In aller Herrgottsfrühe, so kam es Draco zumindest vor, wurde er jäh von einem lauten Knall aus dem Schlaf gerissen. Er blinzelte an die Decke seines Himmelbettes und bildete sich ein, den Lärm nur in seinem Traum gehört zu haben.
Da knallte es ein zweites Mal – Draco war nun hellwach.
Ein dritter Knall – Draco saß, ohne es gewollt zu haben, kerzengerade im Bett.
Dann ertönte ein geller Schrei.
„Nyah!" Er eilte quer durch sein Zimmer und vergaß dabei völlig, dass er noch in voller Schlafmontur gekleidet war. Er stürmte hinaus auf den Gang und riss sogleich ohne vorher anzuklopfen die Tür zu Nyahs Schlafzimmer auf. Er blieb wie angewurzelt stehen und versuchte zu begreifen, was er da sah.
Die Vorhänge von Nyahs Himmelbett standen in Flammen, dicker schwarzer Rauch hing an der Decke und es stank übel. Auf dem Boden kauerte Nyah selbst und sah entsetzt auf das, was sie angerichtet hatte. Als sie Draco erblickte stotterte sie bestürzt: „Es tut mir schrecklich Leid, das wollte ich nicht! Es – es ist einfach so passiert!" Ihre Stimme überschlug sich fast vor Aufregung.
Draco gelang es nicht, seine Augen von den Flammen abzuwenden. Er glaubte einfach nicht, was sich vor ihm abspielte. Löschen! Ja, richtig, ich muss es löschen! Er rannte zurück in sein Zimmer, holte seinen Zauberstab und eilte zurück. „Aguamenti!" Wasser sprudelte aus der Spitze des Zauberstabs und bald verwandelte sich das brennende Bett in eine verkohlte, rauchende Ruine.
Fassungslos rang Draco nach Luft und versuchte seine Gedanken zu ordnen. Er wandte sich nun Nyah zu und schien ziemlich aus der Fassung geraten zu sein.„Kannst du mir das bitte erklären?"
Mit einem mitleidserregenden Unschuldsblick sah Nyah zu ihm auf. „Ich hab' nichts gemacht, nur geschlafen, sonst nichts. Naja, vielleicht hab ich – schlecht geträumt. Ja, ich weiß noch dass ich gekämpft habe und als ich aufwachte, brannte es plötzlich überall." Sie stand auf und lief langsam und mit großen Augen um ihr einstiges Bett herum.
Erst jetzt wurde sich Draco bewusst, dass sie nur ihr Nachthemd trug – es war kurz. Ihre schlanken Beine kamen dadurch gut zur Geltung. Nyah ihrerseits beäugte Dracos Garderobe gleichermassen und es trat ein peinlicher Moment der Stille ein.
Dracos Blick blieb an ihrer Hand hängen, die etwas fest umklammert hielt. Er schnaubte, aber es klang leicht amüsiert. „Schläfst du immer mit dem Zauberstab in deiner Hand?"
„Was? – Oh, nein, nein – nur wenn ich an einem fremden Ort bin. Wirklich, es ist das erste Mal, dass ich ihn unbewusst benutzt habe."
Draco schüttelte den Kopf. „Du schleuderst wegen eines Alptraums Flüche quer um durch den Raum? Und das im Schlaf?"
„Es tut mir ja Leid –"
„Schon gut." Draco lachte leise. „Am besten du ziehst dich um, wir gehen nach unten zum Frühstück. Die Hauselfen kümmern sich dann um den Schaden." Während er hinausging, warf er ihr einen letzten, belustigten Blick zu.
Zurück in seinem Zimmer, warf er sich breit grinsend auf die Matratze.
