden Gedanken wieder Herr zu werden. Das muss der mysteriöse Zwillingsbruder gewesen sein. Elavelynral, Ainwes Kommandant. Aber was um alles in der Welt tut er bloß hier? Hat er vielleicht geglaubt seinen Bruder hier vorzufinden und ihn befreien zu können?
An der Türe kann ich jetzt meinen Meister laut und herzhaft fluchen hören. Er muss durch sein plötzliches Erscheinen diese überstürzte Flucht des Attentäters verursacht haben. Denn dass ist es was dieser Eindringling war, wie mir bei dem Anblick des Bettes mit Meister Essals langsam auskühlender Leiche abrupt klar wird. Die große Lache glitzernden Blutes und das hässliche Loch das in seiner Kehle klafft lassen jede Spekulation überflüssig werden. Er ist ganz eindeutig tot. Der Namenlose liegt neben dem Bett auf dem Boden, aber im Gegensatz zu seinem Herrn hat er offenbar diesen Angriff überlebt und ist nur ohnmächtig. Jedenfalls atmet er noch und scheint keine größeren Wunden davongetragen zu haben.
Wie jemand es schaffen konnte Meister Essal so ohne jegliche Anzeichen von Gegenwehr zu ermorden wird mir wohl auf ewig ein Rätsel bleiben. Nichts im Raum scheint auch nur verschoben oder sonst irgendwie in Unordnung geraten zu sein. Mit noch immer zittrigen Knien gehe ich zu dem Namenlosen, während mein Meister knurrend einen Stasisspruch über die Beschehrung auf dem Bett spricht und sich anschickt, mittels einer schnell hervorgeholten Kristallkugel, den Rat von diesem Vorfall zu unterrichten. Er wirkt zwar äußerlich kaum überrascht, aber das kann auch täuschen. Möglicherweise weiß ja der andere Sklave mehr über die Geschehnisse dieses Morgens und kann Auskunft geben wenn ich ihn nur wach bekomme.
Vorsichtig stupse ich zunächst nur seine Schulter an. Das gestrige Erlebnis und sein Angriff sind mir noch zu gut in Erinnerung um mehr zu wagen. Keine Reaktion. Ich versuche es noch einmal, jetzt ein wenig stärker.
„Wach auf." Sage ich leise. Noch immer nichts.
„Evoe."
Ich schrecke auf.
„Herr?"
„Ich muss für ein paar Stunden fort. Sorge dafür dass hier nichts durcheinander kommt und warte auf mich."
„Ja Herr."
Damit greift er sich einen weiteren Zauberstab aus seinem Arsenal und stapft mit mürrischer Miene aus dem Zimmer. Ich war zwar zu beschäftigt um es mitzubekommen, aber wie es aussieht hat ihn der Rat zurück in die Stadt gerufen. Die Aussicht einige Stunden allein mit einer Leiche und einem Ohnmächtigen zu verbringen heitert mich keinesfalls auf, aber mir bleibt kaum eine andere Wahl. Seufzend nehme ich meine Bemühungen den Namenlosen zu wecken wieder auf, aber ohne großen Erfolg dabei zu haben. Irgendwann gebe ich auf und beschließe noch eine Weile zu warten bevor ich es wieder versuche.
Während der Gedanke daran, dass Essal tot ist mir eine gewisse Erleichterung beschert, tut der Anblick seiner Leiche das nicht unbedingt. Um ihn nicht länger ansehen zu müssen gehe ich ans Fenster und versuche mich abzulenken indem ich wieder einmal die Straße beobachte. Dabei fällt mir jedoch zwangläufig der Unbekannte wieder ein. Elavelynral kann es eigentlich nicht gewesen sein, denn soweit ich mich erinnere trug er im Gegensatz zu demjenigen den ich beobachtet habe kein Schwert. Es sei denn er hätte es irgendwo zurückgelassen, was jedoch kaum logisch wäre wenn man plant sich kurz darauf in eine Konfrontation mit einem gefährlichen Drowmagier zu begeben.
