Disclaimer: Ihr wisst schon: Nicht meine Drow und nicht meine Realms.


A/N: So. Das hier ist jetzt das Finale. Das letzte Kapitel. Kommt nicht nur für euch überraschend, aber ich finde es ist grad genau der richtige Zeitpunkt dafür. Sozusagen einmal der volle Kreislauf.

Danke an alle für die ganzen lieben Kommentare und das lange Durchhalten während ich im Schneckentempo stur immer weiter geschrieben habe:)

Irgendwie werde ich Evoe, Ethin, Shenjal und die ganzen anderen Charaktere vermissen. Immerhin haben sie mich jetzt etwa zweieinhalb Jahre stetig begleitet. Vielleicht packt es mich ja zwischen durch noch mal und ich lege einen kleinen One-shot hin:) Ansonsten bleibt mir nur noch der Epilog…


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Wieder am Anfang

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Ohne größere Schwierigkeiten gelange wir in den Raum, aus dem Ethin es für möglich hält zu Tisraen zu gelangen und es scheint ganz so als wäre seine Einschätzung auch korrekt gewesen, denn nachdem er geschickt hinabgeklettert ist höre ich eine ganze Weile erst einmal gar nichts mehr von ihm. Stumm aber nervös hocke ich in einer dunklen Ecke, damit meine Anwesenheit nicht zu offensichtlich ist sollte doch jemand zufällig hereinkommen, so unwahrscheinlich das auch sein mag. Ich versuche nicht daran zu denken, aber auf Dauer kann ich es nicht verhindern, dass meine Gedanken sich Tisraen zuwenden. Auch wenn ich ihn nicht angerührt habe, an seinem Tod werde ich ohne Zweifel mit schuldig sein. Bitterlich verfluche ich wieder einmal das verwunschene Messer, das uns beide in diese Lage gebracht hat. Wenn ich nur eine Möglichkeit hätte jenen Tag ungeschehen zu machen. Ich glaube ich würde fast alles dafür geben um nur endlich von diesem Fluch befreit zu sein!

Ein weiterer Grund zurück zu Meister Shenjal zu gehen, raunt mir meine lästige innere Stimme zu und auch als ich nutzlos beide Hände auf die Ohren presse und mich zusammenkrümme kann ich ihr nicht entkommen. Wieso wehre ich mich denn überhaupt noch? Frage ich mich bitter. Vielleicht sollte ich mich einfach dem Schicksal ergeben, nachdem meine eigene Schwäche mir heute wieder einmal so unbarmherzig offenbart wurde. Aber noch während ich dies denke schreit ein kleiner Rest meiner Seele auf vor ohnmächtiger Wut, bei dem Gedanken daran wieder hilflos ausgeliefert zu sein. Meine Wünsche zerren mich immer heftiger in zwei Richtungen gleichzeitig und schließlich glaube ich es kaum noch ertragen zu können.

Meine Zähne sind zusammengebissen und die Hände so fest zu Fäusten geballt, dass ich morgen blutige Male von meinen Fingernägeln in der Handfläche haben werde, aber der Schmerz lenkt mich noch immer nicht völlig ab. Am Ende ist es hauptsächlich aus dem verzweifelten Wunsch heraus meinen inneren Tumult zu beenden, dass ich schließlich doch den Entschluss fasse das Angebot meines Meisters anzunehmen und von hier fort zu gehen. Wie soll ich mir denn auch selbst noch in die Augen sehen, wenn ich nicht wenigstens versucht habe meine Lage zu verbessern? Ich weiß ich greife nach Strohhalmen, aber mehr bleibt mir nicht.

Mit der Entscheidung kommt eine Ruhe über mich, die geradezu unheimlich ist, aber ich wage nicht darüber nachzudenken wieso dem so sein könnte. Die winzige Hoffnung, vielleicht doch eine wirkliche Chance zu bekommen muss mir vorerst genügen. Lenwe eines Tages als vollwertiger Magier entgegentreten zu können und seine Worte so Lüge zu strafen, ist eine Möglichkeit die grimmige Befriedigung in mir weckt, so unwahrscheinlich sie realistisch gesehen auch sein mag. Aber vielleicht… wenn ich es richtig anstelle…

Ich bin immer noch dabei mich in dieser utopischen Vorstellung zu sonnen, als ein merklich gelassenerer Ethin zurück durch das schmale Fenster klettert, dass ich nach dem verabredeten Klopfsignal geöffnet habe. Das Mondlicht blinkt kurz über sein Handgelenk als er sorgsam die Vorhänge hinter sich zuzieht und enthüllt einen blutigen Kratzer. Ich weiß genau dass der nicht von mir stammt. Vielleicht steckt doch noch mehr Kampfgeist in Tisraen als ich angenommen hatte.

Das zufriedene Grinsen Ethins versichert mir jedoch nachdrücklicher als alle Worte, dass er bekommen hat was er brauchte. Und wie immer interessiert ihn nur das eigene Wohlergehen, denn Schuldgefühle offenbart er nicht im geringsten. Nicht dass ich selbst viel besser wäre, denke ich zynisch und schiebe meine Missbilligung mit einiger Anstrengung in eine dunkle Ecke meines Bewusstseins, während ich mich langsam in Richtung der Tür bewege. Wahrscheinlich habe ich gar nicht mehr das Recht solche Dinge überhaupt zu fühlen, nachdem ich dies praktisch selbst in Gang gesetzt habe.

Einen kurzen Augenblick später erstarre ich erschrocken denn Ethin ist überraschend auf mich zugesprungen und presst mich nun an die Wand, seine Hände flach an der seidenbespannten Wand neben meinem Kopf. Aus dem hektischen Glitzern seiner Augen schließe ich, dass er noch auf einer Art Adrenalin-hoch sein muss. Mir dagegen tun noch immer alle Glieder weh und nur wegen dem Gedanken an Lenwe bringe ich überhaupt die notwendige Entschlossenheit auf die Arme zu heben um ihn nachdrücklich weg zu stoßen.