Zur gleichen Zeit tat Nyah ein Raum gegenüber genau das gleiche (nur dass sie halt auf das Sofa sprang). Die Dinge entwickelten sich einfacher, als sie gedacht hatte. Natürlich war das kleine Malheur von ihr inszeniert worden, nie wäre sie so töricht gewesen, ihr eigenes Bett in Brand zu stecken. Aber Malfoy junior konnte man überraschend leicht täuschen. Ohne diese kleine List hätten sie sich nie so legere bekleidet angetroffen, und sie hatte ihn unbedingt einmal in der Schlafkleidung sehen wollen. Und wie er sie erst angesehen hatte, als sie im Nachthemd vor ihm auf und ab gegangen war! Dieses Lächeln! So ein schönes Lächeln! Nyah seufzte geistesabwesend. Er war gut aussehend, gar keine Frage, er war reich, er kam aus einer angesehenen, reinblütigen Zaubererfamilie und vor allem war er der jüngste Diener Voldemorts. Er war perfekt.
Sie wollte ihn – und nur ihn! Seit ihrer ersten Begegnung im Pedigreed hatte sie sich das fest in den Kopf gesetzt.
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Draco rollte sich auf den Rücken und strich sein weissblondes Haar aus dem Gesicht. Nyah war ein bisschen verrückt, fast so sehr wie Dumbledore – nein, denk jetzt nicht an ihn, verdräng es. Und es gelang ihm überraschend leicht. Er fragte sich ohnehin, wieso er sich gerade so beflügelt fühlte, obwohl es doch vieles gab, wovor er sich fürchten sollte. Nyah lenkte ihn ab, sie brachte Leben ins Haus, wie seine Mutter gesagt hatte. Nein, verliebt war er nicht, höchstens von ihr eingenommen.
In Gedanken versunken, wusch er sich und zog sich um. Er steckte seinen Zauberstab in den dunkelgrünen Umhang und verließ das Zimmer. Im genau gleichen Moment trat auch Nyah in den Korridor und stand ihm gegenüber. Ihr Haar hatte sie hochgesteckt und sie trug ein langes, ärmelloses Kleid mit gewagtem V-Ausschnitt, das sehr teuer aussah. Einzelne schwarze Haarsträhnchen umrandeten ihr schmales Gesicht. Kurz gesagt, sie sah bezaubern aus.
Draco sah sie einfach nur an, unfähig etwas zu sagen.
Verlegen lächelnd fragte sie schließlich: „Zur Treppe geht es nach links, oder?"
Hastig besann sich Draco. „Genau." Das Wort hatte unsicherer geklungen, als ihm lieb war.
Schweigend liefen sie nebeneinander über den schweren Korridorteppich. Beim ersten Fenster, das sie passierten, erkannte Draco, dass seit vielen Tagen das erste Mal wieder die Sonne schien. Er nahm deshalb an, dass sie draußen Frühstücken würden und schlug die dementsprechende Richtung ein.
„Hast du gut geschlafen?", fragte Nyah in die peinliche Stille hinein.
„Bestimmt besser als du.", entgegnete Draco sarkastisch.
Nyah schnaubte. „Diese Geschichte wirst du mir wohl mein ganzes Leben lang auf die Nase binden."
„Darauf kannst du Gift nehmen."
Die Lage entspannte sich allmählich, da sie in ein Gespräch über die verschiedenen Skulpturen verfielen, die überall herumstanden und meist Schlangen oder andere schaurige Kreaturen abbildeten. Nyah gefielen sie.
Dann durchquerten sie den unendlich großen Garten. Sie umrundeten dabei einen Swimmingpool, der wie ein Teich aussah. Wäre da keine Leiter und kein Sprungbrett gewesen, wäre man nie darauf gekommen. Zwischen drei riesigen Silber-Weiden saß Narzissa an einem reichlich gedeckten Tisch und ließ sich von der Sonne anscheinen. Sie nippte an ihrem Kaffee und las den Tagespropheten. Ihre ernste Miene erhellte sich, als sie Draco und Nyah erblickte. „Guten Morgen, ihr seid früh dran."
Die Neuankömmlinge ließen sich einander gegenüber nieder.
„Draco schläft normalerweise bis zum Mittagessen durch.", sagte Narzissa an Nyah gewandt.