Der seltsame Klumpen in meiner Tasche drängt sich nun ebenfalls zurück in mein Bewusstsein. Neugierig hole ich ihn hervor. Ein Stück Pergament, dass jemand um einen kleinen Stein gewickelt hat. Bei diesem Anblick muss ich nun doch schlucken, denn ich nehme ziemlich sicher an dass dies eine Nachricht ist. Nach einem tiefen Atemzug, um mein plötzlich flatterndes Herz zu beruhigen, wickle ich vorsichtig den Bogen, der bei näherem Hinsehen jedoch eigentlich eher als Fetzen zu bezeichnen ist, ab und entfalte ihn.
E ist in der Stadt und wird wahrscheinlich angreifen. Er ist missinformiert und voller Hoffnung! Sie schicken den Menschen, aber niemand weiß genau wo er sich aufhält.
T
Eine Weile starre ich nur auf die elegant fließende Schrift. T wird höchstwahrscheinlich Tashja heißen, aber den Sinn ihrer Botschaft kann ich nicht eindeutig erschließen, auch wenn ich mir jetzt sicher bin, dass sie der Soldat war der mich so heftig angerempelt hat. Will sie mit dieser Nachricht ihren Vater warnen oder ihn darum bitten dafür zu sorgen, dass dem Zwilling nichts zustößt? Da sie mit den Sestrainie zusammenarbeitet schließe ich eher auf Letzteres. Bei dem Gedanken an das Risiko das sie und auch alle anderen Beteiligten eingehen, indem sie sich auch nur hier aufhalten, wird mir leicht schwindelig. Dieser ganze Aufwand für jemanden den ich selbst nur als gefährlichen Wahnsinnigen betrachten kann! Ehe ich mich versehe kollidieren meine Fingerknöchel voll blinder Wut scherzhaft mit der Wand. Der scharfe Schmerz bringt mich zwar abrupt wieder zurück ins Hier und Jetzt, vermindert jedoch meinen Zorn über die Ungerechtigkeit des Lebens nicht ein bißchen. Jemand wie Ethin hat es einfach nicht verdient dass sich andere für ihn opfern!
Wenigstens weiß ich nun wer die Gestalt unten in der Gasse war. Entreri trägt meines Wissens sowohl Schwert als auch Dolch und hätte einen sehr plausiblen Grund sich hier aufzuhalten, wenn er wirklich geschickt wurde um den eigensinnigen Elavelynral aufzuhalten. Ich nehme an er ist auch vetraut genug mit Magie um zu spüren wenn ihn Jemand auf diese Weise beobachtet.
Es frustriert mich, dass ich jetzt zwar die einzelnen Puzzleteile zusammensetzen kann, diese Erkenntnis jedoch um einiges zu spät gekommen ist. Zu spät um irgendeinen Einfluss auf die Ereignisse haben zu können. Eins ist klar, mein Meister wird keineswegs erfreut sein wenn er diese Nachricht erhält. Mit einem leisen Seufzen überlege ich, wie ich sie ihm geben könnte ohne dabei sofort seinen geballten Ärger abzubekommen, komme aber vorerst zu keinem befriedigendem Ergebnis.
Missmutig nehme ich meine Versuche den Namenlosen zu wecken wieder auf und gehe schließlich in einer letzten verzweifelten Maßnahme sogar so weit ihm einen Becher kaltes Wasser ins Gesicht zu schütten. Das scheint Wirkung zu zeigen wo alles Schütteln und Rufen versagt hat. Mit einem leisen Stöhnen schlägt der andere Elf die Augen auf.
„Was ist passiert?" Murmelt er verwaschen und fügt dann kläglich hinzu: „Mein Kopf tut so weh."
„Ethins Bruder war hier und hat deinen Meister getötet." Erkläre ich ohne auch nur den Versuch zu machen die Ereignisse irgendwie zubeschönigen oder abzumildern. Meine Geduld mit ihm ist nach dieser langwierigen Weckaktion am Ende.
„Ethins Bruder?" Fragt er nach einem Augenblick auf einmal misstrauisch nach. „Was weißt du darüber!"
Mit der Heftigkeit seiner Worte weckt er wiederum bei mir Misstrauen und deshalb frage ich nur bockig zurück: „Und was weißt du darüber?"
Unwillig weitere Informationen preiszugeben starren wir uns eine Weile nur stumm an, ohne dass sich einer überwinden kann seine Deckung aufzugeben.
