Ein großes Dankeschön an Honeycat für das liebe Review. Schön, dass dir die Story bislang gefällt.
Kapitel 2
„Dein Vater?"
„Haben Sie was an den Ohren? Sie können mir ruhig glauben, was ich sage. Es sind nun mal nicht alle Menschen auf dieser Welt gut. Warum sollte dieses ungeschriebene Gesetzt also ausgerechnet vor meinem Vater halt machen?"
„Aber du bist schließlich sein Sohn."
„Hah, gerade deshalb verhält er sich doch so! Er will schließlich keinen verblödeten Idioten in seiner Nähe haben, der die Familienehre gefährdet?"
„Familienehre?"
„Sagen Sie bloß nicht, Sie haben noch nie etwas von Kaiki Nagoya, dem weltberühmten Arzt, gehört. Da kann ich mit meinen Noten wohl kaum mithalten und auf dieses Niveau kommen. Aber genau das möchte mein alter Herr. Will sich schließlich nicht vor der ganzen Familie mit einem minderbegabten Sohn zeigen. Schließlich trage ich auch sein Blut in mir. Da würde das ja auf ihn zurückfallen."
„Wie kannst du nur so denken?"
„Es ist nun mal, wie es ist. Wenn Sie in Ihrer heilen Welt nicht der Tatsache ins Auge sehen können, dass es den Leuten auch anders ergehen kann, dann ist das nicht mein Problem."
Mit diesen Worten stand Chiaki schwerfällig auf und wollte gehen. Doch Hijiri hielt ihn zurück.
„Kann ich dir vielleicht irgendwie helfen?"
„Und was wollen Sie tun? Meinen Vater anzeigen? Vergessen Sie's. Der ist viel zu reich und kann sich viel zu gute Anwälte leisten, als dass Sie damit etwas ausrichten könnten."
„Aber ich könnte dir Nachhilfe geben."
„Was soll das bringen? Blöd bleibt eben blöd. Sogar das Lernen hat nichts gebracht."
„Es hilft auch nicht sich einen Tag vor der Arbeit den verpassten Stoff von zwei Monaten anzuschauen. Aber wenn du ein paar Mal in der Woche bei mir vorbeikommst, müsstest du den Stoff relativ schnell aufgearbeitet haben."
„Ein paar Mal in der Woche? Und wie oft soll das sein?"
„So drei vier Mal werden wohl schon nötig sein. Schließlich hast du durch deinen Dauerschlaf so ziemlich gar nichts mitbekommen."
„Sind Sie verrückt? Ich habe schließlich auch noch ein Privatleben!"
„Ich auch, aber ich schiebe dich trotzdem dazwischen. Überleg es dir. Entweder du kommst oder du lässt es bleiben. Du kannst mir deine Entscheidung dann morgen nach Geschichte mitteilen."
Chiaki grummelte nur ein paar unverständliche Worte und machte sich dann endgültig auf den Weg. Hijiri sah ihm noch eine Weile hinterher und ging dann zu seinem Wagen. Irgendwie tat ihm der Junge leid. Anscheinend schlug ihn sein Vater öfter. Sonst würde er es sicher nicht als so selbstverständlich hinnehmen. Konnte er sich denn niemandem anvertrauen? Wenn Hijiri genauer darüber nachdachte, wohl eher nicht. Er wusste aus den Schulakten, dass Chiaki keine Mutter mehr hatte. Und dass irgendwelche entfernten Verwandten sich einmischten, falls der Junge sie überhaupt mal sah, war auch eher unwahrscheinlich. Das Schlimmste war allerdings, dass Chiaki sich ebenfalls nicht an einen Vertrauenslehrer oder gar die Polizei wenden konnte. Eben an die Einrichtungen, die so eine Misshandlung eigentlich verhindern sollten. Denn wie der Jüngere es vorhin schon gesagt hatte, sein Vater hatte einfach zu viel Einfluss, als dass man ihm etwas hätte anhaben können. Diese Situation war einfach zum Verzweifeln. Aber wenigstens wusste er jetzt davon. Er würde dem Jungen so gut es ging helfen. Zuerst einmal in schulischer Hinsicht. Bessere Noten würden ihn im Ansehen bei seinem Vater bestimmt um einiges höher steigen lassen.
Am nächsten Tag kam Chiaki wie angekündigt nach dem Unterricht zu seinem Lehrer. Irgendwie sah er schon wieder reichlich müde aus. Bekam der Junge etwa nicht genug Schlaf?
„Und, hast du dich entschieden?"
„Ja, ich nehme an. Ich komme dann zu Ihnen. Aber muss es denn wirklich so oft sein? Reichen nicht ein bis zwei Mal die Woche?"
„Wenn du das nicht alles umsonst machen willst und auf dem Zeugnis eine gute Note haben möchtest, dann reicht das nicht. Du wirst deine Freizeit wohl oder über opfern müssen. Die nächste Arbeit steht in vier Wochen an und nach der Menge des Stoffe her zu urteilen, den du verpasst hast---"
„Darum geht es doch gar nicht."
„Worum denn dann?"
„Ich... Ach, das geht Sie überhaupt nichts an."