„Lass mich!" Zische ich unterdrückt und bin froh, dass er mit einem breiten, bösartigen Grinsen wirklich einen winzigen Schritt zurück tritt. Gerade so weit dass ich mich mit viel Körperkontakt an ihm vorbei quetschen kann. Ohne mich noch einmal umzusehen schlüpfe ich aus dem Raum und schleiche zurück in mein Zimmer. Der Gedanke einen Schließzauber über die Tür zu sprechen scheint sehr verlockend, aber noch bevor ich mich wirklich dazu entschließen kann bin ich vor lauter Erschöpfung bereits eingeschlafen.

Ich weiß nicht genau was ihn dazu bewogen hat, aber Lenwe scheint es sich in den Kopf gesetzt zu haben mir von nun an möglichst oft zu erklären wie wertlos und unnütz ich bin und schreckt auch nicht davor zurück diesen Lektionen mit körperlicher Gewalt Nachdruck zu verleihen. Er ist sehr geschickt darin mir weh zu tun ohne dabei verräterische Spuren zu hinterlassen, aber noch mehr als der Schmerz an sich macht es mir zu schaffen wie er mich permanent seine Geringschätzung spüren lässt. Ich versuche mich dem zu verschließen, aber es ist schwer sich irgendeiner Art von Selbstwert zu versichern wenn ich, den Geschmack seines Samens noch im Mund, vor ihm knie und mich vor Schmerzen krümme, weil er nicht zufrieden war und mich in den Magen getreten hat.

Mittlerweile bin ich froh entschieden zu haben meinem Meister zu folgen. Er konnte zwar ebenso harsch in seinen Unmutsäußerungen sein, aber er hat mir nicht ständig das Gefühl gegeben nicht zumindest ein klein wenig nützlich zu sein und sei es nur für körperliche Dienste. Allein das Bewusstsein, dass er es für möglich hält mich zu einem richtigen Magier auszubilden lässt mich dieses ständige abwertende Verhalten Lenwes mit zusammengebissenen Zähnen aushalten ohne zu einem völligen Wrack zu werden. Allerdings muss ich noch einige quälend langsam verstreichende Wochen abwarten bis ich überhaupt die Gelegenheit bekomme ihm meine Zustimmung mitzuteilen.

Einerseits ist diese Zeit günstig, da ich Gelegenheit bekomme Pläne zu schmieden und nötige Informationen zu beschaffen, aber je länger ich nichts von ihm höre desto unsicherer werde ich auch. Was wenn er nun entschieden hat dass sich die ganze Mühe doch nicht lohnt und ich niemals von hier fortkomme? Selbstzweifel, die Lenwes Verhalten stetig schürt, nagen an mir und machen das Warten geradezu unerträglich.

Schließlich ist es jedoch endlich soweit. Eines Abends sitze ich müde über einem Buch in meinem Zimmer, vage darauf hoffend, dass Ethin erst morgen wieder auftauchen wird und versuche einen Weg zu finden jemanden schnell und lautlos in Schlaf zu versetzen, da spüre ich deutlich das Eindringen einer schwachen magischen Präsenz. Das Gefühl ist mir vom letzten Mal noch bekannt, aber es scheint als würden sich die endlosen Übungen auszahlen die ich in letzter Zeit ausführen musste um meine Sinne für Magie zu schärfen, denn diesmal bin ich wenigstens ein bisschen darauf vorbereitet Meister Shenjal gegenüber zu treten und habe genug Zeit die verräterische Grimasse der Erleichterung von meinen Zügen zu verbannen, bevor er sie sehen kann. Besser er weiß nicht wie sehr ich inzwischen von hier fliehen will.

„Glücklich mich zu sehen Häschen?"

Ja! Ich zucke mit den Schultern und versuche meine eigentlichen Emotionen zu überspielen indem ich die undurchdringliche Miene aufrechterhalte, die ich vorsichtshalber auf mein Gesicht gezwungen habe. Wirklich lügen kann ich ihm gegenüber noch immer nicht. Besonders nicht unter dem forschenden Blick den er als nächstes aufsetzt.

„Du siehst erschöpft aus", bemerkt er neutral, fährt jedoch fort ohne auf eine Reaktion zu warten. „Hast du eine Entscheidung getroffen?"

„In anbetracht der Umstände habe ich entschieden…", ich stocke plötzlich beinahe überwältigt von der Schicksalhaftigkeit dieses Augenblicks, zwinge mich aber dann meinem früheren Entschluss zu folgen und die nötigen Worte auszusprechen. „… dass es vorteilhaft wäre euer Angebot anzunehmen… Meister."

„Soso vorteilhaft", lacht er spöttisch und ich kann mein unwillkürliches Zusammenzucken nur unvollkommen unterdrücken. „Sieht aus als hätte Lenwe sich nicht besonders zurückgehalten, wenn ich im Vergleich so gut abschneide."

Meine Augen werden groß bei dieser Aussage. Für Jemanden der ihm noch nie persönlich begegnet ist scheint er sehr viel über den Magier der Sestrainie zu wissen. Auf meinen leicht verwirrten Blick hin zuckt er jedoch nur leicht mit den Schultern und meint: „Er hat in Skull Port einen Ruf, der mich eine gewisse Ähnlichkeit mit dem verstorbenen Essal vermuten lässt."

Die bloße Erinnerung an den sadistischen Meister Essal treibt mir eine Gänsehaut über den ganzen Körper und die plötzliche Vorstellung Lenwe ohne die Barriere der hier nötigen Heimlichkeit ausgeliefert zu sein ist erschreckend. Bisher hatte ich noch keinen Gedanken daran verschwendet wie es wäre wenn er sich nicht nach außen hin verstellen müsste.

„Der Vergleich ist nicht unangemessen." Flüstere ich heiser, bevor ich es verhindern kann, verfluche mich aber gleich darauf selbst. Schon wieder hat er es geschafft mich zu überrumpeln und eine Reaktion aus mir heraus zu bringen, die ich lieber verbergen wollte. Mit leicht gequälter Miene wende ich wieder meine volle Aufmerksamkeit der durchscheinenden Gestalt über meinem Bett zu.

„Wie gesagt", erkläre ich so nüchtern wie möglich und bin froh zu hören wie ruhig meine Stimme trotz der bedrohlichen Gedanken klingt, „ich gehe auf euer Angebot ein. Was genau muss ich nun tun Meister?"