„Seine Familie will ihn zurückholen." Bietet der Namenlose schließlich möglichst allgemein an, wonach ich eine angewiderte Grimasse nicht unterdrücken kann.
„Hast du ihn schon einmal gesehen?" Will ich schließlich wissen, woraufhin er leicht verunsichert den Kopf schüttelt.
„Die Reise hierher ist das erste Mal gewesen, dass ich die Räume des Herrn verlassen habe." Gibt er leise zu und ein leicht beschämter Ausdruck stielt sich auf sein Gesicht. „Dies alles ist so viel schwieriger gewesen als ich mir je hätte träumen lassen."
Wie bitte? Er hat damit gerechnet? Ist er etwa freiwillig in die Sklaverei gegangen, als Spion? Mich schaudert bei dem Gedanken. Wenn dem so sein sollte, dann übertrifft sein Wahnsinn sogar noch den von Ethin. Ich frage jedoch nicht nach. Auch wenn er wahnsinnig ist will ich ihn nicht unabsichtlich durch das Halsband verraten, weil ich zu viel weiß. Diese Chance besteht sowieso schon, allein durch meine Spekulationen.
„Nun ja." Sage ich böse und rücke ein wenig von ihm ab. „Falls sie ihn wirklich jemals befreien sollten werden sie kaum noch viel Freude an ihm haben."
Er schreckt aus seinen Gedanken auf.
„Wie meinst du das?"
„Schau mich an." Antworte ich mit einem Schulterzucken. „Oder besser, schau dich selbst an und was nur ein paar Monate unter den Drow bei uns bewirkt haben. Du glaubst doch wohl nicht, dass ein Jahrhundert in solchen Verhältnissen spurlos an ihm vorbeigegangen wäre?"
„Das kann nicht sein!" Begehrt er auf. „Ich habe ihn gekannt... früher. Er würde sich niemals brechen lassen!"
Diesmal breche ich in Gelächter aus, was sogar mich selbst ein wenig überrascht und einen besorgten Ausdruck auf das Gesicht des anderen Elfen zaubert.
„Gebrochen ist er vielleicht auch gar nicht unbedingt." Gebe ich zu als ich mich nach einer Weile wieder beruhigt habe. „Aber ziemlich verbogen und verdreht."
„Er wird geheilt werden." Beharrt mein Gegenüber mit fast schön wütender Intensität. Ich schätze er wird mir kaum Glauben schenken, bis er Ethin nicht selbst gesehen hat und vielleicht nicht mal dann. Wenn er einsehen müsste, dass sein Opfer und alles Leiden umsonst war würde das wohl einfach zu vieles von dem was er getan hat infrage stellen.
„Wie du meinst." Erkläre ich mit einem weiteren Schulterzucken. Schließlich ist es nicht an mir sein Leben noch mehr zu zerstören. „Trotzdem denke ich du solltest vielleicht so schnell wie möglich hier verschwinden."
Er schaut mich lediglich verstört an, bei diesem meiner Meinung nach durchaus logischen Vorschlag.
„Das kann ich nicht."
„Gut dann eben nicht." Gebe ich gereizt zurück. Wenn er sich der Gefahr einer Befragung unter Folter aussetzen will, meinetwegen. Es ist natürlich auch möglich dass sich niemand weiter darum kümmert, da mein Meister ohnehin gesehen hat um wen es sich bei dem Täter handelte, aber falls eines der Ratsmitglieder dennoch Lust verspürt sich mit ein wenig Quälerei die Zeit zu vertreiben wäre der Elf neben mir das perfekte Zielobjekt. Ohne selbst den zweifelhaften Schutz seines Meisters ist er völlig wehrlos, vor allem nachdem er psychisch wahrscheinlich schon so sehr verkrüppelt wurde, dass er kaum noch den nötigen Willen besitzt sich ernsthaft zu verteidigen. Wenn seine Bindung zur Sestrainie Familie so weit geht, dass er für sie sterben würde, dann soll er das von mir aus tun. Er wird ja sehen was er davon hat.
