Mal wieder ein neues Kapitelchen von meiner Seite. Hat ja auch wirklich lang genug gedauert diesmal... Naja, dafür ist es auch etwas länger geworden. Irgendwie hatte ich einen Hänger in den letzten Wochen. Ich wollte das neue Kapitel eigentlich schon fertig haben, aber irgendwie wollte das alles nicht so wie ich. Jetzt hab ich alles was ich bisher geschieben hatte in die Tonne getreten und von vorne angefangen (seufz).
Auf jeden Fall vielen Dank für eure Reviews und Wolvesdawn fürs Betalesen.
Brigitte: Unser lieber Norrington wird auf jeden Fall noch mit Jack zu tun bekommen. Aber auf Sparrington wird das wohl nicht hinauslaufen. Tut mir leid, wenn ich dir an der Stelle falsche Hoffnungen gemacht habe. Aber um Geschichten von der Sorte zu schreiben fehlt mir wohl etwas.
Titus: Wenn Jack dein Lieblingscharakter ist, dann will ich nicht wissen, was du mit denen machst, die du nicht leiden kannst (g). Du kannst es ja kaum erwarten, bis er endlich sein Fett weg bekommt. Diesmal hats leider auch wieder länger gedauert, aber irgendwie hängts gerade bei mir.
Angelcage: So ein langes Review hab ich schon lange nicht mehr gekriegt. (freu) Danke nochmal. Ich hab tatsächlich einige Bücher über Seefahrt und so gelesen, allerdings muss ich dazu sagen, dass ich die Hälfte davon auch nicht verstanden habe. Was hier in meiner Geschichte steckt, ist also der abgespeckte Rest von dem, was bei mir hängen geblieben ist. Schön dass dir meine Geschichte so gut gefällt. Wenn ich ehrlich bin zweifle ich manchmal ein bisschen an meinem Schreibstil. Aber meine Beta baut mich da immer wieder auf. Ein großer Teil von dem Stil und der (hoffentlichen) Logik die dahintersteckt haben wir alle auch ihr zu verdanken. (g).
Und nun: Auf ein Neues:
Alte Wunden
Es war bereits nach Mitternacht, als der schwarzhaarige Junge das Gasthaus verließ. Jack war zum Umfallen müde, und das Einzige, das ihn bis jetzt davon abgehalten hatte sich einen sicheren Schlafplatz zu suchen war die Hoffnung gewesen, seinen Vater doch noch dazu überreden zu können, sich auf den Heimweg zu machen. Mittlerweile hatte er es jedoch aufgegeben. Der Mann war so betrunken, dass er keine drei Schritte mehr laufen konnte, geschweige denn die drei Meilen bis zu dem kleinen Haus in dem sie wohnten.
Jack wusste, dass seine Mutter sich keine Sorgen machen würde, wenn sie über Nacht nicht nach Hause kamen. Es war nicht das erste Mal, dass sein Vater das Geld, das sie tagsüber in harter Arbeit auf den Docks verdient hatten, auf diese Weise durchbrachte. Und es war auch nicht das erste Mal, dass der Junge gezwungen war, sich irgendwo am Hafen einen sicheren Platz zum Schlafen zu suchen.
Sheerness war eine Seefahrerstadt am äußersten Ende von Sheppey, einer kleinen trostlosen Insel, die direkt in der Mündung er Themse lag. In der Stadt herrschte immer viel Betrieb, da viele Reedereien die Stadt als Ausgangspunkt für ihre Reisen zum Kontinent, aber auch nach Asien oder zu den New England Colonies nutzten. Und Blue Town, das Seemannsviertel der Stadt, war berüchtigt für seine Bars und Bordells und dafür, dass auch hin und wieder ein einsamer Spaziergänger einfach so in einer der dunklen Gassen verschwand. Kein Ort also, an dem ein Kind alleine unterwegs sein sollte, und schon gar nicht zu Nacht schlafender Zeit.
Im Gasthaus schlafen zu wollen, hatte Jack jedoch schon vor langer Zeit aufgegeben. Der Laden war zu jeder Zeit voll mit Seeleuten. Und Männer, die zu lange auf See gewesen waren, waren beileibe nicht wählerisch, was die Befriedigung gewisser Bedürfnisse anging. Jack hatte seine Illusionen was dies anging schon früh verloren, genauer gesagt seit dem Tag, an dem einer der Männer ihn in eine dunkle Ecke gedrängt, und versucht hatte ihn zu vergewaltigen. Begebenheiten wie diese trugen dazu bei, dass Jack sich in solchen Lokalitäten prinzipiell immer mit dem Rücken zur Wand setzte. Eine Angewohnheit, die er auch später nie wirklich ablegen sollte.
