Hauptcharakter Remus Lupin
Zeit Spielt zu Hogwartszeiten, Remus ist 16.
Die Luft scheint zu stehen. Ich sitze auf der Fensterbank unseres Schlafsaals und blicke nach draußen, über das Gelände von Hogwarts, das voll von Schülern ist, die den Sommer genießen, denen die drückende Hitze nichts ausmacht und die diese unerträgliche Schwüle vielleicht sogar mögen. In meinem Kopf pocht es gleichmäßig, ich lehne ihn gegen die dicken Mauern in der Hoffnung, etwas Kühlung zu finden, aber vergeblich. Ich halte die Augen fest geschlossen, fast gewaltsam, aber ich spüre trotzdem, wie die kleinen Äderchen in meinen Augen bei jedem Herzschlag vibrieren. Ich strecke meine schmerzenden Beine aus, jeder Muskel zieht, als wäre er um mindestens das doppelte seiner eigentlichen Länge gespannt, aber in dieser Haltung tut mein Rücken weh. Ich stöhne leise auf und ziehe die Beine wieder an. Hinter mir fällt eine Tür zu. Ich drehe mich um.
Peter wirft mir ein kurzes „Hallo" zu, geht verschwitzt und scheinbar ziemlich genervt zu seinem Schrank und fängt an, ungeduldig darin zu wühlen.
„Du solltest wirklich mit runter kommen. Pads und Prongs machen nur Scheiß, wenn du nicht da bist. Du bist der Einzige, der einigermaßen die Kontrolle über sie behält." Er sieht seinen Schrank an und wühlt weiter darin herum, und ich bin mir ziemlich sicher, dass er nur ein Grund gebraucht hat, hier hochzukommen. Kein Mensch kann so lange brauchen, in einem perfekt aufgeräumten Schrank was auch immer zu finden.
„Nein, ich glaub nicht", sage ich leise, denn ich bin mir ziemlich sicher, dass der Klang meiner Stimme in normaler Lautstärke meinen Kopf zur Explosion bringen würde. „Danke, dass du fragst, aber hier ist es kühler, bild ich mir ein."
„Kann sein, dass du Recht hast.", meint er, nimmt ein paar Wollsocken und geht damit zur Tür. Ich blicke ihn mit gerunzelter Stirn an, aber er weicht meinem Blick aus. Er ist wahrscheinlich der einzige von den dreien, der sich Gedanken darüber macht, ob ich mich wohl fühle hier oben (haha), aber er ist auch der einzige, der nie wirklich weiß, wie er mit dem Wolf umgehen soll. Als er den Raum verlässt, kehrt die drückende Stille zurück, die zusammen mit dem Schmerz in meinem Kopf rauscht. Mein Blick schweift in den Himmel hinauf.
Der Mond steht hoch dort oben, nur sichtbar, wenn man ganz genau hinsieht, aber er ist da. Eine blasse, silbrige, fast durchscheinende Scheibe, die im dunklen Blau dieses Sommertages irgendwie harmlos aussieht, und wäre ich normal, dann hätte ich sie wahrscheinlich sogar schön finden können. Aber ich bin nicht normal. Mein riesiger runder gelbweißer Feind zieht an meinem Körper, dem Verräter.
Wieder schließe ich die Augen, versuche, den Schmerz und die Hitze zu ignorieren, mich irgendwo in meine Gedanken zu flüchten, meine Phantasie. In meinem Kopf gibt es eine andere Welt, eine, die nur mir gehört und in der es nur die Erde gibt und keine anderen Himmelskörper. Es ist eine Welt ohne Schmerz und Hitze und Wölfe und ohne mich, denn ich bin jemand anders in dieser Welt. Ein Planet besteht aus tausend Kleinigkeiten und ich investiere viel Zeit darin, Details hinzuzufügen, in diesen einzigen Fluchtort, ohne den ich Vollmonde nicht überleben würde, da bin ich mir sicher. Vielleicht werde ich irgendwann einen Mond erschaffen, und ich werde an Vollmond hoch oben auf einem Hügel stehen, ihn mit menschlichen Augen ansehen und lachen, lauter, als ich es in diesem Leben je tun würde.