Das plötzliche warme Gefühl in meiner Magengegend das ich angesichts seines anerkennenden Gesichtsausdrucks empfinde, ist gleichzeitig wundervoll und Angst einflößend. Es macht mir wahnsinnige Angst zu wissen wie weit ich gehen würde um auch nur einen wohlwollenden Blick von ihm zu erhaschen, aber gleichzeitig kann ich nicht anders als mich danach zu sehnen.

„In zwei Wochen werden wir ungefähr zu dieser Zeit kommen und euch abholen. Sieh zu dass du euch dann aus den Schilden herausgebracht hast. Für Lenwe hinterlässt du am besten eine Nachricht. Sag ihm, dass er sich mit dem zufrieden geben soll was er bereits hat und richte ihm Grüße aus von Haled Endalim."

„HaledEndalim", wiederhole ich folgsam und nicke.

„Ich werde dir etwas geben, dass mich in die Lage versetzen wird euch zu finden sobald ihr außerhalb der Schilde seid, aber dadurch wird wahrscheinlich ein Alarm ausgelöst. Überleg dir eine plausible Erklärung und sorg dafür das Lenwe es nicht zu Gesicht bekommt."

Diese knappen Anweisungen erinnern mich sehr an die Lehrstunden von früher und die Atmosphäre im Raum er scheint mir mittlerweile seltsam vertraut, fast als wären wir wieder in seinen Räumen in der Magierschule. Ein seltsames Gefühl der Irrealität überkommt mich und einen Augenblick ist es fast als würde ich losgelöst in irgendeiner Zwischenwelt schweben. Energisch rufe ich mich schließlich wieder zur Ordnung und zwinge meine Konzentration zurück zum Wesentlichen. Eine plausible Ausrede, was könnte ich getan haben dass mich unabsichtlich die Schilde beschädigen lässt?

„Ein Wahrsagezauber der mir entglitten ist?" schlage ich leicht unsicher vor. „Damit arbeiten wir zwar offiziell noch nicht, aber die Prozedur ist in diesem Buch weiter hinten beschrieben."

Ich deute auf das dicke, ledergebundene Werk welches noch auf meinen Knien ruht. Zu meiner Erleichterung nickt Meister Shenjal daraufhin.

„Das müsste reichen." Stimmt er zu. „Der Effekt wäre in etwa derselbe."

Gerade als ich aufatmen will setzt er süffisant hinzu: „Und ich denke die Strafe die er dir verpassen wird, sollte dich auch in Zukunft davon abhalten dich mit Dingen zu beschäftigen, die zurzeit noch über deine eigentlichen Fähigkeiten hinausgehen."

„Ja Meister." Stimme ich unglücklich zu, während sich in meinem Magen das letzte Mahl plötzlich in Stein zu verwandeln scheint. Es ist schließlich nicht so als hätte ich jemals die Absicht gehabt wirklich aus eigenem Antrieb heraus diese fortgeschrittenen Sprüche auszuprobieren. Ich habe sie lediglich betrachtet. Er grinst bloß, weil er genau weiß dass ich mir nun bereits die feurigen Schmerzen ausmale, die die Peitsche in meinem Körper wecken wird.

„Und jetzt", sagt er als hätte ich gerade danach gefragt „wird es Zeit dir den Kontakt zu übergeben. Komm her Häschen."

Ich lege vorsichtig das Buch zur Seite und trete an das Bett heran.

„Näher." Verlangt er breit grinsend und bedeutet mir dicht vor ihn zu treten. Natürlich! Schießt es mir durch den Kopf als er praktisch im selben Augenblick weit weniger durchscheinend wird und gleichzeitig dabei nach meinem Kopf greift um mich zu einem kurzen, aber heftigen Kuss nah heran zu ziehen. Das ist ja mal wieder typisch, denke ich während ich merke wie er, noch während ich überrascht und entzückt aufseufze, geschickt mit der Zunge einen kleinen runden Gegenstand in meinen Mund bugsiert. Wieso eine Gelegenheit verschwenden wenn es auch so geht? Ich hätte es wissen müssen. Meine Ablehnung gegen dieses Vorgehen hält sich allerdings in Grenzen wenn ich ehrlich zu mir selbst bin und für einen kurzen Moment kann ich mich völlig verlieren, ohne Gedanken an Konsequenzen oder Zurückhaltung.

Viel zu schnell bleibe ich jedoch allein zurück, noch leicht benommen von diesem plötzlichen, heftigen Kontakt, bevor ich hastig den gerade erhaltenen Gegenstand aus meinem Mund klaube und ihn in die nächstbeste Schublade stopfe, um dann schnell das Buch an der passenden Seite aufzuschlagen. Keinen Augenblick zu früh, denn gefährlich kurz danach fliegt die Tür auf und ein sehr aufgeregt aussehender Lenwe stürmt herein.

„Was ist hier passiert?" fährt er mich an, nachdem klar ist, dass gerade wohl doch kein Angriff stattfindet.

„D… ich… ich wollte nicht…", ich muss nur wenig vorspielen um erschrockene Verwirrung zu heucheln und nachdem ich kurz, wie unbewusst, schuldig in Richtung des Buches geblickt habe findet er auch schon seine eigene Erklärung, ohne dass ich weitere Worte verlieren muss.

„Wenn du das nächste Mal den Drang zu Experimenten verspürst könntest du vielleicht so gnädig sein mich davon in Kenntnis zu setzen style type"italic"bevor/style du die Schilde des Hauses niederreißt." Faucht er mich daraufhin wütend an. „Glaubst du vielleicht ich habe ewig Zeit um die Folgen deiner Selbstgerechtigkeit zu beseitigen? Diese unbedachten Spielereien werden Konsequenzen haben für dich Junge! Unangenehme Konsequenzen. Vielleicht lernst du dann endlich Disziplin, auch wenn ich das inzwischen bezweifle. So leichtsinnig mit Dingen herumzuspielen die deine Fähigkeiten bei weitem übersteigen überzeugt mich nicht gerade von deiner Intelligenz."

Während er mich so niedermacht, hat er mich auch schon am Kragen hochgezogen, bis ich nur noch unsicher auf den Spitzen meiner Zehen balancieren kann. Mittlerweile kenne ich das Muster besser nach dem solche Konfrontationen ablaufen und schweige verbissen, auch als er mich mit einem bohrenden Blick bedenkt, der mich geradezu herausfordert etwas zu sagen. Aber ich weiß inzwischen, dass jeder Versuch einer Rechtfertigung zum gegenwärtigen Zeitpunkt alles nur noch verschlimmern würde. Auch als er die Richtung seines Griffes plötzlich umkehrt und mich heftig von sich weg stößt, so dass ich rückwärts zu Boden falle, entkommt mir außer einem leisen Keuchen kein einziger Laut.

