„Du hast was getan?", fragte Nick sie wütend, nachdem Grace ihm alles erzählt hatte. Er konnte nicht fassen, dass sie ihn belogen hatte. Das hatte sie noch nie getan.
„Wenn du mir nichts über Mom erzählst, muss ich doch irgendwo anders hingehen.", versuchte Grace alles zu erklären.
Nick schüttelte den Kopf. „Nein, du hättest zu Warrick gehen können oder zu Catherine, aber du hättest nicht zu Grissom gehen müssen. Ganz bestimmt nicht."
Grace hätte ihm am liebsten ins Gesicht geschrieen, dass sie bei den beiden war und es nichts geholfen hatte. Doch er war schon wütend genug.
Anstatt ihm das also zu sagen, murmelte sie leise: „Ich weiß von dem Brief."
Nick erstarrte. Er musste seit dieser Zeit mindestens einmal am Tag an diesen Brief denken. „Grissom hat es dir erzählt." Es war mehr eine Feststellung, als eine Frage.
Grace nickte. „Denkst du nicht, ich habe das Recht zu erfahren, was in diesem Brief steht?", fragte Grace vorsichtig.
Nick schüttelte seinen Kopf. „Nein, denn ich weiß es auch nicht.", sagte er schlicht.
Grace runzelte die Stirn. Sie verstand nicht, was er meinte. „Komm schon, Dad. Du kannst mir doch nicht erzählen, dass du nicht einmal den Brief gelesen hast. In all den Jahren."
Nick wurde langsam wieder sauer. Er blickte seine Tochter an. Sie verstand nichts. Gar nichts. „Gracie, ich weiß es nicht."
„Dann gib ihn mir und ich werde ihn lesen. Ich habe das Recht dazu.", forderte Grace ihn auf.
„Du hast überhaupt kein Recht auf diesen Brief er ist für mich und außerdem habe ich ihn schon vor langer Zeit verloren." Es war eine Lüge, doch Nick wusste sich nicht anders zu helfen.
Er wusste, dass Grace ihm das nicht glaubte, doch sie sagte erst nach langer Zeit wieder etwas: „Du weißt, dass das nicht stimmt."
Nick blickte sie an. „Ja."
Grace wurde wütend. Warum tat er ihr das an. Warum? Er war ihr Vater. Er sollte für sie da sein.
„Du hast Mom versprochen, dass du sie auffängst, wenn sie springt. Warum tust du das nicht für mich? Warum lässt du mich nicht springen?", schrie Grace, sie konnte nicht mehr an sich halten.
Bei dem Ausdruck in ihren Augen musste er sofort an seine Frau denken. Alles kam wieder hoch. Die ganzen schmerzhaften Erinnerungen.
Ganz ruhig sagte er: „Dein Mom hat mich genauso angeschrieen, als ich das letzte Mal mit ihr gesprochen habe."
Grace war sofort still. Sie war wie vor den Kopf gestoßen. Es war nicht fair, dass er jetzt mit der Wahrheit herausrückte, nicht jetzt, wo sie völlig am Ende war.
„Warum erzählst du mir nicht endlich, was passiert ist?", fragte Grace wieder aufgebracht. Sie konnte nicht anders, sie musste ihre Wut einfach an jemanden auslassen.
Die Wut seiner Tochter machte auch Nick wütend. „Was willst du eigentlich von mir?", schrie er.
„Die Wahrheit.", erwiderte Grace mit Geschrei.
Nick atmete tief durch und erwiderte: „Du willst die Wahrheit? Die Wahrheit ist, dass ich mich mit deiner Mutter gestritten habe, als ich sie das letzte Mal gesehen habe. Wir haben uns so heftig gestritten, dass ich nicht glaube, dass wir uns jemals wieder versöhnt hätten."
Grace spürte, wie sie anfing zu weinen. Sie richtete sich auf und blickte ihrem Vater ins Gesicht. „Worüber habt ihr euch gestritten?"
Nick strich ihr die Haare aus dem Gesicht, bevor er anfing zu erzählen.
„Nein, Nick, wir müssen das nicht diskutieren. Ich will es einfach nicht.", schrie Sara.
Nick konnte es nicht glauben. „Was würde sich dadurch denn verändern? Es wäre auch nicht mehr Arbeit, als jetzt auch schon."
Sara schüttelte ihren Kopf. „Nein, es wäre viel mehr Arbeit. Und sei gefälligst leiser. Gracie schläft."
Nick musste fast lachen. Schließlich war Sara am Lautesten.
„Schau dir Gracie an. Sie ist perfekt. Warum willst du nicht noch ein Kind?", fragte Nick. Seine Stimme war fast wieder auf Normallautstärke.
„Weil ich dich kaum sehe.", gab Sara zu.
Nick verstand sie nicht. „Was?"
„Seit Gracie da ist, sehe ich dich fast gar nicht mehr. Du arbeitest nachts und ich am Tag. Wir sehen uns immer nur zwischen den Schichten und Gracie ist fast jedes Mal dabei. Ich brauche dich auch für mich allein. Ich liebe dich und ich will nicht, dass du mich vergisst."
Nick erwiderte: „Ich könnte dich nie vergessen. Mit zwei Kindern wäre es genauso wie jetzt. Nichts würde sich ändern."