Der schwarzhaarige Junge bewegte sich unauffällig durch die dunklen Straßen. Fröstelnd zog er die dünne Jacke enger um seinen Körper. Das Wetter war typisch englisch und der Nebel an dieser Region der Küste war beinahe schon dicht genug um als Sprühregen zu gelten.
Unwillkürlich lenkte Jack seine Schritte in Richtung der Docks. Die großen Lagerhallen waren zwar nicht unbedingt warm, aber zumindest waren sie trocken. Und die Gefahr dass ihn dort jemand entdeckte war relativ gering. Es kam nur äußerst selten vor, dass nachts Ladung gelöscht wurde.
Die Mastbäume der Schiffe ragten wie ein kahler Wald in den dunklen Himmel. So hoch, dass ihre Spitzen im dichten Nebel zu verschwinden schienen. Die Segel waren ordentlich gerefft, und nur gelegentlich knarrte ein Tau in der Takelage, bewegt von dem schwachen Wind. Jack hatte schon oft hier im Hafen gestanden und beobachtet, wie die imposanten Schiffe ein- und ausliefen. Hatte den gebrüllten Befehlen gelauscht und die Präzision bewundert, mit der die Seeleute hoch oben in dem Durcheinander aus Balken und Tauen die Rigging bedienten. Und mehr als einmal hatte er sich gewünscht, selbst dort oben zu stehen, und den Wind auf seinem Gesicht spüren zu können.
Der Junge riss sich von diesen Gedanken los, als die ersten schweren Regentropfen auf die Straße fielen. Es wurde wirklich Zeit, sich nach einem Unterstand umzusehen. Diesen Teil der Docks kannte Jack mittlerweile wie seine Westentasche. Sein Vater nahm ihn nun schon seit fast zwei Jahren mit hierher. ‚Damit aus dem Jungen mal was wird,' hatte er gesagt. Nun, die Arbeit war hart aber ehrlich und so hatte Jack wenigstens die Chance, zumindest einen Teil des Geldes auch wirklich mit nach hause zu bringen.
Es dauerte nicht lange, bis er ein unverschlossenes Fenster fand, durch das er in eine der Hallen einsteigen konnte. Das Fenster war sehr klein, doch hier kam dem Jungen seine schmale Gestalt zu gute: Er kletterte ohne Probleme hindurch. In der Halle war es dunkel und still. Die an diesem Tag gelöschten Wahren waren zu mehr oder weniger ordentlichen Stapeln aufgehäuft worden, bereit zum Verkauf oder Weitertransport. Kreidestriche auf dem festgestampften Lehmboden trennten den Besitz der verschiedenen Eigner fein säuberlich voneinander ab.
Ein breites Grinsen legte sich auf Jacks Gesicht, als er im Halbdunkel schräg vor sich einen Haufen Baumwollballen ausmachen konnte. Ein bequemes Plätzchen war schnell gefunden. Jack zog seine Jacke aus und wickelte sie mit der trockenen Innenseite nach außen zu einem provisorischen Kissen zusammen. Und nicht lange nachdem er sich auf seinem Lager ausgestreckt hatte, fiel er in einen tiefen traumlosen Schlaf.
Jack war bereits vor Sonnenaufgang wieder auf den Beinen. Zum einen wollte er nicht riskieren, schlafend im Lager erwischt zu werden, zum anderen würde er seinen Job auf den Docks verlieren, sollte er zu spät zur Arbeit erscheinen. Die Stellen dort waren sehr begehrt, waren sie doch für die ungelernten Arbeiter eine der wenigen Möglichkeiten an Geld zu kommen. Jeder Penny den er mit nach hause bringen konnte war wichtig. Dennoch wusste Jack mindestens tausend Orte an denen er lieber sein würde. Unwillkürlich verlangsamte er seine Schritte, als er die Hafenzeile erreichte. Trotz der frühen Stunde war bereits viel Betrieb und einige der Schiffe wurden schon zum Auslaufen aufgebrasst. Die Stückmannschaften ließen ihre Ruderboote zu Wasser, um die stolzen Kolosse aus der Enge des Docks heraus ins Hafenbecken zu ziehen.
