„James – Das kannst du nicht machen!", sagte Lily energisch.
„Warum nicht? Slughorn mag mich sowieso nicht besonders.
Und einmal nachsitzen mehr macht in meinem Fall auch nicht viel aus."
„James, ich lasse nicht zu, dass du aus purer Faulheit einen Aufsatz über deine Unlust Zaubertrankhausaufgaben zu machen abgibst, statt über betäubende Tränke."
„Was heißt hier Unlust? Ich checke es einfach nicht. Jetzt schau mich nicht so an. Auch ich kann einmal etwas nicht wissen. Zaubertränke ist eben mein schlechtestes Fach."
„Du könntest mich auch einfach fragen, ob ich dir helfe.", sagte Lily und verschränkte herausfordernd die Arme vor der Brust.
„Aber ich will heute keine Hausaufgab-"
„Ich helfe dir sehr gerne, James. Hol schon einmal deine Schultasche."
Wenn es um ordentlich erledigte Hausübungen ging, war mit Lily nicht zu spaßen.
Geschlagen ging James nach oben um seine Sachen aus dem Schlafsaal zu holen.
Im Gemeinschaftsraum angekommen setzten sie sich an einen freien Tisch am Fenster.
Seit der sechsten Klasse, verstanden Lily und James sich richtig gut.
Er fragte sie nur noch selten um Dates und sie hatte nun auch Spaß an den meisten Streichen der Marauder.
Sie und ihre Freundin Brittany gehörten eigentlich schon fast dazu.
Sie waren, nachdem sich ihre Freundschaft mit den Jungs immer mehr vertieft hatte, auch in die größten Geheimnisse der Marauder eingeweiht worden.
Sie waren Mitwisser bei den meisten Streichen, manchmal halfen sie sogar mit.
Zu Remus Überraschung hatte sie auch die Tatsache, dass er ein Werwolf war, nicht zu sehr geschockt. Natürlich waren sie anfangs etwas eingeschüchtert gewesen, aber sie hatten ihren Schreck bald überwunden und fanden es nun ganz natürlich, dass sie Remus nicht verpfiffen oder ausschlossen.
„Lily?", fragte James vorsichtig.
„Mmh?" sie las gerade seinen Schlusssatz durch.
„Würdest du eigentlich jetzt, wo du seit einem Jahr täglich den Beweis siehst, dass ich kein pubertierender Idiot mehr bin, mit mir ausgehen?"
Man konnte es ihm zwar nicht ansehen, aber James schlug das Herz bis zum Hals und seine Handflächen waren schweißnass.
Lily sah weiterhin die Pergamentrolle vor sich an, James konnte aber sehen, dass sich ihre Augen nicht mehr bewegten.
„Es tut mir Leid, James. Aber meine Antwort ist und bleibt nein.", sagte sie dann frei heraus und sah ihm offen in die Augen.
„Warum?", flüsterte James und ballte unter dem Tisch seine Hand zu einer Faust um sich seine Enttäuschung nicht noch mehr anmerken zu lassen.
„Ich möchte einfach nicht mit einem von meinen besten Freunden ausgehen.
Stell dir vor, wir zerstreiten uns fürchterlich. Unsere Freunde müssten fast für irgendeinen von uns Partei ergreifen, ob sie wollen oder nicht. Und genau das will ich nicht. Ich will unser aller Freundschaft nicht gefährden. Und schon gar nicht die zwischen uns.
Ich mag dich sehr, James. Aber ich will auf keinen Fall, dass diese Gefühle intensiver werden. Ich sehe dich als eine Art Bruder – und das soll so bleiben."
Sie sah wirklich so aus, als würde es ihr Leid tun.
James räusperte sich. Er konnte und wollte ihren Standpunkt nicht verstehen, wo er doch so anders fühlte.
„Gut.", sagte er mit kratziger Stimme. „Ich gehe dann mal ins Bett. Gute Nacht, Lils."
Bevor sie noch etwas sagen konnte nahm er seine Sachen und ging schnell in Richtung Schlafsaal.
Dort angekommen, sah er, dass alle anderen schon schliefen.
Seufzend legte er sich in sein Bett und versuchte Lily wenigstens aus seinen Gedanken zu verbannen und zu schlafen.
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Es war schon 3 Wochen her, seit James Lily im Gemeinschaftsraum um ein Rendezvous gebeten hatte.
Keiner von ihnen hatte das Thema mehr angeschnitten, was James ziemlich erleichterte.
An diesem Samstag jedoch geschah etwas, das ihn leicht von seinem Herzschmerz ablenkte.
Eine braune Eule brachte Lily mit der Morgenpost einen Brief vom Ministerium, in dem ihr kurz und unpersönlich vermittelt wurde, dass ihre Eltern bei einem Autounfall ums Leben gekommen waren.
(Das Zaubereiministerium übernahm auch die Zustellung von amtlichen Muggelbriefen an Hogwarts, da die Muggelpost Hogwarts klarerweise nicht finden konnten.)
Lily nahm die Nachricht auf, so gut jemand Nachrichten dieser Art eben aufnehmen konnte.
Zwar rannen ihr stumme Tränen über das Gesicht, aber sie schrie weder, noch schluchzte sie auf.
Das Einzige, was sie tat, war sich vom Tisch zu erheben und die Halle zu verlassen, um „etwas alleine zu sein", wie sie sagte.
