Kapitel 2 Schwierigkeiten

Lith ritt gemächlich auf das Stadttor zu. Es würde nicht einfach werden, die Stadt zu dieser späten Stunde zu verlassen, denn Lord Vetinari führte ein strenges Regime in Ankh-Morpork. Sogar das Verbrechen organisierte er, wenn er es schon nicht ganz beseitigen konnte. So besagte das Gesetz, dass jedes Mitglied einer Diebesgilde nur einen bestimmten Betrag pro Tag erbeuten durfte. Hinzu kam, dass man seinem Opfer nach dem Überfall eine Quittung ausstellen musste, wieviel man genommen hatte und wozu es verwendet werden sollte. In Liths Augen war dies der totale Humbug. Wofür waren sei denn Diebe? Doch sicher nicht, um den Leuten vorher anzukündigen: „Hey du, ich beklau dich gleich, hol doch bitte schon mal den Quittungsblock!"

Aber darüber hatte sie sich schon oft genug den Kopf zerbrochen. Jetzt stellte sich ihr die Frage, wie sie das Stadttor passieren sollte, ohne von den Stadtwachen aufgehalten zu werden. Sie ritt langsam und lautlos, um ja nicht zuviel Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Um diese Zeit war hier zwar nicht viel los, doch in der Dunkelheit konnte so manch ein Räuber lauern, der ihr seinen Quittungsblock zeigen wollte.

Nun konnte sie im schwachen Laternenschein das Stadttor erkennen. Sie ritt geradewegs darauf zu, machte jedoch ein paar Meter entfernt halt. Sie stieg ab, und DuschwarzesUngetüm schnaufte leise. „Hör zu, meine Nachtmähre", flüsterte Lith der schwarzen Stute zu. „Ich schaue nach, ob und wie wir an den Wachen vorbeikommen, aber du wartest hier. Wenn jemand kommt, weißt du, was du zu tun hast." DuschwarzesUngetüm blickte sie aus nachtschwarzen Augen an, die einen leichten Rotschimmer in der Iris aufwiesen.

Lith schlich sich an einem kleinen Backsteinhaus vorbei, dessen Fenster alle dunkel waren. Lediglich eine kleine, orangefarbene Flamme in einem Fackelhalter spendete ein bisschen Licht und beleuchtete die Eingangstür. Lith umrundete das Haus und hockte sich zwischen zwei Fässer, die an der rückwärtigen Wand des Hauses standen. Sie lauschte. Und lauschte weiter. Nach einiger Zeit, in der sich immer noch nichts gerührt hatte, verließ sie ihr Versteck und trippelte auf leisen Sohlen in Richtung Mauer. Sie drückte sich gegen das alte, von der Wärme des vergangenen Tages immer noch leicht erwärmte Mauerwerk und schlich sich daran entlang. Sie kam dem kleinen Wachhäuschen, in dem sich immer zwei oder drei Soldaten der Stadtwache aufhielten, immer näher. Nach und nach wurde die Dunkelheit vom Schein zweier Petroleumlampen verdrängt und Lith musste darauf achten, sich sorgsam im Schatten versteckt zu halten. Plötzlich erstarrte sie und hielt den Atem an. Sie hatte ein Geräusch gehört, welches eindeutig aus dem Wachhaus gekommen war. Wieder lauschte sie. Dann atmete sie erleichtert auf (aber auch hier achtete sie peinlich darauf, leise zu sein); was sie vernommen hatte war nichts weiter gewesen als das Schnarchen von allerhöchstens einem oder zwei Wachmännern. Langsam schlich sie denselben Weg zurück, den sie auch gekommen war.

DuschwarzesUngetüm stand noch an derselben Stelle, an der Lith sie zurückgelassen hatte. Der einzige Unterschied, der sich ihr bot, war das rote Glimmen in den Augen der Mähre, das nun das Schwarz völlig verdrängt hatte.

„DuschwarzesUngetüm, du sollst den Leuten nicht immer Alpträume senden, während ich nicht da bin. Niemand mag Alpträume." Lith seufzte. Sie hatte es der Mähre schon hundert Mal gesagt. Aber eigentlich hatte sie ja Recht. Es lag nun mal in ihrer Natur, Alpträume zu verbreiten. Schließlich nährte sich die Nachtmähre von den Ängsten, die die Menschen in ihren Alpträumen durchlebten. Das sparte ihr, Lith, zumindest das Geld für Heu und Futter. „Komm, die Stadtwachen sind eingeschlafen. Lass uns schnell das Tor passieren, solange sie noch im Traumland schlummern." Das Glimmen in den Augen des Pferdes flackerte. „Nein, die Soldaten wirst du gefälligst in Ruhe lassen", flüstere Lith rasch. „Wir können es nicht riskieren, dass sie aufwachen, nur weil du ihnen schlechte Träume schickst." DuschwarzesUngetüm wieherte leise, und das rote Glimmen erlosch.

Lith schwang sich in den Sattel und ritt weiter. Sie kam dem Wachhäuschen jetzt immer näher. Das Schnarchen, welches sie vorhin vernommen hatte, konnte sie auch jetzt hören. Noch war es gedämpft und in regelmäßigen Abständen wurde es vom Hufschlag der Mähre auf dem Pflasterstein unterbrochen. Hoffentlich werden sie davon nicht wach, dachte Lith bei sich und zog die Kapuze tiefer in die Stirn. Sie war nun auf Höhe des Postens und konnte geradewegs in die Gesichter der schlafenden Wachen gucken. Der eine hockte auf einem Stuhl, der Kopf war nach hinten gekippt und der Mund stand weit offen. Ein Speichelfaden hing an seinem Mundwinkel herab. Der andere Wächter saß ebenfallsauf einem Stuhl, war aber im Gegensatz zu seinem Kollegen mit dem Oberkörper nach vorne gefallen und lag mit dem Kopf auf dem Tisch. Eine Hand hing schlaff über die Tischkante, auf dem Boden lag ein Krug, dessen Inhalt eine große Lache auf dem Boden gebildet hatte. Deine Wachen sind auch nicht mehr das, was sie mal waren, dachte Lith bei sich und ritt zum Stadttor hinaus.