Jack war so tief in Gedanken, dass er den Mann, der direkt vor ihm auf der Straße stand, nicht bemerkte. Unsanft rempelte er ihn an. „Pass doch auf, Junge!" Der Andere verpasste ihm einen Stoß, der ihn mit dem Hintern voran im Straßendreck landen ließ. Jack hatte schon den Mund geöffnet, um sich über die raue Behandlung zu beschweren, doch als ihm die Uniform des Mannes ins Auge stach, blieben ihn seine Worte im Hals stecken.
Blaue Halbjacke und Hose, helles Hemd und weiße Kniestrümpfe: Er erkannte einen Navy-Mann wenn er einen sah. Der Kerl schien zwar ‚nur' Unteroffizier zu sein, aber auch der konnte schon mächtig Ärger bedeuten.
‚Na klasse. Der Tag fängt ja wirklich gut an.' „Äh, tut mir wirklich leid, Sir." Jack versuchte ein möglichst echt wirkendes Grinsen auf sein Gesicht zu zwingen. Der Mann starrte ihn aus zusammengekniffenen Augen an. Kopfschüttelnd packte er den Jungen am Kragen und zog ihn mit einem Ruck wieder auf die Füße. „Hast wohl nichts Besseres zu tun, als hier im Hafen rumzulungern, eh?" Jacks Verstand suchte fieberhaft nach einer Möglichkeit, sich ohne all zu viel Schaden wieder aus dieser Situation zu verabschieden. Sollte sein Vater herausfinden, dass er mit einem Unteroffizier aneinander geraten war, war ihm eine Tracht Prügel sicher. Der Mann hielt große Stücke auf die Navy und wenn er betrunken war, schwärmte er oft stundenlang von den Möglichkeiten, die er gehabt hätte, würde er nur selbst zur See fahren.
Jack sah sich nervös um. Er musste Zeit gewinnen. „Nun ja, eigentlich…" der Andere schnitt ihm mit einer unwirschen Handbewegung das Wort ab. „Tut nichts zur Sache, Junge. Wenn du Arbeit suchst, kann ich dir vielleicht behilflich sein." Jack schluckte. Er hatte alles Mögliche erwartet, aber das bestimmt nicht. „Was?" Na großartig. Kein sehr intelligenter Kommentar. „Ich meine, ich kann nicht…" Wieder wurde er unterbrochen. „Papperlapapp. Natürlich kannst du." In einer plump vertraulichen Geste legte der Seemann ihm seinen Arm um die Schultern und begann ihn in Richtung der Schiffe zu ziehen.
Jack wusste ganz genau, worauf der Andere hinaus wollte. Die ständigen Auseinandersetzungen mit Frankreich waren der Grund dafür, dass es eigentlich ständig an Mannschaften fehlte. Die Navy versuchte fieberhaft die Lücken in ihren Reihen wieder aufzufüllen und wer nicht freiwillig kommen wollte, der wurde oft genug durch eine der vielen Presspatrullien geholt, die die Straßen der Hafenstädte unsicher machten. So mancher Mann, der sich abends in gutem Glauben schlafen gelegt hatte, war am nächsten Tag in der Bilge irgendeines Schiffes wieder aufgewacht.
Die Stimme seines Begleiters holte Jack aus seinen Gedanken. „Das ist sie!" Unüberhörbarer Stolz schwang in diesen Worten mit, und auch Jack konnte sich des ehrfurchtsvollen Staunens nicht erwehren, das von ihm Besitz ergriff. Das stolze dreimastige Segelschiff schaukelte sanft in dem schwachen Seegang. Sie konnte noch nicht lang vom Stapel gelaufen sein, denn das wahlnussfarbene Holz des Rumpfes glänzte, als wäre es frisch poliert und die farbigen Ornamente mit denen der Rumpf verziert war, strahlten im Licht der aufgehenden Sonne. In goldenen verschnörkelten Lettern stand der Namenszug zu beiden Seiten des Sterns: Duke William.
„Ja, sieh sie dir nur an, Junge! So ein prächtiges Schiff findest du kein zweites Mal auf Gottes Erde." Ehe er sich versah, stand Jack bereits auf dem Deck des gewaltigen Schiffes. Die Atmosphäre summte nur so vor Geschäftigkeit. Alle Männer liefen wild durcheinander und es wollte ihm einfach nicht gelingen, das System hinter diesem scheinbaren Chaos zu durchdringen.