„Nein, Nicky, du verstehst es nicht. Alles würde sich ändern. Gracie kommt jetzt in den Kindergarten. Das heißt wir haben endlich wieder Zeit für uns. Wenn ich jetzt noch ein Kind kriegen würde, dann würde alles wieder von vorne anfangen. Und ich halte nicht noch mal drei Jahre durch. Ich brauche dich. Für mich allein. Ohne andere.", versuchte Sara zu erklären.
Nick schüttelte seinen Kopf. „Gib es doch zu, du willst nicht noch ein Kind von mir."
Sara blickte ihn ins Gesicht. „Du hast Recht. Ich will nicht noch ein Kind von dir." Sie verschwieg, dass sie auch von niemand anderen ein Kind wollte.
„Du kannst ja Grissom fragen, ob er gerne ein Kind mit dir haben will.", sagte Nick.
Sara spürte Tränen im Gesicht. Das hatte wehgetan. Doch sie versuchte sich es nicht anmerken zu lassen. „Vielleicht mach ich das ja. Er wäre bestimmt ein toller Vater."
Nick hatte zu viel. Er konnte das nicht ertragen. Er nahm sich seine Reisetasche. Er war eh schon spät dran. Wenn er jetzt nicht ging, dann würde er sein Flugzeug verpassen.
„Das muss ich mir echt nicht antun.", sagte er und verließ die Wohnung.
„Dad, ich kann mich an den Streit erinnern.", sagte Grace erstaunt von sich selbst. Bei den Worten ihres Vaters, war ihr alles wieder eingefallen. Sie hatte in ihrem Zimmer gehockt und ihren Teddybären umklammert. Sie hatte es jedes Mal gehasst, wenn ihre Eltern sich gestritten haben. Doch dieses letzte Mal war das Schlimmste gewesen.
Als die Tür hinter ihm zu knallte, brach Sara zusammen. Sie setzte sich aufs Sofa und fing an zu weinen.
Nick blickte ins Gesicht seiner Tochter. Jetzt wusste sie also alles. Und er fühlte sich kein bisschen besser, aber auch nicht schlechter.
Grace blickte ihren Vater starr ins Gesicht. Sie wusste nicht, was sie sagen sollte. Sie zitterte und konnte nicht damit aufhören.
Sie musste sofort hier raus. Ohne ein weiteres Wort ging sie in ihr Zimmer. Sie wusste etwas, was sie ihrem Vater niemals sagen konnte… durfte.
Als sie die Tür zu ihrem Zimmer geschlossen hatte, ließ sie sich einfach fallen. Sie zog ihre Beine an sich und umklammerte sie mit ihren Armen. Tränen liefen ihre Wangen herunter.
Die Bilder in ihrem Kopf drehten sich. Grace wusste von der Nacht, von der ihr Vater erzählt hatte. Doch sie wusste noch mehr. Etwas, was sie ihrem Vater niemals erzählen konnte. Und sie würde es auch niemals tun. Das hatte sie versprochen.
„Hat Daddy mich nicht mehr liebt, wenn er will, dass Grissom mein Daddy wird?", die Stimme der Kleinen war voll von Schmerz und Angst.
Sara wischte sich die Tränen aus dem Gesicht, bevor sie ihre Tochter anblickte. Grace hielt ihren Teddybären fest in der Hand.
Sara streckte ihre Arme aus und Grace kam zu ihr. Erst als Sara ihre Tochter fest in den Armen hielt sagte sie: „Nein, mein Liebling. Dein Daddy liebt dich mehr als alles andere auf der Welt. Er war nur wütend."
Sara löste die Umarmung. Dann legten sich die beiden aufs Sofa und Sara legte ihre Arme um den kleinen Körper ihres Kindes.
„Worüber war Daddy wütend?", obwohl sie noch so jung war, klang sie in diesem Augenblick furchtbar erwachsen.
Sara strich ihrer Tochter eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Dann versuchte sie es Grace zu erklären. „Erinnerst du dich noch daran, dass wir die Sachen mit den Geschwistern besprochen haben."
Grace nickte und Sara fuhr fort: „Dein Daddy will unbedingt noch ein Geschwisterchen für dich."
Grace blickte ihrer Mutter ins Gesicht. „So wie du.", stellte Grace fest.
Ihre Mutter lächelte sie an. „Ja, aber davon soll dein Daddy noch nichts wissen. Ich will es ihm erst sagen, wenn er Geburtstag hat."
„Heißt das, ich bekomme einen Bruder oder eine Schwester?" Grace war völlig begeistert. Sie strahlte förmlich.
Sara nickte. „Ja, ich bekomme ein Baby. Sag es aber nicht deinem Vater. Sonst ist die Überraschung weg.", flüsterte Sara ihrer Tochter ins Ohr.
„Ich werde es ihm niemals sagen, das verspreche ich dir.", schwor Grace.
Sara gab ihr einen Kuss auf die Stirn. „Das ist meine Tochter.", sagte sie stolz.
Grace strahlte sie an und legte ihre Hand auf den Bauch ihrer Mutter. „Darf ich den Namen aussuchen?", fragte sie hoffnungsvoll.
Sara nickte. „Ja, warum nicht."
Da freute sich Grace noch mehr. „Dann soll das Baby Frankenstein oder Miss Piggy heißen."
Sara blickte ihre Tochter schockiert an. Was hatte sie sich da nur eingebrockt? Ihre Tochter fing an zu lachen, als sie den schockierten Ausdruck in Saras Gesicht sah.
„Na warte.", stieß Sara aus und fing an ihre Tochter durchzukitzeln.