Das Licht der Lampen beleuchtete den schmalen Pfad, der aus Ankh-Morpork hinausführte, nur noch wenige Meter. Bald waren Lith und DuschwarzesUngetüm in der Dunkelheit verschwunden und folgten dem Pfad Richtung Quirm.

Zu beiden Seiten des Pfades befand sich dunkler Wald, der die Sicht in der Dunkelheit um noch einiges mehr einschränkte. Lith hatte aus einer ihrer zahlreichen Umhangtaschen eine kleine Fackel zutage gefördert, die sie entzündet hatte. Doch trotz der hellen Flamme konnte sie nicht viel weiter sehen als bis zu den weichen Nüstern der Mähre. Vor ihnen verbreiterte sich der Weg, und einer der Klackertürme, mit denen hier in der Gegend Nachrichten übermittelt wurden, tauchte vor ihr auf. In einem der kleinen Fenster in der oberen Hälfte des Turmes brannte Licht. Lith zügelte ihr Pferd und hielt an. Es war so gar nicht nach ihrem Geschmack, zu dieser Zeit gesehen zu werden. Sollten die Klacker sie sehen, würden sie umgehend Meldung in Ankh-Morpork machen, und sie hätte in kürzester Zeit die gesamte Stadtwache auf den Fersen. Wer mitten in der Nacht aus Ankh-Morpork verschwand, der konnte nichts Gutes im Schilde führen. So dachte zumindest Lord Vetinari.

Also beschloss sie, den Weg zu verlassen und einen Weg durch den Wald zu suchen. Sie war ohnehin müde, und vielleicht würde sie einen geeigneten Unterschlupf für den Rest der Nacht finden. So wendete sie ihr Pferd und ließ es in Richtung Wald traben. Doch schon bald musste sie langsamer reiten, das dass Gelände in dieser Gegend dicht und beinahe undurchdringlich war. DuschwarzesUngetüm kämpfte mit Wurzeln, die aus dem Boden wucherten und es zum Stolpern brachten, und Lith hatte alle Hände voll damit zu tun, die Zweige abzuwehren, die so tief hingen, dass sie sie aus dem Sattel zu heben drohten. Nach einer Weile waren ihre Arme so zerkratzt von dem wuchernden Dornengestrüpp rings um sie herum, dass sie absitzen musste. Sie nahm die Zügel in die Hand und führte DuschwarzesUngetüm. Sie kämpften sich noch eine Weile vorwärts, als sich plötzlich die Bäume und Sträucher vor ihnen teilten und den Blick auf eine Lichtung freigaben. Die Fackel, die Lith während dem beschwerlichen Ritt in eine der Sattelschlaufen gesteckt hatte, damit sie was sehen konnte ohne dabei den halben Wald anzuzünden, erhellte die Lichtung ein kleines Stück. Lith blieb im Schatten der Bäume stehen und starrte auf die Lichtung hinaus. Als sie nichts Verdächtiges entdecken konnte, trat sie, immer noch auf der Hut, aus dem Unterholz hervor und ging auf die Mitte der Lichtung zu. DuschwarzesUngetüm folgte ihr. Lith ließ sich nieder, gähnte herzhaft und streckte die zerschundenen Glieder. „Was meinst du, meine Nachtmähre, ein Nickerchen gefällig? Morgen können wir dann wenigstens sehen, was uns die Arme und Flanken zerkratzt." DuschwarzesUngetüm schnaubte und senkte den Kopf, scheinbar einverstanden mit dem Vorschlag, die Nacht hier zu verbringen. Also machte Lith sich daran, ein bisschen Holz zusammen zu suchen (was weiß Gott nicht schwer war, schließlich befand sie sich in einem Wald) und ein kleines Feuerchen zu entzünden. Dann nahm sie der Mähre den Sattel ab und öffnete eine der Taschen. Zum Vorschein kam eine alte, graue Decke, die gerade groß genug war, um Liths Körper vollständig zu verdecken. Ihren Kopf bettete sie auf den Sattel des Pferdes, und nach ein paar Minuten war sie auch schon eingeschlafen.

Sie bemerkte die Kreaturen nicht, die sich in der Dunkelheit an DuschwarzesUngetüm heranschlichen und sie leise betäubten, indem sie ihr mit einem Stachel, der an den Seiten der Kreaturen wuchs, betäubten. Im letzten Widerschein des Feuers konnte DuschwarzesUngetüm gerade noch ein kleines, grün schimmerndes Wesen mit messerscharfen, dolchartigen Zähnen erkennen, bevor ihr schwarz vor Augen wurde. Sie wollte Lith noch mit einem grellen Wiehern warnen, doch dafür war es schon zu spät.

Die Kreaturen umzingelten Lith von allen Seiten, während sie merkwürdige, nach Blechdosen, die gegen eine Wand geschmissen wurden, klingende Geräusche von sich. Ein besonders großes Exemplar richtete sich auf seine zwei kräftigen, schlanken Hinterbeine auf, näherte sich Lith, die immer noch friedlich schlummerte, von der Seite und rammte ihr seinen Stachel direkt zwischen die Rippen.