An Chiakis erschrockenem Gesichtsausdruck konnte man ablesen, dass er sich anscheinend irgendwie verplappert zu haben schien. Er wandte sich ab und wollte aus dem Zimmer seines Lehrers stürmen. Hijiri griff ihn allerdings am Handgelenk und hinderte ihn so am Davonlaufen.
„Du musst es mir nicht sagen, wenn du nicht willst. Ich zwinge dich zu nichts. Aber wir sollten einen Termin ausmachen. Könntest du vielleicht schon heute so gegen fünf bei mir vorbeikommen? Dann schauen wir, wie wir am Besten die Nachhilfestunden legen und ich sehe mir mal an, was du so alles mitbekommen hast."
„Hmm", war das Einzige, was man noch von Chiaki hörte, dann machte er sich auf den Weg nach Hause.
Auch für Hijiri war das die letzte Stunde des Tages. Während er sich auf den Weg zu seiner Wohnung machte, ging er in Gedanken noch mal alle Fakten des Tages durch. Er gab seinem Schüler also jetzt Nachhilfe. Das war ja schön und gut, aber wieso hatte es so dazu kommen müssen? Und warum schlief Chiaki im Unterricht immer ein? Normal konnte das nicht sein. Selbst seine Schüler, die ab und an mal eine kleine Sauftour machten, wiesen nicht ein solches Verhalten auf. Wie kam es also dazu? Irgendetwas musste das bestimmt mit seinem Vater zu tun haben. Fragte sich nur was.
Hijiri beschloss, der Sache auf den Grund zu gehen. Zeit genug hatte er jetzt ja, um dem Jüngeren unauffällig auf den Zahn zu fühlen.
Pünktlich um fünf klingelte es bei Hijiri an der Tür. ‚Sieh mal einer an. Chiaki kann ja sogar pünktlich sein.' Er ging zur Tür und machte seinem Gast auf.
„Guten Tag, Herr Shikaido."
„Hallo. Komm doch rein. Setz dich dahinten schon mal an den Tisch und pack deine Sachen aus. Ich hol uns nur noch schnell was zu Trinken. Ist Saft für dich okay."
„Ja, ist in Ordnung."
Hijiri verschwand in der Küche, um die Getränke zu holen, und merkte deshalb nicht, wie Chiaki mit Schmerz verzerrtem Gesicht zu dem ihm zugewiesenem Platz schlurfte und sich schwerfällig setzte. Als er wieder zurückkam sah sein Schüler sich desinteressiert im Raum um.
„So, nun lass uns am besten gleich mit dem Stoff anfangen. Du willst bestimmt schnellst möglich nach Hause."
Auf Chiakis Gesicht schlich sich ein verbittertes Grinsen, doch er verschanzte sich schnellstmöglich hinter seinem Geschichtsbuch, um seinem Lehrer nicht zu zeigen.
Sie saßen ungefähr eineinhalb Stunden dort und Hijiri versuchte dem Jüngeren das erste Kapitel erneut zu erklären. Doch irgendwie schien Chiaki noch abwesender zu sein, als in der Schule. Anstatt zuzuhören starrte er mit leerem Blick und zusammen gepressten Lippen aus dem Fenster. Nach ein paar weiteren Minuten, indem er anscheinend wie gegen eine Wand redete, gab er schließlich entnervt auf.
„Chiaki, wenn du die ganze Sache hier nicht ernst nimmst, können wir es auch gerne lassen. Es bringt nichts, wenn ich Selbstgespräche führe. Du bist derjenige, der was lernen soll. Also---"
Doch der Jüngere unterbrach ihn mit einer Handbewegung. Er starrte immer noch starr an Hijiri vorbei während er ihm antwortete.
„Mir geht es nicht sonderlich gut. Ich glaube, es wäre besser, wenn wir es für heute dabei belassen. Am Besten, ich komme morgen wieder."
Erst jetzt fiel Hijiri auf, wie blass Chiaki war. Doch nicht nur das. Er schien auch sehr stark zu schwitzen. Und das war wahrscheinlich nicht von jetzt auf gleich einfach so gekommen. Warum hatte der Junge denn nicht schon eher was gesagt?
Chiaki stand mit zitternden Knien auf und bückte sich nach seiner Tasche. Dabei rutschte sein T-Shirt ein Stück höher und Hijiri konnte gut die dunklen Flecken erkennen.
„Sag nicht, dein Vater hat dich schon wieder geschlagen."
„Ach Quatsch. Wieso sollte er? Dazu gab es gar keinen Anlass. Das ist alles noch von gestern."
„Ich habe gestern allerdings nur einen Schlag gehört. Und der schien direkt in dein Gesicht gegangen zu sein. Also erzähl mir nichts!"
„Es geht Sie überhaupt nichts an, was ich von wo habe. Ihre geheuchelte Fürsorge geht mir langsam auf den Geist."
Mit diesen Worten machte sich Chiaki auf den Weg zur Tür. An ihr angekommen wirbelte er herum, als er eine Hand auf seiner Schulter spürte. Alles, was er dann noch vernahm war ein Übelkeit erregendes Schwindelgefühl. Dann wurde alles schwarz.
„Allzu oft verführt uns ein falscher Stern! Was man fürchtet, glaubt man leicht, und ebenso gern, was man wünscht und hofft."