Mittlerweile hatte der Wind aufgefrischt. Die Duke William begann im stärker werdenden Seegang zu rollen und Jack stellte überrascht fest, dass sich die Bewegung des Bodens unter seinen Füßen irgendwie gut anfühlte. Auch wenn Jack nun schon bereits seit fast zwei Jahren mit seinem Vater an die Docks kam, war dies doch das erste Mal, dass er wirklich Fuß auf ein Schiff setzen konnte.
Er war einfach stehen geblieben, regelrecht erschlagen von den vielen neuen Eindrücken und so war es auch kein Wunder, dass er fast der Länge nach auf die Nase fiel, als sein Begleiter ihn mit einem Mal weiter vorwärts zog. „Ho, Mr. Timms! Ich hab hier einen jungen Mann, der gerne mal mit Euch plaudern würde!" Mit diesen Worten bekam Jack einen Stoß zwischen die Schultern. Er stolperte ungeschickt einige Schritte nach vorn, bevor er gerade noch so vor einem weiteren Unteroffizier zu stehen kam.
Der Mann, ein langer, dünner Kerl musterte ihn skeptisch und mit hochgezogenen Augenbrauen. Unter diesem abschätzenden Blick kam Jack sich vor wie ein Idiot. Er wollte gerade etwas sagen, um seine Erscheinung ins rechte Licht zu rücken, als Timms ihm zuvor kam: „ So so. Du willst also der Royal Navy beitreten, ja? Die Duke William ist ein Handelsschiff, Junge. Falls du also nur Ruhm und Ehre suchst, oder darauf aus bist den Franzmännern in den hintern zu treten, dann bist du hier falsch. Hier zählt nur harte Arbeit."
Jack hatte diesem Timms mit immer größer werdendem Unbehagen zugehört. Wo zum Teufel war er hier nur hinein geraten? Sein Blick wanderte unwillkürlich zurück zum Kai. Der Abstand zwischen dem Schiff und der vermeidlich sicheren Menschenmenge, die sich dort bewegte, glich mit einem Mal einem schier unüberbrückbaren Abgrund und die Hochstimmung die er gerade noch verspürt hatte, schien sich plötzlich in eine eisige Kälte zu verwandeln. Jack spürte, wie sich auf seinem Körper eine Gänsehaut bildete. ‚Verdammt, was mach ich jetzt nur?'
Von außen konnte er keine Hilfe erwarten. Selbst wenn er seinen Vater zwischen den vielen Menschen auf dem Kai hätte ausmachen können. Jack würde sich höchstens eine Tracht Prügel einfangen, weil er bis jetzt noch nicht zur Arbeit erschienen war. Er widerstand dem Drang Timms einfach ins Gesicht zu sagen, dass er keineswegs daran interessiert war, der sauberen Royal Navy beizutreten. Als ob das irgendetwas gebracht hätte. Stattdessen drehte er sich aus einem Impuls heraus einfach um, doch sein vormaliger Begleiter stand immer noch direkt hinter ihm und blockierte den direkten Weg zu dem einzigen Steg, der das Schiff mit dem Land verband. Dieser Mistkerl wusste wohl ganz genau, was in Jacks Kopf vorging, denn ein breites unsympathisches Grinsen formte sich auf seinem Gesicht.
„Kinnaird!"
Nur dieses eine Wort von Timms, doch Jack wusste ganz genau was es bedeutete: Sie hatten überhaupt nicht vor, ihn wieder gehen zu lassen. Diese Erkenntnis war nur langsam in seinen Verstand gesickert, doch sie traf ihn schließlich mit der Gewalt eines Faustschlages. Er musste wohl um einige Nuancen blasser geworden sein, denn Kinnairds Hände legten sich schwer auf seine Schultern.
Timms tauchte wieder in seinem Blickfeld auf. „Wie heißt du, Junge?" Jack presste trotzig die Lippen aufeinander und bedachte den Mann mit einem wütenden Blick. Doch Timms zeigte sich davon nicht im Geringsten beeindruckt. Stattdessen gab er Kinnaird ein kurzes Zeichen. Der Griff des anderen Mannes verstärkte sich und seine Fingernägel bohrten sich so fest in Jacks Schultern, dass der Junge schmerzhaft die Luft ausstieß. „Nun?" Jacks Verstand war am Rotieren, doch er fand einfach keinen Ausweg aus seiner Situation.