„Es ist erstaunlich, dass du überhaupt so lange überlebt hast bei den Drow, so aufsässig und eigensinnig wie du bist", zischt er verächtlich und tritt mir in die Rippen. Nicht so hart dass er Gefahr laufen würde mir etwas zu brechen, aber hart genug um dafür zu sorgen, dass ich mich nach Luft japsend zusammenkrümme. Eine Weile ist es daraufhin beunruhigend still, aber kaum dass ich mich genug erholt habe um zu versuchen mich aufzusetzen spüre ich den kalten Druck einer Schuhsohle im Nacken. Also liegen bleiben. Es ist keine besonders angenehme Stellung die ich gerade einnehme. Brust und der größte Teil des Oberkörpers flach auf dem Boden, während der Rest von mir seitlich verdreht ist. Ich fühle mich schrecklich hilflos und ausgeliefert, aber ich weiß auch, dass es mir nicht gut bekommen wird jetzt auch nur den kleinsten Anflug von Widerstand zu zeigen.

„Vielleicht hätte ich dich ja einfach wieder zurückschicken sollen, statt das Halsband zu entfernen. Dann hätte ich mir einiges an Ärger erspart."

Seine Worte treffen mich, auch wenn ich versuche sie an mir abprallen zu lassen. Der Druck der Schuhsohle erhöht sich und bereitet mir langsam Schwierigkeiten beim Atmen, so dass ich mich immer mehr beherrschen muss um still liegen zu bleiben und mich nicht zu winden in einem fruchtlosen Versuch dieser geballten Missbilligung zu entkommen. Meine Finger zucken kurz ziellos am Boden, doch noch habe ich mich einigermaßen unter Kontrolle.

„Wahrscheinlich lohnt es sich gar nicht den ganzen Aufwand zu betreiben um dir irgendetwas beizubringen. Scheinbar kannst du ja ohnehin nicht damit umgehen."

Am liebsten würde ich die Hände fest auf die Ohren pressen um ihn auszuschließen, aber genau davon hält er mich effektiv ab, indem er auf einmal seinen Fuß unter meine Schulter schiebt, mich dann mit einem heftigen Ruck herumdreht und so auf den Rücken befördert. Bevor ich noch wirklich reagieren kann lässt er sich neben mir nieder. Eines seiner Knie bohrt sich dabei schmerzhaft in meine Handfläche und pinnt sie unbarmherzig am Boden fest.

„Aber wir wissen ja wozu du wirklich gut bist, nicht wahr?"

Eine Flut von Bildern schwemmt durch meinen Kopf als er bei diesen Worten mit einem abfälligen Lächeln einen Finger hart über meine Unterlippe zieht. Ethin der mich hungrig anstarrt, Ainwe's vorwurfsvoller Blick, als er herausfand das ich ein Sklave war, so gezeichnet von Verachtung, die Schüler und ihr anzügliches Flüstern auf den Gängen der Schule und schließlich mein Meister wie ich ihm vom weichen Waldboden aus entgegenstarre, damals als er mich einfing. Hat er in jener Nacht dasselbe in mir gesehen? Ein Zeitvertreib, gut für etwas kurzweilige Unterhaltung aber größerer Aufmerksamkeit nicht wert. Und auch heute. Waren ihm die Konsequenzen nicht egal, die ich nun seinetwegen ertragen muss? Hat er sich nicht darüber amüsiert?

Wie dumm ich bin gewesen zu denken ich wäre es noch wert dass man sich um meine Wünsche und Gefühle kümmert. Zu denken ich wäre ihm etwas wert. Das was jetzt noch von mir übrig ist, ist verdorben. Kaum noch etwas dass Rücksichtnahme oder gar Aufmerksamkeit verdient.

Ohne dass ich es verhindern kann steigen mir Tränen in die Augen und zeichnen salzige Spuren über meine Schläfe als sie schließlich fallen und in meinem Haar versickern. Der befriedigte Ton in Lenwes Stimme ist nicht zu überhören, als er mir befiehlt mich morgen am Abend zu meiner Bestrafung bei ihm einzufinden. Dann geht er und überlässt mich meinem Selbsthass, der mich anfällt wie ein hungriger Wolf und mich innerlich zu zerfleischen scheint, bis ich die Zähne zusammenbeißen muss um nicht laut zu schreien vor Abscheu. Meine Arme schlinge ich fest um die Knie und kralle die Finger krampfhaft ineinander, damit ich nicht anfange wahllos auf meine nähere Umgebung einzuschlagen und unnötige Aufmerksamkeit auf mich ziehe. Mehr denn je fühle ich mich wie ein Tier in der Falle und habe keine Ahnung wie ich aus meiner ausweglosen Lage entkommen soll.

Bis zum Morgen habe ich mich zwar so weit erholt, dass mir rein rational gesehen klar ist welche Absicht hinter seinen Worten stand und dass es im Grunde nur seiner eigenen Freude daran zuzuschreiben ist mich zu erniedrigen, wenn er diese Dinge sagt, aber meine Emotionen haben meinen Verstand noch nicht eingeholt und ich verbringe den Grossteil des Tages damit gegen die innere Kraftlosigkeit anzukämpfen und mich zu fragen wieso ich überhaupt noch weiter den Aufwand betreibe eine Flucht vorzubereiten. Reine Sturheit hält mich jedoch davon ab meine Pläne ganz aufzugeben. Der kleine Teil in mir der so sehr vom Hass auf Lenwe eingenommen ist, dass für Selbstzweifel kein Platz mehr ist, lässt mich selbst jetzt weiter machen wo alles sinnlos erscheint.

Die Tatsache, dass ich Ethin hintergehen muss, bereitet mir dabei zusätzliche Schwierigkeiten. Sicher, ich mag ihn nicht und wäre durchaus froh ihm niemals wieder begegnen zu müssen, aber diese Entscheidung für ihn zu treffen, wenn ich genau weiß wie sehr er seinen Meister hasst, dass ist etwas dass ich am liebsten irgendwie vermeiden würde, wenn es nur ginge. Allerdings ist es in meinen Augen eine Bedingung die ich erfüllen muss um von hier weg zu kommen. Also komme ich nun einmal einfach nicht darum herum.

