Khirgaahn

Zwischenstück: Die Stimme der Flamme

Ihr Magen knurrte. Seit drei Tagen hatte sie weder gegessen noch geschlafen. Und doch, war sie so kurz vor ihrem Ziel, dass sie sich nicht von niederem weltlichem Verlangen aufhalten lassen würde.

Sie zögerte und sah aus dem Fenster zwischen die tristen dunklen Bäume. Nebelschwaden zogen an der kleinen verfallenen Hütte, die versteckt vor jeglichem unerwünschten Besuch einsam mitten im Wald lag, vorbei. Für einen kurzen Augenblick dachte sie daran ihr Vorhaben abzubrechen.

Doch noch in diesen Gedanke hinein wurde sie von IHM schmerzhaft unterbrochen. SEINE Stimme erschallte, lautlos zwar, aber doch durchdringend und schneidend in ihrem Schädel dröhnend. Sie hörte was ER sagte, verstand was ER von ihr verlangte, und doch, hätte sie es beschreiben sollen, hätte sie nicht von Lauten gesprochen, sondern vielmehr von Schmerz.

Ein Schmerz der ihr Eines absolut vor Augen führte.

ER würde keinen Rückzieher zulassen. Würde es nicht dulden, dass sie sich jetzt von IHM abwandte.

Während ER mit ihr sprach und sich SEINE Stimme wie glühende Nadeln durch ihren Kopf schob, fing sie an zu zittern. Schweiß rann ihr über das Gesicht. Die verklebten schwarzen Haarsträhnen, die ihr über die Augen hingen störten sie bereits nicht mehr.

Ihre Beine knickten unter ihr ein und sie fiel innerhalb des magischen Kreises am Boden auf die Knie.

Für einen kurzen Augenblick verstummte ER. Sie fürchtete ohnmächtig zu werden, als der Schmerz in ihr plötzlich wich und ein Gefühl völliger Leere in ihrem Kopf zurückließ. Doch sie wusste, dass dieser Zustand nicht von Dauer sein würde. Und dieses Warten auf IHN, auf SEINE Stimme war grauenvoller als alles andere. Doch ER sprach nicht weiter. Langsam und mühselig erhob sie sich und begann, das Ritual weiter zu führen. Während sie sich wieder dem kleinen vor ihr aufgebauten Tischchen zuwandte, auf dem eine goldene Schale lag, dachte sie daran, wie lange es wohl noch dauern würde. Doch sie wusste genau, dass sie IHN nicht danach fragen konnte. Sie musste tun, was ER ihr sagte und warten, bis ihr gemeinsames Ziel erreicht war.

Das Innere der Schale war verschmutzt mit schwarzem verkrustetem Blut. Sie streckte ihre Hand nach deren Inhalt aus und erhob mit zitternden Fingern einen makellos sauberen Dolch der darin lag. Er war ungewöhnlich schwer, fiel ihr auf, doch ob das in irgendeiner Form mit dem Ritual zu tun hatte oder sie sich das in ihrem geschwächten Zustand nur einbildete, konnte sie nicht sagen.

Wie schon so oft in den vergangenen Tagen betrachtet sie den Dolch eindringlich. Mit ihren Blicken fuhr sie das kunstvoll aus demselben Stück Metall wie die Klinge geschmiedete Heft entlang. Die Parierstange bildete eine um die Klinge gewundene, zusammengerollte Schlange mit leeren Augenhöhlen. Mit den Fingerspitzen der freien Hand fuhr sie langsam ihrem Blick nach über das Muster der Schuppen auf dem Leib der Schlange.

Sie schüttelte den Kopf, um wieder klar zu werden. Sie wusste, dass sie Halluzinationen hatte. Es konnte nicht sein, dass der Kopf der Schlange sich gerade kurz bewegt hatte.

Sie schloss einen Moment die Augen. Dann nahm die Welt um sie herum wieder Form an und sie fühlte sich gekräftigt genug um das Ritual weiterzuführen.

Von Außerhalb des Hauses war in dem Moment in dem sie die Augen öffnete ein Schrei zu hören.

Ein menschlich klingender Schrei.

Ein Schrei, der unsägliche Schmerzen durch den Nebel des Waldes trug.

Doch entweder nahm sie ihn nicht wahr, oder es kümmerte sie nicht. Sie nahm den Griff des Dolches in die Linke und begann mit der Klinge langsam, fast zärtlich über eine gerötete Stelle an ihrem rechten Unterarm zu ritzen. Ein feiner roter Spalt öffnete sich in ihrer blassen Haut und ihr Blut begann daraus hervor zu quillen.