Die Angst vor der Bestrafung durch seinen Vater war längst vergessen. Vielmehr musste er daran denken, wie seine Eltern reagieren würden, sollte er hier und heute einfach so verschwinden. „Nun?" Timms Stimme schnitt wie ein scharfes Messer durch seine Gedanken und der drohende Unterton darin jagte einen kalten Schauer über Jacks Rücken. Kinnairds Hände drückten erneut schmerzhaft zu. „Ich heiße Jack." presste er schließlich zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.
„Einfach nur Jack?" Wieder diese hochgezogenen Augenbrauen. „Ist das alles, oder gibt es noch eine längere Version von deinem Namen?" Timms gab einem seiner Männer ein Zeichen und dieser reichte dem Unteroffizier nur Augenblicke später das Heuerbuch und einen Federkiel. Jack fühlte Tränen in seinen Augen aufsteigen, doch er biss sich so fest auf die Zunge, dass er schließlich sein eigenes Blut in seinem Mund schmecken konnte. Er würde lieber auf der Stelle tot umfallen, als dass er vor diesen Männern anfing zu heulen wie ein kleines Kind.
Er konnte spüren, wie Kinnaird sich zu ihm hinunterbeugte: „Jack, ich hatte den Eindruck, dass du ein fixes Kerlchen bist. Du solltest Mr. Timms hier lieber sagen was er wissen will. Alles andere wird dir auch nicht helfen." Jack stieß zittrig die Luft aus. Er wusste, wann er endgültig verloren hatte. Und eines war mittlerweile klar: Wenn die Duke William ablegte, würde er auf jeden Fall an Bord sein. So oder so. „Jacob Mallory." antwortete er schließlich mit leiser Stimme. Timms nickte zufrieden und kritzelte etwas in sein Buch. „Alter?" Der Kerl sah ihn nicht einmal mehr an. „Ja, wie als bist du, Junge?" setzte Kinnaird überflüssigerweise hinzu. „Vierzehn, Sir." Timms ignorierte den Jungen, während er seine Eintragungen vervollständigte. „Sehr gut. Jetzt musst du nur noch unterschreiben und die Sache ist rechtens." Mit diesen Worten hielt er ihm Buch und Federkiel hin.
Jack blickte verständnislos auf das fleckige Papier. In der letzten Zeile einer langen Liste stand etwas, das wohl sein Namenszug sein musste. Kinnaird tippte mit einem schmutzigen Finger auf die Seite. „Genau hier." Widerwillig nahm Jack die Feder entgegen. „Nun mach schon." drängte der Mann hinter ihm, doch Jack zögerte noch immer. „Ich, ähm… Ich kann nicht…" „Schreiben?" vollendete Timms den Satz des Jungen. Jack nickte betreten, doch Timms hielt ihm weiterhin ungerührt das Buch vor die Nase. „Das macht überhaupt nichts. Mach einfach dein Zeichen und damit hat sich die Sache."
Jack wusste im ersten Moment nicht, was der Unteroffizier eigentlich von ihm wollte, doch ein weiterer Blick auf die Seiten des Heuerbuches zeigte, dass viele der Namen einfach nur mit einem krakeligen Kreuz oder einem Kringel versehen waren. Das hatte Timms also gemeint.
Er warf einen letzten fast schon verzweifelten Blick auf den Kai, in der Hoffnung dort irgendwo in der Menge seinen Vater ausmachen zu können, doch der Mann war weit und breit nirgendwo zu sehen. ‚Wie immer.' dachte er mit einem Anflug von Zorn. ‚Wenn man den Kerl wirklich mal braucht ist er nicht da.' Jacks Finger schlossen sich ungeschickt um die Feder und während er selbst ein zittriges Kreuz neben seinen Namen malte, hatte er das Gefühl, dass hinter ihm eine Tür endgültig ins Schloss fiel.