Während der folgenden zwei Wochen bin ich mehrmals nah dran alle Pläne über den Haufen zu schmeißen, wahllos ein Tor zu einem beliebigen Ziel zu öffnen, hindurch zu treten und einfach alles hinter mir zu lassen. Nur der Gedanke, dass es dann durchaus noch schlimmer kommen könnte hält mich davon ab.

Ich gebe Ethin gegenüber vor, am verabredeten Tag bereit zu sein endlich unsere Meister ausfindig zu machen und bin fast ein wenig überrascht wie bereitwillig er mir glaubt. Selbst als wir uns vorsichtig vom Grund der Sestrainie wegschleichen entdecke ich kein einziges Anzeichen für Misstrauen, was in seinem Fall zwar nicht heißt dass eine derartige Regung nicht zumindest im Ansatz existieren würde, mich aber dennoch ziemlich sicher sein lässt, dass mein heutiger Plan erfolgreich verlaufen wird. Das unangenehme Gefühl beobachtet zu werden schiebe ich auf meine wachsende Nervosität, denn ich kann weder etwas hören noch sehen, dass auf eine Verfolgung hindeutet. In einem kleinen Birkenwäldchen gelangen wir schließlich an den Rand der ausgedehnten Schutzschilde des Hauses.

Interessanterweise wird kein Warnsignal ausgelöst wenn man sie von innen nach außen durchschreitet und bereits einige Male habe ich überlegt ob dies etwas ist, dass Lenwe absichtlich so eingerichtet hat um das Haus selbst unbemerkt verlassen zu können oder ob es lediglich Zufall sein könnte.

Der einzige Schlafzauber, den ich gefunden habe, der bei angemessener Vorbereitung kein langes Rezitieren erfordert, braucht stattdessen Körperkontakt, aber ich denke nicht dass diese Bedingung bei Ethin Probleme machen wird. Er schaut mich erwartungsvoll an kaum dass wir im schwachen Mondlicht einer kleinen Lichtung zum stehen gekommen sind. Die nur halb unterdrückte Aufregung die er ausstrahlt macht mich selbst zunehmend angespannter und ich wünsche mir vergeblich er würde wenigstens aufhören so unruhig von einem Fuß auf den anderen zu treten.

„Was tun wir nun?" drängt er ungeduldig nachdem ich mich eine Weile lediglich stumm umgeschaut habe, als suchte ich nach dem geeigneten Platz für unsere angebliche Unternehmung. Ich habe sogar wirklich etwas vorbereitet mit dem ich glaubhaft eine Suche vortäuschen könnte, will diese Täuschung aber lieber nicht einsetzen, da ich nicht weiß wie viel Erfahrung Ethin in solchen Dingen hat und ob er nicht doch bemerken würde was ich da gerade wirklich tue.

Die kleine Perle die Meister Shenjal mir übergeben hat trage ich in einer Tasche bei mir, wo ich sie kaum fühle, auch wenn ich mir ihrer so bewusst bin als wäre sie glühend heiß auf meiner Haut.

„Wir…", beginne ich leise, werde aber abrupt von einer neuen Stimme unterbrochen, die aus den Schatten zu unserer Linken ertönt.

„Ihr werdet mir auf der Stelle sagen was ihr hier vorhabt!"

„Lynral!"

Ethin und ich fahren gleichzeitig herum und starren überrascht seinen Zwilling an, der nun mit wütend verzogenem Gesicht ebenfalls ins silbrige Licht des Mondes tritt. Also hat mich mein Gefühl doch nicht getrogen. Verdammt! Was tut er hier? Wieso… unwichtig, entscheide ich mitten in meiner überraschten Überlegung. Ich brauche schnell einen Ersatzplan. Wie komme ich nah genug an ihn heran um ihn außer Gefecht zu setzen? Wenn er irgendjemand anderes mitgebracht hat ist mein ganzer Plan gescheitert!

„Was hast du vor Ethin?" konzentriert er zunächst einmal all seinen Argwohn auf den blonden Elfen neben mir, der ihm aber lediglich mit abweisendem Gesichtsausdruck entgegenstarrt und gar nichts sagt. Ich schaue mich hastig um, kann aber niemanden sonst entdecken und entscheide, dass er doch alleine hier sein muss.

„Ich habe dich beobachtet", sagt er gerade scharf und streckt Ethin einen anklagenden Zeigefinger entgegen. „Ständig schleichst du dich weg. Du hast irgendetwas vor und ich will wissen was es ist! Wehe wenn es mit Tisraen zu tun hat! Er hat wegen dir schon mehr als genug gelitten!"

Ethin, weiterhin stumm, schüttelt nur den Kopf und tritt einen Schritt zurück, eine Bewegung der Elavelynral augenblicklich auf dem Fuße folgt. Einen leichten Anflug der Beleidigung unterdrückend, weil er mich augenscheinlich für so unwichtig hält, dass er mich gar nicht weiter beachtet, trete ich kurzentschlossen zwischen die beiden Brüder. Auch das ändert nicht viel an seiner Einstellung, denn noch während er ein weiteres Mal Antworten fordert, packt er mich an der Schulter und versucht mich einfach zur Seite zu schieben. Ein fataler Fehler, denn damit gibt er mir genau was ich brauche. Eine Sekunde später bricht er zusammen und ist bereits im Tiefschlaf als sein schlaffer Körper mit einem dumpfen Geräusch im weichen Gras der Lichtung aufschlägt.

Schnell drehe ich mich um, nicht sicher wie Ethin diese weitere plötzliche Wendung der Ereignisse aufnehmen wird. Ein paar Schritte entfernt von mir steht er und schaut leicht verwundert.

„Du bist gut vorbereitet", sagt er dann nach einigen Augenblicken langsam und ich sehe wie er nun doch nachdenklich wird. Schlecht für mich. „Könntest du das auch ein weiteres Mal machen?"

