Grace erwachte, als sie jemand an der Schulter berührte. „Gracie, ich bin da.", hörte sie die Stimme ihres Vaters sagen.

„Hallo.", erwiderte sie verschlafen, „Hast du die bösen Buben gekriegt?"

„Ja, Kleines."

„Gut, dann kann ich ja beruhigt schlafen.", sagte Grace immer noch verschlafen.

Ihr Dad lächelte. „Ja, das kannst du. Also schlaf jetzt weiter."

Er gab ihr noch einen Kuss auf die Stirn und ging dann selbst schlafen. Mit einem Lächeln versank Grace wieder in das Land der Träume.


„Dad, kann ich nächste Woche für ein paar Tage zu Josh?", fragte Grace aufgeregt, als sie mit ihrem Vater am Frühstückstisch saß.

Nick stellte seinen Kaffee auf den Tisch. „Für ein paar Tage?"

„Ja, wir wollen in seinem Garten zelten.", stammelte Grace. Sie mochte es nicht, wenn sie lügen musste. Langsam wurde es zur Gewohnheit.

Nick biss ein Stück von seinem Brot ab. „Sind seine Eltern damit einverstanden?"

„Ja, sie stört das nicht.", erklärte Grace.

Nick blickte sie an. „Okay, aber nur unter einer Bedingung."

Grace blickte ihn gespannt an. Nick fuhr fort: „Tue nichts, was du später bereuen könntest."

„Versprochen.", erwiderte Grace. Sie fragte sich, wann ihr Vater endlich einsehen würde, dass Josh nur ein Freund war. Wahrscheinlich nie.


Am Nachmittag plante Grace ihren Ausflug zu „Josh". Sie war gerade dabei eine Zugverbindung nach Henderson zu suchen, als ihr Dad hereinkam.

„Komm mit, ich will dir etwas zeigen."

Grace war so schnell auf den Beinen, wie sie nur konnte. Sie folgte ihrem Vater ungeduldig.

„Wo gehen wir hin?", fragte sie aufgeregt.

„In mein Schlafzimmer.", erwiderte ihr Vater. Im nächsten Moment waren sie auch schon da.

An der rechten Wand hingen Bilder von ihrer Mutter und ihrem Vater. Als Grace sie so beobachtete, musste sie zugeben, dass ihre Eltern sehr glücklich wirkten.

Auf dem Nachttisch ihres Vaters stand noch ein Bild. Es war von ihrer Mutter und von Grace selbst. Ihre Mutter strahlte in die Kamera und hielt ihre kleine Tochter in den Armen. Es war wenige Tage nach der Geburt aufgenommen worden.

Ihr Vater suchte etwas im Schrank und holte nach ein paar Augenblicken ein Schachtel heraus. Es war eine schöne Schachtel sie war eher eine Kiste aus Holz und keine Schachtel. Die Verziehrungen ließen sie edel erscheinen.

„Was ist das?", fragte Grace neugierig, als sie sich auf das Bett ihrer Vaters setzte.

Ihr Vater setzte sich neben sie. „Das ist mein Sara- Box."

Grace sah ihn an. „Du hast eine Sara- Box?"

Ihr Vater nickte. „Ich habe auch eine Grace- Box, aber die darfst du erst sehen, wenn du achtzehn wirst."

„Cool.", sagte Grace und war unheimlich darauf gespannt, was in der Schachtel war.

In ihrer Augen dauerte es eine Ewigkeit, bevor ihr Vater die Schachtel endlich geöffnet hatte. Doch sie hielt sich zurück, aus Respekt zu ihrem Vater. Es musste ihm ziemlich schwer fallen, diese Schachtel zu öffnen. Zu viele schmerzhafte Erinnerungen.

In der Schachtel waren eine Menge Fotos, Unterlagen und, Grace konnte ihren Augen nicht glauben, Videobänder. Sie fragte sich, warum sie die niemals gesehen hatte.

Doch ihr Vater beachtete ihren schockierten Gesichtsausdruck gar nicht, sondern suchte nach etwas Bestimmten.

Als er es gefunden hatte, gab er es Grace und sagte: „Das waren die Eintrittskarten von dem ersten Film, den wir zusammen gesehen haben."

Grace blickte auf die Karten. Sie sahen ganz normal aus. Und sie fragte sich insgeheim, was sie erwartet hatte.

Ihr Vater blickte sie ruhig an. Seine Hände umfassten die Truhe, als wäre es der größte und vor allem wertvollste Schatz der Welt. Vielleicht war er das auch… für ihn.

„Wie habt ihr euch kennen gelernt?"

Ihr Vater runzelte die Stirn. „Du weißt, dass wir uns bei der Arbeit kennen gelernt haben.", antwortete er.

„Ja, aber wann hast du zum ersten Mal gedacht, die könnte ich irgendwann heiraten?", erklärte Grace.

„Als sie mir gesagt hat, mein Hemd wäre scheußlich." Ein Grinsen breitete sich auf seinen Lippen aus.

„Ich kenne das Hemd zwar nicht, aber so wie ich das sehe, hatte Mom wahrscheinlich Recht.", erwiderte Grace.