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„Dies alles ist nicht so einfach wie Ihr Euch das vorstellt, Don Gabrio." Commodore Ortega warf dem Inquisitor einen resoluten Blick zu. Sie saßen schon seit über einer Stunde in seinem Büro und diskutierten. Der Commodore hatte das Anliegen Gabrios von Anfang an freundlich, aber nichts desto trotz bestimmt abgelehnt, doch der Inquisitor war kein Mann, der ein ‚Nein' einfach so akzeptierte: „Commodore, Ihr wurdet von höchster Stelle angewiesen, mich bei meinen Ermittlungen zu unterstützen." Ortega musterte den anderen Mann mit einem kühlen Blick. „Genau dies ist das Stichwort, Don Gabrio: Unterstützen. Dies bedeutet für mich nicht, einfach blind Euren Anweisungen zu folgen. Denn bei allem nötigen Respekt Don, sollte Euer famoser Plan nicht das Ergebnis bringen auf das Ihr hofft, werdet nicht Ihr es sein, der die politische Verantwortung zu übernehmen hat."
Gabrio seufzte schwer und legte seine beringten Hände flach auf das polierte Holz des edlen Schreibtisches, der zwischen ihnen stand. Er war sichtlich um Ruhe bemüht. „Ihr vergesst anscheinend, worum es hier eigentlich geht. Es werden auf keinen Fall politische…" „Ich habe durchaus nicht vergessen, worüber wir uns hier unterhalten." Er verlor allmählich die Geduld. „Weder gegen die Black Pearl, noch gegen Sparrow persönlich liegt von spanischer Seite irgendetwas vor. Und selbst wenn er sich selbst außerhalb des Gesetzes gestellt hat, ist er immer noch Engländer."
„Ein englischer Pirat." Die Verachtung, die in der Stimme des Inquisitors mitklang war nicht zu überhören. „Ich habe über diesen Mann Erkundigungen eingezogen. Jack Sparrow hat keinerlei Rechte mehr auf englischem Boden. Es ist höchst unwahrscheinlich, dass die Briten ihm auch nur eine Träne nachweinen werden."
„Das mag durchaus so sein, Don Gabrio. Aber Sparrow festzunehmen, würde dennoch einen Missbrauch meiner Befugnisse bedeuten. Seit er in diesen Gewässern aufgetaucht ist, wurde kein einziger Überfall durch ihn auf ein spanisches Schiff oder anderes Eigentum der spanischen Krone gemeldet. Aus irgendeinem Grund hat dieser Mann sich entschlossen, sich hauptsächlich an die Franzosen und an seine eigenen Landsleute zu halten. Mein Gott, er ist der einzige Pirat in der Karibik, der noch nicht einmal versucht hat, eines unserer Goldschiffe zu überfallen."
„Das wisst Ihr nicht sicher. Es gibt genug Ausfälle, von denen wir nicht wissen, wer dafür verantwortlich ist." Die beiden Männer starrten sich einige Minuten schweigend an. Es war offensichtlich, dass keiner von ihnen bereit war, auch nur einen Zoll von der eigenen Meinung abzurücken. Der Commodore unterbrach schließlich den Augenkontakt. Er stand auf und trat an das einzige, große Fenster des Raumes, das ihm eine herrliche Aussicht über das Südviertel der Stadt gewährte. So wie er dastand, die Hände hinter dem Rücken verschränkt und die Beine leicht gespreizt, hätte er viel eher auf der Brücke eines Schiffen stehen müssen, als in dem großzügig bemessenen Raum, der ihm in der Festung zur Verfügung stand. Doch heute hatte er keinen Blick für die sonnendurchfluteten Gassen, die sich vor ihm ausbreiteten.
Sobald Gabrio diesen Raum verlassen würde, würde er dem Gouverneur der Region Bericht erstatten. Dessen war sich Ortega sicher. Ihm stand ein äußerst unangenehmes Gespräch bevor. Wahrscheinlich noch ehe der Tag zu ende ging. Doch er dachte nicht daran, sich Gabrios Wille einfach so zu beugen. Es gab noch andere, strategische Faktoren, an die er denken musste. „Wir befinden uns praktisch im Krieg mit England. Ein Angriff auf Sparrow könnte von denen durchaus als Affront angesehen werden." Gabrio schnaubte verächtlich. „Sparrow ist ein Pirat." wiederholte er.
„Ja, durchaus. Aber ich bin der Meinung, dass England nur auf einen Vorwand wartet, um hier gegen uns vorgehen zu können. Und dieser Pirat könnte ihnen diesen Vorwand liefern."
„Eure Meinung in alles Ehren, Commodore. Aber wir können uns hier nicht an Eventualitäten aufhalten."
„Oh, das können wir sehr wohl." Ortega drehte sich wieder zu dem Inquisitor um. „Solange Ihr nicht bereit seid mir zu sagen, warum Ihr dieses Mannes so dringend habhaft werden wollt, bin ich nicht bereit die Verteidigung dieser Stadt zu schwächen." Ortega konnte sehen, wie die Muskeln in Gabrios Hals arbeiteten.