Mit einem beklommenen Gefühl schüttle ich den Kopf, während sein Blick eine zunehmend bohrende Qualität bekommt, als wollte er damit direkt durch meinen Schädel dringen. Das beklommene Gefühl schickt sich an zu anfänglicher Panik zu werden, doch mit einiger Willensanstrengung schiebe ich es von mir und treffe eine spontane Entscheidung. Nun da ich Elavelynral hier habe, kann ich es mir leisten ehrlich zu sein und damit vielleicht wenigstens eine kleine Last von meinem Gewissen zu nehmen, indem ich ihm die Wahrheit sage. Schließlich war dieses Vorgehen sowieso einmal unser eigentlicher Plan.

„Du kannst noch fliehen."

Damit ist wohl genug offenbart und ihm sollte klar sein was uns erwartet. Aber er bewegt sich nicht. Keinen Schritt. Erstarrte Überraschung steht ihm ins Gesicht geschrieben, einer der offensten Ausdrücke die ich je bei Ethin gesehen habe.

Dann, als hätte man ihm plötzlich auf einen Schlag alle Sehnen entfernt, sinkt er ansatzlos in sich zusammen, zu einem formlosen Haufen im schwach glänzenden Gras. Einen Augenblick bin ich mir sicher dass die beiden Drowmeister bereits hier sind und ihn verzaubert haben, weil sie in seinem Fall einfach kein unnötiges Risiko eingehen wollen, bis ich das leichte Zucken bemerke, dass seinen Körper erfasst hat.

Ich wage es nicht näher heran zu treten um nachzuschauen was die Ursache ist, aber das brauche ich auch gar nicht, denn noch während ich mich, wie aus einem plötzlichen inneren Zwang heraus, nervös umschaue kann ich das leise Lachen hören, dass aus seiner Richtung kommt. Ich zucke ungewollt heftig zusammen als er sich, stetig lauter lachend, aufsetzt und mir wieder zuwendet.

„Du…" japst er, mit einem unheimlichen Glanz in den grünen Augen. „Du…", und ich kann deutlich die hysterische Note in seiner Stimme wahrnehmen. „Wie machst du das nur?" bringt er schließlich heraus. „Alle unterschätzen dich. Und ich… obwohl ich weiß wozu du fähig bist… hinterhältiges Biest."

Die unzusammenhängende Rede und die folgende Beschimpfung klingen seltsam kraftlos, als wäre er mit den Gedanken eigentlich ganz woanders. Wie man einen Schalter umlegt, so unvermittelt bricht auch sein Gelächter wieder ab.

„Wieso tust du mir das an?" Will er gequält wissen, woraufhin ich nur störrisch die Arme vor der Brust verschränke.

„Du kannst noch fliehen oder etwa nicht?" Wiederhole ich meine Worte von vorhin und entlocke ihm ein wütendes Knurren.

„Ach ja? Und wohin? Zurück zu meinem Vater um ihm zu erklären wohin Lynral verschwunden ist? Zurück zu Lenwe? Zum Haus …ohne dich?"

Die letzten Worte spricht er so leise, dass ich man sie kaum hören kann und nachdem ich verstanden habe, wünschte ich sofort, ich hätte es nicht getan.

„Hau ab! Verschwinde einfach. Du bist nicht auf mich angewiesen", behaupte ich stur, während mein Blick ein weiteres Mal unruhig durch die dunklen Schatten der Bäume schweift.

„Doch das bin ich", behauptet der anstrengende Elf vor mir nun dumpf und voller Resignation. „Sogar sehr viel mehr als du vielleicht glaubst."

„Das ist deine Entscheidung", fauche ich abweisend, nun selbst wütend darüber, dass er mir doch wieder die Verantwortung zuschieben will. Ethin lacht kurz und hart auf und murmelt etwas das ich nun wirklich nicht verstehe. Wahrscheinlich ist das auch besser so, denn ich kann mir nichts vorstellen was er mit diesem hoffnungslos bitteren Gesichtsausdruck sagen könnte, dass ich gerne hören würde.

„Wieso?" Will er nach einer Zeit voll brütenden Schweigens auf einmal wissen. „Wieso gehst du freiwillig zu ihm zurück wenn du genau weißt was dann passieren wird."

Seine Verzweiflung ist unverkennbar und auch wenn er hiermit offensichtlich einen letzten halbherzigen Versuch machen will mich umzustimmen scheint er wenig Hoffnung zu haben erfolgreich zu sein. Wieso geht er nicht endlich?

„Ich kann nicht anders." Versuche ich das auszudrücken was meinen verworrenen Gefühlen am nächsten kommt. Neben mir erklingt, merkwürdig unpassend, ein leises Schnarchen Elavelynrals, der sich nun unruhig herumwälzt, aber noch für einige Stunden schlafen sollte. Ob sie ihn trotzdem mitnehmen werden, überlege ich flüchtig und zucke dann aber gedanklich mit den Schultern. Sein Schicksal berührt mich ehrlich gesagt nur wenig.

Dafür zerrt Ethin zunehmend an meinem fragilen Nervenkostüm indem er jetzt ansatzlos beginnt unruhig herumzutiegern. Einige Schritte in Richtung des Hauses, bevor er sich abrupt wieder umwendet und wie unter Zwang zurückkehrt, nur um das ganze gleich noch einmal zu wiederholen.

„Kannst du dich nicht einfach still irgendwo hinsetzen, wenn du schon überzeugt bist unbedingt bleiben zu müssen?" Will ich schließlich böse wissen, woraufhin er nur kurz herumwirbelt und gefährlich zurückknurrt: „Ich kann auch nicht anders!", bevor er den nächsten Durchlauf startet. Ich wage es nicht ihn aus den Augen zu lassen, aus Angst er könnte mich anfallen und die zunehmend mörderischen Blicke, die er mir ab und zu zuwirft bestätigen diese Furcht bloß noch. Wenn nur endlich meine Meister käme! Aber da er keine definitive Zeit genannt hat könnte es durchaus noch eine Stunde dauern bis er eintrifft. Eine Stunde die ich dann in Ethins zunehmend psychotisch wirkender Gesellschaft verbringen muss. Keine besonders angenehme Aussicht. Weshalb flieht er nicht einfach verdammt noch mal? Ich verstehe ihn nicht und will es in diesem Moment auch gar nicht wirklich. Ich will lieber dass er endlich verschwindet oder still ist, aber keines von beidem scheint gerade im Bereich des Möglichen zu liegen.