„Hey, ein bisschen mehr Respekt vor deinem Vater bitte.", sagte Nick mit gespielter Beleidigung.

Grace strahle ihn an. „Ich habe Respekt vor dir. Ich habe nur keinen Respekt vor deinen Hemden."

Im nächsten Moment hatte Grace ein Kissen im Gesicht. Das nahm sie sich zum Anlass und fiel ihrem Vater um den Hals. Als dieser anfing sie durchzukitzeln, konnte Grace kaum noch Luft bekommen vor Lachen. Ihr Dad stimmte in ihr Gelächter mit ein.

Im Unterbewusstsein registrierte Grace, dass es gut war ihren alten Herrn mal wieder lachen zu hören.


Eine Woche später hielt Grace ihr Ticket für die Zugfahrt nach Henderson in den Händen. Ihr Vater würde sie heute Nachmittag zu Josh fahren und dann würde ihre Reise in die Vergangenheit ihren Höhepunkt erreichen.

Grace konnte noch nicht fassen, dass es endlich soweit war. Sie hatte ihre Tasche schon eine Woche vorher gehabt. Sie hatte sich ein Zimmer in einem Hotel gemietet und ihr Geld zusammen gekratzt. Sie hatte zwar ihr eigenes Konto, aber ihr Vater wäre aufgefallen, wenn sie Geld abgehoben hätte. Und das hätte Fragen verursacht.

Fragen, die sie nicht beantworten wollte, weil sie wusste, dass es ihren Vater verletzten würde. Und sie wusste nicht, ob sie das ertragen würde.

Grace ging ins Wohnzimmer. Ihr Vater hatte sie nicht bemerkt, also konnte sie beobachten, wie er ein Stück Papier in der einen und ein Buch in der anderen Hand hielt. Als er sie endlich bemerkte, faltete er das Stück Papier schnell zusammen und stopfte es wieder zurück in das Buch. Danach stellte er das Buch wieder hastig ins Regal.

Grace konnte erkennen, welches Buch es war: Peter Pan

Soweit sie sich erinnern konnte, hatte ich Vater nie dieses Buch in der Hand gehabt. Nick riss sie aus ihren Gedanken, als er sagte: „Und, können wir los?"

„Ja.", antwortete Grace.

Nick nickte und ging zur Tür. Als er seine Schlüssel nahm, sagte Grace: „Dad, ich habe meine Taschenlampe vergessen."

„Dann hole sie schnell.", gab Nick ihr die Anweisung.

„Wie wäre es, wenn ich sie hole und du bringst schon mal die restlichen Sachen ins Auto?", schlug Grace vor.

Nick blickte sie einen Moment an und bejagte ihren Vorschlag dann. Er nahm ihr den Rucksack ab und ging schon mal zum Auto.

Als er die Tür hinter sich schloss, rannte Grace in ihr Zimmer, steckte die Taschenlampe schnell ein und eilte zurück ins Wohnzimmer. Sie nahm das Buch aus dem Regal und durchblätterte es. Schnell hatte sie den Brief gefunden.

Die Seiten waren schon vergilbt. Anscheinend war er sehr alt. Als sie anfing zu lesen, spürte sie ein paar Tränen in ihren Augen.

Liebe Sara!

Ich weiß nicht ob ich den Mut aufbringen werde, dir diese Worte ins Gesicht zu sagen, deswegen habe ich beschlossen, es ist besser dir diesen Brief zu schreiben.

Es gibt so viele Dinge, die ich dir sagen möchte. Aber ich denke, das Wichtigste ist:

Fang an zu leben.

Denn du hast es mehr verdient, als alle anderen. Du hast so viel durchgemacht und ich bin sicher, ich weiß nicht mal einen Bruchteil davon.

Vielleicht bin ich nicht derjenige, der dein Herz wieder zusammensetzt, ich hoffe aber, dass es irgendjemand machen wird.

Ich weiß nicht, ob ich derjenige bin, dem du heute vertraust, Aber das ist in Ordnung, ich bin bereit zu warten. Wenn du die Antwort weißt, sollst du wissen, dass ich für dich da sein werde. Ich hoffe nur, dass du eines Tages glücklich wirst und dein Leben erfüllt lebst, du hast nichts anderes verdient. Denn aus dir muss unbedingt etwas Großes werden.

Ich weiß, dass du Angst hast, du würdest allein sterben und niemand würde es überhaupt bemerken, ich werde es bemerken. Fange nicht an zu zweifeln, denn dann wirst du bereuen. Ich hoffe, du bereust nicht eine Sekunde, die wir miteinander verbracht haben.

Ich werde unten stehen und dich auffangen, wenn du springst. Ich hoffe, du vertraust mir in diesem einen Punkt, denn ich möchte… nein, ich bestehe darauf, dass du endlich springst. Du wirst sehen, wie wunderbar es ist, zu fliegen.

Nick.

Grace hatte nicht gewusst, dass ihr Vater so schreiben konnte. Sie steckte den Brief schnell ein und machte sich auf den Weg nach unten. Sie musste die Geschichte dazu erfahren, auch wenn es wehtun würde.