Der Inquisitor funkelte ihn wütend an. „Das verlangt niemand von Eu…"
„Darauf wird es aber hinauslaufen!" unterbrach der Commodore hitzig. „Ihr sagtet doch selbst, Ihr hättet Euch über Jack Sparrow informiert. Die Black Pearl ist mit Abstand das am besten bewaffnete Piratenschiff in der Karibik. Um sie stellen und einkreisen zu können, muss ich mindestens zwei unserer Linienschiffe aus dem Hafen abziehen, Don. Und das würde uns erheblich schwächen." Ortega presste seine Lippen ärgerlich zu einem dünnen, blutleeren Strich zusammen. Er hatte die Beherrschung verloren. Und das war etwas, das er sich nur äußerst selten gestattete.
Amado Gabrio starrte den Commodore wütend an. Auch er stand kurz davor laut zu werden. Er begann einzusehen, dass er sein Ziel auf diese Weise nicht erreichen konnte. Commodore Ortega war ein Mann, der es nicht nur gewohnt war Befehle zu erteilen, sondern auch, dass seine Anweisungen ohne Widerworte befolgt wurden. Es hatte keinen Zweck, ihn zu etwas zwingen zu wollen.
Gabrio hätte seinen Willen durchaus mit Gewalt durchsetzen können. Der Gouverneur fraß ihm praktisch aus der Hand. Aber die praktische Erfahrung hatte ihn gelehrt, dass es immer von Vorteil war, wenn die Menschen ihre Aufgaben aus freien Stücken erledigten. Das war, nun ja, effektiver. „Verzeiht meine anmaßenden Worte, Commodore Ortega. Ich habe mich hinreißen lassen. Aber Ihr müsst versuchen meine Lage zu verstehen. Ich habe im Auftrag der Kirche eine äußerst wichtige Mission zu erfüllen."
Wenn Ortega von seiner Entschuldigung überrascht war, so zeigte er es nicht. „Ich kann Euch durchaus verstehen, Don. Aber das ändert nichts an meiner Meinung." antwortete er in knappem Tonfall. Ortega trat wieder zurück an den Schreibtisch und setzte sich auf seinen Stuhl. Abwesend schob er die Papiere, die dort lagen zu einem Stapel zusammen. „Seit das Königshaus unsere Streitkräfte mehr und mehr ins Heimatland zurückzieht, sind wir hier in ernsthafter Bedrängnis. Ich habe hier noch drei Linienschiffe und eine Handvoll kleinerer Einheiten unter meinem Kommando. Und ich habe nicht einmal mehr genug Männer, um sie gefechtsklar zu erhalten. Habt Ihr also bitte die Güte mich zu verstehen, wenn ich nicht auf eine bloße Andeutung hin handeln will."
Trotz der höflichen Wortwahl, war dem Inquisitor die scharfe Kante in der Stimme des Commodore nicht entgangen. Gabrio betrachtete eingehend seine Fingernägel, während er versuchte zu einer Entscheidung zu kommen. Selbst wenn er Ortega seine Intentionen darlegte, würde dieser sie wohl kaum als wichtig genug ansehen, um letztendlich doch Jagt auf die Black Pearl zu machen. „Es ist so," begann er schließlich, „dass Jack Sparrow im Besitz eines Gegenstandes ist, den ich unbedingt in meinen Besitz bringen muss."
„Und was soll das sein?" Ortega hatte die Arme vor der Brust verschränkt und starrte ihn mit einer Mischung aus Ungeduld und verhaltener Neugierde an.
„Es handelt sich um eine schwarze Perle." Seine Aussage entsprach zwar nicht unbedingt vollständig der Wahrheit, aber besondere Umstände erforderten ja bekanntermaßen besondere Maßnahmen. Schwarze Perlen waren sehr selten und daher auch dementsprechend begehrt. Es gelang Amado gerade noch, ein triumphierendes Lächeln zu unterdrücken, als er das interessierte Glitzern in den Augen des Militärs sah. Ortega hatte angebissen, wie man so schön sagte.
Bitte Bitte schreibt mir Reviews. So ein kleiner Schreiberling braucht auch seine Streicheleinheiten...
Mindestens zwei, und es geht weiter. (fg)