„Daran bin wohl ich schuld.", erwiderte Nyah kleinlaut und erzählte, dass sie ihr Bett eben zu Asche verwandelt hatte. Narzissa amüsierte sich über diese Geschichte.
Als Nyah geendet hatte, griff sie nach der Marmelade. Dasselbe hatte Draco auch vor gehabt und so berührten sich ihre Hände versehentlich. Hastig entschied sich Draco für den Akazienhonig um und ärgerte sich über das quirlige Gefühl, dass durch seinen ganzen Körper jagte. Narzissa verzog ihren Mund zu einem Lächeln.
„Ach Draco, hast du dir eigentlich schon Gedanken über deine Zukunft gemacht?"
Er sah seine Mutter überrascht an.
„Ich nehme ja nicht an, dass du dein restlichen Leben zu Hause herumsitzen wirst?"
„Nein…" Narzissa hatte Draco mit dieser Frage ziemlich überrumpelt. „Darüber habe ich noch gar nicht nachgedacht…"
„Ich schon.", sagte Narzissa scharf. „Du brauchst einen Schulabschluss, sonst wirst du später nie eine anständige Arbeit finden."
„Aber er ist doch Todesser, wozu da ein Abschluss?", mischte sich Nyah ein.
Narzissa bemühte sich, ruhig zu bleiben. „Als Todesser verdient man aber kein Geld. Und ich wünsche, dass mein Sohn eine Arbeit ausführen wird, von der er mehr profitieren kann."
Nyah schien sich aufzuregen, aber sie blieb ruhig.
„Was schlägst du vor, Mutter?", fragte Draco.
„Da Hogwarts geschlossen ist, habe ich eine Lehrerin engagiert, die dich zu Hause unterrichten wird. Wenn Nyah möchte, kann sie auch an den Schulstunden teilnehmen, diese Entscheidung überlasse ich ihr."
„Wer unterrichtet uns?", wollte Draco wissen.
„Sie heißt Romilda Ritchie und hat bisher an einer schottischen Privatschule unterrichtet." Sie nippte an ihrem Kaffee. „Es hieß, sie sei die beste ihres Fachs. All ihre Schüler bestanden mit Auszeichnung."
Draco war trotzdem nicht begeistert, wieder unterricht zu haben, aber er wusste selbst, dass er die Schule zu ende machen musste.
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„Also ich brauche keinen Unterricht bei der.", sagte Nyah, als sie mit Draco zurück zum Haus lief. „Das ist doch reine Zeitverschwendung."
„Vermutlich.", erwiderte Draco gelassen. „Was soll's, sie kommt ja erst im September."
Sie bogen um eine Hecke und ein kleines, merkwürdiges Bauwerk kam zum Vorschein, eine art Tempel.
„Was ist denn das?" Nyah betrachtete das Kunstwerk neugierig von allen Seiten. Der Eingang wurde von einer großen, steinernen Schlange bewacht und über ihr war in die helle Marmorwand das Familienwappen der Malfoys eingemeisselt worden.
„Das ist unser Familienmausoleum.", erklärte Draco. „Hier werde ich sozusagen meine letzte Ruhe finden." Er grinste Nyah an.
„Es ist wunderschön.", staunte sie.
„Ja von aussen schon. Wie es innen aussieht kann ich nicht sagen. Das Mausoleum wird nur bei einer Beerdigung geöffnet."
Nyah musterte die edle Grabstätte, die zwischen großen, blühenden Bäumen in einem wunderschönen, riesigen Garten stand, und dann sah sie zum Haus hinüber, dass groß und mächtig aus der Erde ragte. „Deine Familie muss ja unglaublich reich sein…", flüsterte sie fast ehrfürchtig.
Sie gingen hinein und jeder zog sich in sein Zimmer zurück. Draco richtete sich zwischen den Kissen seines Sofas ein und deutete mit seinem Zauberstab auf eine art Spiegel, der aber seltsamerweise gar nichts spiegelte. „Imago!" Jetzt flammte ein Bild auf, das ein Quidditch-Spiel seiner Lieblingsmannschaft übertrug. Oben links war die Spielzeit eingeblendet:2 Stunden, 13 Minuten, 37 Sekunden.