Sie drehte den Schnitt über die Schale und legte den Dolch darunter. Gleichzeitig, als einige Tropfen ihres Blutes auf die Klinge des Dolches trafen begann sie mit klarer, fester Stimme einige Worte zu sprechen:

„khirdit

karahndit

nambaldit

rou-baldit"

Immer wieder und wieder rezitierte sie diese Worte. Mit der Linken Hand hielt sie schraubstockartig ihren rechten Arm umklammert und presste weitere Tropfen des heißes Lebenssaftes hervor.

Noch während sie angestrengt auf den Dolch starrte erschallte plötzlich und unerwartet SEINE Stimme in ihrem Innenkopf. Doch so unvermittelt wie sie gekommen war, verstummte sie auch wieder, noch bevor sie sich dessen klar wurde, was ER ihr mitgeteilt hatte.

Genug... , der Gedanke durchflutete sie wie ein Echo seiner ungreifbaren Stimme. Sie zog ihren Arm über der Schale weg und löste ihre Linke davon.

Dann sah sie den geöffneten, blutenden Schnitt an ihrem Handgelenk an. Langsam hob sie ihren Arm zu ihrem Mund und leckte einmal sanft mit der Zunge das Blut von ihrer Wunde. Dann nahm sie ihren Arm herunter, der Schnitt hatte sich geschlossen und nur eine gerötete Stelle zeugte noch davon.

Seid Ihr sicher? , dachte sie und sah den Dolch skeptisch an, der unverändert an seinem Platz lag. Er war immer noch genauso makellos schwarz wie zuvor, wenn nicht dunkler, doch darin war sie sich nicht sicher.

Eigentlich wusste sie, das diese Frage unsinnig war und unbeantwortet bleiben würde. Wenn ER sagte das Ritual sei beendet, dann war es beendet. Nach kurzem Zögern nahm sie den Dolch und holte ihn aus der Schale. Diesmal schien er ihr jedoch deutlich leichter als zuvor. Noch einmal wanderten ihre Blicke von seiner Spitze die Schneide entlang bis zum Ende des Griffs hinunter. Dann hielt sie ihn prüfend im ausgestreckten Arm von sich, machte ein paar stechende Bewegungen in die Luft vor sich, und lies ihn schließlich zwischen ihren Fingern kreisen.

Dann sah sich um und überlegte, was als nächstes zu tun sei.

Teste Ihn... , erklang ER kreischen und lautlos zugleich, brennend und stechend in ihr.

Sie sah sich im Raum um nach etwas, an dem sie den Dolch testen konnte. Von hinter der Hütte drang ein leises Wimmern an ihre gespitzten Ohren und sie erinnerte sich.

Ein vages Bild einer jugendlichen Frau kaum Älter als sie selbst blitzte vor ihrem Innern auf. Und zu diesem Bild fühlte sie eine große Wärme und Energie in sich aufsteigen. Ein süßlicher Geschmack füllte ihren Mundraum.

Lautlos wie ein Schatten und schnell wie ein Gedanke bewegte sie sich aus der angelehnten Türe des hause und schlich and er Hauswand nach hinten in Richtung des Geräusches. Dort blieb sie vor einer an ein Gitter zwischen Boden und Hauswand gefesselte jämmerlich anzuschauende Gestalt stehen. Die alte blutverschmierte Frau versuchte vergebens die angeketteten Arme zu heben um sich vor dem drohend aufragenden Schatten vor ihr zu schützen.

Sie lächelte kurz und sagte fast sanft aber doch ohne jegliche Wärme oder Mitgefühl:

„Du kannst beruhigt sein. Es ist vorbei. Ich danke dir."

Dann machte sie eine blitzschnelle Bewegung mit dem Arm an dessen Ende sie den Dolch hielt und ihr Gegenüber am Boden verstummte. Blut begann aus einem tiefen Schnitt an deren Kehle über ihren Brustkorb zu fließen. Sie lächelte wieder leicht. Dann leckte sie einige Spritzer des Blutes von ihrer Hand und drückte schließlich die Klinge des Dolches tief hinein in die warm sprudelnde Quelle.

Als der Strom jedoch kurz darauf versiegte hob sie die Klinge wieder und zog diese mit der flachen Seite über ihre bleiche Haut. Zufrieden stellte sie fest, dass kein einziger Tropfen Blut auf ihrer Haut oder Klinge auszumachen war und dachte:

Ihr hattet, natürlich, Recht. Es ist vollendet... Und er ist Perfekt.

Wäre es ihre Art gewesen hätte sie nun ein lautes, schallendes, triumphales Lachen ausgestoßen. So jedoch lächelte sie nur leise vor sich hin und machte sich daran die Spuren des Rituals in der Hütte zu beseitigen bevor sie sich wieder in die Zivilisation begeben würde.