Ich bin so auf Ethin fixiert, dass ich beinahe den Moment verpasse in dem mein Meister schließlich doch die Lichtung betritt. Trotzdem liegt zwischen der Entdeckung seiner Anwesenheit und meinem hastigen Aufspringen nur eine knappe Sekunde. Wie festgewachsen kann ich danach jedoch nur atemlos zuschauen während er sich zunächst wachsam umschaut und dann langsam auf mich zukommt. Ethin stockt währenddessen nicht ein einziges mal in seinem ruhelosen Lauf. Es scheint eine Ewigkeit zu dauern bis mein Meister endlich vor mir steht und meine seltsame Erstarrung löst sich erst ein wenig, als er die Hand hebt und leicht mit den Fingerspitzen über meine Wange streift. Der Teil in mir, der während dieser ganzen Wochen niemals von ihm losgekommen ist jubelt begeistert. Der Rest von mir ist dabei auch weiterhin seltsam erstarrt. Ein wenig komme ich mir vor wie ein Zuschauer innerhalb meines eigenen Selbst.

„Meister." Flüstere ich, noch immer recht atemlos und ernte ein erfreutes Aufblitzen weiß glitzernder Zähne.

„Ich muss gestehen die Situation hier überrascht mich ein wenig", sagt er leise, mit einem Blick der unverkennbar in Richtung Ethin geht. „Ich hätte nicht gedacht dass du ihn dazu bewegen kannst bei vollem Bewusstsein herzukommen. Wie hast du das angestellt Häschen?" Will er neugierig wissen.

„Mit meinem unvergleichlichen Charme Meister", entgegne ich trocken. Eine Antwort die ein wirklich sehr offensichtliches Testen von neuen Grenzen darstellt, denn früher wären solche unverfrorenen Worte mit einer prompten und sehr unangenehmen Strafe geahndet worden. Die Unsicherheit mit der ich nun auf seine Reaktion warte ist mir auch zweifellos schon auf hundert Schritt Entfernung anzusehen, genau wie die Angst die immer noch unwillkürlich auf jeden Bruch der alten Regeln folgt, doch vorerst beiße ich die Zähne zusammen und warte eine Reaktion ab, die mir hoffentlich zeigen wird, ob sein Angebot ernst gemeint war oder nicht. Ich muss es einfach wissen und sähe meine Hoffnungen lieber gleich zerstört als später eine unangenehme Überraschung zu erleben.

Ich hätte einen Weg vorbereiten sollen um aus einer solchen Situation zu fliehen, schießt es mir unvermittelt durch den Kopf. Doch nun ist es zu spät und ich kann nichts mehr tun um noch etwas zu ändern. Meine Entscheidung ist getroffen und ich muss mit allen Konsequenzen leben die daraus erwachsen.

„Wie nett zu sehen dass dein Sinn für Humor nicht gelitten hat Häschen." Kommt nach einem langen, prüfenden Blick die nicht minder trockene Erwiderung, die mich vor plötzlicher Erleichterung fast in die Knie brechen lässt. „Aber an deiner Kontrolle werden wir wohl noch ein wenig arbeiten müssen. Man kann dir jegliche Gefühlsregung von den Augen ablesen."

„Ja Meister."

Automatisch senke ich den Blick bei diesen Worten, doch das Erscheinen Meister Geryns, der nun ohne das kleinste Geräusch aus dem Gebüsch tritt, lässt mich fast sofort wieder aufblicken.

„Niemand zu sehen." Bemerkt er knapp in unsere Richtung und wendet seine ganze Aufmerksamkeit dann sofort Ethin zu, der nun doch innegehalten hat, dabei aber zum zerreißen angespannt scheint und so laut mit den Zähnen knirscht, dass ich es bis hier her hören kann.

„Hast du Lenwe davor gewarnt was passieren wird wenn er Nachforschungen anstellt?" Fragt mein Meister leise, beobachtet dabei jedoch sehr aufmerksam die beiden ungleichen Gestalten vor uns.

„Ich habe ihm eine Nachricht hinterlassen. Er müsste ihr noch ein paar Stunden folgen können, aber es waren seine Tinte und sein Pergament Meister."

Er nickt und scheint noch immer halb abgelenkt, aber einigermaßen zufrieden. Mehr konnte ich auch nicht tun um meine Ausstrahlung von der Nachricht fernzuhalten. Natürlich ist es immer ungünstig einem Magier etwas zu überlassen dass auch nur eine Spur persönliche Ausstrahlung enthält, aber in diesem Fall erschien es mir immer noch die bessere Alternative zu einer persönlichen Mitteilung, nach der ich mich wahrscheinlich kaum noch zum Treffpunkt hätte begeben können.

„Komm her." Kommandiert Geryn gerade scharf, woraufhin Ethin ein unheimliches, wortloses Zischen ausstößt, sich jedoch widerstrebend in Bewegung setzt. Ein silbriger Gegenstand blitzt in der Hand des Magiers auf. Ein Halsband. Allein der Anblick jagt mir einen eisigen Schauer den Rücken hinab und ich kann es nicht verhindern, dass mein Blick schnell hinüber zu meinem Meister huscht, wie um mich zu überzeugen dass er nicht ebenfalls eines hält. Ethin verleitet er dazu abrupt stehen zu bleiben.

„Ich sagte komm her." Die scharfen Worte bewirken jedoch nur ein plötzliches Erblassen und ein, von einem weiteren Zischen begleitetes, knappes Kopfschütteln.

Trotz seiner Weigerung bleibt Ethin stocksteif, mit weit aufgerissenen Augen, stehen als der Magier nun seinerseits auf ihn zutritt, das Halsband gut sichtbar in einer Hand. Mit einem geübten Griff öffnet er den Verschluss und ich kann nur machtlos zusehen wie es sich unaufhaltsam auf den schmalen, goldbraunen Hals zu bewegt.

Im Nachhinein weiß ich nicht mehr was zuerst kam, dass seltsame, abgehackte Geräusch aus meinem Mund, unbewusst geboren aus purer Anspannung oder die schnelle, unvermittelte Bewegung Ethins, der damit überraschend doch seine Starre durchbricht. Zunächst scheint gar nichts geschehen zu sein, aber dann bricht Geryn langsam zusammen und erst jetzt wird Ethins Hand wieder sichtbar, in der er noch vor kurzem ein Messer gehalten haben muss. Das Messer, welches nun tief im Hals des Magiers steckt. Der Stoß war so präzise platziert, dass kein Zweifel daran besteht, dass der Drow nur tot sein kann. Das Halsband liegt neben ihm nutzlos ihm Gras.