Durch diese Zurschaustellung bedingungsloser Treue seltsam beunruhigt fange ich wieder einmal an aufzuräumen und verstaue die Dinge wieder im Schrank die ich zuvor so hektisch herausgeholt hatte, nachdem mein Meister mich zum Bad befahl. Ich verstehe die Gefühle nicht die hinter einer solchen Hingabe stehen und kann sein Handeln einfach nicht nachvollziehen. Er wird bereits jetzt für den Rest seines Lebens mit den Folgen der kurzen Zeit bei Meister Essal zu kämpfen haben, aber anstatt zu fliehen wenn er könnte bleibt er und riskiert den Tod. Irgendwann bin ich es einfach leid weiter zu grübeln, gebe endlich meiner Müdigkeit nach und rolle mich neben der Tür auf dem Boden zusammen um an diesem Tag wenigstens noch ein kleines bisschen Schlaf zu bekommen bevor mein Meister zurückkehrt und hier vielleicht doch noch die Hölle losbricht.
Als irgendwann nach einer, für mein Gefühl viel zu kurzen Zeit die Tür auffliegt und statt meinem eigenen Herrn Meister Geryn hereinstürmt, bin ich froh diesen Entschluss gefasst zu haben, denn seiner zornigen Miene nach zu schließen steht er kurz vor der Explosion. Diese gerade erst angebrochene Nacht verspricht äußerst anstrengend zu werden.
Der andere Sklave muss ebenfalls eingeschlafen sein, denn als die Tür mit einem lauten Knall an die Wand kracht sehe ich aus dem Augenwinkel dass er, ähnlich wie ich, erschrocken hochschreckt. Wir beide sind, in der rein instintkiven Reaktion eines jeden Drowsklaven, bereits auf den Knien noch bevor wir überhaupt ansatzweise wach sind.
„Ssussun pholor ukta!" Flucht der Meister bei dem blutigen Anblick, was soviel heißt wie: Licht über ihn. Ob er damit den Mörder oder den gerade Verstorbenen meint bleibt jedoch vorerst dahingestellt. Es dauert allerdings nicht sehr lange bis er richtig anfängt zu schimpfen.
„Diese verdammte Made!" Wettert er und tritt wütend nach dem unschuldigen Bett. „Wenn ich ihn jemals in die Finger bekomme wird er um den Tod betteln! Widerlicher Ork verdammter! Was bildet der sich eigentlich ein? Hirnloser Sohn eines..."
Auf diese Weise geht es noch eine Weile weiter, während zuerst mein Herr und dann zu meiner übergroßen Freude auch Ethin in den Raum gehetzt kommen. Ersterer mit leicht entnervter Mimik. Wahrscheinlich langweilt ihn die ausdauernde Schimpftirade Meister Geryns, denn für ziellose Polemik hatte er noch nie besonders viel übrig.
Ein unmerkliches Zucken durchläuft den Namenlosen beim Anblick meines Lieblingsfeindes, doch zu meinem Leidwesen irgnoriert Ethin ihn völlig und sinkt stattdessen direkt neben mir auf die Knie kaum dass er das Zimmer betreten hat. Hier ist er gerade eben aus der unmittelbaren Reichweite seines Herrn entfernt, aber doch nah genug um nicht ungehorsam zu wirken. Wenn ich dessen momentane Stimmung bedenke kann ich seine Entscheidung sogar verstehen.
„Was ist passiert?" Zischt der Elf neben mir so leise, dass ich ihn über dem anhaltenden Gewüte seines Meisters fast nicht verstehen kann. Es scheint als hätte niemand es für nötig gehalten ihm gegenüber auch nur ein einziges erklärendes Wort über diese Angelegenheit zu verlieren. Eine Einstellung die mich längst nicht mehr überrascht.
„Dein Bruder hat ihn umgebracht." Antworte ich mit einem minutiösen Kopfnicken in Richtung der Leiche und versuche dabei es ihm gleich zu tun und die Lippen so wenig wie möglich zu bewegen. Der wenig erfreute Ausdruck der daraufhin über Ethins Züge huscht befriedigt mich ungemein, denn natürlich wird er nun anstelle seines Zwillings die ungebrochene Wut seines Meisters ertragen müssen und wir beide wissen ganz genau wie unangenehm das für ihn werden wird.