Dracos Gedanken schweiften jedoch bald vom Spielgeschehen ab. Bei Nyah drüben war alles still. Anscheinend konnte sie sich beherrschen und steckte nichts mehr in Brand. Draco lachte leise. Was hatte dieses Mädchen nur mit ihm gemacht? Seit ihrem Einzug war er so glücklich und unbekümmert, wie schon lange nicht mehr. Wieso sind seine Gedanken so oft bei ihr? Nicht einmal Quidditch, seine Leidenschaft, konnte ihn von ihr ablenken.
Die Zeit verging und das Quidditch-Spiel wollte einfach nicht enden. Es stand mittlerweile zweitausendfünfhundertfünfzig zu zweitausendfünfhundertzehn für seine Mannschaft. Draco gähnte herzhaft, als es Zeit fürs Abendessen geworden war. Er holte Nyah aus ihrem Zimmer ab – ihr Bett war inzwischen wiederhergestellt worden. Sie schaute von ihrem Buch auf und sah genauso schläfrig aus wie er.
Das Abendessen verlief weitgehend ereignislos.
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„Hast du etwas dagegen, wenn ich dir Gesellschaft leiste?", fragte Nyah, als sie mit Draco wieder nach oben ging.
Oh nein, er hatte ganz und gar nichts dagegen einzuwenden. So saßen sie bald darauf zu zweit und gut mit Kissen eingedeckt auf dem Sofa und verfolgten wild diskutierend das Quiddtich-Spiel, das noch immer in vollem Gange war. Der Schnatz wollte einfach nicht auftauchen.
Öfters warf Draco ihr einen verstohlenen Blick zu und beobachtete, wie sie konzentriert dem Geschehen im Spiegel folgte.
Zu seiner Überraschung flatterte gegen acht Uhr eine Schleiereule durch das offne Fenster und ließ einen Brief über ihm fallen. Sie kreiste dreimal kreischend durch das Zimmer, ehe sie wieder verschwand.
„Was steht denn drin?", wollte Nyah wissen.
„Du bist ziemlich neugierig.", entgegnete Draco und öffnete den Brief. Er erkannte die Schrift sofort.
Hey Draco!
Das Schuljahr hat so chaotisch geendet und wir konnten uns wegen der früheren Abreise in dem ganzen Durcheinander nie richtig verabschieden. Ich hoffe, mit dir ist alles in Ordnung? Du warst so plötzlich verschwunden.
Jetzt zum eigentlichen Grund, warum ich dir schreibe. Wir, also alle Slytherins aus unserem Jahr, haben vor, eine art Klassentreff im Pedigreed zu veranstalten. Wir würden uns alle freuen, wenn du diesen Samstagabend auch kommen könntest.
Bis dann! Küsschen
Pansy
„Wer ist denn Pansy?"
Draco hatte gar nicht bemerkt, dass sich Nyah zu ihm gebeugt und mitgelesen hatte.
„Nur eine Schulfreundin."
„Ah. Und, gehst du hin?"
„Wahrscheinlich."
Einmal mehr waren sich ihre Gesichter gefährlich nahe gekommen und eine Welle der Hitze durchströmte Dracos Körper. Er hasste sich dafür, normalerweise verlor er die Beherrschung nie so schnell.
Bevor sich ihre Lippen fanden, legte Nyah sachte ihre Finger auf seinen Mund und schob ihn lächelnd zurück. So einfach mache ich es dir nicht, Draco Malfoy.
„Nana, nicht unanständig werden.", sagte sie, stand auf und sah ihn mit ihren großen, dunklen Augen an.
Die Szene ähnelte der von damals im Pedigreed nur allzu sehr.
Plötzlich zückte Nyah ihren Zauberstab. „Lust auf ein Duell?"
Verblüfft schaute Draco sie an. „Was jetzt? Wieso?"
„Du willst doch etwas, also verdien es dir."