Ich treibe ab, verliere mich irgendwo weit weg, und irgendwann ist es nur noch mein Körper, der dort sitzt und leidet und dem es vor der kommenden Nacht graut, während mein wirkliches Ich ein anderes Leben lebt und den Schmerz nicht wahrnimmt. Als jemand mich an der Schulter packt und schüttelt, ist es, als würde ich in einen tiefen, schmerzhaften Abgrund fallen, und draußen dämmert es.
Man nötigt mich, mit zum Abendessen zu kommen. Ich sitze inmitten der anderen und fühle mich wie ein Fremdkörper, deplaziert, ausgesetzt, anders, unmenschlich irgendwie. Als wäre ein Teil meines Daseins als Mensch schon jetzt verloren gegangen. Ich starre auf meinen Teller, aber bei dem Gedanken, etwas zu essen, wird mir übel. Die anderen lachen. Für sie ist der Vollmond ein Spaß, etwas, das ein wenig Abwechslung in den öden Schulalltag bringt. Ich weiß nicht, ob sie sich einfach nicht vorstellen können, wie es für mich ist oder ob sie es nur nicht zeigen können. Merkt Sirius nicht, dass ich innerlich kurz vor der Explosion stehe, wenn er sagt „Mir ist langweilig. Wenn doch nur Vollmond wäre."? Es ist mein Schmerz, ein Schmerz, den ich allein tragen muss, und er soll niemandem zur Unterhaltung dienen.
Der Schmerz reißt an mir. Durch die Ritzen zwischen den alten Brettern fällt silbriges Licht auf den Boden, das den Staub sichtbar macht und in meinen Augen brennt. Jede Faser meines Körpers ist gespannt, jede Zelle meines Kopfes explodiert vor Schmerz. Ich sitze auf der niedrigen, unbequemen Pritsche in der Hütte und presse den Kopf in die Hände bis ich das Gefühl habe, meine Finger würden sich direkt in meinen Kopf bohren und mein Gehirn zerquetschen. Mit jedem Herzschlag verschwimmt die Sicht vor meinen Augen mehr, mit jedem Herzschlag reißt der Mond stärker an mir, mit jedem Herzschlag scheint der Schmerz weiter zu wachsen. Die Welt um mich herum besteht aus Schatten, verschleierten Gestalten und Umrissen, als würde ein Nebel über allem liegen, und es ist ein kalter, feuchter Nebel, der mich hätte erschaudern lassen, wäre ich nicht so mit dem Schmerz beschäftigt gewesen, der mich vollkommen ausfüllt. Ich weiß, dass die anderen da sind, irgendwo, aber ich kann sie nicht finden in diesem Schleier der Unsichtbarkeit.
Ich höre irgendwo weit weg Stimmen, die etwas rufen. Sie rauschen durch die meinen vom Schmerz erfüllten Kopf und es dauert eine Weile, bis sie tatsächlich zu mir durchdringen. Remus!. Remus!
Das Wort scheint ein Echo in meinen Ohren nach sich zu ziehen, Remus, Remus, Remus! Es sagt mir etwas, rührt an etwas Vergessenes in einem weit entfernten Winkel meines Kopfes. An etwas, das nicht hierher gehört. Remus, Remus, Remus! Das Echo wirbelt in meinem Kopf, lässt mich schwindeln, denn das Wort ist schwer von Erinnerungen, doch ich kann sie nicht halten. Remus, Remus, Remus!
Und dann, endlich, scheint sich der Mond auf mich zu stürzen, ein riesiges feuriges Reißen geht durch meinen Körper, ich falle auf die Knie und irgendwo höre ich jemanden schreien, heiser und atemlos, und es dauert einen Moment, bis ich begreife, dass ich es war, der da geschrieen hat. Meine Gedanken wirbeln, flattern in meinem Kopf herum, dann scheinen sie sich selbst aufzugeben, der Schmerz ist weg. Ich verschwende meine Energie nicht mehr mit Denken.