Sie blieb den ganzen Tag über verschwunden.
Als sie am Abend noch immer nicht da war, beschloss James sie in ihrer Trauerbewältigung zu stören und herein zu holen.
Die Anderen, die erleichtert waren, dass James zu Lily ging, begaben sich beruhigt zu Bett.
Alle hatten den Zeitpunkt sie zu suchen, so lange wie möglich vor sich hergeschoben.
Erstens wollte Lily doch alleine sein und zweitens waren sie bei der Vorstellung jetzt mit der am Boden zerstörten Lily zu sprechen etwas nervös.
James warf einen kurzen Blick auf die Karte des Rumtreibers und sah auf den ersten Blick, dass Lily am Seeufer saß.
Um noch vor der Ausgangssperre zurück zu sein, zog er sich schnell seinen dickeren Umhang über und lief, ohne die Karte mitzunehmen, hinaus auf die Schlossgründe.
Die gesuchte Stelle befand sich fast auf der gegenüberliegenden Seite des Sees, weswegen er ziemlich weit laufen musste.
Dort angekommen, fand er weder Lily noch jemand anderes vor.
Genervt lief er in dem einsetzenden Platzregen zurück zum Schloss.
James hätte sich in den Hintern treten können, dass er auf die Karte vergessen hatte.
Im Gemeinschaftsraum angekommen war Lily noch immer nicht zu sehen.
Schnaufend, weil er so schnell gelaufen war, ließ er sich auf einem Sessel nieder, als ihn ein leises Schluchzen wieder auffahren ließ.
„Lily!", stieß er erleichtert aus, als er sie auf einer Couch am Feuer entdeckte.
Während er näher kam, setzte sie sich auf und was er sah, erschreckte ihn.
Ihre Kleidung und ihr Haar waren klatschnass.
Ihre Augen sahen in ihrem kalkweißen Gesicht aus doppelt so groß aus als gewöhnlich.
Zudem waren ihre Wangen eindeutig nicht nur vom Regen nass.
„Hej! Wo warst du? Ich habe dich auf der Karte gesehen und wollte dich hereinholen, aber als ich dort ankam, warst du schon weg."
Vorsichtig zog er sie auf.
„Komm, du musst ins Bett. Du bist ganz durchweicht. Du verkühlst dich noch."
„Nein! Ich kann jetzt nicht einfach so schlafen gehen! Ich muss reden. Jetzt!"
Lilys Stimme wurde leicht hysterisch.
„Ist ja schon gut. Ähem – vielleicht ist Brittany noch wach. Ins Bett solltest du auf alle Fälle."
„Kann ich nicht mit zu dir kommen? Ich muss alles loswerden. Brit kannte meine Eltern selbst gut. Ich will dir erzählen, wie sie waren.", verzweifelt sah sie ihn an.
Er spürte, wie er langsam dahinschmolz.
„Klar, du kannst mitkommen ..." James bemühte sich sehr, seine Stimme neutral klingen zu lassen.
Leise führte er sie in seinen Schlafsaal. Sie konnten die Anderen leise und gleichmäßig atmen hören.
„Ich denke du brauchst etwas trockenes anzuziehen. Das hier könnte dir passen – Lily – " Hilflos musste er zusehen, wie sie erneut von heftigen Weinkrämpfen geschüttelt wurde.
Nach ein paar Minuten hatte sie sich wieder halbwegs gefangen und machte Anstalten ihre Kleidung abzulegen und die trockenen Sachen von James anzuziehen.
Allerdings waren ihre Finger so klamm, das sie nicht einmal einen Knopf öffnen konnte.
Sie warf ihm einen kläglichen Blick zu und hasste sich in diesem Moment selbst dafür, dass sie so hilflos war.
Sie wusste doch, das James mehr für sie fühlte und jetzt quälte sie ihn auch noch so.
Seufzend kniete er sich nieder und zog ihr Schuhe und Socken aus.
Als er den Hosenknopf öffnete hielt er den Atem an.
Er konnte es einfach nicht glauben. Das war grausam. Jetzt musste er dem Mädchen, dass seine Gefühle nicht erwiderte, auch noch körperlich näher kommen.
Zu seiner Erleichterung machte ihr die Jean abgesehen von Knopf und Reißverschluss aber keine größeren Probleme.
Als auch die Knöpfe der Weste und der Verschluss des BH´s offen waren, drehte er sich mit wild klopfendem Herzen diskret um.
Als er sich auf Lily´s Signal hin wieder umdrehte und ihr mit einem Zauber die Haare trocknete, wallte eine Welle der Zuneigung in ihm auf.
Er hatte zwar seine kleinsten Klamotten aus dem Schrank gekramt, doch trotzdem passten ihr sein T-Shirt und die Short nicht wirklich.
„Wie ein kleines Kind.", dachte er beklommen.
Als er sich neben sie ins Bett legte und sie sich an ihn kuschelte, durchströmte ihn eine angenehme Wärme und er legte vorsichtig einen Arm um sie.
Als sie nach einiger Zeit wieder zu weinen begann, streichelte er ihr vorsichtig über den Kopf.
Dann begann sie zu erzählen.
Ihre Erzählungen waren wirr und unvollständig.
Aber als sie Stunden später einschlief, hatte James den Eindruck ihre Eltern wirklich gekannt zu haben und, dass es Lily jetzt um Welten besser ging.