Ausnahmsweise offenbart sogar mein normalerweise so beherrschter Meister unverhohlene Überraschung und eine momentane Unentschlossenheit die ich noch nie von ihm gesehen habe.

„Also das war sicherlich unerwartet." Murmelt er abgelenkt, während ich noch mit schockgeweiteten Augen die unwirkliche Szene anstarre. Während der nächsten paar Sekunden bringt er sich jedoch bereits wieder unter Kontrolle. Ganz im Gegensatz zu mir.

Die Wunde blutet erstaunlich wenig, flirrt ein unzusammenhängender Gedanke durch mein Hirn, aber vielleicht liegt das auch daran dass das Messer noch nicht entfernt wurde. Woher kam es überhaupt? Und wie…

„Sieht ganz so aus als würden wir heute ohne die beiden zurückkehren Evoe."

„Ja Meister." Antworte ich automatisch ohne wirklich darüber nachzudenken. Die Überraschung habe ich noch nicht völlig verwunden und achte daher kaum darauf was ich sage. Ethin dafür offensichtlich umso mehr, denn er reagiert augenblicklich und macht sofort einen Schritt auf uns zu.

„Nein! Halt! Wartet!"

Mein Meister macht keine Anstalten auf diesen verzweifelten Befehl zu hören und wendet sich zum gehen. Ethin fällt auf die Knie.

„Bitte lasst mich nicht zurück. Bitte nicht! Ich tue was immer ihr wollt." Fleht er und lässt dabei jegliche Zurückhaltung fallen. Ein Anblick bei dem ich mich innerlich nur winden kann, so unangenehm ist er mir.

„Du glaubst doch nicht im Ernst ich würde dich mitnehmen", kommt die eiskalte Antwort meines Meisters. „Ich habe keine Verwendung für mordlustige Irre und im Bett will ich dich schon gar nicht haben. Verschwinde!"

Dafür, dass Ethin gerade jemanden erstochen hat der immerhin einige Jahrzehnte mit ihm verbracht hat erscheint mir Meister Shenjals Reaktion erstaunlich gemäßigt, ja fast gleichgültig, aber wer weiß schon was in letzter Zeit zwischen den beiden vorgefallen ist.

„Nein, biiiitte nicht!" Heult Ethin auf, schnappt sich auf einmal das Halsband, fällt damit nun vor mir auf die Knie und hält es mir hin.

„Bitte? Herr?"

Die panische Angst davor zurückgelassen zu werden ist ihm nur allzu deutlich anzusehen, aber ich kann nicht einmal im Ansatz erfassen wie schlimm es in ihm aussehen muss dass er sich zu einer solchen Geste getrieben fühlt. Mit so etwas hätte ich niemals gerechnet und weiß absolut nicht wie ich damit umgehen soll. Fragend und völlig verunsichert von diesem untypischen Verhalten blicke ich zu meinem Meister, der auf einmal sehr nachdenklich wirkt.

„Wenn du ihn nimmst ist er deine Verantwortung." Schiebt er aber sofort mir die Entscheidung zu. Wunderbar. Wenn ich noch einen Beweis gebraucht hätte, dass es ihm ernst ist mit diesem neuen Arrangement hätte ich ihn jetzt. Dass ich auch sofort mit den Schattenseiten unseres neuen Verhältnisses konfrontiert werde hatte ich allerdings nicht erwartet.

„Herr?"

Nachdrücklich streckt Ethin mir das Halsband entgegen. Ein Bild bei dem sich mir schier der Magen umdreht.

„Bist du dir sicher dass du das willst?" Frage ich ihn, mehr um Zeit zu schinden als dass ich es wirklich wissen wollte, ernte aber nur ein sofortiges, eindringliches Nicken. Ich will gar nicht für ihn verantwortlich sein! Allein die Vorstellung jagt mir heiße Schauer des Entsetzens über den ganzen Körper, aber ich kann es auch nicht wirklich mit mir vereinbaren ihn zurückzulassen nachdem ich ihn heute bereits so verraten habe. Ich fühle mich unter Druck gesetzt, unfähig eine Entscheidung zu treffen. In Kombination mit der restlichen Anspannung dieser Nacht ist das eine gefährliche Mischung, die sich schließlich darin äußert dass ich einfach nicht mehr weiter weiß und in einer seltsamen Kurzschlusshandlung aushole und laut brüllend zuschlage, mit der ganzen Kraft meines aufgewühlten Inneren.

Stechender Schmerz durchzuckt meine Handknöchel, aber Ethins leises Aufstöhnen sagt mir, dass er definitiv den größeren Teil der Schmerzen abbekommen hat. Ob ich ihm die Nase gebrochen habe? Das würde die Tränen und das Blut erklären die ihm jetzt über die Wangen laufen.

„Und jetzt? Bist du dir immer noch sicher?" Frage ich ihn mit einer Stimme die viel zu hoch ist, sich dazu noch unangenehm überschlägt und das ganze grässliche Ausmaß meines innerlichen Tumultes preisgibt.

„Ihr könnt mit mir tun was immer ihr wollt Herr."

Die Hand, die das Halsband hält, zittert nicht einmal. Wieso? Wieso kann er nicht einfach aus meinem Leben verschwinden?

„Das wirst du bereuen!" verspreche ich ihm grimmig, reiße den silbernen Ring aus Fingern die nicht den geringsten Widerstand leisten und lege ihm mit einer schnellen, rücksichtslosen Bewegung das Halsband an. Das Klicken des Verschlusses versetzt mich unwillkürlich zurück in jene Nacht als ich dieses Geräusch das erste Mal hörte. Wie viel seitdem geschehen ist!

Ich kann sofort deutlich spüren wie die Verbindung entsteht, die mir Kontrolle gibt über Strafe und Schmerz. Für die kleine Portion hinterhältige Genugtuung die ich in diesem Moment, neben all dem Widerstreben und der Abwehr in mir spüre, werde ich mich noch Jahre später schuldig fühlen, aber leugnen kann ich sie nicht.

Finis