Was danach geschah, weiß ich, und doch bin ich ahnungslos. Es ist wie eine Geschichte, die man erzählt bekommt. Man glaubt, die Person zu kennen, glaubt, es sich vorstellen zu können, aber in Wirklichkeit weiß man doch nichts. Es ist eine Geschichte, die zu fremdartig, zu unvorstellbar ist für unsere Ohren und sogar für meine. Die man nur verstehen kann, wenn man es gesehen hat, und ich, der ich es zwar jeden Monat erlebe, bin doch nie bei Bewusstsein. Es ist ein Blackout, das sich über Stunden hinzieht. Ich bin sechzehn, Werwolf seit zehn Jahren, jedes Jahr zwölf Vollmonde, durchschnittlich acht Stunden pro Mond, in denen der Wolf da ist, macht 120 bereits überstandene Vollmonde (ja, wie ich das überlebt habe, ist eine gute Frage) und somit 960 Stunden des vollkommenen Nichtwissens. Faszinierend? Erschreckend? Ich weiß es nicht.
Die Decke des Krankenflügels ist von einem strahlenden Weiß, die Sonnestrahlen fallen durch das Fenster neben mir auf meine Bettdecke und lassen die Wände so hell strahlen, dass es mich blendet. Sirius war vorhin hier und hat mich mit einigen netten Anekdoten über mein Werwolfverhalten unterhalten („Immer auf die Kleinen, ich sags dir, das passt überhaupt nicht zu deinem Charakter. Ich war mehrmals der festen Überzeugung, du würdest Peter auf der Stelle zerfleischen und auffressen, und das, obwohl Rattenfleisch bestimmt unglaublich zäh ist. Du solltest vielleicht mal seinen Schwanz fressen, um es zu testen. Würde mich interessieren, was das für Auswirkungen auf sein menschliches Dasein hätte." Es folgt breites Grinsen auf seiner Seite, genervtes, und doch irgendwie amüsiertes Seufzen auf meiner.) Er redete noch jede Menge über eine anscheinend besonders langweilige Verwandlungsstunde, die ich heute (leider) verpasst habe, aber ich war zu beschäftigt damit, ihn anzusehen, um wirklich etwas mitzubekommen von dem, was er da sagte. In scheinbar dem gleichen Maße, wie der Mond mein Aussehen verschlechtert, scheint es seines noch zu steigern. Wenn er morgens im Krankenflügel auftaucht, ist da ein Strahlen in seinen Augen, ein etwas müdes Strahlen, ja, aber irgendwie freut es mich, dass etwas, das mit mir geschieht, das bei ihm auslösen kann. Am Vorabend bin ich genervt von seiner Vorfreude, aber nun, da vier Wochen des Menschseins vor mir liegen, schaffe ich es, den immer wieder aufkeimenden Zorn und vor allem die Eifersucht zu verbannen, einigermaßen zumindest. Sie sind für mich da, waren es auch gestern und sie werden es nächsten Vollmond wieder sein.
Die Erinnerung an ein Leben ohne Padfoot, Prongs und Wormtail verschwimmt zusehends. Es gibt Momente, da werde ich von einem taumelnden Glücksgefühl überfallen, weil ich weiß, dass die anderen da sind, weil ich manchmal kaum glauben kann, dass jemandem wir mir solche Freunde vergönnt sind. Ein wölfisches Leben ohne sie wird mit jedem Tag unvorstellbarer für mich. Ich weiß, dass sie da sind. Ich glaube, ich könnte nicht leben ohne Menschen, die mich festhalten, die der Bürde, die ich trage, das Gewicht nehmen, sodass sie erträglich wird. Es kann und wird ein Leben ohne Hogwarts für mich geben, ein Leben ohne diese Geborgenheit, die ich bislang nur hier gefunden habe, ein Leben, das es mir schwer machen wird, aber ein Leben ohne Sirius, James und Peter wird es nie geben, dessen bin ich mir ganz sicher.
